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Rubrik hervorbringen

Zwischen den Fronten

Von Gabi Dallinger-König

Diarium verstörender Gefühle.
Notizen zum Ukrainekrieg (Februar 2022 bis Juni 2024)

Sprachlos

“geo_politische Kontinentalverschiebung” .
Das Bild hat die Autorin zur Zeit des Kriegsausbruchs gemalt.

Am 24.2.2022 hat Putins Russland die Ukraine militärisch angegriffen. Die Warnungen der NATO und der USA waren nicht bloß eskalierend, wie gerne behauptet wurde. Sie haben sich bewahrheitet. Als wir das aus den Nachrichten erfuhren, wurde es in unserer Wohnung ganz still. Die sonst lautstark geführten Telefonate meines Ehemannes ruhten. In mir war etwas zerbrochen. Die Gedanken – es blieb beim mentalen Stammeln und ich beschloss daher, diesen leeren Raum einmal frei zu halten. Zuviel falsche Begriffe hatten in den letzten Wochen, vielleicht schon Jahre, für verhärtete Diskussionen gesorgt. Diese Kakophonie der Expert:innen in unzähligen „runden Tischen“. Die Diskussionssendungen gingen an diesem Tag und danach erst richtig los. Ich hielt mich heraus und starrte in die Stille. Ich befragte meine Intention, ließ mein Bauchgefühl zur Sprache kommen. Da war etwas Demütigendes, ein Schmerz, gedemütigt zu sein. „Rückfall“ war ein anderes Wort, das auftauchte. „Bedrückt“ – „bange“ – „Furcht“ – „besorgt“ „abschreiben“. Was alles noch wurde gerade zu Grabe getragen mit diesem militärischen Einmarsch in der Ukraine? Vieles, auch die globalen Bemühungen, die Klimaerhitzung gemeinsam hintanzuhalten.

Ein weiteres Wort hat sich aus mir „entrungen“: „Versicherung“. Wir (auch ich) glaubten, enge wirtschaftliche Verbindungen mit den osteuropäischen Staaten und mit Russland, wären eine Art Versicherung für den Frieden. Im Falle eines Konflikts würden zu viele Interessen gefährdet, sodass eine friedliche Austragung für alle Seiten klug und angezeigt sei. Freilich gab es auch genügend warnende Stimmen. Nun aber wabert es durch den medialen und politischen Raum: „Naivität!“ Vielleicht kommt meine tief empfundene Scham, deren Grund ich bisher nicht zu deuten wusste, daher? Ein kollektives Schamgefühl über die nun zugeschriebene Naivität, Gutgläubigkeit, Blindheit, Dummheit, Ignoranz.

Klar ist heute, dass die vielfältigen Verflechtungen zwischen Russland und den europäischen Staaten nicht hielten, was sie versprachen. Putin hat die russische Opposition sukzessive ausgeschaltet, die entsprechende Propagandamaschinerie längst in Gang gesetzt. Eben jene Unterdrückung kehrte zurück, vor der die ex-sowjetischen Staaten wohlweislich davongelaufen sind, übergelaufen zum westlichen Verteidigungsbündnis NATO und dann der EU beigetreten. (Samt deren manchmal eigenartig ausgelegtem Demokratieverständnis, hinter dem sich allzu oft weniger hehre Interessen verstecken).

Also die Versicherungen – die Versicherung der Worte, der gegenseitigen Abhängigkeiten, die Versicherung auf Gegenseitigkeit, die Verträge, also Vertrauen – all das ist nun mit Panzern niedergewalzt mit Raketen abgeschossen worden mit dem höhnischen Vorwurf: „naive Trottel, alle! Das habt ihr von eurer Gutgläubigkeit!“ In mir ist das Vertrauen zerbrochen, dass eine gemeinsame Welt für uns alle möglich ist, die Rettung dieser Welt, eine lebenswerte Umwelt. Zerbrochen das Vertrauen, dass Frieden machbar sei. Genauer: dass wir hier in der EU fast die Formel dafür gefunden hätten. Und, dass der Mensch eben nicht des Menschen Wolf sei.

Auflehnung

Scham aber ist nicht berechtigt, verteidige ich mich selber. Die Informationslage war widersprüchlich. Es war schwer Propaganda beider Seiten und reale Bedrohungslage zu unterscheiden. Ich habe mich bemüht, mir selber ein Bild zu machen aus den Nachrichten. Aus den Erfahrungen des ersten Golfkriegs war ich gegenüber den westlichen Warnungen skeptisch. Auf diese Leimrute wollte ich nicht mehr kriechen.

Nicht nur ich vertraute auf eine gewisse Rationalität der Interessen Putins. Erst als er in seiner Rede an die russische Nation mit seinem kruden, ja geradezu mystifizierten Verständnis von der Ukraine als der Wiege des russischen Reiches sprach, da offenbarte sich ein Führer mit abwegiger Vision, mit der er nun seine kriegerische Handlung rechtfertigt.

