Forum für Philosophie und Politik
Von Anne Lehnert
Samuel Geiser, Heidi Kronenberg, Yoshiko Kusano (Fotos): Küchengespräche. Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet? Rotpunktverlag 2024, 296Seiten, 34 Euro.
Das Thema Haushalt beschäftigt mich schon lange. Praktisch, weil ich in unserem Haushalt die Hauptverantwortliche bin und damit mal mehr, mal weniger zufrieden bin. Einerseits finde ich es eine wichtige Arbeit und habe Freude am Kochen und Backen, an frisch gewaschenen Kleidern und sauberen Zimmern und Bädern, am gelegentlichen Gärtnern und Ernten. Andererseits hadere ich damit, dass diese Tätigkeiten so viel Zeit beanspruchen, mich von anderem abhalten, das mir auch wichtig ist – und dass diese Arbeit in der Familie wie in der Gesellschaft nicht so geteilt, wertgeschätzt und finanziell abgesichert wird, wie es angemessen wäre.
Theoretisch beschäftige ich mich daher mit dem Thema Haushalt, weil ich der Bedeutung dieser Arbeit und auch den Gründen für meine Unzufriedenheit auf die Spur kommen will. In diesem Forum hat Dorothee Markert über Care-Arbeit an Dingen und über ihre Lehrjahre als Rentnerin und die Hintergründe der Unzufriedenheit mit der Care-Arbeit geschrieben, und in Vielem davon konnte ich mich wiederfinden. Auch Ina Praetorius und ihre Betrachtung der Welt als Haushalt und ihr Reden über Scheiße haben mich inspiriert. Im ABC des guten Lebens schreibt sie über den Haushalt:
„Der Haushalt in diesem postpatriarchal neu definierten Sinne ist geeignet als Modell für die ganze Welt, denn wie der Haushalt so ist auch die Welt eine Behausung, die allen Menschen in Geburtlichkeit, Sterblichkeit, Bedürftigkeit und Verletzlichkeit gewisse Grenzen auferlegt und ihnen gleichzeitig eine Fülle von Möglichkeiten eröffnet, in Abhängigkeit frei tätig zu werden.“
Nun ist im Rotpunktverlag ein schönes Buch herausgekommen, das sich praktisch und theoretisch dem Thema Haushalt widmet. Einerseits besuchen die Autor*innen Heidi Kronenberg und Samuel Geiser und die Fotografin Yoshiko Kusano verschiedene Haushalte. Außerdem führen sie Gespräche mit Expert*innen verschiedenster Fachrichtungen über das Thema Haushalt und Hausarbeit: die Historikerinnen Simona Isler, Elisabeth Joris, Anja Peter und Katharina Kellerhals-Maeder, die Ethiker*innen Ina Praetorius und Christof Arn, die Soziolog*innen Franziska Schutzbach, Sarah Schilliger, Markus Theunert und Ueli Mäder, die Philosophin Lisa Schmuckli, die Psychoanalytikerin Liliane Schaffner, die Literatur- und Medienwissenschaftlerin Christine Lötscher, die Putzfrau Isabel Zubieta, die Ökonomin Mascha Madörin, den Architektur-Professor Marco Bakker und die Professorin für Care-Raumplanung Barbara Zibell.
Schön finde ich, dass nicht nur Haushalte von Familien mit Kindern und vor allem nicht nur heteronormative Familien besucht werden. Die besuchten Haushalte sind unterschiedlich, sowohl in Hinblick auf ihre Zusammensetzung und Größe als auch darauf, wie sie die Verantwortung für die Hausarbeit aufteilen. Es gibt zum Beispiel „Fifty-fifty-Haushalt“, in dem Mann und Frau sich die Hausarbeit in diesem Verhältnis teilen, eine Bauernfamilie, bei der Haushalt, Sorge für Kinder und solidarisches Wirtschaften in der Landwirtschaft ineinander übergeht, die Gemeinschaftswohnung in einem Haus für Alleinerziehende, in dem diese sich die Kinderbetreuung teilen, und eine Klimaaktivistinnen-WG von drei Frauen, die gemeinsam leben und wirtschaften, und. Von diesen verschiedenen Haushalten hat Yoshiko Kusano Fotos gemacht, die Wohnung, Bewohner*innen und Details des Haushalts einfangen und einen Eindruck vom Zusammenleben in den Haushalten vermitteln.
