Forum für Philosophie und Politik
Seit ich diesen Text schreiben möchte, stelle ich mir vor, wie ich dabei einen Lolli lutsche, wie ich also die Textproduktion in eine Lollilutschlänge hineinkonfiguriere. Es ist schon so fest in mir verankert; und das, obwohl ich eigentlich gar keine Lollis mag. Zuckrige klebrige Scheißerchen, würde Julia Roberts in Pretty Woman sagen. Aber was will ich machen; die Vorstellung ist zu klar, das Bild für mich bereits zur Unausweichlichkeit herangewachsen. Ich entscheide mich allerdings für eine – wie ich finde – akzeptable Zwischenvariante: ich lutsche den Lolli imaginär.
Ich muss nochmal vom Schreibtisch aufstehen, um das Lollipapier mit der Küchenschere mit etwas aggressiven Kreuz- und Quer-Schnitten abzubekommen. Ich habe irgendwie nie gelernt, wie das ohne Aggression und Hilfsmittel geht. Ich nehme aus der Küche einen kleinen Teller mit, um den Lolli ab und zu darauf ablegen zu können.
Und dann geht es los. Während ich den Lolli das erste Mal in den Mund stecke, sammle ich den Anfang für die Geschichte in mir zusammen. Erster trockener Zuckergeschmack berührt Gaumen, Zunge, Kehle. Zum Glück kein Kirsch- oder Apfelgeschmack, dann wäre es gleich zu Ende gewesen; irgendwas Orangenes. Ich lege den Lolli auf den Teller rechts neben mir und beginne.
Wenige wissen: Ich lernte die zukünftige Alice W. bereits durch Margaret Atwoods Der Report der Magd kennen; und zwar, einige Jahre bevor ich wirkliche Alice W. das erste Mal im Fernsehen sah. „Menschenskinder“, durchfuhr es mich da, „wie verblüffend doch die Ähnlichkeit zwischen ihr und der Frau des Kommandanten ist, die sie zweifellos werden wird!“ Sofort entstand in mir der Wunsch, der echten Alice W. zu sagen, wie ihre Zukunft aussieht! Sie scheint es noch nicht zu wissen, und irgendwer muss es ihr doch sagen! Wie es halt dann aber oft so ist, stand es leider nie auf meiner Prioliste ganz oben. Und doch spürte ich weiterhin in mir diese Verantwortung: wenn es ihr keine* und keiner* sagt, dann muss ich mir am Ende Vorwürfe machen! Denn ich habe es ja gewusst! Oder besser gesagt – um nicht alles Gewicht allein zu tragen – Margaret Atwood hat es gewusst, denn aus ihrer Feder stammt die Frau des Kommandanten! Ich habe mich nur zur Mitwisserin gemacht: Also nochmal for the record: ich bin nicht schuld an den Zukunftsaussichten der Alice W.!
Während dieser Schuldabklärung, die emotional aufreibender war als ich gedacht hätte, habe ich beinahe meinen Lolli vergessen. Noch lässt er sich leicht vom Teller nehmen; und da sich schon der nächste Satz ankündigt, lasse ich ihn im Mund und bewege ihn von einer Seite zur anderen.
„Der Garten ist die Domäne der Frau des Kommandanten.“ So lernen wir die Frau des Kommandanten kennen. „Viele Kommandantenfrauen haben solche Gärten – es ist etwas, das sie in Ordnung und instand halten und wofür sie sorgen können“ (22).
Gedankenvoll führe ich meine rechte Hand an den Lollistab. Ich schaue hinaus in das herrlich kalte graue Regenschneewetter und stelle mir all die Kommandantenfrauen in ihren Gärten vor. Auch Alice W. sehe ich da werkeln. Ganz in Ruhe und privat. Nicht mehr den Haushalt teilend mit ihrer jetzigen eingetragenen Lebenspartnerin aus Sri Lanka, sondern mit einem Kommandanten. Wie gefällt ihr wohl der Schleier, den sie in Zukunft immer tragen wird? Mein Mund ist gefüllt mit künstlichem Orangengeschmack. Ich lege meinen Lolli auf das Tellerchen zurück.