Vertrauen erschüttert. Ja! Braucht man sich dafür schämen? Die Scham hat sich gelegt. Jetzt bleibt die Feststellung, dass eine über siebzigjährige Weltfriedensordnung gerade zusammenbricht. Aber auch die EU-Staaten rücken zusammen, wie es vorher noch undenkbar war: gemeinsam wirtschaftliche Sanktionen wurden beschlossen, Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge – sogar in Österreich! Die NATO hält sich zurück, sodass eine direkte militärische Konfrontation vermieden wird. Zumal Putin jetzt auch mit Atombomben droht.

Noch reicht der Krieg nicht in meine Träume. Nur, jener von einem Mann, der im Schwimmbad eine Frau belästigt und ein anderer schaut aufmerksam zu, das aber mit verschränkten Armen. Putin als gekränkter, in Rage geratener, beleidigter Mann, der es als Schmach empfindet, dass „seine Ukraine“, (die er auch schon als seine „Schöne“ bezeichnet hat) wie alle „seine Frauen“ (die baltischen Staaten und Weißrussland) sich abgestoßen von ihm abwenden und versuchen, selbstbestimmt einen eigenen Weg einzuschlagen? Er wolle Sicherheit um Russland herum! Es ist ein anderes Wort für Kontrolle über diese Länder. So, wie prügelnde Männer stets von „Liebe“ schwadronieren, in Wahrheit aber Macht und Kontrolle behalten wollen, Unterwerfung erzwingen und letztlich zur Vernichtung schreiten. Wie die meisten Männer bei häuslicher Gewalt, verabsäumte auch Putin, die Rechte dieser Länder zu respektieren, ehrliche Angebote zu machen. Stattdessen verbündete er sich mit Oligarchen und Diktatoren, die diese Länder ausplündern und sich schamlos bereichern. Er hat nichts zu bieten als Diktatur und Unterdrückung. Nun ist das alles von Alters her literarisch beschrieben. Auch der trojanische Krieg begann mit einem Raub und der Entführung Helenas. Andere sagen, sie sei dem schönen Mann freiwillig gefolgt, nachdem sie sich von Menelaos abgewandt hat.

Derweil formiert sich an den Grenzen der Flüchtlingstreck in die EU-Staaten.

Perspektivenwechsel, um der Propaganda zu entfliehen: feministische Außenpolitik.

Frankreich hat sie, Schweden, Luxemburg, Mexiko, Chile, Kolumbien, Liberia, Libyen(!?), Spanien, Kanada.

Was aber wird von der feministischen Außenpolitik Schwedens bleiben? Angesichts der russischen Bedrohung will Schweden gemeinsam mit Finnland der NATO beitreten. Beide Staaten werden zum Zeitpunkt des Ansuchens von Frauen regiert, von Magdalena Andersson (S) und Sanna Marin (F).

Ob feministische Außenpolitik jetzt obsolet geworden sei, wurde K. Lunz 1) im März 2022 gefragt? Liege denn deren Untauglichkeit nicht gerade auf der Hand! Doch diese antwortet: „Entscheidend ist doch, dass wir keine feministische Außenpolitik haben. Die Welt agiert weder feministisch noch auf der Basis von Menschen- und Völkerrechten. Deshalb gibt es auf Ihre Frage keine wirkliche Antwort. Was aber gesagt werden muss: Hätten wir in den vergangenen hundert Jahren statt einer patriarchalen eine feministische Außenpolitik betrieben, hätten wir eine weniger gewaltbereite Welt. Und möglicherweise auch nicht diese krasse russische Aggression. Eine patriarchale Außenpolitik beruht auf Dominanz, Zerstörung und Gewalt. Eine feministische geht gegen das Patriarchat vor – und damit gegen Gewalt und Zerstörung.“ 2)

Den Blick auf patriarchale Strukturen zu richten. Damit kommt man weg von der manchmal kleinlichen Gegenaufrechnung von übersehenem und direktem Fehlverhalten von „Russland“ und dem „Westen“, vom Ringen darum, wer nun der Gute und wer der Böse ist.

Im Buch „Die Außenpolitik der Zukunft ist feministisch“ schafft es Kristina Lunz die Komplexität der Krisen in Ansätze mit einer feministischen Politik zu verbinden: Die Militarisierung mit Klimafragen, Gesundheitsfragen, Friedensfragen. Hingegen wird in den Nachrichten über eins, höchstens zwei Problemfelder nebeneinander – genaugenommen hintereinander, ohne Bezug aufeinander, berichtet.

