Forum für Philosophie und Politik
Von Silke Kirch
Ich bin bestürzt: Ich bin gestürzt. Im Bahnhof, zwischen zwei Treppen.
Zwei Passanten kamen mir zu Hilfe, nach einigen Sekunden, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit – eine unüberbrückbare Zeitspanne, so hilflos fühlte ich mich.
Drei Mitarbeiter:innen der Bahn waren ebenfalls schnell zur Stelle. Einer rief einen Rettungswagen. Eine sprach mit mir. Eine protokollierte das Wann, Wo, Wie. Nichts blutete und meine Brille war auch noch heil. Trotz der Wucht, mit der mein Rucksack den Fall beschleunigt hatte.
„Waren Sie in Eile?“, fragte die Protokollantin. Ja. Ich wollte schnell weg und schnell hin. Hin nach Hause. Weg vom Bus des Schienenersatzverkehrs. Einem vollen Bus, in dem ich während einer halbstündigen Fahrt von einem aufdringlichen Zeitgenossen belästigt worden war. Erst verbal: „Welcher Schoß ist noch frei? Ist voll hier, wo kann ich sitzen? Vielleicht auf deinem?“ „Abstand halten“, empfahl ich ihm, als er sich an mich drückte. Dann wurde er handgreiflich.
„Ja, sowas kann man nicht brauchen“, sagte die Protokollantin. „Kann ich schreiben, dass Sie in Aufregung waren?“
Ja. Trotz jahrzehntelanger Erfahrung gerate ich „in Aufregung“. Lasse mich aus der Ruhe bringen von Übergriffen. Fühle mich wehrlos. Unbeholfen. Hilflos.
Erst zu Hause entfalteten sich die Schmerzen, wurden Schulter, Knie, Handgelenk, Rücken laut. Kam ich allein nicht zurecht. Doch nichts war gebrochen. Körperlich soweit alles heil.
Vielleicht hatte ich einen Schutzengel. Vielleicht haben mich das regelmäßige Yoga und Schwimmen beschützt: ein Körper, der sich auskennt, auch im freien Fall. Tröstlich.
Zwei Tage später stehe ich morgens im Flur. Ich muss durch einen Bahnhof auf dem Weg zur Arbeit. Kurz halte ich inne und denke an alle Menschen, mit denen ich gut verbunden bin.
Meine Blessuren bleiben überschaubar. Schmerzmittel und Kühlpads lindern die Beschwerden. An meinem Kühlschrank hängt eine Postkarte von @pgexplaining mit der Aufschrift „Den Text zu Ende schreien“.
Merci für den klaren, klugen, kostbaren Artikel. Diese Art des Schreibens mag ich. Wo deutliche Worte fallen, die nicht anklagen, die nicht jammern, die einfach bei der Sache und beim Selbst bleiben. Denn als ehemalige Journalistin ärgerte ich mich gerade wieder über die Süddeutsche, bei der die meisten Texte inzwischen derart gleich sind, dass nicht mehr deutlich wird, ist das nun ein Kommentar oder eine Nachricht oder eine Glosse oder was eigentlich….
Dankeschön von Herzen