Forum für Philosophie und Politik
Von Kathleen Oehlke
„Engagiert Euch, wenn Ihr könnt!“ gab ein Veranstalter dem verbliebenen Publikum nach einer Demo mit auf den Weg. Mich hat der Satz, genauer gesagt, der Nebensatz „wenn Ihr könnt“, sehr berührt. Wer mit halbwegs offenen Augen durch die Welt geht, sieht, wo es hakt, wo es etwas zu tun gibt, wo es gilt, für ein besseres Leben zu kämpfen. Und dann tauchen da plötzlich die persönlichen Grenzen auf. Der Einsatz, sei es aktivistisch, in politischen Ämtern oder im Ehrenamt, kostet nicht nur Zeit, sondern auch Energie, körperlich wie mental. Dass diese persönlichen Grenzen beim Aufruf „Engagiert Euch“ mitgedacht und ausgesprochen wurden, hat mir gefallen. Viele Menschen, die aktivistisch, politisch oder sonstwie aktiv sind, gehen regelmäßig an ihre Grenzen und darüber hinaus. Nicht selten lauern ein schlechtes Gewissen oder Unzufriedenheit mit sich selbst hinter der nächsten Ecke und kommen anstelle der Anerkennung für das bereits Geleistete beim nächsten Nein hervor. „Wenn Ihr könnt“ heißt für mich: Manchmal kann eine eben nicht. Oder nicht so, wie sie gern möchte. „Wie Ihr könnt“ würde ich vielleicht noch ergänzen. Doch manchmal geben die eigene Gesundheit und / oder berufliche und private Verpflichtungen auch einen kleinen Beitrag nicht her. Hier lohnt sich vielleicht in einigen Fällen ein genauerer Blick: Wer ist in dem Hamsterrad gefangen, gegen das sich lohnen würde, auf die Straße zu gehen? Aber das ist dann ein anderer Text. In Zeiten von Selbstoptimierung und gefühlt immer mehr Baustellen auf der Welt, fand ich es wohltuend, sozusagen indirekt aufgefordert zu werden, die persönlichen Grenzen anzuerkennen. Dass die eigene Lebenssituation mit politischem, aktivistischem oder sonstigem Engagement aktuell nicht vereinbar ist, heißt ja nicht, dass eine in ungünstigen Verhältnissen verharren soll. Vielleicht braucht sie nur gerade ihre Energie, um sich dort herauszukämpfen oder gesund zu werden.
Zum Weiterlesen:
Annes Weg zur Klimaaktivistin: https://bzw-weiterdenken.de/2020/12/wie-ich-politisch-geworden-bin-eine-nachverfolgung-in-drei-schritten/ und ihr Plädoyer gegen das Unpolitischsein: https://bzw-weiterdenken.de/2021/09/plaedoyer-gegen-das-unpolitischsein/
Gedanken von Dorothee übers Ehrenamt: https://bzw-weiterdenken.de/2010/11/die-freude-am-schenken-bewahren-das-ehrenamt-als-bedrohte-kostbarkeit/ und Julianes Antwort darauf: https://bzw-weiterdenken.de/2010/11/perspektivenwechsel-wichtig-ist-nicht-was-ich-mit-dem-ehrenamt-schenke-sondern-was-freiwilliges-engagement-mir-gibt/
Und hier ist noch ein älterer Text von Antje, der all diejenigen beruhigen kann, die meinen, dass sie zu wenig tun: https://antjeschrupp.com/2012/06/29/alles-was-ich-machen-muss-ist-nichts-kaputt/
Liebe Kathleen,
danke für dein wunderschönes Blitzlicht. Bei dem Thema gehe ich natürlich auf wie ein Hefekloß, es bewegt mich weiterhin sehr.
Ich stelle fest, dass ich insgesamt milder geworden bin; mit mir selbst und meinen Mitmenschen. (Nicht in jeder Situation und bei jedem Gespräch! Aber tendenziell.) Es ist so wichtig zu verstehen, warum Menschen nicht aktiv sein können, in welche anderen energieraubenden Kämpfe und Prozesse sie eingebunden sind. Mittlerweile ist es so, dass ich weiß, dass die eigene Kraft gerade für viele andere reicht/reichen muss. (Für die also, die gerade andere Kämpfe haben, für die ich mir keine Energie und Zeit nehme/nehmen kann.) Also… wenn ich zum Beispiel gerade eine Aktion mache, habe ich mittlerweile das Gefühl, ich mache die Aktion mit und für viele andere. Das Gefühl wurde mir in den letzten Jahren von vielen Seiten vermittelt; vielleicht habe ich es auch eingefordert, ich weiß es nicht. Das stärkt jedenfalls sehr das eigene Sein auf der Straße; es gibt Kraft. Vielleicht ist es deswegen so wichtig, die jeweiligen Kämpfe der anderen anzuerkennen. Anerkennung ist sehr nahrhaft, finde ich. Ich gebe anderen Nahrung in Form von Anerkennung (immer noch zu wenig, aber tendenziell! ;), und ich nehme sie auf. Momentan fühle ich kaum “Energieraub”. Ich erschöpfe mich nicht mehr so sehr. Vielleicht, weil ich weniger mache und eben auch milder und gnädiger mit mir selbst geworden bin. Auch so ein einsickerndes Verstehen von… meine Erschöpfung und meine (unproduktive) Wut (gegen andere) ist eigentlich keine Energie, die die Welt braucht.
