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Zum Tod der Frauenstudien-Gründerin Helma Mirus

Von Juliane Brumberg

Am 7. November 2023 ist die Feministin Helma Mirus im Alter von 84 Jahren gestorben. Sie hatte 1988, also vor 35 Jahren, den Verein Frauenstudien München zusammen mit Erika Wissellinck gegründet. Ein Porträt über sie hätte gut in unsere Serie über weniger bekannte Feministinnen gepasst, doch zu einem Interview mit ihr ist es nie gekommen. Stattdessen möchten wir an sie erinnern mit einem Vortrag, den sie selber zum 20jährigen Bestehen von Frauenstudien München am 29. November 2008 gehalten hat:

Helma Mirus im Jahr 2007, in etwa die Zeit, in der sie sich an die Gründung von Frauenstudien München erinnert. Foto: Juliane Brumberg

„Alles begann mit einem einwöchigen Seminar… Unter dem Thema ‚Feminismus und Spiritualität‘ analysierten rund 150 Frauen ihre gegenwärtige Position in unserer Gesellschaft, wie sie es seit dem Anfang der 1970er Jahre überall in Deutschland und anderen Ländern Europas auf den verschiedensten Ebenen taten. ‘Das Persönliche ist politisch‘ – das war der Slogan der 68er Bewegung, der den Frauen besonders entsprach.

Meine eigene Entwicklung zur Feministin hatte ebenfalls in den 1970er Jahren begonnen, zaghaft, langsam, ein schmerzhafter Geburtsprozess, ausgelöst durch die Situation nach der Geburt meiner beiden Kinder. Sie sind mit nur kurzem Abstand zur Welt gekommen und so war ich gezwungen, meinen Beruf als Journalistin, in dem ich mich noch gar nicht hatte etablieren können, wieder aufzugeben. Ich wurde eine, wie man damals sagte, typische grüne Witwe, erschöpft von der Familienarbeit und angewiesen darauf, dass der abends heimkehrende Ehemann mir die Welt vermittelte.

Erschöpfung, Unzufriedenheit, Minderwertigkeitsgefühle erschienen mir lange als Folgen persönlichen Versagens – bis ich an die richtigen Bücher geriet, allen voran als Tür- und Augenöffner das Kursbuch Nr. 17 zum Thema Frau-Familie-Gesellschaft. Die Fakten zur Situation der Frauen und ihre Interpretation durch weibliche Forscherinnen ließen mich erkennen, dass meine Probleme nicht in erster Linie individueller, sondern gesellschaftlich-struktureller Natur waren. Das war zunächst ungeheuer erleichternd, doch schnell kamen Wut und Schmerz hinzu. Wut darüber, dass die – wie mir schien – so offenkundige Situation nicht im Bewusstsein der Gesellschaft war, und natürlich auch nicht in dem meines Mannes.

Tiefer als die Wut gingen Trauer und Schmerz. Ich hatte mich bis dahin, mir unbewusst, ganz mit dem Denken und der Kultur Europas identifiziert. Nun musste ich erkennen, dass ich als Frau nie mitgemeint war bei all den erhabenen Beschreibungen der menschlichen Bestimmung. Ich hatte keinen Platz mehr in diesem Geistesgefüge und durch den Ausschluss der Frauen erschien mir das Gefüge selbst verlogen, nur durch Machtinteressen definiert und aufrechterhalten.

Doch je mehr ich las und hörte, desto mehr dämmerte mir die geradezu körperlich beglückende Erfahrung, dass es eine Weltsicht gab, die uns Erkenntnisse und Bilder für die Veränderung unserer jetzigen Situation vermitteln konnte.

Meine wichtigste und mich geradezu überwältigende Erkenntnis und zugleich die tiefste Erfahrung war die Verbindung von Politik und Spiritualität, wie sie vor allem durch Starhawk repräsentiert wurde, die Ökofeministin und Friedenskämpferin, die in den USA mit großem Erfolg die heidnische, frauenzentrierte Spiritualität wieder zum Leben erweckt hatte.