Seit über 100 Jahren waren es Feministinnen und Pazifist:innen, die sich über Jahrzehnte (durchaus auch in heißen Kriegsphasen) mit ihren Ideen eingesetzt haben und die ihren Niederschlag in den wichtigsten Dokumenten der UNO, der EU und ja, der NATO, gefunden haben. Erinnert sei hier auch an ihre und von der Zivilgesellschaft mitgetragene und voran getriebenen Verträge für eine universelle Abrüstung, Rüstungskontrollen sowie den Atomwaffensperr- und Atomwaffenverbotsvertrag. Eine ganze Liste von Friedensnobelpreisträgerinnen zeugt davon. Doch immer geflissentlich verschwiegen und unbenannt. Ihre Namen und Leistungen wurden in der politischen Erzählung von und der Geschichtswissenschaft einfach unterschlagen. So geht gründliches historisches Vergessen. Das ist die wirksamste Strategie, Frauen und ihre Leistungen für den Planeten, unser weibliches Gedächtnis, zu löschen, uns die weibliche Geschichte vorzuenthalten und zu stehlen.

So lese ich seit Tagen „Belarus – das weibliche Gesicht der Revolution“ und bewege mich lesend in den Berichten aus den Gefängnissen, den Erfahrungen im Alltag, den Kommentaren aus den sozialen Medien. Es ist ein langsames Lesen, eines, das bei all diesen Berichten von einem Impuls des Scheiterns, der Hoffnungslosigkeit, getragen wird. Obwohl zwischen den Zeilen auch vom Durchhalten die Rede ist, auch von der Hoffnung und einer Gewissheit, dass diese Volkserhebung des August 2020 nicht mehr dem kollektiven Vergessen anheimfallen wird, trotz der Niederschlagung durch Lukaschenko (seinen Rücken gestärkt von Putin). Heute, zwei Jahre später ist Belarus das Aufmarschgebiet für Putins Angriffskrieg auf den nächsten, sich seinem Willen sich entwindenden Staat, die Ukraine. Wer denkt heute, 3 Jahre später, noch an die „weiße“ – vorwiegend von Frauen getragene Revolution in Belarus, jetzt wo alle Augen auf die Ukraine gerichtet sind? Für mich ist die Niederschlagung des belarussischen Aufstandes das Mahnmal, was der Ukraine bevorgestanden hätte, würde es seine Souveränität nicht überzeugt und überzeugend verteidigen.

Das Faustpfand: russisches Gas

Es sind jetzt ausgerechnet die grünen Umweltminister:innen in Deutschland und Österreich, die wieder Kohlekraftwerke bereitstellen und teils wieder hochfahren müssen. Weil Putin seinerseits die Gaslieferung nach Europa drosselt, teils einstellt.

Mein Partner und ich haben einen genervten Umgang miteinander. Er wirkt verhalten wütend – weniger wegen mir, als wegen der politischen Situation, genauer, auf „den Westen“. Ich hingegen werde zwanghaft und sparsam mit allem, so als müssten wir uns auf eine ernsthafte Verknappung (Wasser, Lebensmittel) einstellen. Gestern, beim Mittagessen gelang es uns zumindest, andeutungsweise festzustellen, dass jetzt jeder von uns von einer stillen Verzweiflung angesichts der Weltlage befallen ist und einer Einsamkeit. Als müssten wir alleine, jeder für sich, zurechtzukommen mit den schlimmen Nachrichten aus dem Ukrainekrieg, den stockenden Weizenlieferungen aus den Schwarzmeerhäfen, die Waldbrände quer durch Europa und in Kalifornien, vermutlich auch in Sibirien, die Gaskrise und die steigende Inflation. Dieses gegenseitige Eingeständnis entspannte uns.

Ich benötige mehr Raum und Zeit, das alles miteinander zu verarbeiten. Also weniger fieberhaft zu lesen und selber zu recherchieren. Mir mehr Zeit zugestehen, dass sich die Dinge ordnen können und darauf zu vertrauen.

Phantomschmerzen schwindender Weltmächte

Wir brauchen eine Psychoanalyse für die Politik von schwindenden Weltmächten damit wir die Entwicklungen in jenen Staaten verstehen, die offensichtlich an ihrem Bedeutungs- und Machtverlust leiden. Es braucht den Zugang zu diesen Gefühlen. Es braucht in gewissen Maße Empathie. Deutschland nach verlorenem 1. Weltkrieg: Ein mächtiger Staat, führend in Wissenschaft und Wirtschaft. Die Schmach und Demütigung der „Abwicklung“ des Deutschen Reichs. Oder das britische Empire nach dem 2. Weltkrieg – gerade noch auf der Siegerseite, aber politisch und wirtschaftlich angeschlagen durch den Verlust seiner wichtigsten Kolonien. Es folgten blutige, brutale Kolonialkriege bis das Commonwealth entstehen konnte. Oder der Zerfall der Sowjetunion. Ihre Satellitenstaaten flüchten umgehend in die NATO und dann in die Europäische Union. Das Habsburgerreich nach dem verlorenen 1. Weltkrieg. Die einzelnen Länder können sich emanzipieren, werden Nationalstaaten, Österreich wird amputiert, territorial und wirtschaftlich abgeschnitten von den ehemaligen Habsburgerländern.

