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Wertschätzung und Anerkennung in der Pflege sind wichtiger als die Bezahlung

Von Juliane Brumberg

In unsere Serie Weniger ist mehr!? stellen wir Expertinnen aus verschiedenen Arbeitsbereichen vor und fragen sie, wie mit den vorhandenen Ressourcen besser umgegangen werden kann, was wegfallen könnte und worauf es wirklich ankommt? Denn es hat sich gezeigt, dass die Forderung nach immer mehr Geld für alles Mögliche keine guten Lösungen bringt.

„Am Geld oder den Wochenenddiensten liegt es nicht, wenn die Frauen aus den Pflegeberufen aussteigen. Das hat andere Gründe. Es ist einer der bestbezahltesten Ausbildungsberufe. Aber Pflegekräfte haben ein ethisches Dilemma, wenn sie ihre Arbeit nicht so machen können, wie es gut für die zu Pflegenden wäre. Außerdem leiden sie unter fehlender Team-Arbeit und fehlender Wertschätzung durch ihre Vorgesetzten.“ Das sagt mir Petra Blumenberg, Pflegewissenschaftlerin an der Hochschule Osnabrück. Verbesserungsvorschläge hat sie auch: „Zeitarbeitskräfte verderben die Stimmung. Was wir brauchen sind keine Zeitarbeiter:innen, sondern einen hausinternen Springerpool. Oder: Warum wird bei Kündigungen nie nach dem Grund der Kündigung gefragt?“ Sie hat beobachtet, dass der größte Fehler der ist, wenn ein gut funktionierendes Team auseinandergerissen wird, oft aus dem Gedanken heraus, dass die gute Stimmung, die dort herrscht, dann von den einzelnen Protagonistinnen in die anderen Abteilungen übertragen werden kann. „Doch die meisten kündigen dann früher oder später.“ Und die Wertschätzung ist so wichtig. „Wir brauchen Stationsleitungen, die die Pflegekräfte bei Problemen unterstützt. Und in den Krankenhäusern eine bessere Kommunikatioin zwischen Ärzt:innen und Pflegekräften.“

Arbeit in der Pflege als Berufung

Petra Blumenberg weiß, wovon sie spricht. Sie brennt für den Pflegeberuf und hat schon als Schülerin in einem benachbarten Altersheim gearbeitet. „Eigentlich wollte ich da nur Geld für eine Weltreise verdienen und habe dann gemerkt, das ist mein Ding.“ Sie fügt hinzu: „Deshalb bringt es nichts, wenn die Arbeitsämter irgendwelche Kräfte anwerben. Ich bin Pflegefachkraft geworden, weil ich unbedingt diesen Beruf ausüben wollte.“ Ihre Ausbildung hat sie dann allerdings nicht zur Altenpflegerin, sondern zur Krankenpflegerin gemacht. „Das war damals die bessere Ausbildung.“ Kritisch sieht sie die heutige generalistische Ausbildung, die für alle gleich ist, egal, ob sie später mit Kindern, alten Menschen oder auf der Normalstation arbeiten wollen. Auch die Masterstudiengänge in den Pflegeberufen führen oft „vom Bett weg. Was wir brauchen,“ meint sie, „sind Pflegeexpert:innen mit Masterabschluss für Kinderheilkunde, für Intensivmedizin, für Demenzstationen.“ Sie selbst hat nach sehr positiven Erfahrungen in ihrer Ausbildung in einer Uni-Klinik angefangen, dort aber schnell wieder gekündigt, „einfach, weil die Stimmung dort so schlecht war“ und 10 Jahre als Krankenschwester an einer anderen Uni-Klinik in Würzburg gearbeitet. „Ich wollte was tun, ich bin eine Schafferin.“ Später, in ihrer Elternzeit, hat sie einen der ersten Pflegestudiengänge in Osnabrück absolviert und als Diplom-Pflegewirtin abgeschlossen. Heute arbeitet sie als Pflegewissenschaftlerin an der Hochschule Osnabrück beim Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) und entwickelt und implementiert Expertenstandards für die Pflege zur Unterstützung der pflegerischen Qualitätsentwicklung. Sie liebt ihren Beruf, weil sie nach wie vor viel mit der Praxis zu tun hat und dazu beitragen kann, diese zu verbessern. „In den Wahnsinnszeiten von Corona habe ich aber auch als Aushilfe auf der Intensivstation unseres Krankenhauses mitgeholfen.“

Die Einführung der sogenannten Diagnoses releated Groups (DRG) in den deutschen Krankenhäusern Anfang der 2000er Jahr führte zu kürzeren Verweildauern der Patientinnen und Patienten, da nur noch festgelegte Aufenthaltszeiten refinanziert wurden. Gleichzeitig wurden aber deutlich mehr Menschen operiert, die Fallzahlen stiegen also, und dadurch auch die Arbeit für das Gesundheitspersonal in den Kliniken. „Dadurch“, so Petra Blumenberg, „ist viel mehr zu tun in immer kürzerer Zeit. Und die Pflegekräfte haben weniger Zeit aufzuklären und zu helfen, zum Beispiel wenn sie bemerken, dass die Mundhygiene vernachlässigt wird oder dass das Schlucken Beschwerden macht. Und dieses Nicht-helfen-können sorgt für großen Frust in der Pflege.“

Das Wichtige dokumentieren

Was oft beklagt wird, ist die aufwendige Dokumentation. Das sieht Petra Blumenberg etwas differenzierter: „Einerseits gibt es diese Misstrauenskultur: Was nicht dokumentiert ist, ist nicht gemacht. Andererseits ist wegen der hohen Fluktuation die Dokumentation wichtig, damit die Kollegin gut anschließen kann.“ Allerdings ist ihr die Dokumentation zu wenig zielgerichtet: „Wir brauchen keine Prozessdokumentation, sondern eine Ergebnisdokumentation, also über den Erfolg und weniger über das, was gemacht wurde. Also zum Beispiel, was dazu geführt hat, dass eine Patientin wieder laufen kann oder welches Vorgehen bei der Körperpflege dazu beigetragen hat, die Hautsituation eines Patienten zu verbessern.“
Sie findet außerdem, dass nicht so viel Selbstverständliches dokumentiert werden sollte, sondern eher die Antwort auf die Frage „Wie, in welchem Zustand, entlassen wir den Menschen und was hat er selbst für ein Verständnis zu seinen Risiken und Problemen“.

