beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik denken, handeln, hervorbringen

Klimatätigkeit ohne Daten und Fakten

Von Anne Newball Duke

Kinn Hals Schultern.
Foto, wie auch alle folgenden: Anne Newball Duke
Aus der Abb. von Evelyn De Morgan, “Cassandra”, 1898/Bridgeman Images hier in der ZEIT Nr. 2 vom 7.1.2021, S.45.

Immer wieder kommt es vor, dass Leute – besonders Ü40-Personen – mir sagen, dass sie das mit dem Klima schon verstanden haben und gerne etwas tun würden, aber dass sie zu wenig „Daten und Fakten“ oder auch „faktenbasierte Argumente“ wüssten, um klimatätig werden zu können (im Sinne von „dürfen“). Oder dass sie leider noch Auto fahren und sich auch ab und zu einen Coffee-to-go holen und dann wegen dieser „Verbrechen“ sicher nicht in eine klimaaktive Gruppe aufgenommen würden. Oder dass sie das lieber den Jüngeren überlassen; sie wollten ihnen nicht reinquatschen oder ihnen „die Show stehlen“. Mich hat das eine Weile umgetrieben, und oft rätsle ich: sind das Ausreden oder glauben manche Leute wirklich, man könne zu wenig wissen, oder man müsse „klima-perfekt“ oder „jünger“ sein, um politisch klimatätig zu werden?

Vor allem treibt mich um, wie das mit dem „Klima verstehen“ gemeint ist. Um ein tiefes Verstehen kann es hier doch nicht handeln? Ich habe vor allem am ersten Argument immer weiter rumgedacht. In Gesprächen antworte ich dann oft: „Weißt du, viele Leute, mit denen ich mich unterhalte, wissen mehr Daten und Fakten als ich. Aber dennoch bin ich die Klimaaktive. An der Menge an Daten und Fakten, die jemand drauf hat, kann es also nicht liegen, ob eine Person klimatätig wird oder nicht.“ Mittlerweile glaube ich, dass es bei vielen Menschen nicht eine bestimmte Menge an Daten und Fakten sind, die das Fass zum Überlaufen – direkt hinein in die Klimatätigkeit – bringen. Was ist es dann? Oder was könnte es sein? Was könnte ein Person außer Daten und Fakten noch in die Klimatätigkeit bringen?

Auf die Idee, über mein diesbezügliches Nachdenken zu schreiben, brachte mich meine Bzw-Kollegin Juliane. Sie meinte, meine Herangehensweise könne vielleicht auch für einige Leser*innen spannend sein.

Dazu zunächst ein paar Schlaglichter aus der gewohnten Welt der Daten und Fakten, um mich dem Thema sodann auf tieferen Körper*innenebenen anzunehmen.

Klimanotstand lernen über Daten und Fakten

Vorletzte Woche gingen die Klimafit-Kurse zu Ende, die ich in zwei Städten in der Nähe in den jeweiligen VHSen geleitet hatte. In den Kursen geht es viel darum zu verstehen, was gerade passiert mit unserem planetaren Klimasystem. Natürlicher und menschengemachter Treibhauseffekt, Kippelemente und Kaskadeneffekte im Erdsystem… alleine nach den beiden Themen wird es meist sehr still im Seminarzimmer. Es ist brutal, in dieser Form die Wahrheit zu hören. Nach den Schockmomenten geht es oft direkt über in Handelnwollen: „Was kann ich tun, wo kann ich mehr Energie sparen?“ „Stecke ich mein Handy korrekt an die Steckdose, oder kann ich hier mit einer perfekten Aufladetechnik vielleicht mehr Strom sparen?“ „Ich wasche meine Haare bereits unter dem Wasserhahn mit einem Ökoseifenstück, das spart Wasser und ist nicht schwer: warum tun das nicht alle?“ Ja, warum tun das nicht alle. Warum verstehen so viele Menschen das nicht. Diese Frage kommt ständig und immer wieder, durchzieht die Kursabende. Es gibt sehr viel mehr männliche Teilnehmer; viele von ihnen Ingenieure oder zumindest sehr technikaffin. Viele von ihnen wissen, wie die Klimakatastrophe zu lösen ist. Ganz einfach. Technik hier, Technik da. Einfach mal die Expert*innen machen lassen. Aber geht ja nicht. Weil es so viele dumme Menschen gibt, die falsch wählen usw. Ja, die „dummen Menschen“, auch die tauchen ständig wieder auf. Das sind die Menschen, die es noch nicht kapiert haben. Die ihre Augen verschließen vor der Katastrophe, die längst auch bei uns sehr sichtbar Fahrt aufgenommen hat.

Was können wir tun? Nun ja… theoretisch… machbar ist alles…

In der Machbarkeitsstudie des Wuppertal Instituts von 2020, das die Fridays in Auftrag gegeben haben, ist die Klimaneutralität ebenfalls rechtzeitig schaffbar, wenn wir sofort beginnen, all die technischen Machbarkeiten und politischen Maßnahmen umzusetzen (Tempolimit ist da noch der kleinste Klacks), alle Forschungen darauf lenken, usw. usf. Was hindert uns? Genau. Die dummen Menschen. In der Machbarkeitsstudie stehen folgende Sätze, schön verteilt über die insgesamt 130 Seiten; ich habe hier nur 20 Seiten ins Visier genommen: „durch Verhaltensänderungen“ (S.34), „[…] sofern hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz umsetzbar […]“ (S.43), „Ebenfalls könnten sich hohe Photovoltaik-Kapazitäten infolge einer mangelnden Akzeptanz des Windenergieausbaus als notwendig erweisen.“ (S.45), „Für eine Realisierung eines solche schnellen Ausbaus ist allerdings eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energie zentral.“ (S.48), „Vielmehr dürfte die Herausforderung darin liegen, planungsrechtliche Schritte zu beschleunigen und ausreichende Akzeptanz für den Netzausbau sicherzustellen.“ (S.49), „Die Höhe des Bedarfs variiert in den Szenarien unter anderem in Abhängigkeit von den jeweiligen Annahmen zu […] Verhaltens- und Lebensstiländerungen […]“. (S.50), „[…] auch die gesellschaftliche Akzeptanz für die Erschließung notwendiger Potenziale gewährleistet sein.“ (S.52), „[…] erhebliche Akzeptanzprobleme vor Ort zu überwinden sind.“ (S.54)

… aber… „die gesellschaftliche Akzeptanz“…

Die Studie sagt dann aber wenig über die „Machbarkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz“, obwohl sie anscheinend einer der sehr wichtigen Schlüssel zu den notwendigen Veränderungen ist. Wo sind die Sozial-, Politik-, Geschichts-, Kultur- und Geisteswissenschaften? Sie haben nichts beigetragen zur Machbarkeitsstudie, wurden nicht gefragt, was weiß ich. Ich bin nicht mehr so gut informiert darüber, ob in diesen Wissenschaftsbereichen in Forschung und Lehre die Zukunft und die planetaren Grenzen mittlerweile ein bisschen mehr in den Blick geraten sind; ich hatte zumindest in dieser Hinsicht vor acht Jahren noch gar kein Gefühl des Aufbruchs verspürt an den Fakultäten, an denen ich mich rumgetrieben habe. Ich verallgemeinere, ich weiß; unter den Scientists for Future gibt es auch Kulturwissenschafler*innen usw., aber es ist immer noch eine kleine Minderheit. Und auf den Klimastreik gehen als Dozent*in oder Professor*in der Romanistik beispielsweise ist die eine Sache, aber wird dazu in ihren Fächern auch geforscht, werden trans- und interdisziplinäre Verbindungen beispielsweise zur Migrationsforschung hergestellt; hat die Zukunftsforschung endlich einen Schub bekommen auch in diesen Fächern, werden Szenarienmethoden getestet und in sinnvolle interdisziplinäre Zusammenhänge gesetzt?

Teil vom Titel Worte Sprache Teil vom Autornamen Hand Teil vom rechten Arm und vom Kopf

Ansätze dafür gibt es. In der Zeit gab es am 7.1.2021 auf Seite 45 einen Artikel von Benedikt Herber mit dem Titel „Die Krisenseismografin“: „Kann Literatur Kriege und Krisen vorhersagen? Tübinger Forscher probieren das gerade mit ihrem ‚Cassandra-Projekt‘ aus – im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums“. Darin sagt Jürgen Wertheimer, emeritierter Professor der Germanistik: „Die Literatur ist zwar wie eine Schnecke. Allerdings eine Schnecke, deren Fühler weit nach vorne reichen. Sie reichen in die Zukunft. […] Natürlich behaupten wir nicht, den alles überragenden Zugang zu menschlichen Konflikten zu haben. Das wäre vermessen.“ Aber – so heißt es weiter – „durch die Krisen – sei es Corona oder Klima – habe die Politik gemerkt, wie wichtig Prognostik sei. Dass man frühzeitig reagieren müsse, bevor sich die Situation kaum mehr kontrollieren lasse. ‚Leider setzt sie Politik jetzt fast ausschließlich auf quantitative Forschung, auf Big Data und KI.‘ Für Kulturwissenschaften ständen in den Ministerien häufig keine Budgets mehr zur Verfügung – man konzentriere sich auf das, was angeblich ‚systemrelevant‘ sei. Eigentlich muss man sich gegenseitig ergänzen: ‚Wir gehen dorthin, wo automatisierte Textanalysen nicht hingelangen können. Auf die Ebene von Assoziationen und Ambivalenzen.‘ Wenn Entscheidungsträger diese nicht mehr begriffen, menschliches Handeln nur noch auf Einsen und Nullen herunterbrächen, dann sei das gefährlich.“

Mein Gefühl ist, dass dieses „Denkloch“ durch die quasi nicht vorhandene Forschung in den sogenannten Geisteswissenschaften – außer in solchen immer gefährdeten Leuchtturmprojekten wie diesem – auch sehr spürbar ist im Klimaaktivismus. Zwar schauen wir Klimaaktiven uns diese „Ebenen von Assoziationen und Ambivalenzen“ eventuell mal unter der psychologischen Brille an, aber das ist eben bei weitem nicht die einzige, die aufgesetzt werden sollte!