Würden die hier angeführten Staaten ihre eigene Geschichte samt den daran ausgelebten Emotionen wirklich verstehen, wäre heute vielleicht ein echter Friedensdialog auch mit Russland denkbar gewesen. So hätte eine „Kultur der Entschuldigung“ entstehen können. Beispiel für Versöhnung gar. Denn es geht um die Emotionen: erlittene Kränkungen, Schmach, Schande, Wut, Hass. Dies den Verhandlungen zugrunde legen um sie transformieren zu können. Am besten hat das Deutschland unter Willi Brandt verstanden. Dann könnte die Politik besser auf jenen Zeitpunkt rekurrieren, wo der Konflikt seinen Ausgang genommen hat: beim nicht ernst nehmen, nicht genau hinhören. „Aufhorchen“ um aufhören zu können. Wie Marianne Gronemeyer feststellte: „Die Schuld bekennen, auf sich nehmen…. Das ist etwas fundamental anderes, als die Schuld beim anderen zu suchen.“ 3)

Kognitive Dissonanz

Der Schmerz, der aus der kognitiven Dissonanz entsteht, ist körperlich spürbar. Auf Empfehlung meines Mannes habe ich das Interview gelesen, in dem Oscar Lafontaine seine Sicht auf den Ukrainekrieg darlegt. Sie ist diametral zu dem was ich und wir über die diversen Medien so mitbekommen. Es geht mir gleich, wenn ich eines der raren Putin-Redeausschnitte lese. Es wird mir umgehend schlecht. Ich kriege das nicht zusammen! Der Krieg ist der brutale Ausdruck dieser krass widersprechenden, ja gegensätzlichen, Sichtweisen.

Meine Schmerzerfahrung hat mich allerdings einigermaßen nachvollziehbar machen lassen, was es für eine Demütigung für Russland (in der Verkörperung und Repräsentanz durch Putin) gewesen sein muss, als sich all seine Satellitenstaaten bei nächst bietender Gelegenheit abgewandt haben. Ja, als der Warschauer Pakt erledigt war, sich dem Westen, noch dazu dem Konkurrenzbündnis NATO, angedient haben und ihr beigetreten sind. Als all die unterdrückte Abneigung und Furcht vor der Sowjetunion in diesen Entscheidungen offensichtlich geworden war. Was für eine Demütigung für Russland! Darüber hinaus der Zusammenbruch alter wirtschaftlicher Verflechtungen hinnehmen zu müssen. Ich denke an die in sich zusammengefallene Habsburg-Monarchie nach dem 1. Weltkrieg, die abgeschnitten von den neu entstandenen Nationalstaaten hungernd und frierend in großes Elend gestürzt war.

Nein, diesen Schmerz hat die Politik des Westens wahrlich nicht verstanden. Ich gebe Lafontaine nicht recht, wie er alle Schuld beim Westen und der NATO sucht. Der Linke ist ein westlicher Repräsentant der russischen Erzählung. Auch er spricht nicht den Schmerz an, die nationale Demütigung und all die emotionale politische Reaktion darauf.

Das „Referendum“ in den von russischen Truppen besetzten Gebieten der Ukraine ist empörend. Truppen streifen durch die Gegend und sammeln die Stimmen der dort noch verbliebenen Bewohner:innen in durchsichtigen(!) Urnen ein, füllen die Wahlzettel teils selber aus. Wenn Putin diese irre Abstimmung der eigenen Bevölkerung in Russland verkaufen will, dann muss es bei den Menschen dort mehr als kognitive Dissonanz-Schmerzen erzeugen. Denn für so dumm verkauft zu werden ist auch demütigend.

Das dringende Bedürfnis, auf der richtigen Seite zu stehen, in Kriegszeiten. Dann einen Blick hinaus zu wagen in die Nachrichten-Erzählungen des sogenannten „freien Westens“ – um wieder bis ins Sonnengeflecht hinein erschüttert zu werden. Beunruhigt darüber, was wir trotz freier Medien nicht wissen, nicht wissen konnten und können. Weil von den Geheimdiensten unter Verschluss gehalten, weil im täglichen Wust der Meldungen übersehen und dann vergessen.

Die narzisstische Kränkung des sich sorgsam informierenden Ich: Die Kränkung, den Täuschungen zu erliegen. Den Glauben verlieren (- und „Glaube“, so ein zynischer Spruch, bedeutet eben „nicht wissen“). Wir befüllen die Leerstellen mit Glauben. Wir halten die Spannung des (noch) Nichtwissens nicht aus. Hier beginnt die Klitterung, die persönliche, die nationale, die geopolitische. Der Mensch sucht nach einer konsistenten, plausiblen Erzählung, um sich sein Weltbild machen zu können. Der Mensch sucht nur aus der Not „die Wahrheit“, um sich zurechtzufinden im Alltag und in der Welt.