Petra Blumenberg hat ein hohes Anspruchsdenken der Patienten und Patientinnen beobachtet. „Dadurch, dass wir so viel in die Krankenversicherung einzahlen, möchten wir dann auch eine perfekte Versorgung und haben hohe Ansprüche. Es gibt aber auch eine Verantwortung sich selbst gegenüber, die ich zum Beispiel durch Bewegung oder eine gute Ernährung wahrnehmen kann“. Ganz deutlich sagt die Pflegefachfrau: „Ich selbst bin dafür verantwortlich, dass ich ein gutes Leben führe, nicht die Anderen.“

Entlastung der Ärztinnen und Ärzte durch „Gesundheitskioske“

Was sie begrüßen würde, um das Gesundheitssystem zu entlasten und dem zunehmenden Ärztemangel etwas entgegen zu setzen, sind ganz niederschwellige Pflegeangebote, sozusagen Gesundheitskioske in einzelnen Stadtvierteln. Diese würden von gut ausgebildeten Pflegekräften betreut und die Menschen könnten sich dort Rat und Unterstützung bei den Gesundheitsproblemen holen, für die man nicht unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin braucht. „Das könnte einerseits für mehr Prophylaxe sorgen und andererseits könnten dort auch Pflegekräfte bereitstehen, die Hausbesuche machen, so wie es früher die Gemeindeschwestern getan haben.“ Sie meint: „Das würde vermeiden, dass die Menschen immer gleich ins Krankenhaus rennen. Doch leider“, fügt sie hinzu, „gehen viel zu viele Menschen mit kleineren Beschwerden in die Notaufnahme – und die ist hoffnungslos überfordert.“
Wegen der Befürchtung von Doppelstrukturen sowie aus finanziellen Gründen ist die Gesundheitskiosk-Initiative des Bundesgesundheitsministeriums vorerst zurückgestellt worden. Petra Blumenberg ergänzt: „Fakt aus meiner Sicht ist, dass es nach wie vor nicht gewünscht ist, dass Pflegende selbständig – ohne ärztliche Delegation – tätig sind. Im Ausland ist das längst gang und gäbe.“ Sie sieht innovative Ideen für die Zukunft dahinschwinden: „Das Gleiche gilt für Krankenhäusern Level 1i, also niederschwellige Pflegekrankenhäuser, die als Gesundheitszentren unter pflegerischer Leitung angedacht waren. Sie könnten regional eine (Nach-) Versorgung von Menschen ermöglichen, die nicht ambulant versorgt werden können, weil sie alleine sind oder einen höheren pflegerischen Unterstützungsbedarf haben. Auch hier wird bei dem Modell der pflegerischen Leitung zurückgerudert und ärztliche Verantwortung eingefordert.“

Von anderen Ländern lernen

Petra Blumenberg ist Pflegeexpertin mit Leib und Seele. Sie hat hautnah miterlebt, wie in den letzten Jahren die Ausbildung in der Pflege verbessert und professionalisiert wurde. Von der Bevölkerung wünscht sie sich deshalb Vertrauen nicht nur in Ärzte und Ärztinnen, sondern auch in die Pflegekräfte. „Das könnte unser Gesundheitssystem so entlasten.“ Auch aus dem Ausland kommen so viele gute Ideen, denen man nachfolgen könnte. Als Beispiel nennt sie Buurtzorg, eine niederländische Initiative zur ambulanten Pflege unter Einbeziehung der Familie und der Nachbarschaft. „Dort wird eigenverantwortlich entschieden und nicht ein Leistungskatalog abgearbeitet.“ Buurtzorg verzichtet dabei auf jegliche Hierarchie. Selbstständige Teams von ungefähr zehn Personen regeln alles selbst, von der Planung ihrer Arbeit bis hin zu den Kontakten zu den Hausärzten. In Deutschland gibt es diesbezüglich bislang nur zwei Modellversuche in Münster und München.
Schließlich betont sie noch einmal die Bedeutung der Prävention. Wenn Pflegekräfte anders eingesetzt würden, könnten sie auch für mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung sorgen. Das hätte positive Auswirkungen für besonders vulnerable Gruppen mit einem schlechten Gesundheitsbewusstsein oder fehlenden Sprachkenntnissen. Sie ist überzeugt: „Mehr Wertschätzung der Pflegeberufe und mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung bei ihrer Arbeit würden dazu beitragen, dass mehr Pflegende bereit sind, in Vollzeit zu arbeiten. Mehr Menschen würden wieder diesen wunderbaren Beruf ergreifen und damit könnten wir dem Pflegekollaps, auf den wir zusteuern, etwas entgegensetzen“.

In dieser Serie ist bereits ein Artikel zu den Problemen in der Bäckereibranche erschienen.


Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 28.08.2024
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