„Unter dem Schleier war ein wenig von ihrem Haar zu sehen. Es war noch blond. (…) Die Augenbrauen waren zu dünnen, gebogenen Linien gezupft, was ihr einen Ausdruck permanenter Überraschung oder Empörung oder Neugier verlieh, wie man ihn manchmal vielleicht bei einem aufgeschreckten Kind sieht, aber die Augenlider darunter sahen müde aus. Nicht so ihre Augen, die das matte, feindselige Blau eines Hochsommerhimmels bei strahlender Sonne hatten, ein Blau, das einen ausschließt. Ihre Nase musste einmal das gewesen sein, was man niedlich nennt, war jetzt aber zu klein für ihr Gesicht. Ihr Gesicht war nicht dick, aber es war sehr groß. Zwei Falten zogen sich von den Mundwinkeln nach unten, dazwischen lag das Kinn, geballt wie eine Faust.“ (26)
Ganz in diesen Anblick vertieft, stecke ich den Lolli wieder in den Mund. Ich google Bilder von Alice W. und zoome mir ihre Augenfarbe heran. Da ist es, dieses meerestiefe Blau. Ein brauner Ring legt sich aber vor dieses Stahlblau um die Pupillen. Kurzzeitig verliere ich mich in ihren Augen. Vielleicht, sinniere ich, ist Alice W. aktuell auch deswegen mit so viel Rückenwind ausgestattet, weil sie wie eine idealtypische Nazifrau aussieht. Blond, mit genau dieser eisekalten Blauäugigkeit der Frau des Kommandanten. Nicht alles scheint gleich zwischen ihnen: Alice W. ist hoch gewachsen, drahtig, wenig anmutig und geschmeidig, sich teils wie ein kaputter Roboter bewegend. Ihren Bewegungen fehlt das Rhythmusgefühl – sogar für einen einfachen Marsch würde es nicht reichen. Das ist natürlich so gewollt. Diese Frau – will mir das Auftreten sagen – rutscht sicher nicht mehr aus Versehen auf der Maustaste aus. Ich muss an die Worte eines Bekannten denken, der schon vor drei Jahren die AFD wählte und plötzlich out of nowhere mitten beim Mampfen seines Mittags sagte: „Wenn wir Deutschen richtig genervt sind und es uns echt zu weit geht, dann bringen wir einfach alle um.“ Ich wollte die Worte nie ernst nehmen; auch weil sie denen Oliver Kalkofes so ähnlich sind, die dieser seiner Figur, der angeschwipsten Judith Williams in meinem Lieblingssketch in den Mund legt: „Und dann bringe ich euch alle um!“ Da habe ich vor circa 25 Jahren tatsächlich noch Tränen gelacht, aber trotzdem – merke ich – lauerte schon damals der Ernst hinter meinem Lachen. Ohne dieses Gefühl der im Lachen schlummernden tödlichen Ernsthaftigkeit hätte ich den Sketch sicher auch vergessen.
Ich beginne zu sabbern, denn der Lolli ist noch zu groß. Ich zutsche laut und zackig energisch und lege ihn zurück auf das Tellerchen.
Immerhin – so erfahre ich aus dem Buch von Margaret Atwood – wird auch Alice W. ihre Frau vergessen können, und sich mit der Ehe mit ihrem Mann identifizieren können. Sie spricht dann so Sätze wie: „Was meinen Mann angeht, so ist er genau das. Mein Mann. Ich möchte, dass das absolut klar ist. Bis dass der Tod uns scheidet. Das ist endgültig.“ (27)
Der Lolli wandert wieder in den Mund, ich bin jetzt in Fahrt, der Zucker tut sein Ding, mein Gehirn schwebt in orangenem Nebel. Vielleicht fragen sich einige der verehrten Leser*innen, was mich dazu bringt zu glauben, die Frau des Kommandanten sei die Zukunft der Alice W.? Dafür schauen wir uns an, wie die Hauptfigur des Romans, die Magd im Haushalt des Kommandanten, die Frau des Kommandanten erkennt:
„… und plötzlich schaute sie nicht mehr mich an, sie schaute hinunter auf ihre Knöchel, ihre mit Diamanten besetzten Finger, und ich wusste, wo ich sie schon einmal gesehen hatte. Das erste Mal hatte sich sie im Fernsehen gesehen, als ich acht oder neun war. Das war die Zeit, als meine Mutter am Sonntagmorgen länger schlief und ich oft früh aufstand uns zum Fernsehapparat in ihrem Arbeitszimmer hinüberging und auf der Suche nach Zeichentrickfilmen alle Kanäle durchprobierte. Manchmal, wenn ich nichts fand, sah ich mir die ‚Andachtsstunde für heranwachsende Seelen‘ an, in der für Kinder biblische Geschichten erzählt und Choräle gesungen wurden. Eine der Frauen hieß Serena Joy. Sie war der erste Sopran. Sie war aschblond, zierlich, mit Stupsnase und riesigen blauen Augen, die sie bei den Chorälen gen Himmel wandte. Sie konnte zur gleichen Zeit lächeln und weinen, ein oder zwei Tränen kullerten ihr anmutig die Wangen hinunter, wie auf Kommando, während ihre Stimme sich zu den höchsten Tönen emporschwang, tremulierend, mühelos. Später hatte sie sich dann anderen Dingen zugewandt. Die Frau, die vor mir saß, war Serena Joy. Oder war es einmal gewesen. Also es war noch schlimmer, als ich gedacht hatte.“ (28)
Gut, werdet ihr jetzt sagen, das erinnert noch nicht an unsere Alice W. Aber langsam kommen wir der Sache näher, denn kurz darauf erfahren wir, welchen Dingen sie sich danach zugewandt hatte:
„Serena Joy war niemals ihr richtiger Name, auch damals nicht. Ihr richtiger Name war Pam. Das habe ich in einem Artikel über sie gelesen, in einem Nachrichtenmagazin, lange Zeit nachdem ich sie erstmals hatte singen sehen, sonntagmorgens, während meine Mutter noch schlief. Zu der Zeit verdiente sie einen solchen Artikel. In Time oder Newsweek war es, muss es gewesen sein. Damals sang sie nicht mehr, sondern hielt Reden. Das machte sie gut. Ihre Reden handelten von der Heiligkeit des häuslichen Herds, davon, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Serena Joy selbst tat das nicht, sie hielt stattdessen Reden, aber sie stellte dieses persönliche Versäumnis als Opfer dar, das sie zum Besten aller brachte.“ (66)
Während ich weiterlese, muss ich unweigerlich an Donald T. denken:
„Um die Zeit machte jemand den Versuch, sie zu erschießen, und traf daneben; ihre Sekretärin, die unmittelbar hinter ihr stand, wurde an ihrer Stelle getötet. Jemand anderes legte eine Bombe in ihr Auto, aber die Bombe ging zu früh los. Manche Leute sagten allerdings auch, sie hätte sich die Bombe selbst in ihr Auto gelegt, um Mitgefühl zu erwecken. So heiß wurde die Situation allmählich.“ (66)
Hujuijui, Margaret Atwood scheint wirklich hellseherische Kräfte zu besitzen, auch wenn sie dann die Geschehnisse nicht den richtigen Figuren zuordnet. Aber was wissen wir schon von der Zukunft.
Und was wissen wir schon davon, wie nah die ein oder andere Zukunft schon ist. Und davon, dass das Gefühl der Sicherheit von einem Tag auf den anderen kippen kann.
„Luke und ich sahen sie manchmal in den Spätnachrichten. In unsere Bademäntel gehüllt, beim Schlaftrunk. Wir betrachteten ihr gespraytes Haar, ihre Hysterie, die Tränen, die sich nach wir vor wie auf Kommando kullern lassen konnte, und die Wimperntusche, die ihre Wangen schwarz färbte. Zu der Zeit trug sie schon mehr Make-up. Wir fanden sie komisch. Oder Luke fand sie komisch. Ich tat nur so. In Wirklichkeit fand ich sie eher beängstigend. Sie meinte es ernst.“ (67)
Das ist genau mein Kalkofe-Williams-Bekannter-Alice W.-Gefühl: ist es lustig? Oder ist es bitterernst? Tödlich ernst? „Und dann bringen wir euch alle um.“ „Wir werden sie jagen.“
Ich merke, wie meine Finger klebrig werden. Ein bisschen Zuckersabber hat sich auf den Weg den Lollistab hinunter gemacht. Einige Tasten sind jetzt auch schon ganz klebrig. Ich schimpfe leicht aggressiv vor mich hin. Eigentlich müsste ich jetzt Hände waschen gehen, aber ich mag jetzt nicht schon aufstehen; nicht, bevor ich den Text nicht fertiggeschrieben habe.
Ich tippe auf klebrigen Tasten, ich bleibe viel zu lange auf einigen Tasten hängen dadurch. Aber ich korrigiere alle dadurch entstehenden Tippfehler. Die Klebetastatur wird dem Text nicht anzusehen sein.