Ich bin überzeugt, dass es in den meisten Menschen grad arg antagonistisch, schizophren und ambivalent abgeht: Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen hat zwar das mit der Klimakrise verstanden, wie Umfragen belegen, und will dann aber irgendwie doch keine echte 1,5-Grad-Politik. Es herrscht ein Abgrund zwischen „Wissen im Kopf angekommen“ und „Was machen mit diesem Wissen/Wie jetzt weiter mit dem Wissen umgehen“. Es braucht also eine Brücke zur Überwindung des Abgrunds. Diese Brücke ist der Weg hin zu den sozialen Kipppunkten. Genau hier – an diesem Punkt des Nachdenkens – muss politische Klimatätigkeit ansetzen. Wie bauen wir diese Brücke? Was hilft dabei? Wichtigstes Baumaterial ist Zeit. Zeit für intensive Beschäftigung und für Austausch; Zeit zum Nachdenken und Fühlen und Wirkenlassen der Klimakrise in der Körper*in. Hierfür braucht es ganz dringend das feministisch gedeutete BGE und Arbeitszeitverkürzung.

Und es braucht ganz dringend neue Methoden der Körper*innenwahrnehmung. Damit gleichzeitig unter der entstehenden Brücke dieser Abgrund langsam aber sicher mit warmer weicher fruchtbarer Erde, mit Wasser und Leben aufgefüllt wird. Das ist grundsätzlich möglich, denn der Abgrund existiert für die Körper*in nicht; sie existiert nur in unserem europatriarchal geprägten Körper*inumgang und in den daraus vielfach entstandenen und in die Körper*in eingeprägten Traumata (aber um die geht es im Folgenden nicht). Wem das jetzt zu weird klingt, die klickt jetzt noch nicht weg und gibt mir die Chance, das verständlich zu machen.

Klimatätigkeitsphasen

In den ersten Jahren meiner Klimatätigkeit war ich oft wütend und enttäuscht: von der Politik, von den anderen Menschen, die es nicht checken, die nicht mitmachen, die nicht mal auf den Klimastreik gehen. Diese Gefühle der Wut und Enttäuschung habe ich sicher auch oft in was Produktives umgewandelt, aber sie haben oft wie Gift in meiner Körper*in gewirkt. Ich fühlte mich oft ohnmächtig aufgrund der Schock- und Panikgefühle, die meine Körper*in regelrecht invadierten. Es war schwer für mich, mich da rauszuarbeiten. Klimatätig sein hilft, aber oft triggert die Form der Arbeit wiederum die Schock- und Panik-, die Wut- und Enttäuschungsgefühle. Wenn ich drei AFD-Leute an einem Nachmittag an unserem Stand „bearbeiten durfte“, dann hatte ich zwei Tage zu tun, um all die negativen Energien und all das Hässliche und die Gewalt in dem Gesagten und meine eventuelle Überreaktion (laut werden, zurückschreien) aus mir herauszuagieren (oft mit Sport oder im gegenseitigen Mitleid- und Verständnisbekunden mit den Kolleg*innen, die ja auch immer Ähnliches erfahren). Ehrlich gesagt war es schwer, einfach den normalen Gefühlshaushalt zu halten und an das Gute im Menschen zu glauben. Ich musste ja nur die Nachrichten anmachen. Schon saß ich wieder mittendrin in der „Dummheit der Menschheit“.

Irgendwann ging es so nicht mehr. Es waren einfach zu viele negative Gefühle immer und ständig in mir. Ich änderte ein paar Dinge. Zu Beispiel begann ich vor ein paar Monaten, kaum noch Nachrichten zu schauen. Dabei hatte ich nur kurz zuvor noch einigen meiner Freundinnen innerlich Vorwürfe gemacht, weil sie keine Nachrichten schauen. ‚Wie können sie nur‘, dachte ich, ‚so an der brutalen Realität vorbeileben, klar, dass dann kein Widerstandsgeist in ihnen erblüht.‘

Aus dem Nachrichtenvermeiden ergab sich, dass ich mich immer weniger für die oberen politischen Macht-und Strategiespiele interessierte. Ich nehme sie als Überschriften zur Kenntnis, die in meine Timelines spülen, aber ich kann mich nicht mehr aufregen wie noch vor kurzem.

Seit ich das mit den Nachrichten lasse, hat bei mir sehr spürbar diese üble toxische Körperinbefüllung nachgelassen. Denn im Grunde lief es immer so ab: ich nehme die schlechten News zu mir, sie lassen meine Körperin innerlich erzittern, leichte Übelkeit will sich breitmachen, Tränen steigen auf, tiefes Seufzen entweicht meinem Mund, ich schneide die Gurke für das Abendessen, eine Träne tropft auf sie drauf, ich lege das Messer hin, drehe mich zur Spüle und wasche meine Hände, reiße ein Stück von der Küchenrolle und schnäuze. Gleich rufe ich die Familie zum Abendessen. Fernseher aus. Contenance please, sonst kommt wieder „Mama, hast du schon wieder geweint?“

Und klar, seit ich mich statt von Nachrichten von Star-News berieseln lasse, ist meine Laune beim Abendessen um ein Vielfaches besser. Und die freigewordene Energie, die ich nicht mehr dafür aufbringen muss, um meinen Gefühlshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen, konnte ich mit anderen Formen und Zugänge der Beschäftigung mit Klima nutzen. Und das hat gleich noch einen interessanten Effekt: Klimagespräche verlaufen seitdem so viel besser. Ich beginne die Gespräche anders, und rede über andere Dinge als früher. Ich haue kaum mehr Fakten raus, weil ich sie nicht mehr aktualisiert vorrätig in mir trage. Das erleichtert mich auch enorm, denn ich war noch nie eine Frau, die sich Fakten und Daten oder Zahlen gut merken konnte. Ich kann sie gut ins Kurzzeitgedächtnis aufnehmen, wenn ich es mir sehr bewusst vornehme, aber nach ein paar Tagen verschwinden sie auch wieder im Nebel meines Gehirns… für meine Aktivierung haben Zahlen auch tatsächlich keine Wichtigkeit, deswegen vergesse ich sie; Zahlen verbiegen sich, Nullen verschwinden oder kommen hinzu, war es Giga oder Mega, keine Ahnung mehr, ich pokere und sage dazu „ich bin mir nicht ganz sicher…“.

Wer denkt Klima? Kopf oder Körper*in?

Ich fragte mich also eine Weile: Muss ich für Klimatätigkeit immer Fakten in mir herumtragen? Ist das intrinsisch in dieser Arbeit angelegt? Aufklärung über Wissensvermittlung? Den Kopf bedienen? Hier, nimm das Kopf, nimm diese Daten, schluck sie, und vollbringe deinen inneren Wandel! Weil… wir sind zur Rationalität befähigte Lebewesen, richtig? Nicht viele Lebewesen sind das! Vielleicht sind wir die einzigen! Also nutzen wir diese einzig uns Menschen besonders auszeichnende Fähigkeit, die wir ausschließlich im Kopf verorten. Warum sollten wir vielleicht auch einige Fähigkeiten in Erwägung ziehen, die wir mit anderen Lebewesen teilen? Tzzzz! Nein, wir ziehen uns Daten in den Kopf; einfach weil wir es können und die anderen Lebewesen nicht.

Kopf

Ich würde meinen, die meisten Klimatätigen gehen so vor. Gerade jene in meinem Alter, und dazu weiß und bürgerlich, haben mit dieser Form des Lernens viel Erfolg im Leben gehabt. Ihren gut bezahlten Job bekommen usw. Kopfarbeit zahlt sich aus. Aber wie wirksam ist sie wirklich bezüglich des Klimanotstandes, um ins Handeln zu kommen?

Es ist keine Neuigkeit, wenn ich sage, dass wir für wahre und tiefe Veränderungen im Denken und Fühlen die ganze Körper*in und gesellschaftliche Realitäten einbeziehen müssen. Eine Single-Mum mit sehr geringem Gehalt und keinem Erbe wird – wenn sie denn zufällig an einem unserer Parents-Stände vorbeikommt, beim Anblick des Balkonsolarmoduls nur müde lächeln: Hier braucht sie nicht stehenbleiben, hier geht sie vorüber. That‘s really not her fight. Wenn wir Klimatätigen auf der Straße aktiv sind, liegt unser Fokus immer noch viel zu oft auf dem personal blaming und dem imaginären Anzapfen der persönlichen Finanzen. Die Klimatätigkeit der weißen Mittelschicht richtet sich an die weiße Mittelschicht. Hier kennt sie sich aus. Das ist ja im Grunde auch okay. Aber wer macht dann – zum einen – ansprechende Klimatätigkeit für den großen Rest der Leute, bei der es sich vielleicht mal nicht in erster Linie um wie auch immer über Konsum und Anschaffungen steuerbare Verhaltensänderungen (was letzten Endes immer eine Frage des Geldes ist) handelt? Oder wo es sich mal nicht um das Adressieren jenes Politischseins geht, bei dem es sich nur um das nächste Kreuzchen auf einem Wahlzettel dreht?

Ich glaube, das reicht nicht, und bin deswegen – zum anderen – mittlerweile der Meinung, dass die Klimatätigkeiten für langfristigen und nachhaltigen Wandel der Einstellungen und des Verhaltens von Leuten eine tiefergehende Beschäftigung mit der eigenen Körper*in im Visier haben sollten. Ehrlich gesagt habe ich meine Zeit gebraucht, um das zu verstehen. Man braucht ja nur mal folgendes Szenario durchzuspielen: angenommen, die Grünen bekommen tatsächlich demnächst über 50 Prozent, und dann geht vieles voran, aber nicht genug, und dann gibt es plötzlich irgendwelche fatalen Fehlentscheidungen z.B. in (Klima-)Katastrophensituationen, oder Skandale, Korruption was auch immer. Die Wähler*innen wenden sich enttäuscht ab und wählen nun wieder CDU oder FDP oder SPD, oder aber auch gleich AFD, weil „wenn die Grünen schon nicht mit Klimakatastrophen umgehen können“, und Sozialausgaben auch unter Grünen weiter gekürzt werden zugunsten von Militärausgaben, denn militärische Auseinandersetzungen werden immer wahrscheinlicher; und wir können nicht anders als uns mitreißen zu lassen im globalen Flow der Aufrüstung, wo bleiben wir denn sonst, wir können jetzt nicht mehr peacig in die Zukunft schauen, usw. usf. Das alles ist bereits im Gange, und wird durchgreifender möglich, wenn die Veränderungen nicht aus einem zutiefst in der Körper*in empfundenen und entstandenen Verstehen des Klimanotstandes entspringen.

