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Rubrik Blitzlicht, denken

Aus Liebe zur Welt: Zum globalen Klimastreik am 15. September

Von Anne Newball Duke

Klimastreik in Esslingen am Neckar im September 2022.
Foto: Anne Newball Duke

Jede Person weiß auf irgendeine Art, dass die Lebensformen miteinander verbunden sind; und dass sie zutiefst eingewoben in diesen Verbund ist. Jeder Mensch ist ja im Grunde selbst eine Bereitsteller*in für verschiedenste Lebensformen in der eigenen Körper*in. Jede Person ist ökologisch, so Timothy Morton in Ökologisch sein.

Jede Person weiß auch auf die ein oder andere Art, dass wir uns in einer Klimakatastrophe, in einem Massenaussterben befinden. Und jede Person geht mit diesem Wissen anders um: einige geben sich ganz dem „Genre der Information über globale Erwärmung“ hin, wobei der Darbietungsmodus darin besteht, anderen Leuten „ganze Wagenladungen an Tatsachen in Gesicht zu kippen“. Andere wiederum werden zu Klimaleugner*innen; sie sagen, „euer Modus versucht mich von etwas zu überzeugen, das ich nicht glauben will; mir soll eine Überzeugung eingetrichtert werden“. Sie wollen sich der Befremdlichkeit des modernen wissenschaftlichen Zeitalters viel lieber durch Fake-News-Kontern, Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit und Abschottung entziehen. Beide Gruppen sind aber gar nicht so weit voneinander entfernt. Beide pflegen in der Regel eine Reihe sich überlappender und widersprüchlicher Haltungen. Vielleicht ist es an der Zeit, Uneindeutigkeit und Mehrdeutigkeit mehr Raum zu lassen. (vgl. Timothy Morton)

Der Umbau des menschlichen Lebens hinein in die planetaren Grenzen muss von immensem Ausmaß sein. Um die Lösungsvorschläge aus der Machbarkeitsstudie umzusetzen, ist eben nicht nur der Ausbau von Technokratie, technischen Innovationen und ForschungForschungnochmalForschung im alten Stile vonnöten. Vielmehr hoffe ich, dass der (sehr europatriarchal geprägte) Glaube an diese Methoden und Strukturen in bald absehbarer Zeit Risse bekommen wird. Denn gleichzeitig muss das ganze Europatriarchat  – sprich Patriarchat, (Neo-)Kolonialismus, Rassismus, Kapitalismus (genauere Definition siehe Minna Salami in Sinnliches Wissen) – in den nächsten Generationen aus den Körper*innen verbannt werden und durch Formen der Lebensgestaltung ersetzt werden, die erdgebunden sind, und das wird nicht funktionieren mit „den Werkzeugen des Meisters“ (Audre Lorde). Wir lassen weiterhin kaum ent-europatriarchalisiertes Wissen an unsere Wissenschaftskonzeptionen, an unseren Wissenskanon und unsere Wissensvermittlungen heran, um den sozialen Umbau in die planetaren Grenzen hineinzudenken. Dabei ist das Wissen da. Es gibt weltweit einen Riesenfundus an Praktiken, Erfahrungen, Wissen und Forschungsideen; dem müsste einfach auch Priorität eingeräumt werden. Sonst ist der ganze Technikkram, für den wir nun wieder Unmengen an Lebensräumen und Lebensformen opfern, völlig umsonst.

Das alles ist riesig. Und es wird viel Chaos und Unklarheit herrschen in diesen jahrzehnte-, vielleicht sogar jahrhundertelangen Umbauzeiten. Wie soll es bei diesen „rosigen Aussichten“ zu den notwendigen sozialen Kipppunkten kommen? Wer ist schon für Chaos und Unklarheit? Wir haben nicht gelernt, mit Unklarheit und Chaos in sinnstiftender Weise umzugehen.

