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Das Ende von “Little Girl”

Von Dorothee Markert

Mit 13 hörte ich zum ersten Mal einen Beatles-Song. „I want to hold your hand“ wurde ständig in der Musikbox der Kneipe angeklickt, in der unser von einem Lehrer initiierter Schachclub stattfand. Das Lied passte gut zu meiner damaligen Verliebtheit. Denn ich war eigentlich nur im Schachclub, weil ein bestimmtes Mädchen aus meiner Klasse auch dort hinging.

Seither, also mehr als 60 Jahre lang, habe ich nie aufgehört, Beatles-Lieder zu mögen. Ich hörte sie unglaublich oft, vom Tonbandgerät über Kassetten, dann CDs und schließlich vom Rechner oder vom Smartphone. Außer wenn bestimmte Worte, wie bei „I want to hold your hand“ oder „Yesterday“, mir gerade aus der Seele sprachen, achtete ich meistens wenig auf die Texte. Ich fand es sogar gut, dass ich mich nicht unbedingt damit befassen musste, was bei deutschen Schlagern ja nicht möglich war.

Und so kam es, dass ich neulich bei einem netten Liedchen, das ich oft mitgeträllert hatte, plötzlich aus allen Wolken fiel, als mir bewusst wurde, was dort gesungen wird:

Well, I’d rather see you dead, little girl

Than to be with another man

You better keep your head, little girl

Or I won’t know where I am.

You better run for your life if you can, little girl

Hide your head in the sand, little girl,

Catch you with another man

That’s the end (of) little girl

Well, you know that I’m a wicked guy

And I was born with a jealous mind

And I can’t spend my hole life

Trying just to make you toe the line

You better run for your life if you can …

Let this be a sermon

I mean everything I’ve said

Baby, I’m determined

And I’d rather see you dead

….

Dass wir solche Drohungen ernst nehmen müssen, wissen wir inzwischen. Es hat lange gedauert, bis solche Morde, wie sie in diesem Liedchen zu einer fröhlichen Melodie angekündigt werden, auch einen eigenen Begriff bekommen haben, „Femizid“, also ein Mord, bei dem das Frau-Sein des Opfers von zentraler Bedeutung ist. Bevor es diesen Begriff gab, wurden Frauenmorde von Partnern oder Ex-Partnern oft mit den Begriffen „Beziehungsdrama“ oder „Familientragödie“ verschleiert. Es waren Feministinnen, die sich dagegen wandten und damit begannen, diese Taten aufzuschreiben und zu zählen. 360 Frauen starben bis jetzt in diesem Jahr in unserem Land durch Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners.

Es waren natürlich auch Feministinnen, die die ersten Frauenschutzhäuser gründeten und den Betrieb dort oft in Selbstausbeutung mit immer wieder viel zu wenig staatlicher Unterstützung aufrechterhielten. Auch heute noch gibt es zu wenig Plätze in Frauenhäusern, und regelmäßig ist die Weiter-Finanzierung gefährdet. Und auch heute noch gibt es Richter, die den Mördern mildernde Umstände zugestehen, weil eine in ihren Augen verständliche Eifersucht die von ihren Partnerinnen Verlassenen in einen Ausnahmezustand, eine Art Raserei, getrieben hat.

Zweimal kam mir diese Gewalt in meinem Leben bis jetzt nahe, weil ich Beteiligte oder den Ort der Tat kannte.

In den 80er-Jahren erzählte ein Schüler meiner sechsten Klasse im Morgenkreis, dass sein Vater seine Mutter im Schlaf mit einem Messer angegriffen hatte. Sie hatte überlebt und lag schwer verletzt im Krankenhaus. Der Vater war im Gefängnis. Im ersten Moment dachte ich, der Junge erzähle von einem Film, den er gesehen hatte. Denn ich konnte damals gar nicht glauben, dass so etwas wirklich passierte. Femizide kamen in Filmen vor und in Liedern wie „Banks of the Ohio“ oder „Sabinchen war ein Frauenzimmer“, das in Liederbüchern unter der Überschrift „Spiel und Spaß“ eingeordnet war.