Ich dachte wie viele zu Beginn, ich müsse mich in eine Faktenabrufmaschine verwandeln, um klimatätig sein zu können. Um Fakten parat zu haben und jeder Person um die Ohren schmeißen, ober sie es hören will oder nicht. Dann nistete sich schleichend eine Müdigkeit in meiner Körperin ein; ich wurde nachlässiger. Ich denke jetzt, das lag auch daran, dass ständige Faktenabruf- und Präsentierbarkeit anstrengend ist; die täglich verbrauchte Menge an Datenvolumen ließ meine Batterie drei Stunden eher am Tag zu Ende gehen, um mich mal mit einem Handy zu vergleichen, why not.

Und ich mag keine Faktenbattle. Keine Argumente hin- und herschieben. Okay, ich verliere nicht gern! Zugegeben! Aber hier ist ständig Gefahr! Welche Studie ich zitiere?? Ähm ähm… Woher diese Statistik kommt? Ähm ähm… nuschelnuschel… Russland wirklich vor China oder nicht doch andersrum und wo ist eigentlich Indien in dieser Auflistung? Ähm ähm… Nicht falsch verstehen: Faktencheck und mit Leuten über Fakten ins Gespräch kommen, ist weiterhin wahnsinnig wichtig und immer noch großer Teil und Grundlage auch meiner Klimatätigkeit. Und wem das Spaß macht und sie sich hier als wirksam empfindet: unbedingt weitermachen! Aber mir liegt das einfach nicht, dieses: die eine Person hat recht, die andere nicht, nur weil sie einen Fakt verdreht hat und damit nicht auf ganz sicheren Beinen steht. Denn worum geht’s im Endeffekt? Wohin führt das? Sind wir bei „Wer wird Millionär?“ Spielt sich diese Form der Auseinandersetzung nicht lediglich im Kopfbereich in der Rubrik „Ich will doch nur spielen“ ab? A, B, C oder D? Komm, lass uns das rausfinden! Der Inhalt der Frage ist doch egal, wir wetten, wer recht hat. Und die Brutalität der Antwort geht im johlenden Wetteinsatzeinlösen unter. Also: Wenn mein Klimafakt falsch war, was folgt dann daraus? Was sagt das über meine Klimatätigkeit aus? Lange Zeit war diese Schlussfolgerung in mir vorherrschend: Verdammt Anne, lerne das nächste Mal besser, guck dir die Zahlen nochmal genau an, mach dich nicht so angreifbar!

rechter Fuß der Anfang einer Frage

Meine Frage hier ist: Ändert Datengenauigkeit etwas in der Körper*in jener Person, mit der ich mich im Klimagespräch befinde? Außer, dass sie vielleicht erregte Freude beim Spiel erlebt hat? Was genau ist angekommen in der Körper*in?

Kopfarbeit wird uns quasi in die Wiege gelegt; wir gehen schon ab dem zarten Alter von 6 Jahren zwölf Jahre lang (mit Abi) durch harte Kopfarbeitserziehung. Wir lernen, unseren Kopf einzusetzen, auf alle möglichen Arten. Und wir lernen, über (zumeist irgendwann automatisierte) Kopfsteuerung Dinge von der Körper*in fernzuhalten, die nicht in unseren Plan vom Leben passen. Tabletten schaffen es, bei Kopfschmerzen den Schmerz abzustellen. Ebenso können wir den Kopf dazu bringen, dass er allein bestimmt, was von der Körper*in verdrängt, vergessen, und was verzerrt wird. Und wahrscheinlich auch, was im verhandelbaren Bereich verbleiben darf.

Irgendwann merkte ich: Wenn ich nur meinen Kopf einsetzen muss, dann fühlt es sich so an, als ob ich nicht mein ganzes Potenzial entfalten kann. Es ist ein Unterschied, ob ich mir beispielsweise auf Basis von Fakten, Daten und Forschungsergebnissen, die ich mir natürlich anschaue, eine kreative Klimatätigkeit ausdenke und bei der Entwicklung lache, weine, hadere, zweifle… also im Grunde die von der Klimaforschung usw. extrahierten „Daten der Welt“ verwandle und z.B. künstlerisch zurückbinde an die Welt, oder ob ich halt genau mit diesen Fakten, Daten usw. hausieren gehe. Wenn ich das tue, fühlen sie sich in mir wie Ballast an, schwer und verrutschbar.

Und wenn ich mich zurückerinnere, wie ich klimatätig wurde, so waren es nicht die Zahlen, die mich aktivierten, sondern dafür brauchte ich einzig die Präsenz einer Greta Thunberg, die wie das Kind in Des Kaisers neue Kleider endlich aussprach, was ich an Wissen und Intuition längst in mir trug, und das verschüttet war. Dieses Wissen ploppte wie ein Wasserball an die Oberfläche, den ich unter Wasser gedrückt hielt und plötzlich endlich loslassen konnte. Was sie sagte, war für mich zweitrangig. Ich sah sie und fühlte sie und es war vorbei mit dem Runterdrücken. Welch eine Erleichterung!

Die Wasserball-Analogie kommt mir wahrscheinlich, weil ich es als Kind an endlos langen Ostseeferienstrandtagen geliebt habe zu versuchen, den Ball unter Wasser zu halten. Wenn ich mich dann beim Hochploppen an ihn klammerte, dann hing ich schnell kopfüber im Wasser; die den Ball umklammernden Beine und Arme an der Wasseroberfläche. Was für ein cooler doppelter Perspektivwechsel jedes Mal: Da sieht die Welt anders aus, kann ich sie anders wahrnehmen. Ich mache das heute noch gerne.

Jedenfalls, zurück zu Greta: Ich begann mich zu fragen, von meiner eigenen Erfahrung und meinem Erweckungserlebnis ausgehend, ob es nicht eher Techniken braucht, um das Wissen, das in den Körper*innen gelagert wird, aufzuwirbeln und in den bewussten Einsatz zu bringen. Jede Person trägt Klimanotstand und Biodiversitätskrise usw. in sich, auch sogenannte Klimaleugner*innen. Als mir das bewusste wurde, wurde so viel mehr möglich und denkbar an Klimatätigkeiten. Denn nicht bei jeder Person ist es Greta, die den Ball zum Hochploppen bringt. Was genau könnte bei einer anderen Person also den Effekt haben? Ich bin mir relativ sicher, dass intuitives, körper*inneninhärentes Wissen eher wenig erfolgreich über den Kopf angesprochen wird. Denn der wurde wie gesagt zum Gate-Keeper erzogen. Fakten und Daten sprechen immer den Kopf zuerst an. Sie kommen von außen, sind nirgends in der Körper*in gespeichert und dadurch nicht berührbar und in Schwingungen und Aufruhr versetzbar.

linker Fuß das Ende einer Frage

Wie funktioniert Körper*innenberührung?

Klimatätige müssen also ihre Taktik ändern, wenn sie an das Wissen ranwollen, dass die jeweiligen Körper*innen in je ganz unterschiedlicher Weise und Tiefe in sich tragen. Meine Klimagesprächstaktiken änderten sich nach dieser – schleichend eintretenden – Erkenntnis (vielmehr handelt es sich wohl um einen stetig anhaltenden Prozess) so allmählich: Ich fragte nicht mehr: Warum sind die Menschen so blöd und checken‘s nicht und lassen die Expert*innen einfach machen, denn schlimmer als die ungebremste Klimakatastrophe kanns doch nicht werden? Die Zahlen sprechen doch für sich!! Ich begann mich zu fragen: wie erreiche ich das je eigene Wissen in den Körper*innen der Personen? Sodass sie über den je ganz eigenen Zugang zu wahren und tiefen Veränderungen im Denken und Fühlen fähig werden? Und wird es der Person dann möglich, dass sie ganze eigene Ausdrucksmöglichkeiten findet, die ihr liegen und mit denen sie dadurch tief verbunden ist? Und welche sie sodann befähigen, mit Leuten in Kontakt zu kommen auf eine Art, die z.B. ich mit meiner Art nicht ansprechen kann? Und stellt sich vielleicht auf diese Art langsam – durch sehr spezielle und in gewisser Weise auch individuelle Formen der Klimatätigkeit, die berühren – die notwendigen sozialen Kipppunkte für wirklich nachhaltige, konsequente Planetare-Grenzen-Politik ein?

Wenn etwas in teils langwieriger Körper*innenarbeit entstanden und nun tief in der Köper*in erkannt und bestenfalls benannt ist, dann sorgt das für erstaunliche Entwicklungsschübe hin zu einem Denken und Fühlen in die planetaren Grenzen hinein. Und dies wird nicht mehr leicht zu verdrängen, verzerren oder zu löschen sein. Und ich bin zudem davon überzeugt, dass wenn eine Person direkt über ihre Körper*innenarbeit berichtet, also das Erlebte in Worte versucht zu fassen, dann sind das unumkehrbare Erfahrungen; in mehrfacher Hinsicht. Für sich selbst, und für die zuhörende Person.

Kleiner Exkurs: Warum sage ich Körper*in?

Da ich schon mehrmals darauf angesprochen wurde, dass das Gendern von „Körper*in“ einige Leser*innen irritiert, möchte ich das kurz erläutern: mich hat die Verwendung von Ilan Stephani in ihren Podcasts sehr überzeugt. So wie es einen Unterschied im Köper*innengefühl macht, ob ich „Oh Göttin!“ oder „Oh Gott!“ ausrufe, so fühle ich mich viel mehr angesprochen, wenn meine Körperin auch grammatikalisch weiblich ist. Ich habe dann das Gefühl, es handelt sich nicht um einen „Durchschnittskörper“ und einen „universalen Körper“, denn tatsächlich sehe ich generisch bei „meinem Körper“ ein merkwürdig schizophrenes Abstraktum, und irgendwie hat dieser Körper gefühlt etwas zu leisten, er muss in gewisser Weise aussehen, er muss täglich „ausgehfertig“ oder „vorzeigbar“ gemacht werden, mein Körper, ich muss mit ihm Dinge tun, weil sie getan werden müssen, er muss performen, er darf beim Sport schwitzen, aber doch bitte nicht bei Aufregung muffeln; man darf ihm gewisse Dinge nicht ansehen, ich muss ihn gesund halten und so weiter und so fort.