In all dieser Unklarheit können wir es eigentlich nur wie Anna in Frozen machen: Schritt für Schritt vorangehen. Der Intuition vertrauen, dem Körper*innengefühl nachgehen, weiterfühlen, weitertasten, Risiken eingehen, weiterdenken, immer weiterdenken, und zwar im Visier keine Wundertechnik oder technokratische Lösungen, sondern im Visier einzig und allein das gute Leben für alle Würdeträger*innen auf dieser Welt. Das ergäbe ganz andere, u.a. viel Care-zentriertere (hier werden – auf Englisch – verschiedene Ansätze vorgestellt und diskutiert) Umbaupläne und Inhalte als sie jetzt in irgendwelchen Green New Deals verhandelt werden und wurden. Es würde einfacher und komplexer zugleich. „Einfacher“, weil unsere Erdgebundenheit eigentlich nicht so schwer zu verstehen ist, und die Liebe zur Welt auch nicht so schwer zu fühlen ist, denn wir tragen sie in uns, auch wenn sie vielleicht unter diversen (europatriarchalen) Traumata verschüttet liegt. „Komplexer“, weil wir sodann erkennen, wie genau unsere persönlichen wie gesellschaftlichen Verstrickungen in den europatriarchalen Machtzentralen verknotet sind, und die zu lösen… well… und so lange die kognitive Dissonanz aushalten… well well… dafür braucht es von nun an und für alle kommenden Generationen viel Willen und Hingabe zur Liebe zur Welt.

Ökologische Tatsachen zu leben ist schwierig: Vielleicht verlangen ökologische Fakten, dass wir nicht gleich wissen, was zu tun ist und wie wir uns aus all den Verstrickungen befreien können, in welche die Menschheit die Welt seit Jahrtausenden eingewoben hat? Wir alle, inklusive der kommenden Generationen, werden auf den Wegen, die wir so einschlagen werden, viele Fehler machen. Was wir im jeweiligen Moment für die wichtigste Aufgabe halten, wird sich später vielleicht als irrelevant herausstellen, als kein Knotenpunkt der Verstrickungen, der hätte gelöst werden müssen usw. usf.; und wir können und dürfen dann trotzdem stolz darauf sein und unsere Versuche feiern. Weil wir es nicht besser wussten. Weil wir aus Liebe zur Welt mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

Ich schlage als einen Ort für das Trauern um alle Verluste und das gleichzeitige Feiern aller Lebensformen und sinnstiftenden Wegbeschreitungen eine Institution vor, die seit vier Jahren beweist, dass sie alle Kriterien dafür erfüllt: den globalen Klimastreik. Wir laufen hier eine kleine Wegstrecke gemeinsam – egal wo wir uns raumzeittechnisch oder wissenstechnisch gerade befinden: ob in Berlin, Lagos, Seattle oder am Niger oder im Nationalpark Yasuní; und ob noch in Gleichgültigkeit verhangen oder mitten im übereifrigen Faktenaufzählen pro Klimakrise.

Der Klimastreik ist für mich eine Feier, die die Unklarheit zulässt, sowie Unbekümmertheit und Offenheit, genauso wie die altbekannte Betroffenheit, die Wut und den Zorn. Alles kann raus und hat Platz auf diesem gemeinsamen Weg. Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wie soll’s gehen? Keine Ahnung, aber wir sind dabei! Ich spüre, wie durch mein Laufen Energie entsteht, durch das Laufen aller um mich herum, durch das Laufen von klimastreikenden Leuten überall auf dieser Welt. Ich spüre, wie sich diese Energien zu einer verbindet, die durchaus ambivalente Strömungen beinhalten kann; das macht sie nur größer und wirkungsvoller. Die Energie enthält einen wilden Mix aus Gefühlen von Trauer, Verlusten, Enttäuschungen, aber gleichzeitig kommen Leute in Resonanz miteinander, geben sich Mut, Hoffnung und Energie. Die Energie wirkt wie eine Lebensform, die um die Welt reist. Und beim Laufen im Hier und Jetzt werde ich ihrer gewahr, ich kann in ihr baden und auftanken, und ich erkenne und fühle die Verbindungen. Und sobald ich mich auf das Spüren einlasse, eröffnet sich mir die Chance auf ein Schönheitsereignis.

Wenn sich Schönheit ereignet, nimmt meine Liebe zur Welt kurzzeitig Form und Farbe an und ich erkenne schlagartig, dass diese Energien und Verbindungen auch zu anderen Zeiten existieren und ich sie viel öfter spüren könnte, wenn ich meine Körperin nur wieder mehr auf ihr Erspüren einstelle. Das heißt dann noch nicht, dass ich weiß, was meine sinnstiftende Tätigkeit sein könnte. Aber aus Erfahrung weiß ich: das findet sich, wenn ich der Liebe zur Welt Raum und Zeit gebe.

Am 15. September ist wieder globaler Klimastreik. Wo in deiner Nähe, erfährst du hier.

Autorin: Anne Newball Duke
Eingestellt am: 23.08.2023
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