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Rubrik heilen

Mit dir bin ich schön

Von Annette Meinecke

Foto: Annette Meinecke

Wenn ich in der Rubrik „heilen“ lese, begegnen mir berührende, Trost und Kraft gebende Geschichten. Schwer zu tragende Schicksale, aus denen Wege gefunden werden, meist nach sehr langer Zeit.

Da komme ich mir ein wenig trivial vor, denn ich habe nur einen alternden Körper, den ich die letzten zwanzig Jahre unter mehr oder weniger weiten Kleidungsstücken versteckt habe. Bis zu dem Tag, an dem ich mir einen sündhaft teuren Badeanzug kaufte.

Er ist meeresgrün, liegt schmeichelnd auf der Haut und hat einen Schnitt, der für Diven gemacht ist. Er kennt den Körper einer Frau und setzt jede weiche Körperwindung wirkungsvoll in Szene. Er ist nicht mein Erster. Eine respektable Sammlung von Tankinis, Bikinis und monströsen, schwarzen Shapewear-Einteilern bewohnt die unterste Schublade meines Kleiderschrankes. Sie alle gaben mir beim Kauf das Versprechen, mir eine “schöne” Figur zaubern zu können, niemals hielten sie es ein.

Früher, das ist das kleine Zeitfenster zwischen überstandener, körperkritischer Pubertät und den scheinbar unumgänglichen, trotz Öl-Bürstenmassage nicht abwendbaren Dehnungstreifen einer Schwangerschaft, also in diesem „Früher“, diesem Zwischenstopp meines Lebens, trug ich Bikini. Vier kleine Stoffdreiecke bedeckten meinen Körper und machten ihre Arbeit gut. Das denke ich jedenfalls, wenn ich heute Fotos von damals anschaue und eine schöne junge Frau sehe, was ich damals gar nicht so empfand.

Mit zunehmenden Jahren nahm die Menge des Stoffeinsatzes zu, bis ich dann irgendwann bei dieser schwarzen Shapewear landete. Sie drückt, formt und quetscht alles zusammen, was sich am Körper  bewegen kann. Mit ihr war ich eher gepanzert als frei.

Alle Badeanzüge hatten eines gemeinsam. Ich fühlte mich unwohl in ihnen und schämte mich bisweilen, wenn ich aus dem Wasser kam und der nasse Stoff meinen Körper „unvorteilhaft“ hervorhob.
Ich begann, Schwimmbäder zu meiden und im Urlaub hatten nur meine Füße das Vergnügen, mit Meereswasser in Berührung zu kommen. 

Dann der Kauf dieses unerhört schönen Badeanzugs. Er fiel nicht geisterhaft vom Himmel, sondern stand in Zusammenhang mit einem Foto. Ein Foto, auf dem vier Frauen meines Alters Hand in Hand von einem Steg ins Wasser springen palais-fluxx.de. Ihre Lebensfreude leuchtet in ihren Gesichtern, kein verschwendeter Gedanke an das Aussehen ihrer Körper. „Lebendig“, schoss es mir durch den Kopf.  Sie sind lebendig. In Gedanken stand ich mit ihnen auf diesem Steg und sprang mit ihnen ins Wasser. Spürte die Kühle und das Prickeln auf der Haut. Dann fühlte es sich federleicht an, so, wie es sich nur im Wasser anfühlen kann, wenn die Schwerkraft aufgehoben ist. Jede Zelle meines Körpers war wachgeküsst und jubelte vor Freude. Lebendig eben.

Jetzt muss ich Schluss machen, meinen meeresgrünen Badeanzug einpacken und eine 10er-Karte fürs Schwimmbad kaufen.

Palais Fluxx ist ein Onlineportal für Frauen ab 47 Jahren und dem Slogan “Für Rausch, Revolte, Wechseljahre”.

Autorin: Annette Meinecke
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 29.09.2025

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Hach, dieser alternde Körper und seine komplexen Beziehungen zu Kleidung! Zwischen den „monströsen Shapewear-Einteilern der Vergangenheit und dem heiligen Meeresgrün des aktuellen Favoriten – ein bekanntes Gefühl. Die „Diven-Schnitt-Debatte ist ja legendär. Aber vielleicht liegt die wahre Freundschaft mit dem Körper nicht darin, ihn in teure Sammlungen zu stecken, sondern einfach, wie die Freundinnen im Foto, mutig ins Wasser zu springen – ob gepanzert oder im schmeichelnden Seidenschleier. Und ja, der Wunsch, wie die Körperfunktionen zu „jubeln (wobei ich mir fragen, ob die Shapewear das erlaubt), ist absolut verständlich und absolut menschlich. Sehr relatable!đếm ngược ngày thi

  • Dorothee Markert sagt:

    Danke für diesen wohltuenden Beitrag! Das Unwohlgefühl im Badeanzug habe ich nicht mehr, seit ich einen mit Beinchen gefunden habe und einem ganz weichen Stoff. Schwimmen ist auch für mich pure Lebensfreude – am liebsten ganz ohne.

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