Wenn ich „Körperin“ sage, muss ich zunächst über das Gefühl springen, dass ich mit diesem Ausdruck nur politische Korrektheit auftischen und mit ihr „angeben“ will á la „schaut mal, wie toll ich so Wörter schon gendere und ihr noch nicht“, und tiefer tauchen, und dann fühle ich mich plötzlich auf gute Art connected mit mir selbst. Ich gendere also nicht für eine oberflächliche Political Correctness, sondern es ist eben ein Schritt, um meinem eigenen Sein näher zu kommen. Denn jetzt – mit der Körperin – habe ich das Gefühl, es geht um mich, es geht tatsächlich um mein Körperingefühl. Ich betrachte mich nicht von außen und auch nicht mit dem Blick anderer Menschen auf mich, sondern ich bin jetzt drinnen im Warmen und Weichen, im Atmen, im Spüren. Dann stehen Fragen im Mittelpunkt wie: wo befinde ich mich im Monatszyklus? Warum bin ich heute so scheinbar grundlos glücklich oder eben so grundlos traurig, warum weine ich random los, warum seufze ich ständig so tief und laut? Wieso habe ich diese Kopfschmerzen gerade? Was könnte ich ihr heute Gutes tun? „Ihr – der Körperin“ und „mir – ich – Anne“: das „in-die-Körperin-Wachsen“ fällt mir immer noch schwer; auch ist unsere Sprache dafür nicht so gut aufgestellt, habe ich manchmal das Gefühl, oder ich muss noch mehr Sprache in diese Richtung suchen. Denn es müsste ja heißen, „was könnte ich MIR heute Gutes tun“, denn ich BIN ja meine Körperin; es müsste also dasselbe sein, oder? Das ist bei mir aber (immer noch) nicht automatisch der Fall. Und das finde ich spannend. Und wenn ich so im Nachklang meine eigenen Worte lese… „scheinbar glücklich“ und „scheinbar traurig“, dann weiß ich eigentlich mit anwachsendem Körperinwissen immer öfter, warum ich glücklich und warum ich traurig bin. Denn wenn man sich den Zeitluxus nimmt, dem hinterherzuspüren, dann kommen Antworten; nicht immer sofort, aber ja, irgendwann matchen Gefühl und aus den Tiefen aufgestiegener Gefühlsgrund.

Kunst und Körper*innenwissen

Haut Hand Haar

Ich stelle mir oft vor, wie Wissen in die Körper*innen gelangt. Es kann natürlich auch über den Kopf in die Körper*in gelangen, keine Frage. Aber ich glaube, wir wissen eigentlich relativ wenig darüber, auf welche Art und Weise Wissen noch in uns eindringt. Kunst ist sicher eine gute Möglichkeit. Aber ja auch nur, wenn Kunst nicht nur kurz in den Körper einströmt und uns erfüllt, sondern wenn die Person aktiv dem Grund nachforscht, warum diese Kunst sie gerade so berührt. Nur dann wirkt Kunst langfristig. Manchmal gehe ich in eine Ausstellung, weil mich das Thema interessiert. Aber die Kunstform berührt mich dann gar nicht. Sie kommt nicht in der Körperin an. Und trotzdem lobe ich sie ohne Ende, weil „das Thema ja so wichtig ist“ und „endlich mal thematisiert“ und „unbedingt anschauen“, usw. usf.

Und dann gehe ich in eine Kunstausstellung, in die ich vom Thema her nie gegangen wäre, aber eine Freundin hat mich mitgeschleppt, und dann heult es aus mir raus, als wenn es kein Morgen gäbe; und das Thema wird völlig sekundär. Und ich behaupte: nur, wenn wir wissen oder wissen wollen, warum wir berührt sind, warum unsere Körer*in sich gerade derartig angesprochen fühlt, können wir unser Körper*innenwissen ausbauen und uns selbst besser kennenlernen.

Vielleicht ist das nichts Neues, und viele Personen „nutzen“ Kunst für sich schon auf diese Art und Weise. Für mich ist das relativ neu – zumindest im Bewusstsein – denn ich war auch lange überzeugt davon, dass – weil es gefühlt überall so proklamiert wird – ich den Grund der Berührung nicht wissen muss; „Kunst soll einfach nur wirken“; ich müsse sie nicht verstehen wollen; denn – fatalfatal: wenn ich ihr Wirken verstehen wollen würde, dann würde ich ja den Kopf anschalten, und die (intuitive) Wirkung würde mit der nun einsetzenden Verkopfung keinen Wert mehr haben.

Aber was passiert, wenn ich nicht den Kopf auf meine Körperin-Reaktion befrage, sondern meine Körperin selbst?

Diese Frage lasse ich jetzt einfach mal so zum Nachfühlen stehen.

Folgende Fragen treiben mich also um: Zum einen: Wann dringt Wissen nicht über den Kopf in mich ein? Und zum anderen: Welches (Klima-)Wissen ist längst in der Körper*in angelegt und schlummert unaktiviert seinen Dornröschenschlaf vor sich hin, weil es noch nicht – beispielsweise von der Kunst – wachgeküsst wurde?

Wieder einmal: Der Kopf muss an die Körper*in ran

Vielleicht fragt ihr euch jetzt schon ungeduldig, ja, komm zum Punkt, was hat das alles mit meiner (potenziellen) praktischen Klimatätigkeit zu tun? Ich denke, tiefenwirksame Klimatätigkeit braucht alles: Haut und Haar, Kopf, Körper*in, Intuition, Liebe, Gefühl…

Okay, ich muss dafür noch einmal ausholen, es tut mir leid.

Stellen wir uns folgendes reales Szenario vor: eine Person zerrt eine klimaaktive Person der „Letzten Generation“ bei einem Autobahnblockadeprotest gewaltvoll von der Autobahn. Diese Bilder haben wir alle vor Augen. Wir fragen uns jedes Mal: wie ist eine Person dazu fähig, woher nimmt sie das Gefühl des Rechthabens, einer anderen Person diese Gewalt antun zu dürfen?

Ich denke, dass wenn diese gewaltausübende Person die eigene Körper*in ernsthaft und tiefgehend befragen würde, sie von der Köper*in Hinweise darauf bekommen würde, wie sie aus diesem Willen zur Gewaltanwendung herausfinden kann. Ihre Träume würden ihr zum Beispiel Hinweise geben. Denn eine Körper*in – davon bin ich überzeugt – mag grundsätzlich keine Gewalt anwenden. Es geht ihr dann ja selber nicht gut; sie hat dann so viel extra zu tun; noch mehr zu verdrängen und verzerren usw. Eine Spirale der Rechtfertigung und Gewalt und Aggression entspinnt sich, die immer auch gegen die eigene Körper*in gerichtet ist. Gewaltanwendung gegen andere Personen oder auch andere nichtmenschliche Lebewesen, welcher Form auch immer, verlangt immer die größtmögliche Abtrennung von der eigenen Körper*in. Der Kopf (vielleicht sollte es auch „Köpf*in“ geben? Ich muss lachen. Die Suche nach verbaler Sprache für Körpersprache macht schon Spaß.) wedelt dann unverbunden einsam und verlassen auf dem Hals herum, sucht nach Anerkennung und Wiederhall, z.B. in den Echoräumen des www, die er in der eigenen Körper*in nicht finden kann.

Klimatätigkeit muss also auch darauf gerichtet werden, den Kopf an die Körper*in zurückzubinden, damit Gefühle, Denken, Wissen fließen können, und von allen Körper*inteilen und -organen durch-, ver- und bearbeitet werden können usw. usf.

Es ist dann auch nicht notwendig zu sagen, „dieser Typ ist ein aussichtsloser Fall, mit dem kommen wir nie ins Gespräch“. Wo steckt deine Klimaangst, großer muskelbeladener weißer Mann, und was glaubst du, hilft uns allen aus der Scheiße? Blockaden nicht, meinst du, okay, aber was dann? Was sagt dein Gefühl?

Ernsthaft lachen

All diese Erkenntnisse haben schleichend dazu geführt, dass ich meine Klimatätigkeit mehr in die Richtung lenke, bei der ich am meisten Strom drauf habe und auch Spaß. Ich mag am liebsten jene Parents-Sitzungen, in denen wir ausgelassen lachen. Und wenn wir in der Gruppe mal genau schauen, sind genau aus solchen gelösten und mit guter Energie geladenen Momenten unsere besten Ideen entstanden. Viel zu oft bremsen wir den Humor noch aus. „In dieser Area darf nicht gelacht werden. Albernheit ist verboten! Das Thema verlangt Ernsthaftigkeit, Trauer, Schock, Panik und bei all den Emotionen natürlich GLEICHZEITIG einen kühlen Kopf, der es schaffen muss, durch die Wand zu kommen.“ Da helfen uns Europatriarch*innen dann immer Zahlen und Daten und Fakten ganz gut, die uns eben noch – wie schizophren! – erschüttert haben. Oder? Sie bringen vielen von uns Klimatätigen den Gefühlshaushalt durcheinander, aber sie stellen auch unsere Contenance wieder her, sie geben (uns) Recht und Halt und Berechtigung. Und die neueste Schockzahl stellen wir dann als Grafik in unseren Whats App-Status. Ich kritisiere das nicht, ich habe das lange auch fast täglich gemacht, tue es noch.

Ich meine nur: So viel Klimatätigkeit entsteht in Reaktion auf irgendeine Horrornachricht (und daraus resultierenden Schockreaktionen). Auf eindeutig falsche politische Entscheidungen (und daraus resultierenden Panikattacken). Auf Gewalt (und daraus resultierendem Schmerz). Viele Klimatätige gerade in meiner Generation, also Ü40, verbieten sich die Liebe, den Spaß und die Hingabe. Sie denken, es ist dem Ernst der Lage nicht angemessen. Oder vielleicht ist das so, weil in der Körper*in (Klima-)Katastrophenalarm herrscht. Die ganze Zeit. Und die Person nicht versteht, warum in anderen Körper*innen keine dauerhafte Alarmstimmung herrscht. Und sie nimmt alle in anderen Körper*innen der Welt nichtläutenden Glocken in ihre eigene Körper*in auf, und nun dürfen sie in ihr umso lauter dröhnen und schrillen… nun, ich weiß nicht, ob aus dem Zustand einer solchen Körper*in Klimatätigkeit entspringt, die ihr selbst gut tut.

