Forum für Philosophie und Politik
Von Jutta Pivecka
Melinda Hargrave-Kanzow mit ihrer Mutter bei einer Demonstration im April
Für Melinda Hargrave-Kanzow, eine US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Lehrerin, die seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, war der Wahlsieg Donald Trumps eine „Katastrophe“, aber eine, die sie nicht gewillt ist, einfach hinzunehmen. Nachdem Donald Trump im November 2024 zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, hat sie mit anderen online den Frankfurt Greater Hessen Resistance Roundtable eingerichtet, um gemeinsam dem Autoritarismus der Trump-Adminstration auch von Europa aus etwas entgegenzusetzen. Schon vor der Wahl engagierte Melinda Hargrave-Kanzow sich bei den Democrats Abroad , einer Unterorganisation der Demokratischen Partei im Ausland. Seit kurzem ist sie auch Vice Chair der Democrats Abroad in Hessen/Frankfurt .
Die Geschwindigkeit, mit der die Trump-Regierung demokratische Strukturen und rechtstaatliche Prinzipien außer Kraft setzt, hat aber selbst die politisch interessierte und engagierte Mutter von zwei erwachsenen Töchtern überrascht: „Ich bin alarmiert, wie schnell die USA in Richtung Totalitarismus gehen. Die Szenen, die man in den letzten Wochen gesehen hat, dass maskierte Männer einfach Leute von der Straße reißen und in ein Gefängnis bringen, ohne eine Anhörung, ohne Prozess und dass dann diese Menschen einfach nach El Salvador abgeschoben werden, sind für mich unfassbar.“ Die Wahl zwischen Donald Trump und Kamela Harris sei eine klare Richtungswahl gewesen: „Zwischen jemand, der frauenfeindlich ist, für sexuelle Belästigung sogar vom Gericht verurteilt wurde, der immer wieder Sachen gegen Frau sagt und einer Frau, die nach vorne geguckt hat.“
Die Politik, die Trump vertritt, richte sich vor allem auch gegen Frauen. Für Melinda Hargrave-Kanzow ist es „der radikale Versuch, die Uhr zurückzudrehen, zu einer Zeit, in der Frauen zu Hause geblieben sind, nichts machen sollten, außer Kinder haben und den Haushalt zu machen.“ Ich frage, wie sie es sich erklärt, dass Trump trotz all seiner Frauenfeindlichkeit, die offen zu Tage liegt, auch in so großer Zahl von weißen Frauen gewählt wurde. Sie kann es nicht begreifen. Die einzige Erklärung, die sie für dieses Verhalten hat, ist, dass die Frauen diese Tatsachen und Positionen weniger wichtig fanden als ihre ökonomischen Sorgen.
Wir sprechen auch über die „MAGA Beautys“, diese typischen langhaarigen, schlanken, oft jungen Frauen mit hohen Wangenknochen, in engen Etui-Kleidern oder Kostümen, mit einem Kreuz an der Halskette, auf hohen Stöckelschuhen, die im Trump-Kosmos herausragende Positionen einnehmen, wie Kristi Noem, die Heimatschutzministerin und Pam Bondi, die Justizministerin oder auch viele Fox-Moderatorinnen. Das sind Frauen, die durchaus gebildet sind, beruflich erfolgreich, die aber mitmachen bei diesem frauenfeindlichen Projekt, wie es schon vor der Wahl in Project 2025 von der Heritage Foundation skizziert wurde. Sie helfen dabei mit, Gesetzesvorhaben und präsidiale Anordnungen umzusetzen, die die Rechte von Frauen einschränken, um die Gesellschaft, wie Melinda Hargrave-Kanzow feststellt, 100 Jahre zurückzudrehen, eine Ordnung zu etablieren, in der wieder vor allem weiße Männer das Sagen haben. Diese Frauen, so meint sie, orientieren sich an (männlicher) Macht.
Ihre eigene politische Sozialisation, so erzählt sie, sei vor allem über ihre Mutter und Großmutter erfolgt. „Interessanterweise waren die Frauen in meiner Familie immer ziemlich politisch. Meine Oma ist mit ihrer Mutter schon mit den Suffragetten marschiert.“ Ihre Mutter habe für die Aufnahme eines Equal-Rights-Amendments in die amerikanische Verfassung gekämpft, das die Rechte von Frauen garantieren sollte. Eine solche Verfassungsänderung muss nicht nur die beiden Kammern mit 2/3-Mehrheit passieren, sondern auch in ¾ aller Bundesstaaten Zustimmung finden. North Carolina, woher sie stammt, habe dem Gesetz nicht zugestimmt. Der Kampf ihrer Mutter für dieses Gesetz habe sie geprägt, obwohl er letztlich nicht erfolgreich war. Denn ihre Mutter habe ihr gezeigt, dass Frauen für ihre eigenen Anliegen gemeinsam kämpfen können und müssen. Sie stellt rückblickend fest, dass ihre eigenen, jetzt erwachsenen Töchter ein solches kämpferisches Eintreten für die eigenen Anliegen nicht miterlebt hätten, denn man habe geglaubt: Jetzt sei es erreicht, jetzt müsse man nicht mehr kämpfen.