Die Kränkung des Ich, festzustellen, belogen zu werden. Und damit betrogen um seinen aufrechten Gang, seiner Würde, im Glauben an eine gerechte Welt oder an eine gerechtfertigte Politik. Ich habe mich bisher gefragt, wie es der russischen Bevölkerung wohl geht, von seiner Elite derart dreist über den Ukrainekrieg, der „Spezialoperation“ belogen zu werden? – Doch an meiner eigenen Reaktion, an meiner eigenen schmerzlichen Erfahrung der fundamentalen Widersprüchlichkeit merke ich, DASS MAN DAS DANN GLAUBEN WILL. Man hat einen Alltag zu bewältigen, man hat nicht die Zeit und Muße sich umfassend zu informieren, auszuwählen, die Meldungen abzuwägen, auszuwerten und gar zu „verarbeiten“. Auf der falschen Seite zu stehen raubt die Seelenruhe und wird als Gefahr erlebt.

Trotz der Dissonanz bleibe ich zwischen den Stühlen sitzen, wo ich mich doch seit jeher aufhalte, als wäre es mein vom Leben zugewiesener, selbstverständliche Platz. Wo ich dann etwas unbequem, aber immerhin aufrecht zu stehen vermag.

Propaganda hier wie dort.

Die Welt ist beunruhigt: Russland droht mit einer schmutzigen Atombombe. Westliche und russische Propaganda sind kaum auseinanderzuhalten. Beide rekurrieren auf alte Stereotypien aus dem kalten Krieg.

Die meisten sogenannten „kritischen“ Zeitungsartikel sind rückwärtsgewandt geschrieben, suchen nach Ursachen und nach der gegenseitigen Schuld. Sie zeichnen ein erratisches Bild des „Westens“, wo USA, NATO und EU schlicht zu einem Block zusammengefasst sind. Und das Bild von Russland als des anderen festen Blocks, ohne die langsam abbröckelnden Staaten um es herum mit Namen anzuführen. Nicht erwähnt die 2020 niedergeschlagene Revolution in Weißrussland, der ebenso in einem Handstreich niedergeschlagene Aufstand in Kasachstan noch wenige Wochen vor der russischen Invasion in der Ukraine, von den eingefrorenen Konflikten in Georgien, von Moldawien ganz zu schweigen. Überall verlieren die von Russland kontrollierten Staatschefs (Statthalter) aufgrund von Korruption und wirtschaftlichem Niedergang ihre letzte Legitimität, die sie bisher aus dem unausgesprochenen Handel bezogen haben, nämlich: Ein bisschen Wohlstand, ein bisschen digitale Freiheit gegen politische Abstinenz. Doch bald hat Putin in Russland selber alle Anzeichen einer möglichen Opposition oder politische Mitbestimmungs- und Freiheitsbestrebungen systematisch unterdrückt, verboten und kriminalisiert.

Und der „Westen“, vor allem die EU, die gerne despektierlich als „Hühnerstall“ bezeichnet wird, wo jeder Regierungschef seine eigenen nationalen oder vorzugsweise innenpolitisch motivierten Interessen verfolgt? Und die, wie es die USA bis heute bedauert, keine gemeinsame Außenpolitik auf die Reihe bekommt. Die NATO, die Frankreich noch bis vor einem Jahr als „hirntot“ bezeichnet hat. Die USA selber tief politisch gespalten, sich auf China als Konkurrenten konzentrierend und sich von Europa allmählich abwendend. Dieser „Westen“ also soll den Einfall von Russland in die Ukraine provoziert haben?! Weil sich Russland vom Westen militärisch bedroht gefühlt habe? Diese Erzählung hat einen Sog, eine Richtung. Sie mag das Gemüt beruhigen, weil sie die Unübersichtlichkeit und Komplexität reduziert. Aber sie stimmt nicht.

Zeitenwende oder Wendezeit?

„Zeitenwende“ heißt es gemeinhin seit dem 24.2.2022, als Putin die Ukraine mit Krieg überzogen hat. Ist es zu viel der Ehre, diesen völkerrechtswidrigen Akt als Zeitenwende zu bezeichnen? Klar wurde ab diesem Zeitpunkt, wie sehr sich Europa von russischem Öl und Gas abhängig gemacht hatte und er nun genau damit den Krieg finanziert. Die Zeitenwende bestand aber auch darin, die längst fällige Abkehr von fossiler Energie auch in der Politik einzuläuten. Doch bevor wir von Wendezeit sprechen können, folgt auch eine unübersichtliche Politik, rasch andere Öl- und Gaslieferanten zu finden, aber auch der erneuerbaren Energie einen notwendigen Anschub zu verpassen.

Wäre es nicht an der Zeit, das Kriegsziel nicht alleine der Ukraine zu überlassen? Zumal sie Waffenlieferungen ohne Ende fordern. Ich möchte, dass die europäischen Staaten „ihre roten Linien“ der Ukraine gegenüber benennen und mit ihr an weiteren und auch anderen Lösungen arbeiten, als nur mit der Rückeroberung aller Gebiete. Ich merke selber, dass ich hier ein Tabu anspreche. Dieses „Stopp“, diese Nachdenkpause einzumahnen, empfinde ich selber geradezu als frivol (in Vorwegnahme der Gegenargumente). Und dennoch, gemäß Karl Valentin sage ich: „Aber denken werde ich mich doch noch trauen dürfen?“

Verschwiegene Friedensbewegung, verunglimpfte Friedensbemühungen

Sofort ist wieder ein abfälliger Begriff gefunden für jene, die gegenüber dem Mainstream skeptisch bleiben: „Putin-Versteher“ oder „Sofa-Pazifisten“ nennt man zum Beispiel Alice Schwarzer und weitere Initiator:innen eines offenen Briefes an den deutschen Kanzler Olaf Scholz. 270.000 haben ihn unterzeichnet, den Gegenbrief dazu 70.000.