So wenig Klimatätigkeit entsteht aus Liebe zur Welt. Das ist natürlich nicht verallgemeinerbar. Natürlich ist „knallharte Klimatätigkeit“ aufgrund von Schock, Panik, Schmerz und Angst auch mit Liebe verbunden. Aber es wirkt dann nicht die Liebe zur Welt an erster Stelle; sie tritt vielmehr wehmütig in den Hintergrund: Es wirkt dann vielleicht mehr die Liebe zu den eigenen Kindern. Diese Liebe und ihr Aktivierungspotenzial wird vielleicht oft verwechselt oder gleichgesetzt mit Handeln aus Liebe zur Welt. Als liebende Mutter, die nicht will, dass ihre Kinder „in einen globalen Schulbus hineingeschoben werden, der mit 98% Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt“ – wie Hans Joachim Schellnhuber, der Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in einem Interview bemerkte: Zu was bin ich fähig? Ich werde zur Löwin!! An meine Kinder denkend vermag ich es bestimmt, meinen Körper zu „stählen“ und ihn zu Aktionen zu bewegen, die ihn eigentlich überfordern. Wie lange geht das dann gut? Und welche neuen Traumata bilden sich dadurch in meiner Körperin?

Und ich frage mich: Wie kann ich mit Liebe und Hingabe klimatätig sein, mit weniger Gram und Wut und Enttäuschung über die anderen offensichtlich Nichtstuenden? Dafür muss ich sehr geerdet sein in meiner Körperin. Deswegen habe ich zunächst den ermüdenden und nervenzerreibenden Daueralarm abgestellt.

Ich stellte anders gewichtete Fragen an meine Klimatätigkeit: Worin bin ich nicht nur gut, sondern was macht mich zudem glücklich, was erfüllt mich voll und ganz? Was bringt mich zum Lachen? Ich möchte lachen. Mit anderen Menschen. Warum? Lachen gluckst sich, wenn es ernst gemeint ist, tief aus dem Körper an die Oberfläche. Lachen ist ansteckend. Echtes Lachen ist eine spontane Reaktion, das durch ein Kitzeln im Köper*inneninneren ausgelöst wurde. Lachen löst Verkrampfungen. Lachen ermöglicht neue Perspektiven. Lachen macht kreativ. Ich empfinde Lachen als ganzheitlich, auch wenn ich noch nicht genau weiß, was ich damit meine.

Also richte ich meine Klimatätigkeit jetzt eher darauf: Worüber lache ich in den Parents-Sitzungen, und warum und wie hat es mir (und den anderen) gut getan? Und was ist dann passiert? Könnte es sein, dass andere Menschen auch darüber lachen? Wie könnte eine humorvolle Klima-Aktion aus unserem eigenen Lachen heraus aussehen? Lachen ist ansteckend, warum sollte es nicht möglich sein, andere Leute über Lachen auch zur Klimatätigkeit anzustecken? Lachen darf nicht von der „eigentlichen“ Klimatätigkeit abgespalten werden. Und: Wenn ich tiefe Liebe empfinde, dann darf sie nicht weggeschoben werden vom Kopf, um wieder „harte Klima-Aktionen“ zu planen, in denen – ich zumindest – oft meine Körperin überfordere.

Planetare Grenzen und Körper*innengrenzen und -öffnungen

Teil der Hüfte linker Arm und Ellenbogen

Wenn ich mich frage, wie es die Menschheit noch schaffen soll, wieder in die für sie notwendigen planetaren Grenzen zu kommen… frage ich mich auch: ist es dafür notwendig, die eigenen körperlichen Grenzen zu überschreiten? Kann das richtig sein? Oder muss nicht auch schon hier der (meinetwegen utopische) Weg sein, diese Tätigkeiten innerhalb unserer körperlichen Grenzen und Möglichkeiten, also „in Einklang mit unserer Körper*in“, anzugehen? Und was genau würde das wieder bedeuten?

Eine wirksame Klimatätigkeit ist sicher jene von Körper*in zu Körper*in. Wie berühre ich andere Körper*innen? Das tue ich vor allem, wenn ich tief aus meiner eigenen Körper*in in die jeweilige Beziehung trete. Und ernsthaft – und das darf nicht verwechselt werden mit „ohne Humor“! – an der anderen Person und ihrer persönlichen (Klima-)Geschichte und ihrem (Klima-)Status Quo interessiert bin. Die Person kann dann nicht „dumm“ sein. Wenn ich sie für dumm halte, ist kein ernsthaftes Gespräch möglich. Es ist dann egal, ob die Person in der FDP ist oder diese wählt; es ist sogar egal, ob sie Klimaleugner*in ist. Ich frage sie nicht: „Was hältst du von der und der politischen Entscheidung deiner Partei, seid ihr noch ganz dicht?“ Ich komme ins Gespräch, indem ich etwas von mir gebe. Ja, es muss einen Einsatz geben, ein riskantes Geben. Und dann – wenn ich mich geöffnet habe, erzählt habe, wie es mir geht, wo der Klima-Alarm in mir gerade sitzt, usw. usf., dann kann ich fragen: Und wie geht es dir? Wo sitzt deine Klima-Angst? Kannst du sie in deiner Körper*in verorten? Was macht sie mit dir?“ Ich gehe davon aus, dass jede Person Klimawissen in sich trägt. Egal welches. Erfahrungsaustausch auf gleicher Ebene. Mit ebenbürtigem Einsatz. Kein Erklären und Beschimpfen, kein Enttäuschungabladen; keine Belastung der anderen Person. Vielleicht ist das Ziel sogar Entlastung. Dann sagt plötzlich die am Grill stehende Person, die eben noch über meine fleischlose Tellerbefüllung laut abgelästert hat: „Ja, ich sehe natürlich auch die Bäume sterben, ich bin ja nicht blind. Der Rasen ist gelbes Stroh. Schlimm ist das. Aber was kann ich schon tun? Tun die andern was? Warum sollen wir tun und die anderen nicht?“ „Nicht auf die anderen schauen. Schau auf dich. In dich hinein. Was siehst du, was fühlst du, wenn etwas, was dir am Herzen liegt, von der Klimakatastrophe bedroht ist? Und was würde es bedeuten, dich ganz offen in all der gebotenen Komplexität mit dem Thema auseinanderzusetzen?“ „Hmmm. Das wäre was. Aber ich habe keine Zeit für sowas.“ „Ok, es ist also eine Zeitfrage.“ Und so könnte das Gespräch immer weiter gehen. Und wenn die Person dann das Gespräch in der Körper*in noch nachwirken lässt, so wird dieses für wichtige Weiterentwicklungen sorgen. Ich habe solche Gespräche schon einige geführt. Und sie sind in meiner Empfindung nach viel wirksamer. Es gibt vom jeweiligen Gegenüber andere Blicke. Sie gehen tiefer. Sie forschen mehr in mir, aber auch in sich selbst. Mehr Schweigen. Kein Geschrei. Irgendwann kein Beschuldigen mehr… natürlich funktioniert das nicht immer. Aber immer öfter.

Ein Beispiel für Klimatätigkeiten ohne Zahlen und Fakten

Nachdenken über Klimatätigkeit beginnt immer bei mir selbst: zum Beispiel: Welche Kunst bewegt mich? Könnte sie andere Menschen auch bewegen? Dann hole ich die Künstler*innen in die Stadt. Und wenn es weder Künstler*innen noch Autor*innen gibt, die Stücke schreiben, die mir gefallen, dann schreibe ich eben selber ein Theaterstück. Wenn dies aufgeführt werden soll, entstehen neue Klimatätigkeiten. Nähen. Bühnenbild ausdenken und bauen. Ich brauche eine Regisseur*in. Laien-Schauspieler*innen. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Annäherungen an theateraffine Menschen über das Theaterstück. „Ok, ja das gefällt mir. Ich mache mit.“ Plötzlich werden Menschen zu Multiplikator*innen von Klima-Themen, die es noch nie waren. Wir diskutieren: der Baum auf der Bühne: ist er Akteur oder „nur“ Teil des Bühnenbildes? Die Regisseurin unterbricht uns: Wir sind eh schon zu wenig Schauspieler*innen; die Idee ist gut, aber nicht umsetzbar in unserem personellen Möglichkeitsrahmen: der Baum wird gebaut. Alle akzeptieren, und dennoch gibt es die Diskussion: Pflanzen, Menschen, Tiere, überhaupt alle Lebewesen… wie sind wir alle miteinander verbunden und abhängig voneinander? Kapitalismus: wie tief sitzt er in unseren Körper*innen? Was umfasst er alles? Und was machen Adam und Eva eigentlich tagtäglich mit uns? Nicht alle sind einverstanden mit meinem Deutungsangebot. Aber die Aussage insgesamt passt schon. Austausch und Deutungsversuche, Stolpern über Worte und Sätze in jeder Probe. Schleifen, Arbeiten an der Sprache und am Ausdruck. Jene vier tollen Frauen im Rentenalter, die sich um die Bühnenrequisiten kümmern, sind froh, dass sie tätig sein können für das Projekt. Ich bedanke mich, sie bedanken sich, ein ewiger Kreis der Dankbarkeit. Liebe. Hingabe. Berührung. Mitfühlen. Gemeinsam Krisen überstehen.

So viel Liebe und so viel Arbeit, und am Ende nur zwei Aufführungen und wenig Publikum. War es das wert? Fragen wir uns selbstkasteiend. Die Regisseurin sagt, schaut uns an. Hätten wir uns alle überhaupt kennengelernt? Sind wir verändert nach monatelanger intensiver Zusammenarbeit? Wir sind in den Prozess gegangen. Dinge, Körper*inneneinstellungen sind jetzt ver-rückt, mehr oder weniger stark. Unsere Energie ist hinaus in die Welt gegangen und zeigt Wirkung, keine Sorge, sagt sie noch und lächelt vieldeutig.

Teil von Nase Wangen Haar vollständiger Mund

Wer war beteiligt? Nur ein Viertel aller Beteiligten war zuvor „klassisch klimatätig“. Alle anderen – also etwa 15 Personen – waren „neu“. Wir sind über eine geteilte Leidenschaft und ein interesseweckendes Stück in Kontakt gekommen. Viele dieser etwa fünfzehn „Neuen“ sagen: wenn es wieder ein solches Projekt gibt, dann meldet euch, wir machen wieder mit.