Was ich kritisch anmerken könnte ist, dass es sich durchweg um Mittelschichtshaushalte handelt. Immerhin treffen sich Kronenberg und Geiser in einer Wärmestube mit dem Soziologen Ueli Mäder und sprechen darüber, was Armut für das Haushalten bedeuten kann. Neben dem Sparen an Heizung, warmem Wasser, Essengehen, Gäste bewirten erfordere Armut ein anderes Wirtschaften, was das Einkaufen und Kochen betrifft: nach Angeboten einzukaufen statt nach der eigenen Wünschen und Vorlieben und auf Vorrat zu kochen.
Die für mich spannendsten der besuchten Haushalte sind die Großhaushalte, Generationenhäuser und anderen gemeinschaftlichen Wohnprojekte. Zum Beispiel das Generationenhaus im Emmental, in dem 27 Erwachsene und sechs Kinder zwischen einem und 75 Jahren genossenschaftlich leben, eine Ü60-WG von fünf Frauen und zwei Männern zwischen 58 und 68 Jahren, die im Zollhaus Zürich in Trägerschaft einer Genossenschaft leben, oder die gemeinsame Küche des Vereins Großhaushalt Kalkucina in Zürich, in der Profiköche für die Mitglieder kochen. Wie hier einerseits Privatsphäre und individuelle Ansprüche, andererseits gemeinschaftliche Wohnbereiche und Aktivitäten ausgehandelt und gelebt werden, fasziniert mich.
Auch einige der Expert*innen wohnen in gemeinschaftlichen Wohnformen, etwa die Philosophin Lisa Schmuckli, die mit ihrem Mann in einem Dreigenerationenhaus mit zwei Familien mit Kindern lebt. Sarah Schilliger, die zu Care und Migration forscht, lebt mit Partner und Kind in einer WG in einem Wohnprojekt und erzählt, dass die 84-jährige Nachbarin im Haus umsorgt wird. Die Organisation von Pflege für ältere Menschen und auch die von Kinderbetreuung sind Bereiche, bei denen deutlich wird, dass sich einiges davon in Haus- und Wohngemeinschaften gemeinsam lösen lässt, dass es aber auch professionelle Angebote braucht, gerade wenn der Pflegebedarf höher wird.
Bei den Kindern und ihren Ansprüchen setzt auch ein radikaler Vorschlag des Ethikers Christof Arn an, der die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft ähnlich wie Rentner*innen finanziell unterstützt sehen will. Im Prinzip fordert er eine Kindergrundsicherung, die den Namen verdient. Was die Zukunft des Haushalts und der der Care-Arbeit betrifft, so mutmaßt er, dass deren Stellenwert womöglich erst entdeckt wird, wenn der KI-Hype vorbei ist und man feststelle, dass sich manches eben nicht von Maschinen übernehmen lasse: „Kann man Pflegearbeit roboterisieren? Wohl kaum. Kann man Kinder schneller erziehen? Sicher nicht. Kann die KI die Zuneigung eines Menschen ersetzen? Nein, Liebe ist nicht technisierbar, nicht rationalisierbar.“ Auch die Historikerin und Haushaltspolitikerin Anja Peter ist sich sicher: „Kochen, putzen, waschen, pflegen, trösten kann weder rationalisiert noch digitalisiert werden. […] Es wird immer irgendjemand die Haus- und Familienarbeit erledigen müssen.“
Hier treffen sich Arns und Peters Diagnosen mit der Analyse der feministischen Ökonomin Mascha Madörin, die die Ursache der Care-Krise darin sieht, dass sich hier die Arbeitsproduktivität im Unterschied zur Güterproduktion nicht steigern lässt, dass also bei personenbezogener Arbeit kein Produktivitätsfortschritt möglich sei: „Die Unmöglichkeit, Kranke auf medizinisch vertretbare Weise immer schneller und schneller zu pflegen, Taxis immer schneller zu fahren, Haare immer geschwinder zu schneiden. Oder eben Kinder zügiger zu erziehen.“ Als Alternative zur real stattfindenden Kürzung von Care-Arbeit und ihrer Erledigung durch schlecht bezahlte migrantische Arbeitskräfte oder unbezahlte Angehörige und Freund*innen plädiert Madörin im Sinne einer demokratischen und sozialen Gesellschaft für ein massives Engagement des Staates im Care-Bereich.