Aktivismus muss auch breiter verstanden werden: was ist das Ziel von Aktivismus? Menschen aufrütteln! Menschen informieren! Menschen für meine Sache gewinnen! Oder? Deswegen denke ich, wäre es doch schön, aktivistisch sein mehr zu verstehen als “aktiv sein”, “lebendig sein” und Lebendigkeit bei und gemeinsam mit anderen zu suchen. Vielleicht gewinne ich so mehr. Weniger schreien, weniger recht haben, mehr zuhören, lauschen, nachfragen, tasten, entlasten. Vielleicht halten sich viele auch von Aktivismus fern, weil es doch immer irgendwie “blamt”, also anklagt. Und man will weder Ankläger noch Angeklagter sein. Vielleicht ist das eine gesunde Abwehr. Vielleicht ist das nicht gut am Aktivismus. Vielleicht schenkt er zu wenig Freude. Dabei sollte er doch mehr Freude schenken, wenn man sie eh grad mit sich rumträgt.
Und vielleicht trägt der Aktivismus von sich aus zu wenig Tiefe in sich. Er muss proklamieren, raushauen, pointieren. Wir Aktivist*innen sind immer so voll, alles will raus usw. Aber Völle ist nicht gleich Tiefe. Völle platzt raus irgendwann, und die Tiefe kann dann nur über Umwege wieder erreicht werden (nach dem Wiederberuhigen, Entschuldigen usw.).
Ich glaube, Lebendigkeit ist weniger erschöpfend, freudvoller (auch wenn viele Tränen fließen) und energieschenkender. So verstanden verschwindet das wirklich nicht so tolle Gefühl des schlechten Gewissens, dass immer nagt und bohrt: ich habs doch verstanden und mach trotzdem nicht genug, ich bin nicht genug. Leute, die so in den Aktivismus “eintreten”, sind meist recht schnell mit dem Aktivismus unzufrieden. Der macht ja gar nicht dies und der macht ja gar nicht das, und alles viel zu wenig, ich will wirksamer sein, wenn ich meine Zeit schon herschenke! Das sind jetzt alles nur gerade ausformulierte Gedanken, aber… Aktivismus in einer politischen Institution oder Gruppe zu suchen… ich empfinde das mittlerweile als aufgestülpt, weil ich mich dann so hineinverbiegen muss dahin, wo die anderen so sind. Das ist natürlich ein Lernprozess; auch so bekomme ich irgendwann raus, wo und wie ich gern wirken möchte. Aber es ist auch frustrierend. Dorothee hat letztens so eindrücklich über solche Erfahrungen geschrieben, du hast den Text oben schon verlinkt.
“Eintreten” verstanden als “mich auf die Suche begeben” ist vielleicht richtiger. Auf die Suche begeben nach… es ist doch so: Erst einmal muss ich mich lebendig und verbunden fühlen. Und wenn daraus dann etwas erwächst, dann sind das immer schöne Pflanzen. Wenn ich merke… beispielsweise… wenn ich beim Töpfern ganz bei mir bin und mich verbunden fühle mit Material und Umgebung und den Leuten um mich rum… also jetzt komme ich alleine gedanklich gerade nicht weiter, weil Töpfern ist natürlich nicht aktivistisch… also so, wie wir Aktivismus momentan verstehen. Aber es führt zum Lebendigsein. Und aus diesem Lebendigsein heraus erwächst dann vielleicht eine Idee für ein aktivistisches Pflänzlein?