Wir in der Parents-Gruppe haben das Thema groß machen wollen, aber wir haben die Leute vor allem über ihre Leidenschaften und die Form (Theaterstück) und die Fähigkeiten („Ein Netz häkeln, das kann ich! Das mach ich auch gern!“) erreicht. Es ist nicht einfach, solche Projekte entstehen zu lassen. Es braucht viel Einsatz im ehrenamtlichen Bereich. Aber was ich so gelernt habe: die Annäherung an das Thema „Klima“ oder „planetare Grenzen“ muss nicht auf geradem Weg über das Thema laufen. Klimatätigkeit ist nicht nur Aufklärungsarbeit.

Es ist das beste Beispiel dafür, dass keine Person alles wissen muss übers Klima, um klimatätig werden zu dürfen. Was für ein Quatsch. Wer weiß schon alles. Ich muss wissen, wie ernst es um uns Menschen und unsere Mitlebewesen steht. Ich muss verstanden haben, dass mein Beitrag zählt, egal wie klein er ist, solange er die planetaren Grenzen im Visier hat.

Tägliches und nächtliches Forschen

Und wie geht es nun weiter, wie und wo und mit wem tätig werden? Dafür ist der Klimafit-Kurs, von dem ich anfänglich sprach, gut. Mittlerweile wird er in vielen Städten deutschlandweit jedes Frühjahr an den VHSen angeboten. Denn neben dem Wissen über das Erdsystem legt der Kurs einen großen Fokus auf lokale Vernetzung, Kennenlernen der lokalen Klimaschutzinitiativen, der Klimaschutzmanager*in u.a. Hier kann man reinschnuppern und schauen, was einem eventuell liegt und mit wem Klimatätigkeit Spaß machen könnte. Aber wie gesagt: viele Klimatätigkeiten sind noch gar nicht erdacht. Ich glaube mittlerweile, es gibt für jede Person die adäquate Klimatätigkeit (und mit Klimatätigkeit meine ich weiter umfassend immer, das menschliche Leben in die planetaren Grenzen zu bringen).

Wenn wir den Wandel in die planetaren Grenzen ernsthaft angehen würden, dann würde es auch plötzlich eine riesige Veränderung in den Tätigkeiten geben. Man muss ja nur ein bisschen tagträumen und die Zeit ein bisschen vorwärtsdrehen, die Klimakrise eingedacht. Was könnte passieren? Was könnte „retten“? Was wäre unbedingt notwendig? Und das kann alles total individuell gedacht werden. Jede individuelle Geschichte trägt bei zu der großen stimmenvielfältigen Erzählung über den Wandel. Die Geschichte können absurd sein, lustig oder albern, sie können nachts geträumt worden sein… und natürlich können sie auch tiefsinnig mit dem Kopf erdacht worden sein, und wissenschaftlich erforscht. Zukunftsforschung, was für ein schönes, körper*innenöffnendes Wort. Wissenschaft und Forschung wird sich verändern, neue Inhalte und Methoden werden aufgenommen: Träume und Visionen werden wieder ernst genommen und es werden ganz neuartige Kooperationen aufgebaut in die Welten anderer Lebewesen. Nichtmenschliche Lebewesen und ihre Lebensräume werden nicht mehr nur auf den Nutzen für uns europatriarchale Menschen hin unidirektional befragt, sondern es wird ein Geben und Nehmen an Wissen und Erfahrung geben.

So viel muss wieder erlaubt werden an Denken und Wissen, so viel muss erschlossen werden! So viel Wissen, das uns in die planetaren Grenzen bringt, liegt außerhalb unseres europatriarchalen Wissenskanons. Die gute Nachricht: Wir alle haben Zugänge dazu, wir alle können eigentlich fühlen, tagtäglich, wie es um unseren Planeten steht. Wir tragen ihn in uns, unseren Planeten. Unsere Mütter haben uns geboren, aber sie konnten uns nur gebären, weil sie alles vorfanden, was sie zum Leben brauchen. Passendes Klima, Nahrung, Wasser, ein Dach über dem Kopf. Auch wenn unser Wirtschafts- und Sozialsystem für Herstellung, Verteilung usw. usf. sorgt, kommen all diese Dinge doch von der Erde. Alles, was wir essen. Alles, was wir trinken. Es gibt ein tiefes Vertrauen in die Erde in jeder Person.

Auch wenn ich es lange nicht wahrgenommen habe, ist das Vertrauen tief in mir verankert. Es ist auch da, obwohl ich die Kommunikation zu unseren lebenden und unbelebten, aber lebensspendenden Grundlagen größtenteils abgebrochen habe. Sie wurde mir aberzogen, oder ich habe die Kommunikation nicht gelernt; sie stand leider nicht im Schullehrplan. Auch an der Uni konnte ich das nicht nachholen. Schade eigentlich. Das muss sich echt ändern. Wenn wir Menschen in die planetaren Grenzen kommen und ein gutes Leben haben wollen, dann gehört die Erforschung unserer Erd- und Eingebundenheit bzw. unsere mögliche Rückeinbindung dazu. Dafür müssen wir menschlichen Wesen kommunizieren lernen mit unseren Mitlebewesen und bei ihnen in die Schule gehen. Undenkbar, oder? Wie soll das denn bitte gehen und wozu? Da zuckt es in allen Poren unseres europatriarchalen Wesens. Das geht zu weit! Tja wir müssen sehr weit gehen, wir haben noch einen langen Weg vor uns, noch zu wenig haben wir bisher angedacht, zu wenig Vertrauen, zu wenig Liebe, unser zementiertes europatriarchales Denkfundament muss weg, wir müssen Luft und Wasser und Leben durchdringen lassen zu unseren Körper*innen.

Verhüllter Bauch Vulva Beginn Oberschenkel unverhüllte Haarspitzen

Was sagt denn die Körper*in zu „Ich denke, also bin ich!“? „Ja, okay, gilt, wenn dazu gehört, jede meiner Tränen ernst zu nehmen und meine Gefühle nicht einfach ergründungslos in die Schublade der PMS zu schieben“, sagt die Körper*in. „Ja, okay, gilt, wenn mein Denken auch zählt!“, ruft der Bauch, und „Ja, okay, gilt, wenn du mein Treiben ernst nimmst und dich mit mir beschäftigst!“, ruft der Dämon, der nachts in den Träumen sein Unwesen treibt, und „Ja, okay, gilt, wenn du all unseren Potenzialen, die momentan schlummern, eine Chance auf Besichtigung und Erkundschaftung gibst“, sagen die Intuition, die Sinne und das Körper*inwissen. „Ja, okay, gilt, wenn du dir Zeit für uns nimmst und dich mit uns weiterentwickelst und dein Denken und Fühlen auf uns richtest!“, rufen die Nachtträume.

Die für die jeweilige Person richtige Klimatätigkeit wird die Körper*in schon irgendwann ausspucken, wenn die Person ihrer Körper*in, also sich selbst, vertraut. Der Weg dahin kann lang oder kurz sein, und es können viele Pfade eingeschlagen werden, die sich später als verirrt herausstellen. Aber das heißt nicht, dass das, was sie in der Zeit getan hat, nicht in irgendeiner Form wirksam war. Im Zweifel einfach mal tun; die Körper*in meldet sich dann schon, um ein Update zu geben, ob ihr die Arbeit gut tut oder nicht.

Gescheiterter (?) Klimatätigkeitsversuch

Ich erzähle in letzter Zeit öfter, dass ich 2020/2021 eine von vielen Landtagswahl-Kandidat*innen für die gerade neu gegründete Partei „Klimaliste“ war, die dann gefühlt von altem weißem Männerdenken gekapert wurde. Oh, ich weiß noch, wie begeistert ich war, als alles begann! Endlich eine Partei, die wahrhaftig die 1,5 Grad im Visier und gleich in den Statuten feministische Grundsätze verankert hat! Die einfach hinterm Europatriarchat mit der Arbeit anfängt, sich also gleich mal auf eine irgendwie utopische Spielwiese setzt, genial, ich bin dabei! Es schien mir zu dem Zeitpunkt die wirksamste Möglichkeit, klimatätig zu sein, und ob ich das Zeug zur Politikerin habe, das wollte ich gern herausfinden. Zudem wusste ich wahrlich nicht, welche Partei ich wählen sollte. Das jeweilige Parteiendenken ist bis heute teils so verhakt in der fossilen Demokratie, selbst das der Linken, dass mir keine Partei mehr wählbar erschien. Und eine Lösung für mich könnte auch die Lösung für andere Leute sein. Immer von sich ausgehen.

Okay, also habe ich mich viele Monate lang teils 16 Stunden am Tag dieser Partei und ihrer Idee hingegeben. Als dann aber irgendwann in nahezu jeder Zoom-Runde egal zu welchem Thema und in welcher AG gefühlt jede Diskussionen mit viel zu vielen alten weißen Männern in die Gendersternchen-Grundsatzfrage mündeten, und eine Task Force nach der anderen mit immer weniger Feminist*innen – die verließen nach und nach alle frustriert die Partei – aus dem Boden gestampft werden mussten, um zu überlegen, wie wir das alte-weiße-Mann-Problem irgendwie gebändigt bekommen, da habe auch ich irgendwann das Handtuch geworfen. So viel Reibung, so viel bad energy, so viel Aufregung, so viel Arbeiten, um dann vor Wut und Erregung nicht schlafen zu können, was dann natürlich auch das Familienleben massiv beeinflusst hat.

Ich möchte die Zeit dennoch nicht missen. Manches muss ich erlebt haben, um zu wissen, dass es nichts für mich ist. Oder die Zeit noch nicht reif ist. Oder der soziale Kipppunkt in vielerlei Hinsicht noch nicht da ist. Einsehen, dass ich keine Coacherin-Qualitäten besitze, um diesen Männern diese tiefsitzende Angst vorm Sternchen zu nehmen. Innerlich rufe ich sodann verwegen: Männer, ich will euch nicht nur euer sternchenloses Leben entreißen, ich will euch das ganze Patriarchat unterm Arsch wegreißen! Und jetzt erzittert zu recht! Und dann legt euch schlafen und schaut euch das Sterben an in euren Träumen. Denn von dem Moment an, da ihr einmal unachtsam wart und der Gedanke in euch gesickert ist, werden eure verkörperlichten patriarchalen Vorstellungen auf jede erdenkliche Weise und in jeder erdenklichen Personifikation und Symbolik zugrunde gehen, und jeder Tag bringt euch mehr zu euren Körpern, eurem Körperinneren. Weich und warm. Ihr atmet ein und ihr atmet aus. Und es wird der Tag kommen, an dem ihr euch einer nach dem anderen verwundert umschaut: Warte, was? Ich habe einst Gendersternchenstress gemacht? Entschuldigt… ohne Feminismus is nix mit 1,5 Grad, ich hab‘s jetzt gecheckt, sorry an alle Kolleg*innen, dass ich so lange gebraucht habe und in meinem europatriarchalen Delirium ein solch aggressiver, nervtötender Zeitdieb war!

