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Keine Literaturkritik

Von Maria Coors

Prolog: Dieser Artikel kann entstehen, weil ich a) Anne seit zwei Tagen mit Sprachnachrichten zu diesem Thema behelligen darf und sie mit mir weiterdenkt. Und b) weil ich inspiriert wieder von Anne und ermöglicht durch (un-)glückliche Umstände den Tag mit Nichtstun im Bett verbringe.

Zwei Punkte sind sehr wichtig vorab zu verstehen:

1 Das hier ist keine Literaturkritik. Und zwar obwohl ich

2 einen absolut untrüglichen, gleichzeitig exquisiten wie universalen Literaturgeschmack habe. Damit das verständlich ist, muss ich es kurz ausführen: Ich habe keine Meinung zur Qualität von Büchern. Was ich der Welt zur Verfügung stellen kann, ist ein Urteil über den historisch kontingenten Wert eines Stücks Literatur. Dazu braucht es sowohl einen brillanten Verstand als auch ein ungewöhnlich hohes Maß an Kreativität und Hellsicht. Man könnte diese Mischung als Gabe bezeichnen. Glaubt mir, das ist es und es ist gleichzeitig eine Bürde. Ich habe diese Gabe, im Unterschied zu vielen Autorinnen, die hier Buchrezensionen einstellen, und es ist mein Geschenk an die Leser*innen von bzw-weiterdenken und überhaupt die Menschheit, diese Gabe zu teilen. Nur jetzt muss ich eben kurz etwas anderes sagen.

Vielleicht hat jemand an dieser Stelle schon keine Lust mehr weiterzulesen? Vielleicht lacht jemand über mich oder hält mich für verrückt? Zumindest der Seitenhieb auf die anderen Autorinnen wird vielleicht als unflätig oder sogar unfair angesehen?

Das könnte ich verstehen. Und ehrlich gesagt, das ist auch das Thema dieses Textes.

Seit einigen Tagen verfolge ich die Diskussion um die Verleihung des Deutschen Buchpreises. Den hat eine Frau, die Leipziger Schriftstellerin Martina Hefter, gewonnen. Das Buch hört sich gut an, ich werde es mir zu Weihnachten wünschen. Auf der Shortlist sind noch weitere Bücher, die mich interessieren. Möchte mir vielleicht noch jemand was zu Weihnachten schenken? Oder nachträglich zum Geburtstag? Z.B. Vierundsiebzig von Ronya Othmann über den letzten Genozid an den Jezid*innen. Das Buch von Michael Köhlmeier habe ich schon gekauft und weihnachtlich einpacken lassen, weil ich weiß, wer es gern lesen würde. Und dann gibt es noch ein sehr dickes Buch über das 20. Jahrhundert, das mich auch interessiert. Immerhin bin ich und viele Leute, die ich kenne, im 20. Jahrhundert geboren – das interessiert mich also ganz persönlich.

Der Autor des letzten Buches findet sein eigenes Buch auch sehr gut, eigentlich exzeptionell, und hat sehr emotional reagiert, als er erfahren hat, dass er den Preis nicht gewonnen hat. Er hat sehr laut geschimpft und Leute beleidigt und danach vielen Menschen erklärt, warum sein Buch das weitaus beste ist, er der relevanteste Autor der Liste und das Gewinnerbuch eigentlich nicht preiswürdig.

Als ich das gelesen habe, hatte ich irgendwie keine Lust mehr das Buch zu lesen. Soweit ich weiß, gibt es nirgendwo eine Videoaufnahme von seinem Wutanfall, aber allein aufgrund der Berichte darüber musste ich ehrlich gesagt ein wenig lachen. Gerade die persönlichen Angriffe auf Martina Hefter fand ich offen gestanden ziemlich daneben.

Und dann habe ich mich kurz gewundert und bin anschließend sehr wütend geworden. Denn irgendwie läuft die öffentliche Diskussion anders. Wenn man Deutscher Buchpreis in eine Suchmaschine eingibt, wirft die Suchmaschine sehr viele Bilder, Berichte und Beiträge über den emotionalen Mann aus, im Grunde mehr als über Martina Hefter und ihr Buch. Die Öffentlichkeit erfährt zum Beispiel Indiskretionen über den Entscheidungsprozess der Jury (es sei eine Konsensentscheidung gewesen – ach nee…). Ich lese eine ausführliche Erklärung, warum der Mann kein schlechter Verlierer sei (weil er zu gut ist für einen Verlierer – hä?). Er selbst erzählt, dass er in wirtschaftlich prekären Verhältnissen lebt und das Preisgeld sowie den Ruhm eigentlich gut hätte gebrauchen können (wie sehr viele, wenn nicht gar die meisten Schriftsteller*innen, in jedem Fall aber Martina Hefter). Ausführlich wird auch berichtet, dass sein Buch ja ein großes Thema behandele (Martina Hefter dagegen nur ein „persönliches“) und er diese Demütigung früher, etwa zu Zeiten der Gruppe 47, nicht hätte erleben müssen. Mit dieser letzten Einschätzung trifft der beleidigte Autor den Nagel und meine Wut auf den Kopf. Denn, wie die brillante Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert in ihrem Buch, „Einige Herren sagten etwas dazu“: Die Autorinnen der Gruppe 47, ausführlich zeigt, war die Gruppe 47 einzigartig erfolgreich darin, ihre weiblichen Mitglieder zu demütigen, zu marginalisieren, zu sexualisieren oder sie gleich gar nicht erst mitmachen zu lassen. Es ist richtig, noch vor wenigen Jahren wäre es einem schreibenden Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit erspart geblieben, gegen eine schreibende Frau zu verlieren.