Als wir 2015 in die Flüchtlingskrise gerieten und viele beherzte Freiwillige halfen, sie in geregelte Bahnen zu lenken, was wurden diese als „Gutmenschen“ verunglimpft, dann als „Willkommensklatscher“. Warum gleich diese Abwertung, diese Denunziation? Wie gefährlich müssen besonnenere Stimmen sein!

Die Friedensdemonstration in Berlin im Februar 2023 (zum Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine) und in weiteren Städten war groß. Sie war vielleicht ein Wink in die eigenen Reihen westlicher Politik. Sie bietet Gelegenheit und Möglichkeit, einmal innezuhalten, zu schauen, zu besprechen, zu diskutieren, was noch mehr getan werden kann. Um in diese rollende Kriegsmaschinerie irgendwie anders einzugreifen, als nur Waffen zu liefern, strategische Waffen zu liefern und solche Waffen, die das Völkerrecht ächtet und verbietet wie etwas Phosphorbomben und Streumunition. Geflüchtete Ukrainerinnen und ihre Kinder aufzunehmen. Geld zu spenden für Lebensnotwendiges, Hilfsgüter und Bergegeräte, um die gezielt von den Russen zerstörte Infrastruktur wieder herzustellen. Als nur mediale Aufmerksamkeit dem ukrainischen Präsidenten und seinem Regierungsteam zu zollen, Berichte zu lesen, Nachrichten zu hören und zu sehen, atemlos und immer mit einem inneren Vorbehalt: Ist das jetzt Propaganda oder ist es doch wahr?

Doch wie wir gesehen haben, bekam so eine Demonstration mächtigen Gegenwind; Hass, Häme und Schmähungen folgten nach.

Wie auch der unter internationaler Besetzung stattgefundene „Wiener Friedensgipfel“ im Juni 2023 heftigen Gegenwind hat erfahren müssen. Der ukrainische Botschafter in Österreich intervenierte beim Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), der einen Teil seiner Räumlichkeiten dem Kongress zur Verfügung gestellt hatte. Der zog kleinmütig die Genehmigung zwei Tage vor Konferenzbeginn zurück. Die Friedensbewegung ist also zwischen Naivitätsvorwurf und Vorwurf des Verrats an den „westlichen Werten“ geraten.

Doch in der Friedensbewegung tummeln sich auch weniger vertrauenswürdige Leute. Sie reicht von politisch rechts Stehenden bis zu überwiegend links Stehenden. Sie wird angegriffen und ist angreifbar. Also auch kein „Sicherheit“ bietender Ort für heimatlose Mainstream-Verweiger:innen.

Und doch gab es im Februar und März 2023 in ganz Westeuropa Demonstrationen für den Frieden, die aber in den Nachrichten kaum vorgekommen sind: Ostermärsche in Frankfurt, Hamburg und an der Luftwaffenbasis Büchel in der Eifel. In Großbritannien in London „Stop The War Coalition“. In Frankreich organisierte die Friedenbewegung Demonstrationen in fast 50 Städten. In Brüssel demonstrierten 3000 Menschen vor den Sitzen des europäischen Parlaments. Auch in Bern demonstrierten 3000 Menschen für „Deeskalation, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“. In Italien gingen in Mailand, Palermo, Pisa, Florenz, Turin, Padua, Bologna, Verona und Genua Tausende auf die Straße. In Genua forderte die Hafenarbeiter-Gewerkschaft, die Verschiffung von NATO-Waffen in die Ukraine und in den Jemen zu stoppen. Das Motto: „Krieg kann nicht mit Krieg beendet werden!“ In Deutschland haben sich die traditionellen Friedensbewegungen in der „Friedenskooperative“ zusammengeschlossen. 5)

Doch nichts davon kommt in den offiziellen Nachrichtensendungen vor, auch nicht in den „Qualitätszeitungen“.

Und was überhaupt nicht vorkommt, weil aktuell tabuisiert wird, ist das Thema Deserteure. Kriegsdienstverweigerer, die es durchaus gibt, die ihr Menschenrecht, das Töten zu verweigern, oder sich schlicht nicht dem Krieg opfern wollen, sowohl in der Ukraine als auch in Russland, sind zwischen alle Fronten geraten. Wieder einmal werden sie verfolgt und inhaftiert, sofern ihnen die Flucht nicht gelungen ist.

Noch einmal: Wozu darüber schreiben?