Doch Halt, ich muss wohl schon träumen, jede hat so ihren Tick. Denn so ist es nicht gelaufen. Diese Entschuldigung kam nie. Das war nicht mehr der Ort, nicht der Prozess, in dem ich gut wirken kann. Wir rutschten von der utopischen Spielwiese am Ende doch wieder auf die abgetretene altbekannte europatriarchale Wiese, laaangweilig!, und schaut sie euch an, wie die aussieht Mitte Juli 2023: gelb, vertrocknet, mit breiten tiefen Rissen. Auf dieser Wiese möchte ich keine Politikerin sein. Ich tummle mich lieber auf feministischen Zukunftswiesen herum. Aber umsonst war es nicht; ich denke gern an die Zeit zurück und bin gleichzeitig froh, dass das Kapitel abgeschlossen ist.

„Klimaschutz ist Handarbeit.“

Keinen Spruch habe ich im letzten Jahr mehr in der Körperin als wahr gefühlt als diesen. Und ich würde diesen ausweiten:

Klimatätigkeit ist Ganzkörper*innenarbeit.

Es ist ein langer, holpriger, schwieriger, teils unwegsamer, zweifelbeladener Weg, nobody said it would be easy, aber jede Körper*in wird zu jeder Zeit mehr als bereit sein, ihn endlich zu gehen. Und das Gute ist: sie kennt ihre jeweiligen Grenzen. Jede Person kann sich auf ihre Körper*in verlassen, ihr vertrauen. Momentan würde ich behaupten: Kopf und Körper*in in Kommunikation zu bringen, ist eine der spannendsten und wichtigsten Dinge, die eine Person angehen kann. Gerichtet auf das gute Leben innerhalb der planetaren Grenzen für alle Würdeträger*innen dieser Welt ist das eine der wichtigsten politischen Klimatätigkeiten. Denn aus der Körper*in entsteht irgendwann die Gewissheit, dass wir beispielsweise andere Demokratieformen benötigen, um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Auf den Moment von so zukunftsöffnenden sozialen Kipppunkten freue ich mich. Wenn immer mehr Klimatätige mit uns anderen auf der utopischen Spielwiese mit Spaß und Liebe dafür sorgen, dass auch die siebte Generation nach uns noch ein gutes Leben hat.

Zehenspitzen.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Bevor ich mich weiter, in die Länge dieses Artikels ergebe,
    brauche ich Pause. Denn das Wort Klimatätigkeit ist mir fremd.
    Und es denkt sich in mir: tätig im Sinne des Klimas bin ich immer,
    ob im guten für das Klima oder im schlechten.
    Neutralität gibt es da gar nicht.
    Bin gespannt und lese mal weiter – langsam und untätig hoffend…

  • Johanna Helen Schier sagt:

    “Klima verstehen” ! Ich wasche meine sehr langen weißen Haare nicht wie im
    Artikel erwähnt unter dem Wasserhahn, vielmehr nutze ich dazu eine Regentonne,
    die sich bei Starkregen schnell füllt. Vorab wird das Haar mit Heilerde eingerieben,
    danach senke ich den Kopf in die Regentonne und wasche gründlich die Heilerde aus den Haaren. Das Wasser verwende ich anschließend zur Reinigung meiner Holzfußböden.

  • Herzlich danke ich für die anregenden Gedanken und Gefühle. Gern würde ich diesen Artikel weiterleiten, doch fürchte ich, dass genau die Personen, die neu angesprochen werden müssten, kaum über die ersten Zeilen hinweg lesen werden. So schade. Die Überlegungen haben ihre Bedeutung – doch so ist es mehr ein Selbstgespräch und ein Reden zu denen, die schon auf diesem Weg sind. Ich werde versuchen die Anregungen in meine Argumentationen aufzunehmen und auf das Papier verweisen. Dankeschön von Herzen und Glückauf!

  • Danke Anne, dein Text spricht mir aus dem Herzen. Über Klima-Gefühle reden kann wohl wirklich ein Weg aus der Verzweiflung sein. ich will deine Gedanken nochmals aufmerksam lesen und in den nächsten Gesprächen und vor allem in meinem Sein (statt immer machen und reden) ausprobieren. Du machst mir Mut zum einfach dranbleiben, nochmals Danke!

  • Liebe Anne,

    danke, ein super interessanter Text. Ich glaube, dass der für viele Klima-Handelnde wichtig ist, weil ich denke, es geht vielen ähnlich wie dir am Anfange des Prozesses, den du hier beschreibst. Ich verstehe jetzt auch besser, was du mit dem “nicht-europatriarchalen” Wissen meinst. So, wie du es hier aufschreibst, bin ich voll einverstanden und finde es überhaupt nicht “esoterisch”, weil ja nichts inhärent Geheimnisvolles oder Unzugängliches daran ist, sondern eben nur bisher nicht Wahrgenommenes, nicht Priorisiertes, Übersehenes und Weggedrücktes. (Das Beispiel mit dem Wasserball ist grandios).

    Bei dem, was du über Vermittlung schreibst, sehe ich viele Parallelen zu dem, was die Italienerinnen über Begehren und Autorität gesagt haben: Du hast beim Gegenüber nur Autorität, wenn das, was du sagst, dort an ein Begehren rührt. Und das ist in jedem Kontakt möglich, auch mit Klimaleugner*innen. Und es geht nur, wenn du auch selbst etwas gibst, dich öffnest. Auch das “Denken in Präsenz” hat ja dieses Wissen bereits, dass eine bestimmte Qualität des Austauschs nur möglich ist, wenn auch Körper einander berühren (können), weil sie materiell im selben Raum sind. Deshalb glaube ich, dass für all das auch die Medien wichtig sind, denn mediale Kommunikation macht ja gerade aus, dass sie die körperliche Präsenz aus dem Spiel nimmt.

    PS Mir fällt grade ein, dass ich da drüber auch schonmal was geschrieben hatte, und zwar in Inas Buch “Freiheit in Bezogenheit” zum Thema “Politik verkörpern statt Stellung beziehen”. https://www.antjeschrupp.de/politik-verkoerpern-buch-ina
    Auch über das Heulen habe ich schonmal geschrieben: https://www.antjeschrupp.de/zorn

    Aber es ist natürlich beim Thema “Klima” noch einmal spannender als bei anderen Themen, weil hier die Körper*in ja schon vom Grundsatz her involviert ist. Sie ist da Medium und Gegenstand der Debatte zugleich. Also danke jedenfalls.

  • Johanna sagt:

    Dankeschön für diese spannenden Gedanken und die Mühe, sie auszuformulieren!

  • Gré Stocker- Boon sagt:

    Als nicht studierte, aber mit Selbststudium, ohne Diplom und mit künstlerische Fähigkeiten und Gestaltung,erschloss mir Räume die andere noch nicht haben.Auch der Umstand das ich als ehemalige Migrantin Deutsch und Schweizerdeutsch aus Gesangsbücher lernte und an der Grenze vom Existenzminimum lebte und lebe, so habe ich nicht mit dem Leben verzagt.Ich lernte diese Räume zu weiten und die soziale Aufgaben in meinem Leben zu lösen.Und Ich weiss,Fachpersonal entstehen auch,wenn man ihnen unterstützt und in ihnen investiert.Das Gejammer von, es fehlen Fachpersonen…man hätte es anders machen sollen.Denn wir Migranten:innen sind immer die falsche Personen die kommen.Jetzt würde ich auch gerne auf die Welle von Studium und Weiterbildungen reiten.Oder auch Neues anfangen.Verzichten und Klimafreundlich sein das ist Alltag.

  • Susann Tracht sagt:

    Hallo.

    Ich möchte noch die Polyvagal- Theorie von Porges zum Denk-Fühlen in das Thema geben. Diese Theorie nimmt die Verbindung von menschlichem Verhalten und Reaktionen des Autonomen Nervensystems (ANS) auf Situationen, die aus Sicherheit, Gefahr und Lebensgefahr entstanden sind, in den Blick.

    Wenn also unsere menschlichen Körper*innen sich nicht sicher fühlen,verbleiben wir auf Körper*innen-Ebene mitsamt Biochemie in einem Zustand der Defensivität. Porges spricht auch von der Vagus- Bremse, die Kontakt [zu sich und der Mitwelt] verhindert, weil sich die Körper*in ständig unsicher fühlt. Äußerlich und innerlich sind wir in einem Zustand der Kontaktarmut, der Abgrenzung. Wir schieben Themen, Mensche*innen, innere Zustände von uns weg und auf Abstand. Wir urteilen unablässig und sind zeitglich immobil. Dies alles ist nicht bewusst. Es ist eine Verteidigungsstrategie, die uns durch Erstarren, Totstellen, Abschaltung bzw. Verlangsamung helfen soll Gefahr abzuwenden. Klimakatastrophe = Gefahr = Abschalten? Vielleicht … Ich tendiere zu folgender These: Menschliche Körper*innen befinden sich in einem Dauermodus von Gefahr (kapitalistisch- patriarchale Ausbeutungs-Forderungen der Selbstopferung/ Selbstoptimierung) und da ändert die Klimakrise auf Körper*innen- Ebene nix. Sie scheint, fast banal bzw. ordnet sich unscheinbar ein.