Warum also bin ich so wütend und nicht lieber ein bisschen (schadens-)freudig? Sind diese öffentlichen mentalen Zusammenbrüche von verlierenden Männern nicht das Abschiedsläuten des Patriarchats? Ich habe Zweifel. Und komme das zweite Mal in dieser Woche auf den regressiven Fortschritt. Ich habe den starken Verdacht, dass die symbolische Ordnung des Patriarchats keinen großen Schaden genommen hat durch die Verleihung eines Literaturpreises an eine Frau. Ja, dass sie sogar sehr lebendig und gesund ist, wenn ein verlierender Mann den Großteil der Aufmerksamkeit und einiges an Sympathie bekommt.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Das hier ist keine Literaturkritik. Ich habe beide Bücher nicht gelesen und habe keine Meinung dazu, welches das bessere Buch ist (Punkt 1). Und ich habe auch eigentlich nichts gegen eine gehörige Portion Eitelkeit, Emotionalität und Narzissmus. Ich denke, das ist im Grunde ein bisschen die Voraussetzung dafür, dass überhaupt so etwas entsteht wie Literatur, Kultur, ein Artikel für bzw-weiterdenken (Punkt 2 – also quasi…ihr wisst schon). Ich würde gern in einer Welt leben, in der sich zwei riesige und hoch emotionalisierte Egos zur Unterhaltung der Öffentlichkeit gegenseitig ohne jede falsche Zurückhaltung und ohne jede Relevanz ihrer geschlechtlichen Position darüber streiten können, wer das bessere Buch geschrieben hat und wer Lust hat, streitet mit. Allein die Tatsache, dass ich nirgendwo etwas darüber gelesen habe, wie sich eigentlich Martina Hefter gefühlt hat, als sie im Augenblick ihres größten Erfolges und Glücks öffentlich von einem Mann beleidigt wurde, ich mir das Gefühl aber trotzdem vorstellen kann, spricht dafür, dass ich mich wohl noch eine Weile der Erschütterung der symbolischen Ordnung widmen muss. Zum Glück hat mir die Jury des Deutschen Buchpreises mit ihrer Short- wie Longlist viel Stoff gegeben, hervorragende Bücher von Frauen zu lesen. Ja genau, Bücher von Frauen lesen – hätts früher nicht gegeben.

Epilog: Wer auch Lust hat: https://www.deutscher-buchpreis.de/nominiert/

Und wer Lust hätte, aber im Grunde zu faul ist zu lesen. Hier unterhalten sich zwei kluge Frauen über das Thema Frauen lesen: https://anekdotisch-evident.de/frauen-lesen-frauen-hoeren/

Autorin: Maria Coors
Eingestellt am: 19.10.2024
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Juliane Brumberg sagt:

    So einen Artikel würde ich mir mal in einem der “großen deutschen Feuilletons” wünschen! Toll, Maria!

  • Claudia sagt:

    Ich übernehme hier einfach mal den Part und schwärme von Martina Hefter Roman “Hey guten Morgen, wie geht es dir?”.

    Er ist in jeder Hinsicht großartig. Sprachlich faszinierend, der strukturelle Aufbau ist sehr dynamisch und die Themen sind wunderbar miteinander verwebt.

    Übrigens bewegt er sich nicht nur im persönlichen Raum, im Gegenteil, es fließen auch sehr globale Themen ein. Der Roman schaut über die persönliche Perspektive in die Welt und das gelingt ihm gut.

    Absolut lesenswert.

    Ich habe mich sehr darüber gefreut, als ich hörte, dass sie den Preis gewinnt, weil ich mich so in dieses Buch verliebt habe.

  • Anne Newball Duke sagt:

    … und wie kommt eigentlich das alte patriarchale Narrativ wieder in die Gänge, dass Frauen “persönlich” und “privat” schreiben und deren Ergüsse deswegen natürlich irrelevant für das Verstehen von Welt sind? Ist dieses ganze dem Wirbel ganz natürlich zugrundelgelegte literaturwissenschaftliche Ge-Othere, und das Ge-Othere von Schriftsteller*innenseite und von Journalist*innenseite (Frauen am Herd schreiben halt nur über den Herd, seufz, und wer nicht über den Herd hinausschaut/hinausschauen kann, kann auch keine gute Literatur schreiben; bedeutet ähm also also Literatur vom Herd aus – wo Frauen* sich halt nun einfach immer immer befinden, und zwar ähm auch wenn sie nicht am Herd stehen und also äh sozusagen also auch nicht vom Herd aus schreiben!! – ist trotzdem und sowieso NIENIENIE gute relevante Literatur. Also Kurzfassung: Frauen können in keinem Falle jemals ever weltrelevante Literatur schreiben, und Punkt!! Was aber wiederum lediglich bedeutet, dass wenn Männer vom Herd aus schreiben, dann ist das relevant!! Und auch wenn sie 1000de Seiten nur über den Herd schreiben und gar nicht drüber hinwegschauen, dann auch! Pure Relevanz!!! Natürlich!! Weil irgendwer muss es ja tun! Oder? Ja klar! Und wer kann das besser und weltrelevanter tun als ein Mann? The Gaze of the man, getunkt in Whiteness all over his Personal Private Body! Genau! Eben! Whiteness all over the place! Es reicht für alle “Demütigung”- und “Wuttutgut”-Schreier*innen! Es reicht immer noch so so weit, es ist zum Schreien…) … Übergang von Klammer in die Nicht-Klammer und wir sind inhaltlich angekommen vor der Klammer… ist also dieses alte Deutungshoheits-Narrativ vom “weiblichen Schreiben” als inferior wirklich so einfach aus den Gräbern herauszubuddeln oder war es nie weg?

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