Ich habe mir in Essays immer noch eine Geschichte erzählen können. Doch seit über 500 Tagen dauert dieser Krieg an und geht weiter. Kriegsgräuel auf beiden Seiten – über die der russischen Truppen, insbesondere der Wagner-Söldner, wird informiert, über die ukrainischen nur marginal und zwischen den Zeilen erahnbar. Mein Blick auf den Ukrainekrieg ist ähnlich jenem in das Unterholz eines Waldes, eines Dschungels: viele Details, Blätterwerk, Schatten. Er hat eine eigene Erscheinung, aber er ergibt kein klares Bild vom Ganzen, keine Ordnung für das geschundene Gemüt, kein „Heureka!“, keine Erkenntnis. Aber wäre es nicht vermessen, mit einem Krieg in irgendeiner Weise fertig werden zu können oder gar zurecht zu kommen?

Inzwischen wird am Diskurs gedreht.

Es verschieben sich die Diskussionen immer mehr weg von der „Ursachenforschung“, welche der beiden Seiten denn mehr schuld sei. Bevor man sich an den Gedanken gewöhnen könnte „ja, es ist Krieg in Europa!“ Man es schafft, die Nachrichten weg zu drücken, die Bilderflut auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, dann in den Hauptnachrichten immer diese Menschen, Gesichter, Schicksale, zerstörte Häuser und ausgebrannte Wohnblocks, ein ausgelaufener Stausee, brennende Atomkraftwerke – gezielt zerstörte Infrastruktur. Inzwischen kommen Konfliktherde aus anderen Teilen der Erde gar nicht mehr vor. Afghanistan ist von der Welt vergessen.

Der ukrainische Präsident fordert indes weitere Waffen. Die USA liefern jetzt auf Selenskis Ersuchen die weltweit geächtete Streumunition. (Europa incl. Großbritannien, die das Abkommen über das Verbot unterzeichnet haben, noch nicht) Streubomben! Das ist jetzt für mich die rote Linie. Was sollen Waffen, die auf Jahrzehnte das eigene Land verheeren und es unbrauchbar für die Bewirtschaftung machen!?

Und langsam, langsam wird das „geneigte Publikum“ hier im Westen auf eine weitere Eskalation in diesem Krieg vorbereitet. Man müsse „die Fesseln der Ukraine lockern“, so eine Forderung. Oder, man müsse der Ukraine auch erlauben und zugestehen, ihre Angriffe auf russisches Territorium auszudehnen 4). Und letztlich, am 23.7.23 ebenfalls im Standard, ein Artikel darüber, dass Vorstöße auf russisches Gebiet völkerrechtlich sogar erlaubt seien. Dann tauchen plötzlich Drohnen über Moskau auf.

Wir können uns leider nicht im Gedanken einrichten, dass dieser Krieg begrenzbar wäre. Ich erkenne den Aggressor nun deutlich auch im Westen. Und das Kriegsziel: Russland müsse den Krieg verlieren. Euphemistisch: „Der Westen müsse Russland helfen, den Krieg zu verlieren…“ 4). Denn hier setzt die größte Fehleinschätzung an. Russland ist ein riesiges Land, mit riesigen Ressourcen und es ist die größte Atommacht der Welt. Wie lange muss es dauern und wie enden, um feststellen zu können: Russland hat den Krieg verloren!?

Und was mich dann auf der anderen Seite doch wieder erstaunt: Die Erntebilder aus der Ukraine. Die neue Weizenernte, die nicht ausgeführt werden kann, weil Russland das Lieferabkommen auslaufen hat lassen und nun alle Schwarzmeerhäfen bombardiert. Also wird in der Ukraine weiter Landwirtschaft betrieben!? – fast ein Widerspruch zur Nachrichtenlage.

„Krieg ist schmerzhafte Mathematik“, schreibt der Journalist Aleksander Pulikot aus Anlass des zweiten Jahrestages des Kriegsbeginns in der Ukraine. „Vor zwei Jahren konnten wir es kaum glauben, dass sie begonnen hatte, vor einem Jahr, dass sie zu unserer Normalität wurde und heute, dass es möglich ist, sie zu beenden. Die russische Invasion in der Ukraine hat unendlich viel Tod und Zerstörung gebracht. Tragischerweise haben die letzten zwei Jahre alles und nichts verändert – und Europa scheitert immer noch daran, Stärke zu zeigen“. 6)  

Weiter Suche nach Orientierung

Marlene Streeruwitz´ “Handbuch gegen den Krieg“ ist ein kluges Buch. Aber es beantwortet nicht meine eigentliche Frage: Darf man sich mit gewalttätigen Mitteln selber verteidigen? Und: Dürfen andere Staaten diese Selbstverteidigung mit Waffenlieferungen unterstützen? Welches Kriegsziel? – Das eigene Überleben, die eigene Territorialität – im gegenständlichen Fall auch die vollständige Rückeroberung der angegriffenen Gebiete?