    Oben genannte autonomen Abschalt- Reaktionen haben ihren Sitz im hinteren Cortext des Autonomen Nervensystems. Im vorderen Cortex des ANS befinden sich die Kontakt- und Verbundenheits-Schaltkreise. Prges nennt ihn auch den Selbstheilungsnerv. Er fördert Kontakt und Zugewandtheit nach innen und außen, Verbundenheit, Zusammengehörigkeit, Kooperation. Um in diesen Zustand von Begegnung und Kommunikation
    zu gelangen, benötigt die Körper*in ein Sicherheitsgefühl. Ihn zu aktivieren könnte also soziales Engagement unterstützen. Denn wir Mensch*innen wissen wirklich nicht was wir tun …

    SuTra

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Susann, danke für deine Gedanken. Dass das Wahrnehmen der Klimakrise nur ein (“Katastrophen”-)Tropfen mehr ist im Gesang des Europatriarchats, und mit diesem Wahrnehmen nicht automatisch der Knopf gedrückt wird zu “jetzt werde ich tätig” oder “jetzt ändere ich mein Leben, meine Einstellung zum Politischsein usw. usf.” finde ich nochmal sehr schön hergeleitet. Und dass Verbundenheit, Zusammengehörigkeit und Kooperation hilft zu Heilung, und auch Leute befähigt, aus der Immobilität und Abwehrhaltung zu kommen, das ist klar… aber wie diese teils vielbeschädigte Verbundenheit wieder herstellen?
    Momentan beschleicht mich das Gefühl, dass die “Vereinsamung” viel stärker wirkt, und zwar das “kuschelige Sofa-Vereinsamen”: Dass die Vereinsamung (also wenn sie nicht allumfassend ist natürlich) nicht mehr so negativ gesehen wird. Wir dachten, nach Corona kommen alle aus ihren heimischen Kuschelecken wieder rausgebrochen und stürmen die öffentlichen Orte wie Kneipen, Theater und Kinos usw. Aber die Kuschelecken wurden in Corona teils neu und mit viel Liebe zum Detail renoviert, und da blieb man weiter gern verkuschelt – in gewisser Weise als “Safe space” genutzt – drin stecken… das Diskutieren oder das Sich-Reiben an anderen Meinungen beispielsweise… das wird als eine große Kraftanstrengung gesehen, die man in Corona und gerade danach – als die mühsamen Diskussionen um Coronaleugnung usw. in Familien und Freundeskreisen endlich aufhörten – meidet. Das ist mein aktuelles Gefühl. Verbundenheit aber fühlt und erreicht man nicht, wenn eine Beziehung seicht auf der Oberfläche dahinplätschert.
    Und ich denke gleichzeitig aber auch nicht, dass man immer “in der Sache” streiten muss. Vielmehr muss Verbindung und Verbundenheit über wahres Interesse an der anderen Person und nicht an einer Sache entstehen oder gepflegt werden. Vielleicht ist das ja auch so eine verzerrte Annahme: “sei mit mir einer Meinung, dann stellt sich Verbundenheit her”. Ich glaube, so ist das nicht. Also das kann so sein, aber es muss nicht so sein. Und tja, wenn nicht, dann werden die eigenen sozialen Räume immer kleiner und enden sieben Abende die Woche auf dem kuscheligen neuen Sofa.
    Ich finde es ja eher immer überraschend momentan, wenn eine Person ähnliche Ansichten wie ich vertritt. Das Gegenteil ist sehr viel öfter der Fall. Wenn ich nicht vereinsamen möchte, muss ich “in den Ring steigen” – wie wir es für unsere Denkumenta-Ausschreibung so schön genannt haben – und mich in diesem Ring um die andere Person bemühen. Ich kann mir vorstellen, dass sich so einige Knoten lösen und wieder mehr Sicherheit entsteht. Denn am Ende wollen wir doch alle in einem je individuellen Maße anerkannt, gesehen und geliebt werden und uns eben – wie du sagst, Susann – sicher fühlen. Also wenn ich sicher sein kann, dass ich in der Gruppe, mit der ich mich abends dann doch mal wieder verabrede, gesehen werde – auch wenn wir in dieser Gruppe sehr unterschiedliche Meinungen haben – dann freue ich mich auf den Abend und verlasse gern und ohne größere Kraftanstrengung mein ebenfalls saugemütliches Kuschelsofa.

  • Susann Tracht sagt:

    Liebe Anne,

    danke für deine Bezugnahme.

    Und danke dafür, dass du meinen Impuls zum Weiterdenken und Tieferfühlen aufgenommen hast, formuliert in der Frage „… aber wie diese teils vielbeschädigte Verbundenheit wieder herstellen?“.

    Wichtig am Anfang für das Lesen meiner Worte: Ich verbleibe hier auf biochemisch- gehirnphysiologischer Erklärebene (Polyvagal- Theorie von Porges), um eventuell neue Mobilisierungsmöglichkeiten für Engagement aufzutun.

    Stellen wir uns also vor, so meine These, der du gefolgt bist… Stellen wir uns also vor, dass das Stresslevel im Europatriarchat so hoch ist, dass unsere menschlichen Körper*innen sich nicht sicher fühlen und somit biochemisch in einem Zustand der Defensivität feststecken. Die Vagus- Bremse im im hinteren Cortex des Autonomen Nervensystems (Porges) ist angezogen und damit Kontakt [zu sich und der Mitwelt] unmöglich. Es geht dabei um äußerliche und innerliche Kontaktarmut und Abgrenzung. Alles unbewusst. Alles Verteidigungsstrategie.

    Die Schaltkreise für Kontakt, Zusammengehörigkeit, Kooperation und Verbundenheit befinden sich im vorderen Cortex des Autonomen Nervensystems. Das ist ganz auf der anderen Seite des Autonomen Nervensystems und das ist die andere Seite der Kontaktbremse.

    Wenn du schreibst „[…] dass Verbundenheit, Zusammengehörigkeit und Kooperation hilft zu Heilung, und auch Leute befähigt, aus der Immobilität und Abwehrhaltung zu kommen, das ist klar […].“. betrachte ich das als zu schnell abgetan für wirkliches Verständnis und damit Verbundenheit, um die es uns doch geht.

    Und da liegt für mich auch der Anfang der Antwort auf deine Frage „… aber wie diese teils vielbeschädigte Verbundenheit wieder herstellen?“.

    Vielleicht hilft es uns Aktivist*innen – ich hoffe diese Beschreibung geht für dich okay? – erst einmal radikal zu realisieren und anzunehmen, dass wir da Mensch*innen mit einer angezogenen Bremse (im Hirn) vor uns haben. Und wenn diese Mensch*innen ihr Sofa lieben, dann ist genau das ein Spiegel ihrer Biochemie und stimmig.

    Da hört es jetzt aber nicht auf für mich.

    Porges schreibt sinngemäß: Um in diesen Zustand von Begegnung und Kommunikation zu gelangen, benötigt die Körper*in ein Sicherheitsgefühl.

    „Ohne Sicherheit keine Veränderung“ schreibt Dami Charf auf ihrem Blog traumaheilung. de. Das Sicherheitsgefühl ist grundlegender Faktor für Veränderung. Mensch*innen in einem entspannten Zustand (ohne Bremse) sind neugierig, offen, erforschen ihre Umgebung.

    Ein erhöhter Stresszustand verunmöglicht dies. Diese Mensch*innen können sich noch nicht einmal auf sich selbst einlassen, auf ihr Fühlen oder reflektieren … geschweige denn Annehmen, was von „Außen“ kommt.

    Wir alle kennen dies in Stressmomenten bis Stressphasen. Aber es gibt viele Mensch*innen, die dies immer so fühlen. (Welch Leid.) Mensch*innen leben dann oft in Einsamkeit und Isolation.

    Die Traumatherapie bietet Ideen, wie Kontakt mit Mensch*innen mit angezogener Bremse gelingen kann:
    Ein wichtiger Begriff dafür ist Co-Regulation und langsames Kontaktherstellen. Du hast davon gesprochen „in den Ring zu steigen“. Ja, so mag es sich erst einmal anfühlen bei Mensch*innen mit Bremse. Auch das total stimmig.

    Vielleicht hilft uns allein diese Anerkenntnis leichter „in den Ring zu steigen“?

    Und dann ist beim Kontaktherstellen die Körper*in total wichtig. Denn die spricht Bände ja sowieso. Aber bei Mensch*innen, die ihre Umwelt als gefährlich ansehen, wird das Gegenüber auf Herz und Nieren gescannt und ich meine wirklich gescannt.

    Das heisst, für mich als Aktivist*in, dass ich auf meine körperliche Präsenz sorgsam achte. Wie geht es mir gerade? Mensch*innen im Scanmodus können nicht unterscheiden, warum da eine Anspannung im Gegenüber ist. Sie nehmen diese „nur“ war und gehen in den Schutzmodus.

    Wenn möglich und von beiden Seiten erwünscht, hilft auch Berührung für Verbundenheit. Auch das kennst du wahrscheinlich. Eine Hand auf die eigene gelegt … durchatmen, im Hier und Jetzt ankommen und … sich öffnen.

    Damit widerspreche ich dem von dir gesagtem Satz nicht vollends, weil ich auch so Beziehung lebe: „Verbundenheit aber fühlt und erreicht man nicht, wenn eine Beziehung seicht auf der Oberfläche dahinplätschert.“. Aber ich fühle dies als zu hoch angesetzt bei Mensch*innen mit angezogener Vagus-Bremse.

    Wobei Berührung ist mutig [v.a. für Kopfmensch*innen, Denker*innen?]. Und dazu ist Berührung über die Körper*innen- Ebene hinaus denkfühlbar. Das Gegenüber berühren. Das ist was ganz Zartes, was ich da fühle. Ein verletzlicher Kern.

    Aus der eigenen Verletzlichkeit heraus handeln.

    Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen, kommt mir da noch in den Sinn. Kleine, klitzekleine Schritte sind dies. Meilenweit entfernt von diskutieren und sich reiben.

    Menschen, deren Verbundenheits-Gehirnteil nicht funktioniert, müssen sachte plätschernd, sofagemütlich behandelt werden. sofa-gemütlich und Engagement – das ist kein Widerspruch. Kinder erkunden die Welt auch erst, wenn sie sich sicher fühlen, aus einem sicheren Ort heraus

    Und wenn wir wissen, dass wir die Mensch*innen auf den Sofa`s finden und wir wollen was mit diesen Mensch*innen bewegen, dann müssen wir Aktivist*innen, was an unserem Herangehen ändern.

    Aufsuchende politische Arbeit. So wie aufsuchende Sozialarbeit.

    Dazu schreibe ich gern ein anderes Mal mehr.

    Liebe Grüße!

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