Forum für Philosophie und Politik
Von Elke Eichler
Das Buch „Toxische Weiblichkeit“ hat mich auf beeindruckende Weise angesprochen: Es hat mich berührt und zu einem neuen Verständnis meines eigenen Feminismus gebracht, aber auch im Blick auf feministische Ausdrucksweisen anderer. Es hat mich zum Schmunzeln gebracht und meinen Blick auf die Geschlechterdifferenz ein Stück verändert.
Im Prolog führt uns Sophia Fritz durch ihre eigene Erfahrung an ihr Unbehagen, dass etwas in ihr und in ihrem Erleben mit den üblichen Frauen- und Männerbildern nicht stimmt.
Ihr Unbehagen wird im Jugendalter, in den 2010er Jahren, bereits geweckt durch die sozialen Medien und das, was in ihrer Wahrnehmung öffentlich unter „Feminismus“ verstanden wurde: #metoo, #BLM und durch TikTok. Es folgten aber keine für sie bemerkbaren Veränderungen der Konzepte von Männlichkeit. Feminimus hingegen scheint nach dem Verständnis von Fritz eine selbstbewusste Weiterentwicklung von unterschiedlichen Weiblichkeitskonzepten mit der einheitlichen und gemeinschaftlichen Bewertung von Männern zu sein: Männer sind kollektiv egozentriert und dysfunktional. Statt „Internationaler Weltfrauentag“ hieß es nun „Feministischer Kampftag der Frauen!“ Damit ist in Sophia Fritz‘ Augen, der Feminismus zum Kampfbegriff geworden gegen jegliche Form von Männlichkeit.
Nach Auffassung von Sophia Fritz entwickelte sich der Begriff „toxische Männlichkeit“ im allgemeinen Sprachgebrauch dazu, Männer schnell einzuordnen, sie zu kategorisieren. Dagegen lassen sich Feministinnen anscheinend nicht in Kategorien einordnen, alles kann nach Meinung von Fritz feministisch sein. „Hausfrau und girlboss, waxing und Achselhaare, laszive TikTok-Choreografien, Selbstobjektivierung und traditionelle Hochzeiten.“ (S. 13). Das medial inszenierte feministische Selbstverständnis ist vielschichtig. Aber nach wie vor stellt Fritz ein Unbehagen und Dissonanzen für sich selbst fest. „Dauernd nehme ich Ambivalenzen wahr zwischen dem, was ich will, und dem, was ich auch tatsächlich tue. Vielleicht betrifft dieses Unbehagen auch andere, wenn nicht gar alle?“
Der Begriff „toxische Weiblichkeit“ als Pendant zur toxischen Männlichkeit scheint großes Misstrauen in der feministischen Szene auszulösen. Auch ich muss gestehen, dass ich bei dem Buchtitel „Toxische Weiblichkeit“ darauf gefasst war, dass nun eine ungerechtfertigte Kritik am Feminismus erfolgt – sozusagen als Replik auf den Begriff „Toxische Männlichkeit“. Auf keinen Fall dürften weitere Kritik und Auseinandersetzungen in den feministischen Diskurs getragen werden, stellt Fritz fest. Andererseits herrscht keine Klarheit darüber, was mit „toxischer Weiblichkeit“ eigentlich gemeint ist. Sprachlosigkeit bzw. Definitionslosigkeit setzt Fritz gleich mit Machtlosigkeit. Wie könnte es gelingen, den Begriff zu dekonstruieren und die Symptome weiblicher Toxizität zu unterscheiden von frauenfeindlichen Unterstellungen?
Toxische Weiblichkeit ist für Fritz ein Ausdruck für unsere sozial-kulturell geformte Weiblichkeit. Die Herausforderung, die sie sieht, ist die Schaffung eines grundlegenden neuen gesellschaftlichen Miteinanders. Ihre und unsere Aufgabe sieht sie darin, die Deutungshoheit über den Begriff „Toxische Weiblichkeit“ zu erlangen und ihm eine weibliche Prägung zu geben. Entgegen der weit verbreiteten Haltung, dass Frauen die Opfer einer gesellschaftlichen Benachteiligung sind, appelliert Fritz dazu, die Opfermentalität abzulegen., denn: „Jeder Mensch trägt das Potential für toxisch feminine und toxisch maskuline Qualitäten in sich.“
Die Absicht von Sophia Fritz war es nicht, sich mit den fremdbestimmten misogynen Bezeichnungen auseinanderzusetzen, sondern vielmehr sollten diese als Ausdruck unserer frauenfeindlichen Gesellschaft entlarvt werden. Und damit – und das ist ihr meines Erachtens gelungen, ohne den Ausdruck einer Selbstkritik offen zu legen, wie wir sie als weiblich sozialisierte Menschen allzu gut können. Ihr Ziel ist es weiterhin, sich selbst – unsere Gesellschaft – „hin zu einem Mehr an Empathie und einem Mehr an Gelassenheit und echter Nähe zu befördern.“
Das hierarchische Denken ist die Grundvoraussetzung für toxische Weiblichkeit, für toxisches Verhalten allgemein, es beinhaltet die Bewertung, die Stellung in Bezug auf uns.