Vor zwei Jahren wurde eine Frau in meinem Dorf von ihrem Partner mit unglaublicher Brutalität ums Leben gebracht. In der Corona-Zeit waren wir bei unseren Spaziergängen oft an den neu gebauten Häusern vorbeigekommen, in denen das Paar wohnte. Einmal saßen alle Bewohner auf den breiten Balkonen der drei Doppelhäuser. Sie hatten viel Spaß miteinander und scherzten auch mit uns Passanten. Heute überkommt mich jedesmal das Grauen, wenn ich an dem Haus vorbeigehe, in dem der Mord geschah. Denn während des Prozesses gegen den Täter wurde in der Zeitung sehr genau über den Ablauf des Geschehens berichtet. Auch wenn ich wusste, dass ich die Bilder nie mehr loswerden würde, las ich die Berichte genau. Nachdem der Täter mit Messern auf seine Partnerin eingestochen hatte, gelang ihr noch, auf die Terrasse zu flüchten und um Hilfe zu rufen. Doch bis die Nachbarn ihn endlich stoppen konnten, hatte er sie schon totgeschlagen.

Ich finde es wichtig, dass wir uns diese Brutalität genau anschauen und dann alles dafür tun, um der Verharmlosung solcher Taten entgegenzutreten. Vor allem ist es wichtig, Frauen zu warnen, dass sie sich möglicherweise in Lebensgefahr begeben, wenn sie mit ihrem Partner ein Gespräch über eine mögliche Trennung führen und nicht dafür gesorgt haben, dass Personen in der Nähe sind, die ihnen notfalls zu Hilfe kommen können. Auch sollten wir Frauen ermutigen, sich beispielsweise in einem Frauenhaus in Sicherheit zu bringen oder wegzuziehen, wenn sie eine neue Beziehung beginnen wollen und Angst vor ihrem Ex-Partner haben.

Auch ich kenne die Gefühle in Situationen, in denen eine Partnerin sich trennen, mich verlassen will. Es ist ein fürchterlicher Zustand voller Schmerz, Verzweiflung, aber auch Wut. Ihre Mädchensozialisation und das fehlende Testosteron machen es Frauen wahrscheinlich leichter, dass diese Wut bei ihnen seltener in Gewalt umschlägt. Umso wichtiger ist es, dass unter Männern und in der Jungenerziehung damit aufgehört wird, Verständnis für diese Wut zu haben. Es muss ihnen dabei geholfen werden, dass sie lernen, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass ihre Wut nicht in Gewalt umschlagen darf. Dabei würde es helfen, wenn sie für ihren Schmerz und ihre Verzweiflung Mitgefühl erhalten würden, nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern. Gerade habe ich hier von einem neuen Ansatz in der Erziehung von Jungen gelesen, über einen Weg zu einer „Caring masculinity“. Ich denke, dass auch die Experimente junger Leute mit polyamourösen Beziehungen einen Beitrag leisten werden, um einen anderen Umgang mit der eigenen Eifersucht zu erlernen.

Doch bis all das dazu führt, dass weniger Femizide geschehen, brauchen wir viele Plätze in Frauenhäusern, eine Polizei, die nicht erst aktiv werden darf, wenn schon etwas passiert ist, und Frauen und Männer, die aufeinander aufpassen, einander warnen und einander bei Trennungen begleiten.

Autorin: Dorothee Markert
Redakteurin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 28.11.2024
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke Dorothee für diese kluge und erschreckende Analyse.

    Auch ich habe nie realisiert, was für einen furchtbaren Text das das Lied hat.
    Die lieben, soften Beatles. Krass!!!

    Auch ich habe in unserem 100 Seelen Dorf in der Eifel erlebt, wie ein Mann seine Frau und den Säugling erschlagen hat, weil sie weg wollte. Und dann eingemauert im Keller und als vermißt gemeldet. Total krude. Das hat mich jahrelang verstört.

    Was ist das nur für ein weiter, weiter Weg raus aus diesen Gewaltstrukturen!

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