Melindas Hargrave-Kanzows Töchter können allerdings jetzt sehen, wie ihre Mutter den Kampf wieder aufnimmt. Denn die Demokratin ist entschlossen, sich dem Weg in den Autoritarismus, den die Trump-Administration eingeschlagen hat, entgegenzustemmen, auch und gerade als Exil-Amerikanerin in Deutschland. Sie hat den Wahlabend im November mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in North Carolina erlebt: „Wir waren natürlich total deprimiert und bestürzt.“ Insgesamt stellt sie jedoch fest, dass viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner die Situation weniger dramatisch wahrnehmen als ihre Freunde und Bekannten in Europa. Vielleicht stecke Resignation dahinter, andererseits gebe es aber auch viele kleinere, regionale Demonstrationen, die medial nicht so viel Aufmerksamkeit erhielten. Außerdem erzeuge Trump gezielt eine „Atmosphäre von Furcht und Terror“. Anwaltskanzleien, große Mediengesellschaften, Universitäten, bedeutende Forschungseinrichtungen, die auf staatliche Gelder angewiesen sind, werden gezielt unter Druck gesetzt. Menschen hätten Angst, ihre Ansichten offen zu äußern, weil es ihnen beruflich schaden könnte. Melinda Hargrave-Kanzow kennt selbst solche Fälle. Aber sie glaubt nicht, dass die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sich auf Dauer die Freiheitsrechte rauben lassen.
Jede Woche zwei-, dreimal schreibt sie an „ihre“ Abgeordneten im Kongress, um gegen Gesetzesvorhaben und Anordnungen der Trump-Regierung zu protestieren. Der Senator und die Abgeordneten aus North Carolina sind Republikaner. Dennoch, meint Melinda Hargrave-Kanzow, seien solche Eingaben nicht wirkungslos. Wenn viele sich direkt und immer wieder an ihre Abgeordneten wenden, um konkrete Vorhaben zu kritisieren, müssten die Republikanern erkennen, dass die Wählerinnen und Wähler nicht einverstanden mit ihrer Politik sind. Am Beispiel des sogenannten „SAVE Act“ erklärt sie mir, dass es gar nicht immer offensichtlich ist, wie bestimmte Maßnahmen sich vor allem gegen die Rechte von Frauen richten. Mit dem „SAVE Act“ will Trump die Rechte von Wählerinnen und Wählern, die im Ausland leben, einschränken. Dabei kann eine Namensänderung, wie sie vor allem Frauen bei einer Heirat oft vorgenommen haben, dazu führen, dass man vom Wahlrecht ausgeschlossen wird.
Melindas Hargrave-Kanzows Engagement bei den Democrats Abroad und die Eingaben an ihren Abgeordneten reichen ihr jedoch nicht, dafür ist die Lage ihrer Meinung nach zu ernst. Sie fühlt sich inspiriert durch Timothy Snyders Buch „On Tyranny“, in dem er dazu auffordert, sich beim Widerstand gegen die Tyrannei auf neue Umgebungen und neue Beziehungen einzulassen und Neues zu wagen. Die Democrats Abroad werden von der Demokratischen Partei aus den USA gesteuert. Die regionalen Abteilungen sollen aber keine Bündnisse mit ausländischen Parteien eingehen. Auch das Engagement von Nicht-Amerikanerinnen und -Amerikanern ist hier nicht möglich. Doch der Kampf gegen den Autoritarismus ist aus Melinda Hargrave-Kanzows Sicht ein internationaler. In vielen europäischen Demokratien erstarken rechtsextreme Parteien, in einigen haben sie bereits die Macht übernommen und – wie in Ungarn – Schritt für Schritt den demokratischen Rechtsstaat abgeschafft. Deshalb geht es aus ihrer Sicht darum, im Kampf gegen den Autoritarismus alle Kräfte zu vereinen, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den USA und in Europa eintreten. Daher hat sie sich der brandneuen Plattform „1STAND“ angeschlossen.
1STAND will europäische Bürgerinnen und Bürger und in Europa lebende US-Amerikanerinnen und -Amerikaner im Kampf gegen autoritäre, demokratieverachtende Regierungen und Parteien vereinen. „Das ist ganz neu. Erst vor anderthalb Wochen ist unsere Website online gegangen.“, erzählt Melinda Hargrave-Kanzow. „Über Nationalitäten und politischen Parteien hinweg stehen wir zusammen, um Freiheit und den Rechtsstaat mit gewaltfreien Aktionen gegen versuchte Machtübernahmen durch Trump und andere Autokraten zu verteidigen.“ steht auf der Startseite der Bürgerinitiative. Für Samstag, den 24. Mai ist die erste Demonstration des Aktionsbündnisses in Frankfurt geplant. Treffpunkt ist um 11. 00 Uhr an der Paulskirche. Melinda Hargrave-Kanzow hofft, dass die US-Amerikanerinnen und Amerikaner, die diese Initiative gestartet haben, von vielen deutschen und europäischen Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden.
Melinda Hargrave-Kanzow lebt seit 1989 mit ihrer Familie in Deutschland. Sie ist Politikwissenschaftlerin und war Lehrerin für Englisch und Politik und Wirtschaft in Hessen.