Die Tage des intensiven Zusammenseins zeigten nicht nur mir sondern uns allen, wie viel Aufbruchstimmung, Lust auf Veränderung und wie viel Kraft in uns geweckt werden können, um neue Bilder von uns und der Welt zu erschaffen. Wir redeten uns die Köpfe – und die Herzen – heiß, lachten und tanzten, feierten Rituale, freuten uns unserer Unterschiedlichkeit und Vielfalt, entdeckten unser Potenzial.

So veränderte sich für mich der Feminismus hin zu einer Basis für mein Leben, die mich in Freude trug. Und um wie viel wirksamer ist Freude als Lebensgrundlage auch für politisches Handeln als Schmerz und Trauer! Die Medien erahnten wohl die Sprengkraft solchen Denkens, denn ihre Berichterstattung war überwiegend hämisch bis bösartig, und – natürlich – von Frauen abgefasst!

In unserem Beruf als Journalistinnen hatten Erika Wissellinck und ich schon vorher immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir Frauenthemen und Forschungsergebnisse aus Frauenbereichen in den offiziellen Medien nur sehr schwer unterbringen konnten, dass aber bei Frauen ein großes Interesse daran bestand. Darum beschlossen wir nun, Frauen aus allen Lebenssituationen direkt anzusprechen, um ihnen die neuen Erkenntnisse der Frauenforschung zu vermitteln und gemeinsam nach Wegen zu suchen, diese Erkenntnisse zu nutzen für den eigenen Alltag und das gesellschaftliche Engagement. Kein einziger Lebensbereich sollte ausgespart bleiben bei unserem Vorhaben, ein neues Weltbild aus Frauensicht zu entwerfen, das, anders als die patriarchalen Strukturen, dem Leben dienen kann.

Glücklicherweise gab es bereits den gemeinnützigen Verein ‚Frauenstudien München‘. Die Gründungsfrauen des Vereins sahen sich genau zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit weiterzuführen und freuten sich über unsere Pläne. So konnten wir im Januar 1988 die ersten Kurse zur Einführung in feministisches Denken anbieten! Ich erinnere mich wie heute an die Begeisterung, die uns Organisatorinnen, die Referentinnen und die Teilnehmerinnen erfüllte. Diese kamen so zahlreich, dass wir den Kurs schon wenige Wochen später wiederholen konnten. Bald bildete sich ein fester Kern von Frauen heraus, die ganz regelmäßig kamen, auch schon früh Funktionen im Verein übernahmen und die sich z.T. bis heute engagieren!

Das hat nach meiner Meinung auch ganz stark mit einer weiteren Überzeugung von uns Gründungsfrauen zu tun: Wir wollten nicht nur ohne jede Einschränkung für alle interessierten Frauen offen sein, sondern sie und uns gegenseitig auch als wirklich Gleichberechtigte behandeln. Es gab Zuständigkeiten und Verantwortung, ohne die keine Organisation existieren kann, aber es gab keine Hierarchie. Und mit diesem Ansatz haben wir 20 Jahre durchgehalten!“ 

Im Jahr 2013 hat Helma Mirus dann zusammen mit anderen Frauenstudienfrauen der ‚1. Generation‘ den feministischen Schlüssel an die nächste Generation mit Barbara Streidl und Susanne Klingner weitergeben.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 06.01.2024
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Dorothee Markert sagt:

    Liebe Juliane, ich bin sehr froh, dass du diesen Nachruf verfasst bzw. zusammengestellt hast, so dass Helma Mirus jetzt doch noch in unserem Forum gewürdigt wird. Vielen Dank dafür! Helmas Engagement war nicht nur für Frauenstudien München wichtig, sondern auch für einige von uns Redakteurinnen und Autorinnen hier, deren Anliegen es war, das italienische Geschlechterdifferenz-Denken zu vermitteln. So leitete sie eine Tagung in Heilsbronn – ich glaube, es war 1999 – bei der gleich drei Referentinnen dieser Denkrichtung und auch Erika Wisselinck eingeladen waren. Es war eine wunderbare Tagung, mit von Erni Kutter angeleiteten Tänzen. Für mich war es das erste Mal, dass das Referieren mir richtig Freude machte und nicht nur Angst. Und das hatte auch mit ihrer freundlichen und souveränen Moderation zu tun. Mehrmals wurden wir Referentinnen danach zu Vorträgen in München eingeladen einschließlich Übernachtungsangebot von Helma. Und schließlich war Helma auch an der Entscheidung beteiligt, die Druckkosten für eine Buchübersetzung aus dem Nachlass von Erika Wisselinck zu bezahlen, ich glaube, es war für “Denken in Präsenz” von Chiara Zamboni. So haben wir Helma viel zu verdanken. Ich bin sehr traurig, dass sie nicht mehr da ist, denn wir waren auch persönlich ein bisschen befreundet.

  • In unsere Trauer über den Tod von Helma Mirus fließt zugleich die Dankbarkeit für ihre großartige Person und ihr reiches Wirken für eine Gesellschaft mit feministischem Bewusstsein.

    Im Jahr 2009 durfte ich Helma Mirus persönlich kennenlernen. Gemeinsam mit Gabriele Meixner war sie zu uns in den Verlag gekommen. Es ging um die Biografie von Erika Wisselinck, die, unterstützt von der Nachlassverwaltung durch Helma und geschrieben von Gabriele, entstehen sollte. Wir waren daran interessiert, das reiche Wissen von Erika festzuhalten und das Buch herauszubringen.

    Schon 1999 legten wir ein vergriffenes Buch neu auf, das von Helma Mirus und Erika Wisselinck als Dokumentation des Festes der 1000 Frauen in Frankfurt erschienen war: „Mit Mut und Phantasie. Frauen suchen ihre verlorene Geschichte“. In 2000 begegnete ich Erika dann beim Fest des Jahrtausends der Frau im Hambacher Schloss persönlich. Wir machten gemeinsame Planungen, führten in der Folge etliche Telefonate, legten ihr vergriffenes Buch „Anna im Goldenen Tor. Gegenlegende über die Mutter der Maria“ neu auf – zu mehr kamen wir leider nicht mehr.

    Nun ging es um ihre Biografie. Helma Mirus betreute den Nachlass und wollte sich deshalb persönlich davon überzeugen, dass das Leben von Erika Wisselinck bei uns in guten Händen sei. Mich hat diese Frauensolidarität über den Tod hinaus sehr berührt. So kamen wir zu einem guten Ergebnis und Gabriele konnte ein überzeugendes Werk verwirklichen: „Wir dachten alles neu. Die Feministin Erika Wisselinck und ihre Zeit“ war für Helma, die auch lektorierte, der richtige Titel dieses Buches.

    Vielen Dank, liebe Juliane, liebe Dorothee, für die wichtige Erinnerung an eine großartige, wegweisende Frau, auf deren Spuren noch viel zu entdecken ist.

  • Cornelia Roth sagt:

    Für mich war Helma Mirus eine wichtige Mentorin. Wie Dorothee Markert schreibt, war es ihre freundliche und zugleich souveräne Art, die mir auch half, bei Frauenstudien München einzusteigen – bis ich eines Tages selbst im Vorstand von Frauenstudien landete. Sie ging auf andere ein, blieb aber klar und durchaus radikal. Ihre Frische und ihr Schwung zogen mit! Und sie hatte es gar nicht damit, sich zur charismatischen Frontfrau zu stilisieren – ich kannte sie eigentlich immer im Gespräch mit Mitstreiterinnen.
    Ich hab mich gefreut, daß ich in den alten Unterlagen von Frauenstudien München ihren obigen Vortrag zum 20. Geburtstag gefunden habe und zur Verfügung stellen konnte – er ist so persönlich und zugleich so klipp und klar!

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