Wir lauschen noch einmal den Beobachtungen und Gedanken der Magd:
„Sie betrachtet die Tulpen. Ihr Stock liegt neben ihr im Gras. Ihr Profil ist mir zugewandt, wie ich mit schnellem Seitenblick sehe, während ich an ihr vorbeigehe. Sie anzustarren wäre unmöglich. Es ist kein makelloses Scherenschnittprofil mehr, ihr Gesicht sinkt in sich zusammen, ich muss an jene Städte denken, die über unterirdischen Flüssen errichtet sind und wo über Nacht Häuser und ganze Straßen verschwinden, in Sümpfen, die sich plötzlich auftun, oder an Städte in Kohlerevieren, die in die Flöze unter ihnen stürzen. Etwas Ähnliches muss mit ihr geschehen sein, als sie die wahre Gestalt dessen, was bevorstand, erkannte.“
Bäääämm. Könnt ihr es vor euch sehen? Ich ja. Ich kann mir vorstellen, wie Alice W.s Gesicht in sich zusammenstürzt. Wie das Stahlblau und das Braun sich vermischen und in sich zusammenfallen. Das Gesicht der Frau, die regelmäßig aus der Schweiz anreist, um Deutschland anzuzünden, wie Jan Böhmermann und sein Team in einem Lied auf der Tournee Anfang Januar 2025 so passend dichteten. Ihre Reden setzen Deutschland in Flammen. Ihr Höhepunkt scheint noch zu kommen. Mit dem Rückenwind von Elon M. und Donald T. aus den USA scheint ihr Zusammensturz noch fern.
Ich taste wieder nach dem Lolli, der jetzt fest am Teller klebt. Er ist schon beträchtlich kleiner. Ich ruckle an ihm rum, aber er geht nicht mehr ab. Eigentlich habe ich keinen Appetit mehr auf Lolli und ich will auch keine noch klebrigeren Finger. Aber ich muss ihn zu Ende lutschen. Weil ich mir das so vorgenommen hatte. Ich nehme den Teller in die eine und den Lolli in die andere Hand und ruckle energisch daran herum. Aha! Geht doch. Jetzt einfach zu Ende lutschen und gut ist. Finaler Fokus jetzt.
Die Männerriege ihrer Partei schätzt die Fähigkeit der Alice W., das Land anzuzünden. Aber sie lauern an der Ecke. Sie lauern auf ihre Möglichkeit des Sturzes. Denn diese Frau geht einfach gar nicht. Guckt doch nur einmal genau in unsere Ideologie, liebe Parteifreunde!
Eine Frau! Eine Lesbe!! Hier so… richtig rechtlich eingetragen… mit einer Frau!!! Und damit immer noch nicht genug: Die Partnerin: of colour (Die Männerriege sagt ganz sicher nicht „of colour“, aber wir bleiben in politisch korrekter Sprache hier)!!!! Die Kinder: of colour!!!!! Es dreht sich uns der Magen um, wenn wir unsere eigene Ideologie auch nur ein klitzekleines bisschen ernst nehmen wollen. Ok, antwortet die Männerriege sich selbst, also vielleicht kann man den Schriftsteller von seinem Werk trennen, und den Politiker von der Privatperson, aber doch bitte nicht eine Politikerin von der Privatperson, die sie ist! Ein kleiner hässlicher kleiner Mann aus Österreich, okay, das geht ja gerade noch so! Aber das?! Die??!! Kurz beruhigen sie sich. Denn die Rede der Alice W., ihrer Parteikollegin, war wieder ohrenbetäubend, wie sie allem und jedem das Herz aus der Seele reißt und darauf herumtritt! Bravo! Umarmung. Und immerhin – solange sie noch da sein wird – sieht sie ja so aus wie sie aussieht; wollen wir das mal nicht unterschätzen, dass das nicht nur auf uns eine beruhigende Wirkung ausübt.
Aber… kaum legt sich die Euphorie ein bisschen, schon setzt der Riege ihre eigene Ideologie und ihr Machthunger wieder zu: Jungs, Männer, wir müssen auf unsere rechte Intuition hören! Wer hat gute Beziehungen zu Elon M.? Kann er nicht einem von uns seine Milliardenunterstützung unterjubeln? Wir sind doch alles fesche rechte Männer, einer rechtsextremer als der andere! Wir müssen weiter insistieren! Und wir haben ein Ass im Ärmel: Die Vergesslichkeit des Milliardärs! Er hat auch vergessen, warum er einst überhaupt E-Autos gebaut hat! Er hat jedenfalls – seine Sicht heute – nie die Energiewende unterstützt, denn die Klimakrise gibt es in unserer Ideologie ja gar nicht! Seine Vergesslichkeit müssen wir uns zunutze machen! Das Gute ist: seine Misogynie ist schier grenzenlos! Wo er doch letztens erst in seinem eigenen Nachrichtenportal gesagt hat, dass Babys nur noch per Kaiserschnitt geboren werden sollten, da die Vaginas von Frauen den Babys das Gehirn zercrushen. Das Ziel ist nah!
