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Rubrik unterwegs

Vom Gehen und der Kraft des Labyrinths

Von Annette Meinecke

An einem heißen Sommertag besuchte ich den Labyrinth-Platz in Framersheim in der Pfalz. Viele Jahre zuvor hatte ich dort mit Freundinnen einen ganzen Tag verbracht, geredet, geschwiegen und nachts in den Himmel geschaut. Wir haben „die Weisheit des Labyrinthes“ erfahren, wie es Kristin Flach-Köhler beschreibt. Das Vertrauen in den Weg und die Verbundenheit miteinander.

Doch diese Weisheit ging mir verloren. Ich hatte mich, ohne es zu bemerken auf eine „Start-Ziel“ Strecke begeben und wollte so erfolgreich wie möglich das Ziel erreichen. Eine Sackgasse. Ich ging wieder ins Labyrinth. Meiner Freundin Jo erzähle ich von meiner neuen, alten Erkenntnis.

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Liebe Jo, liebste Freundin,

wenn es so ist, dass einem Menschen die Ohren klingeln, wenn jemand an sie denkt, müsste ein Dauerklingeln durch deine Ohren gezogen sein, so oft, wie ich an dich gedacht habe.

Gestern bin ich aus der Zeit gefallen, ganz leicht und ganz einfach. Mit lautem Knall habe ich die Tür meines Schneckenhauses zugeworfen und bin losgegangen. Bin zu unserem Ort gefahren, unserem Kraft-Ort. Erinnerst du dich? Das Labyrinth, ganz hoch oben in den Weinbergen, von Windrädern umweht.

Ich hatte diesen Ort ganz vergessen, vergessen in all dem Mühen und dem Finden wollen von Unsichtbarem.

Es war heiß, als ich den Weg durch die Weinberge nahm und schweißnass die Bergkuppe erreichte. Schon von weitem erkannte ich die Skulptur der Windfahne und die des Auges. Die Stille dort war heilsam, nur das eigene Rauschen im Ohr und das des Windes war zu hören.

Dann lag es vor mir. Mit buckeligen Steinen in runden Windungen angeordnet, erstreckte es ich über den Hügel. Es wirkte weniger spektakulär, als ich es in Erinnerung hatte.

Ich ging hinein, ohne Erwartungen, glaubte vor Überraschungen sicher zu sein. Doch das Labyrinth entfaltete seine Kraft im Gehen, kaum, dass ich eingetreten war. Wie damals. Erinnerst du dich, wie aufgekratzt wir uns gegenseitig unsere Eindrücke erzählt haben. Damals waren wir uns und unserer eigenen Mitte so nah.

Auch diesmal geschah es. Auch diesmal glaubte ich mich schon fast in der Mitte angekommen, als mich eine Schleife des Labyrinths wieder ganz nach außen trug, um mich dann, eine weitere Biegung später, direkt in die Mitte zu führen.

Grandios, wie das Labyrinth mir meinen Mäandergang der letzten Monate vor Augen führte. Ich hatte geglaubt, meiner Mitte so nah zu sein, mich gut zu kennen. Doch nun waren vertraute Stützen meines Alltages nutzlos geworden, lagen wie abgestreifte Haut in meinem Reptilienbau. Ich war aus meiner Mitte geraten, suchte sie vergeblich an alter Stelle und unternahm alles, um dort wieder hin zu kommen. Was für ein Irrtum.

Das Labyrinth zeigte mir, dass es galt, weiter zu gehen, dem Weg zu vertrauen, nicht an Altem, Bekannten festhalten zu wollen. Weitergehen, mit Zuversicht Neues annehmen, den Mut haben, sich vom Gang des Lebens ganz nach außen tragen zu lassen, um dann, mit der nächsten Biegung, in der Mitte anzukommen.

Du hast meine Scheuklappen auf den Augen sicher schon lange gesehen, hast versucht sie mir ein wenig zu lockern, doch vergeblich.

Ich glaube, dass es die Erfahrung im Körper gebraucht hat, dann erst konnte das Denken folgen. Das Wissen des Körpers, ein Geschenk der Biologie.

Ach meine liebe Jo, du fehlst mir. Wie gern wäre ich mit dir durch das Labyrinth gelaufen. Jede für sich, jede auf ihrem Weg und doch zusammen.

Seit gestern hat mein Schneckenhaus helle Fenster bekommen und die Tür steht nun immer offen.

Falls du in den nächsten Tagen ein leises Klingen im Ohr vernimmst, dann weißt du, dass ich gerade in Gedanken bei dir bin.

Bis bald meine liebe Jo, mögen die 1000 Kilometer zwischen uns den beigefügten Kuss und die Umarmung heil überstehen.

Deine Anne

Autorin: Annette Meinecke
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 01.09.2024

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke liebe Annette für die Erinnerung.
    Auch ich verbinde eine sehr spezielle Erfahrung mit diesem Labyrinth in Framersheim.
    Ich habe dort unter der Anleitung von Helga Flohr 2006 (?) einen Tag mit einem Jeux Dramatiques zum Inanna Mythos erlebt. Wie ich im Zentrum nackt liegend als Innana von Ereshkigals Blick des Todes getroffen wurde, nachdem mir an den 7 Toren alle meine Insignien der Macht abgenommen worden waren, das gehört zu den großen Momenten in meinem Leben.
    Du motivierst mich nochmal hin zu fahren.

  • Eveline Ratzel sagt:

    Liebe Annette, vermutlich habe ich noch nie einen solch liebe-vollen Beitrag zur Labyrinthbegehung gelesen. Deine Worte haben mich körperlich in das Labyrinth katapultiert, Sonne, Wind, Weite und die Wegeerfahrung waren spürbar, als wäre ich dort gewesen – und irgendwie war ich wirklich dort. Das ist wunder-voll, diese grenzenlose Kraft des Labyrinths, die mich heute den ganzen Tag begleiten wird. Danke.

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