Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
In unsere Serie Weniger ist mehr!? stellen wir Expertinnen aus verschiedenen Arbeitsbereichen vor und fragen sie, wie mit den vorhandenen Ressourcen besser umgegangen werden kann, was wegfallen könnte und worauf es wirklich ankommt? Denn es hat sich gezeigt, dass die Forderung nach immer mehr Geld für alles Mögliche keine guten Lösungen bringt.
„Es langt nicht, dass es in der Backstube sauber ist, es muss alles dokumentiert werden: wann wurde geputzt, von wem wurde geputzt und mit welchem Mittel. Und das jeden Tag zu jedem Arbeitstisch und jedem Ofen. Ich seh ein bisserl schwarz für die Handwerksbäckereien. Diese Dokumentation, die gemacht werden muss, ist nicht mehr zu schaffen.“ So empört sich Susanne Szamosi, die Chefin der Bäckerei Reitberger in Passau. Bei meinem Besuch zeigt sie mir als erstes eine dreiseitige Liste, auf der sie 45 Vorschriften und Verordnungen zusammengestellt hat. Ich finde dort Begriffe wie „Eiaufschlaglizenz“, „Verbandsbuch“, „Temperaturaufzeichnungspflicht“ oder „Leitern-Verordnung“.
Die Bäckerei Reitberger in Passau wurde 1825 gegründet und ist ein klassischer Familienbetrieb. Geschäftsführerin ist Susanne Szamosi, eine tatkräftige 52jährige, die die Bäckerei 2005 von ihren Eltern übernommen hat. Neben dem Hauptgeschäft in einem Ortsteil hoch über der Stadt gibt es zwei weitere Filialen. Außerdem beliefert der Betrieb verschiedene Hotels und Restaurants, Schulkantinen sowie Metzgereien und Bäckertheken in Supermärkten.
Derzeit hat sie 27 – überwiegend weibliche – Mitarbeiter:innen, zwei davon in Vollzeit. „Mein Vater wird heuer 80 und kommt auch immer noch jeden Tag in den Betrieb. Sein Fachwissen hilft mir heute noch, zum Beispiel beim Maschineneinkauf. Um die gute Beziehung zu ihm haben mich immer alle beneidet.“ Während ihr Ehemann als „Mädchen für alles“ auch zum Personal gehört, hat sie ihrem Sohn empfohlen, lieber einen anderen Beruf zu wählen. Er ist Lehrer geworden, kennt sich aber aus im Betrieb berät sie beim Marketing.
Bäckermeisterin ist die Chefin nicht, aufgrund einer Mehlstauballergie. Stattdessen wurde sie Lebensmittelfachverkäuferin, machte eine Weiterbildung zur Verkaufsleiterin und nach der Geburt ihres Sohnes in der Babyphase ein Fernstudium zur Betriebswirtin im Handwerk. „Um mit diesen ganzen Verordnungen klarzukommen, braucht man ein Studium, Bäckermeister zu sein reicht da nicht. Und ganz wichtig: man braucht einen Steuerberater. Bis vor sieben Jahren habe ich die Löhne noch selber gemacht, heute schaff ich das nicht mehr. Allein schon, wie man eine betriebliche Altersversorgung anlegt…“
Als ich sie leichtsinnigerweise frage, ob es ‚überflüssige Arbeit‘ gibt und ob die zugenommen hat, da legt Susanne Szamosi richtig los: „Früher waren es vielleicht zehn Verordnungen. Heute ist alles festgelegt. Früher haben wir einfach ein Preisschild gemalt. Jetzt ist die Schriftgröße vorgeschrieben und der Kilogrundpreis und alle Zusatzstoffe müssen draufstehen. Früher hat die Verkäuferin die Zusatzstoffe gewusst, heute stehen sie nur noch auf dem Schild.“ Und es geht noch weiter: „Der absolute Wahnsinn ist das Gesetz zur Schädlingsbekämpfung. Ich muss alle Mäusefallen dokumentieren und einen Plan dazu aufzeichnen. Doch wenn die Lebensmittelüberwachung kommt, wollen die nicht den Betrieb und die Mäusefallen sehen, sondern nur die Dokumentation. Wenn ich da irgendetwas vernachlässigt habe, ist es eine Ordnungswidrigkeit.“ Deshalb hat sie das an eine Firma abgegeben. „Die kommen einmal im Vierteljahr und schauen – aber ich zahl 1000 Euro dafür.“
Susanne Szamosi wünscht sich mehr Eigenverantwortlichkeit. Denn es ist ja im eigenen Interesse des Betriebs, dass alles sauber und hygienisch ist. „Unser Problem sind da eher die Vögel, die ins Licht fliegen. Deshalb achten wir sehr darauf, dass die Türen nicht offenstehen.“ Dann erzählt sie noch von ihrer neuen Kasse, für die sie eine Verfahrensdokumentation erstellen musste. Da muss genau festgehalten werden, was die Kasse alles macht. „Das hat viereinhalb Stunden gedauert, Zeit die ich eigentlich nicht habe“.