Care-Ethikerin und bzw-Autorin Ina Praetorius fordert Ähnliches, nämlich „ein Staatssekretariat für bedürfniszentrierte Geldflüsse“ sowie „eine Ministerin oder einen Minister für Zukunftstauglichkeit“. Sie legt ihre Überzeugung dar, dass nur ein um Care als Mitte der Wirtschaft zentrierter postpatriarchaler Welthaushalt die Aufgaben der Gegenwart wie die sozial-ökologische Transformation und die Abkehr von der derzeitigen Kriegswirtschaft ermögliche. Neben der genannten „postpatriarchalen Politarchitektur“ wünscht sie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen, denn: „Leben selbst ist ja schon Arbeit, die bedingungslos honoriert gehört. Vom Morgen bis zum Abend verausgabt Energie, wer sich um seinen Haushalt, sein Essen, seinen Körper und ein Dach über dem Kopf kümmert. Auch ohne Erwerbsarbeit zu leisten.“
Das Anliegen, die Sorgearbeit als Basis unseres Lebens ins Zentrum zu rücken, und nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch die Pflege von Familie, Freundschaft und Beziehungen wertzuschätzen, äußert auch die Soziologin Franziska Schutzbach. Sie plädiert für Frigga Haugs Vier-in einem-Perspektive, der im gleichnamigen Buch beschriebenen Utopie einer gerechten Verteilung von Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesensarbeit und Entwicklungschancen. Die Literaturwissenschaftlerin Christine Lötscher stellt fest, dass die ehrliche Beschreibung von Haus- und Familienarbeit sich als literarischer Stoff etabliert hat. Zum Beispiel auch die Frage, was es bedeute, wenn sich Schreiben und Hausarbeit vermengen.
Die Psychoanalytikerin Liliane Schaffner benennt verschiedene Facetten der Hausarbeit: einerseits das Repetitive, Beruhigende, immer wieder auf Reset drücken zu können, Spuren zu verwischen, alles wieder neu und frisch zu machen. Andererseits das Durcheinander, das Chaos, das Stören der Ordnung: „Die lustvolle Störung der Ordnung in den eigenen vier Wänden könne kreativ sein und davor behüte uns hin und wieder davor, den Haushalt als gesicherten Schutzraum zu überschätzen.“ Sie spricht vom Antagonismus zwischen der „Sehnsucht nach Aufgehobensein, das aber auch einengend sein kann“ und dem „Ungeborgensein als Voraussetzung für Schritte in die Freiheit“. (Das erinnert mich an unseren Workshop bei der Denkumenta zu Claire Marins Buch An seinem Platz sein.) Beruhigend fand ich zu erfahren, dass auch Simona Isler, die zur Geschichte der Schweizer Frauenbewegung forscht, nicht immer die Kraft hat, ihre Kinder an ihre „Ämtli“ zu erinnern. Anders die Putzfrau Isabel Zubieta, die von ihrem Mann und ihrem Sohn die Beteiligung am Putzen selbstverständlich ganz einfordert.
Schweizerdeutsche Einsprengsel wie die Ämtli oder auch Mahlzeiten wie Znüni und Zvieri kommen regelmäßig vor und passen gut zum Buch und der heimeligen Küchen-Atmosphäre der Gespräche. (Für alle, denen diese nicht geläufig sind, gibt es im Anhang ein Glossar.) Auch sind die Gesprächspartner*innen alle in der Schweiz beheimatet. Die Inhalte der Gespräche und der Beispielcharakter der Wohnformen allerdings reichen über die Küchen und über die Schweiz hinaus. Damit auch der Welthaushalt heimeliger wird, bleibt noch einiges zu tun. Das Verdienst von Heidi Kronenberg, Samuel Geiser und Yoshiko Kusano ist, dieses Panorama der Haushaltsformen und der Perspektiven auf Haushalt und Hausarbeit zusammengetragen zu haben und Lust auf die Arbeit am Welthaushalt und in den vielen kleinen Haushalten zu machen.
Fotos: Anne Lehnert