Die Schriftstellerin Tanja Maljartschuk hat eine erhellende Unterscheidung getroffen: Die europäische Losung und der Vorsatz „nie wieder Krieg“ werde unter der unausgesprochenen Voraussetzung getätigt, dass Deutschland ab 1939 einen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen seine Nachbarn geführt habe. Uns fehle also das Bewusstsein und die Erfahrung, wie es sei, angegriffen zu werden und Opfer kriegerischer Überfälle zu sein. Rhetorisch fragt sie, ob, wie und in welcher Weise Selbstverteidigung denn stattfinden dürfe? Die Losung der westlichen Friedensbewegung „nie wieder Krieg“ ist, so schließe ich daraus, als eine Art zivilgesellschaftlicher Einhegung allfälliger Kriegsgelüste zu lesen. Sie ist eine zivilgesellschaftlich vorgetragene Aufforderung der Selbstbeschränkung an die Politik. Denn wir und unsere Vorfahren waren zuerst Aggressoren und erst danach Opfer. Doch welche Losung konnten die Ukrainer:innen entwickeln, die das ganze 20. Jahrhundert Opfer von grausamer Aggression waren – erst von den Deutschen unter Hitler, dann von den Russen unter Stalin? – Oder die Juden und der Staat Israel? Sie haben ganz andere Lehren gezogen, nämlich „nie wieder Opfer zu werden“, und in der Folge sich nur auf sich selber zu verlassen und die militärische Verteidigung bestmöglich auszubauen. Nun ist Israel inzwischen in eine asymmetrische Kriegsführung mit der Hamas geraten und kommt damit auch kaum weiter.

Wehrhaft  (April / Juni 2024)

Ich habe nachgedacht. Meistens glaubte ich, eine bedingungslose Pazifistin zu sein. Ich verabscheute kriegerische Handlungen, befand, dass mit Waffen kein Konflikt zu lösen sei. Selbstverständlich nahm ich an Friedensdemonstrationen teil.

Doch in letzter Zeit huschte in Gedanken an die Kriegsherde dieser Welt ein Schatten vorbei: Da war etwas. Ein Zweifel vielleicht? Nachspürend nahm ich diesen in Augenschein. Wenn ich ganz ehrlich mit mir bin, dann lehne ich eigentlich Selbstverteidigung mit Waffen nicht ganz ab. Ich selber habe mich immer gewehrt, wenn ich angegriffen wurde, wenn mich jemand unterzubuttern versuchte. Ich habe auch zurückgeschlagen, ganz handgreiflich (freilich aber nur bei Männern, also gegenüber Stärkeren.) Und ich habe Verständnis für die Ukrainer:innen, für die israelische Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, und für die Wut der Palestinenser:innen auf Israel. Wenngleich ich das alles auch mit großer Sorge betrachte. Denn aus Kriegen erwächst immer neue Gewalt – notgedrungen eine Gewaltspirale. Und sei es die, wie schon Ingeborg Bachmann in ihren Romanen und Erzählungen ausführte und es auch einmal explizit sagte, dass der Krieg danach in den Familien weitergehe.

Ich bin für Verhandlungen, solange auch nur ein Hoffnungsschimmer auf eine Konfliktbeilegung besteht. Aber nach dem vom Zaun gebrochenen Krieg des russischen Machthabers im Kreml und wie er seine Großmachtbestrebungen durchzusetzen trachtet, zweifle auch ich an einer Konfliktlösung mit gelinderen Mittel in absehbarer Zeit. Immer noch habe ich den absurd langen Tisch vor Augen, an dem Putin zu Beginn des Ukraineüberfalls europäische Politiker gesetzt hat – er mit steinerner Miene an der entgegengesetzten Seite des Ovals sitzend. Mehr Unerreichbarkeit für Verhandlungen sinnfällig zu vermitteln und mehr Demütigung der europäischen Politiker geht gar nicht. 

Ich gestehe ein: eine bedingungslose Pazifistin bin ich nicht. Ungern akzeptiere ich die europäische Wiederbewaffnung. Aber Pazifistin, das bin ich nur bedingt.

Anmerkungen

  1. Kristina Lunz, Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Econ, Dez. 2021
  2. Frankfurter Rundschau vom 8.3.2023, Bascha Mika mit Kristina Lunz
  3. Marianne Gronemeyer in „Manifest der Achtzigjährigen“ 2023
  4. Timothy Snyder im Standard vom 15. / 16.7.2023 „Handelt Putin im Sinne Russlands? Nein.“ Er fordert, dass die Ukraine auch Ziele in Russland angreifen darf.
  5. Dieser Absatz ist großteils zitiert aus EMMA, Mai / Juni 2023, S. 76 f
  6. Aleksander Polikot, in Der Standard, 24.25.2.2024 in Kommentar der anderen.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke für das Heraustreten aus der Sprachlosigkeit und die differenzierte Sicht. Vor allem den Teil über die unterschiedlichen “Lehren” aus der Geschichte (nie wieder Krieg contra nie wieder Opfer) fand ich inspirierend. Gute Medizin gegen das “Abtauchen” aus Überforderung

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