Ja, sie sind gar nicht dumm, die Vordenker der rechten Bewegung, niemals unterschätzen! Alice W., nimm dich in Acht, rufe ich dir zu! Das Ziel könnte nah sein, dass du zur Frau des Kommandanten wirst.
Es gibt jetzt nur noch eine Szene im Buch, auf die alles hinausläuft, auf die es von Anfang an hinauslief. Wisst ihr welche? Wir schauen ein letztes Mal in die Zukunft der Alice W. mit der Frau des Kommandanten:
„Ich warte darauf, dass der Haushalt sich versammelt. Haushalt: das sind wir. Der Kommandant ist der Haushaltsvorstand. Das Haus ist das, was er in der Hand hat, hält. Haben und Halten, bis dass der Tod uns scheidet. Der Halt nach einer Bewegung. Stillstand. (…) Wir hören Serena kommen, die Treppe herunter, den Flur entlang, das gedämpfte Pochen ihres Stocks auf dem Teppich, das dumpfe Tappen des gesunden Fußes. Sie kommt zur Tür hereingehoppelt, wirft einen kurzen Blick auf uns, zählt ab, mechanisch. (…) Sie hat eines ihrer besten Kleider an, himmelblau mit weißer Stickerei an den Rändern des Schleiers: blühende Blumen und Ranken. Noch in ihrem Alter spürt sie den Drang, sich selbst mir Blumen zu bekränzen. Nützt dir nichts, denke ich zu ihr hin, ohne eine Miene zu verziehen, du kannst sie nicht mehr nützen, du bist verwelkt. (…) Die Zeremonie verläuft wie üblich.“ (111-128)
Wer das Buch gelesen hat, weiß, warum ich jetzt hier das Zitieren stoppe. Es reicht ja auch.
Alice W. in der Jetzt-Zeit: die Faschistin, wie sie Deutschland anzündet und bereitwillig anzünden lässt.
Alice W. als Frau des Kommandanten in einer Zukunft, in der Männer und Frauen wie sie die Welt angezündet haben und die Welt lichterloh brennt. Sie kämpft auf keinem Schlachtfeld für das Vaterland oder für Elon M. oder für Putin, sie zündet nichts mehr an. Sie ist jetzt Teil eines Kommandantenhaushalts. Ihre zackigen Bewegungen aus den von ihr nun verherrlichten, romantisierten Bundestagszeiten kurz vor dessen Auflösung sind vergessen, nie in die Geschichte eingegangen. Sie sehnt sich nach genau diesen stampfenden unrhythmischen Marschierbewegungen, für die sie so viel Aufmerksamkeit bekam (‘Ja da lachten sie noch darüber’, erinnert sie sehnsüchtig, ‘große Teile des damaligen Altparteiensystems, aber nicht mehr lange!’). Und die sie damals ganz leicht an der schweizerischen Haustürschwelle ablegen konnte, um die öffentliche Figur von der Privatperson zu trennen.
Geschafft. Die letzten Lollireste zerbeiße ich mit den Zähnen. Erzählzeit und erzählte Zeit zercrushen und zerrinnen gemeinsam in meinem Munde, die Kehle hinunter, inklusive der erzählten Zukunft.
Ich lege den aufgeweichten Lollistab auf den Teller und starre ihn an. Ein letztes Bild:
„Manchmal lässt sich die Frau des Kommandanten einen Stuhl herausbringen und sitzt einfach nur darauf, in ihrem Garten. Aus der Entfernung sieht es friedlich aus.“ (22)
Tja
Die Eine: viel mehr uniformiert und stramm als A.W., hätte gerne Kinder gehabt,
fehlte zu oft im vom Volke beauftragten Umfeld (Parlament) – weil sie in der Schweiz lukrative Nebeneinkunfts-Vorträge hielt/hält?
https://www.tagesanzeiger.ch/wagenknechts-nebeneinkuenfte-veroeffentlicht-viele-vortraege-in-der-schweiz-231822470360
Die Andere: läßt ihre Kinder verwalten, hat ihre Hetero-Ehe verwirkt und favorisiert ihre “feministische Aussenpolitik”. Was wird sie nun – transformiert – und ein letztes Mal im Regierungsflieger mit sich anfangen? Die unendlichen Steuergelder für Klamotten, Schminke, Friseur, Fotoshooting (im Neusprech-Wording: Styling) – woher künftig nehmen?
https://www.nachdenkseiten.de/?p=129107
(bin blond und habe grüne Augen)
Liebe Anne,
vielen Dank! Es macht die Realität nicht erträglicher, aber vielleicht ist Literatur ein Weg sie wenigstens besprechbar zu machen. Und Lachen ist eh gut. Ich habe auch gelacht.