Ihre Wochenarbeitszeit schätzt sie auf 65 Stunden und erzählt etwas wehmütig von dem Tennis-Abo ihrer Eltern, die seinerzeit zweimal in der Woche einen halben Tag Tennis spielen gegangen sind. „Und ich komm oft den ganzen Monat nicht aus dem Haus.“ Aber Hobbies hat sie auch. Neben Lesen und Handarbeiten sind ihr “ganz großes Hobby meine Unternehmerfrauen. Da war ich 2016 zum ersten Mal. Nach einer Viertelstunde habe ich gemerkt: das sind meine Mädels, die haben dieselben Probleme und dieselbe Art zu arbeiten. Es ist eine tolle Gemeinschaft.“ Mittlerweile ist Susanne Szamosi 2. Vorsitzende der Unternehmerfrauen in Passau und Schriftführerin im Landesverband.
So ist es kein Zufall, dass auch Geschlechtergerechtigkeit ihr Thema ist: „Mein ganz großes Feindbild ist das Ehegattensplitting. Kein Mann würde für Steuerklasse 5 arbeiten.“ Außerdem würde sie die ’mitarbeitende Ehefrau‘ in Handwerksbetrieben abschaffen. „Der Steuerberater sagt zwar, dass das günstig sei, weil sie kein Gehalt bekommt und somit für sie auch nicht in die Sozialversicherungen eingezahlt werden muss. Doch wenn was passiert, steht sie ohne was da…..“
Darüber hinaus ist ihre Branche besonders von strukturellen Problemen betroffen. „In Niederbayern boomt die Automobilindustrie, da wird gut bezahlt. Mit Bussen werden die Leute abgeholt und dorthin gekarrt.“ In Bäckereien wiederum werden Cent-Beträge verdient bei gleichzeitig sehr kräftezehrenden Arbeitszeiten. Die Chefin selbst steht um 4 Uhr auf und geht um ¼ vor 5 ins Geschäft. „Da sind schon alle da. Ich mache eine Runde durch die Abteilungen – Konditorei, Backstube, Versand an die Hotels – und öffne um 5.30 Uhr den Laden. Bis um 8 Uhr ist dann richtig viel los.“ Das sind keine familienfreundlichen Öffnungszeiten. „Deshalb haben wir größere Personalprobleme, als andere Branchen. Wir sind auf Frauen angewiesen und wenn die um 6.30 Uhr anfangen, hat noch keine Kinderbetreuung offen.“
Die Unternehmerfrau findet, dass Arbeit lohnenswert gemacht werden müsste: „Mein Vorschlag ist: Der Mindestlohn dürfte nicht steuerpflichtig sein. Sonst ist der Abstand zum Bürgergeld zu gering.“ Sie klagt: „Es ist zu leicht, zu Hause zu bleiben.“ Und schon ist sie wieder bei den Verordnungen: „Das Infektionsschutzgesetz schreibt vor, dass alle, die mit Lebensmitteln arbeiten ein Gesundheitszeugnis brauchen. Um das zu bekommen braucht man eine Belehrung vom Arzt – und das jedes Jahr wieder durch den Betrieb.“ Sie regt sich auf: „Dass ich die Hände wasche, wenn ich was Dreckertes angefasst habe, ist doch selbstverständlich!“ Und noch ein Beispiel hat sie auf Lager: „Das Leiterprotokoll! Da muss ich festhalten, wie oft die Leiter gewartet wurde. Das seh ich doch selber, wenn eine Leiter nichts mehr taugt!“
Abschließend meint sie, und das ist ihr am wichtigsten, wenn sie etwas zu sagen hätte, „dann würde ich versuchen, die Menschen zu selbstständigen Bürgern zu erziehen, die selber denken und entscheiden. Dann könnte man so manche Vorschrift gleich verabschieden.“ Auch dazu hat sie noch ein Beispiel parat: „Das Arbeitsschutzgesetz schreibt vor, dass die Mitarbeiter keine Schutzvorrichtungen an den Maschinen abmontieren dürfen. Das müssen die jedes Jahr unterschreiben. Ist doch logisch, dass man nachschaut, wenn etwas nicht funktioniert. Sowas bringt uns um. Die Mitarbeiter hören nämlich auf, mitzudenken, weil alles geregelt ist.“