Lebendigsein bedeutet für mich, offen zu sein. Ich denke momentan viel am Offen- und Geschlossensein nach. Nur wenn ich offen bin, kann ich Menschen und Welt wahrnehmen. Aber Gesellschaft verlangt immer ein Geschlossensein, eine Stärke, ein “geschlossenes Ego” , abgeschlossene, fertige Gedanken, Absicherung durch Forschung usw. (weil du sonst auseinandergenommen werden kannst). (Da sind wir by the way wieder beim Denkumenta-Thema “Unklarheit”…) Offenheit bedeutet, verletzlich zu sein, verwundbar. Das passt einfach hinten und vorne nicht zusammen. Denn Aktivismus ist ja vom Wesen her nach außen gerichtet. Sich hier zu öffnen, ist ein zu großes Risiko. Wie ist das dann? Kann ich offen mit all meiner Lebendigkeit sein und geschlossen gleichzeitig (um mich vor Verwundungen zu schützen)? Vielleicht… um an Gedanken weiter oben anzuknüpfen, denke ich deswegen, dass Aktivismus auch Vier-Augen-Gespräche (beim Töpfern ;) sein können… oder nicht nur Sprache und Worte (warum immer Gespräche!), sondern einfach gemeinsam in derselben Welt gerade SEIN. Wo eine Öffnung von beiden Seiten möglich ist (auch wenn man nicht einer Meinung ist) und man sich dadurch gemeinsam weiterhangelt im gegenseitigen Ergründen.
Letztens habe ich in einem Podcast gehört… die meisten Menschen haben gute Absichten. Gute Absichten und deren Umsetzung aber ziehen oft ein Knäuel an (auch negativen) Konsequenzen (für andere, für einen selbst, für was auch immer) nach sich, die mit dieser “guten Absicht” nicht beabsichtigt waren. Aber nun ist es in Gang. Wut erscheint auf der Bildfläche, Nichtgesehenwerden kommt hervor, Enttäuschung usw. Was nun? Ich hatte doch nur die besten Absichten! Versteht das doch! Und nun, sagt doch, wie weiter? Verschließe ich mich jetzt oder werfe ich mich “zum Fraß” vor, also auch im Sinne von Öffnen und Durchlässigmachen für Kritik und Veränderung der “guten Absicht”? Und geht das nicht dann einfach immer so weiter? ;)
Jetzt habe ich so schlecht über Aktivismus gesprochen. Oder? Wir brauchen doch Aktivismus! Oder? Es bringt doch auch etwas! Menschen sind dankbar, wenn andere aktivistisch sind! Ist Aktivismus per sé negativ für die Körper*in? Und wenn er von einer Körper*in als positiv wahrgenommen wird (Adrenalin, Aufmerksamkeit, Gehörtwerden!), ist er dann nicht nur ein Egopusher? Es gibt so wenige, die die Balance halten können zwischen Offen- und Geschlossensein. (Ich zum Beispiel habe nach Aktionen immer das Gefühl, entweder zuviel oder zu wenig gegeben zu haben.) Das sind dann meistens schon gleich so Persönlichkeiten wie Martin Luther King Jr., die diesen Drahtseilakt hinbekommen.
Für mich – nochmal ans Denkumenta-Thema anknüpfend – hat dieses Balancehalten zwischen Offen- und Geschlossensein etwas mit Verweilenkönnen in Unklarheit zu tun. Wie genau, müsste ich jetzt noch ergründen.
Ich würde hier gern weiterdenken. Vielleicht hat irgendeine* Lust.
Liebe Kathleen
Du schreibst: «In Zeiten von Selbstoptimierung und gefühlt immer mehr Baustellen auf der Welt, fand ich es wohltuend, sozusagen indirekt aufgefordert zu werden, die persönlichen Grenzen anzuerkennen.»
Die persönlichen Grenzen zu kennen und anzuerkennen ist, aus meiner Sicht, Selbstoptimierung. Eine wichtige Sache. Überfordert und im Stress zu sein, gehört aber auch zum guten Ton und ist ein Ausrufezeichen für die eigene Wichtigkeit.
Aber ich persönlich nehme eine gelähmte Gesellschaft. Und es freut mich sehr, dass du das anders erlebst.
„Engagiert Euch, wenn Ihr könnt!“ Verstehe ich lieber als Hinweis, dass es grade sehr wenig gibt, wo ich mich engagieren kann. Ausser dem guten alten Ostermarsch finde ich z.B. keine Aktionen gegen die Militarisierung unserer Gesellschaften und dem damit einhergehenden Sparübungen in den Bereichen Bildung bis Kultur.
Wenn es um Grenzen geht, dieser neuen Politik würde ich sehr gerne Grenzen setzen:
«Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP)hatte die Schulen in der Verantwortung gesehen, junge Menschen angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch auf den Kriegsfall vorzubereiten – etwa in Form von Zivilschutzübungen. Zudem rief sie die Schulen auf, ein «unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr» zu entwickeln.» Quelle: dpa Sachsen
Gabriele Schärer