Fritz formuliert folgendermaßen:
„Toxische Weiblichkeit ist also die Perfomance einer Unterordnung, hinter der sich der Versuch, Macht und Kontrolle zu erringen, verbirgt. Wie gesagt, es handelt sich um eine Notlösung.“, eine Strategie, die Frauen sich in der Eingrenzung angeeignet haben. Allerdings konstatiert Fritz ebenfalls, dass unter dieser „Notlösung“ die Frauen selbst am meisten leiden: „Sie, (die toxische Weiblichkeit), provoziert Manipulierbarkeit, Illoyalität, Verlogenheit, selbstausbeutendes Verhalten und Machlosigkeit“. Um ein grundlegendes gesellschaftliches Miteinander zu befördern, bedarf es der Auseinandersetzung von Frauen mit diesem Begriff. Und auch vor allem deshalb, damit die Definitionslosigkeit über toxische Weiblichkeit nicht konservativen Gruppierungen bzw. antifeministischen Männern überlassen bleibt.
In fünf Rollenbildern, die wir aus der eigenen Biografie alle mehr oder weniger kennen, schildert Fritz die unterschiedlichen Facetten und Ausprägungen toxischer Weiblichkeit. Dabei erzählt sie in der Ich-Form und bleibt ganz nah an ihren eigenen Erlebnissen, Erfahrungen und Gesprächen. Das macht die Lektüre so lebendig, aber auch authentisch. Gleichzeitig ist es mir als Leserin sehr leichtgefallen, meine eigenen Verhaltensweisen und Mechanismen wieder zu entdecken und zu entlarven. Durch die selbstkritische Art von Fritz, mit der sie mir den Spiegel vorhielt, konnte es eben nicht als Vorwurf oder Kritik missverstanden werden. Vielmehr führte es zur Selbsterkenntnis und war bisweilen auch mit einem Augenzwinkern des „Ertappt-Werdens“ gepaart. Schließlich führte die Lektüre bei mir persönlich dazu, dass ich viele patriarchale, toxisch-männliche und toxisch-weibliche Muster in meiner zwanzigjährigen Lebenspartnerschaft mit meiner Frau erkannte und auch die toxische Weiblichkeit entdeckte, die wir durch unsere Mütter erfahren haben. Und dabei waren beide Frauen vor über 50 Jahren durchaus mit „feministischen“ Motiven, mindestens aber mit sehr selbstbewussten Ansätzen, in die Erziehung ihrer beiden Töchter gestartet.
Durch dieses Buch hatte ich viele Erkenntnisse und das Eingangswort von Sophia Fritz: „Feminism begins with sensation“ (Sara Ahmed) war und ist auch nach 34 Jahren Beschäftigung mit Frauenfragen und Feminismus für mich wieder aktuell geworden. Im Fazit lädt Fritz dazu ein, über dieses Buch ins Gespräch zu kommen. Sie räumt ein, wie schwierig es ist, Weiblichkeit unabhängig vom Patriarchat neu zu denken, aber sie ermuntert, „das Frau-Sein, das Weiblich-Sein, nicht neu (zu) erfinden – es aber zu können, wenn wir es wollen.“
Sophia Fritz hat nach eigenen Angaben unzählige Gespräche und Interviews für die Recherche zu diesem Buch geführt. Dies ist im Laufe der Lektüre spürbar geworden und anerkennenswert. Die zugrundeliegende Literaturliste ist bemerkenswert, gerade vor dem Hintergrund, dass die Autorin noch sehr jung ist (Jhg. 1997). Es bleibt ihr zu wünschen, dass der konstruktiv-feministische Diskurs angeregt wird, Sophia Fritz „(ist) jedenfalls … gespannt, auf die kollektive, intersektionale Sicht auf ein Thema, welches bisher gemieden wird.“ Diesem Wunsch schließe ich mich gerne an!
Diese Art des freien und unerschrockenen Gesprächs, das den Aufbau einer stabilen und ehrlichen Beziehung erst ermöglicht, wünsche ich mir. Mit den Impulsfragen am Ende schließt Sophia Fritz ein Buch, das meines Erachtens viele Impulse für einen feministischen Dialog in sich trägt. Der sehr konkreten Fragen, die der Selbstreflexion dienen, hätte ich am Ende eher weniger bedurft, vielmehr war es mein Wunsch, zu erfahren, wie es anderen Feministinnen mit der Lektüre ergangen ist. Lasst uns ins Gespräch kommen!
Sophia Fritz, Toxische Weiblichkeit, Hanser Berlin 2024, 192 Seiten, 22 Euro