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Rubrik Blitzlicht, denken

DON´T TOUCH! KI UND KÖRPER*

Von Jutta Pivecka

Das Freischalten von ChatGPT durch OpenAI hat in meinem beruflichen Umfeld große Beunruhigung hervorgerufen. Ich arbeite im Bildungsbereich. Was die Künstliche Intelligenz alles kann…Wie sollen individuelle Leistungen jetzt beurteilt werden…Kann man Gedichte und Lieder, Bilder oder Erzählungen, die von der KI erzeugt wurden, von menschlichen Artefakten überhaupt unterscheiden… Viele waren von den durch Algorithmen erzeugten Textbausteinen gleichermaßen schockiert wie fasziniert. In Kürze werde die KI, so der Tenor in vom Dienstherrn eilig angebotenen Fortbildungen, das gesamte Lehr- und Lernwesen revolutionieren. Dann folgte rasch eine gewisse Ernüchterung. Die KI erzeugte unsinnige und falsche Behauptungen, die sie jedoch in apodiktischen Sätzen von sich gab, für die man bei einem Menschen die Metapher „im Brustton der Überzeugung“ hätte wählen können.

Doch die KI hat keine Brust. Ihre Sätze klingen nicht aus einem Körper heraus. Sie macht keine Erfahrungen. Denn für Erfahrung bedarf es eines Körpers. Erfahrung tut weh oder fühlt sich schön an. Menschen lernen nicht ausschließlich oder vor allem durch Sprechakte. Sie lernen mit ihren Körper. Auch sprachliche Kommunikation wird körperlich erzeugt und wahrgenommen. Die Stimme bricht, Wangen erröten bei einem Wort; eine muss schlucken, wenn die andere ihr was sagt; beim Lesen von Thrillern beschleunigt sich der Atem. 

Weil die Körperlichkeit des menschlichen Seins in der Welt und das Körpergedächtnis als dessen Geschichte immer weniger im Fokus stand, scheint das Feld bereitet für eine Übernahme unseres Sprachraums durch die KI. Schneller und mehr als wir wird sie „performen“ und sich “Identitäten” entwerfen können. Durch eine Philosophie, die das Sein in der Welt mit Sprechakten gleichsetzte und erklärte, erstand die alte Dichotomie von „Geist“ und Körper wieder, mit neuem Vokabular und unter neuen Vorzeichen. Der Körper wurde zu einem leeren Blatt, das zu beschreiben war. Dabei war es doch unser sterblicher, bedürftiger Körper, der allererst die Idee von Sprache und Schrift hervorgebracht hatte. Die Protagonisten der technologischen Revolution indessen begriffen (wahrscheinlich eher intuitiv) sehr wohl, dass ohne einen Anschluss an die menschlichen Körper ihre Programme nicht weiterzuentwickeln waren: Touch Screen. Sie schufen Maschinen, mit denen wir uns körperlich verbinden, die wir anfassen, berühren, streicheln. Auf diese Weise hofften und hoffen sie – mit Erfolg, wie es scheint –  uns dazu zu bewegen, unsere körperlichen Erfahrungen ihren Programmen „einzuschreiben“, so dass die Maschinen schließlich derartige Erfahrungen simulieren können. Diese Simulation wird von menschlicher Interaktion ununterscheidbar, insofern und weil wir uns selbst als bloße „Performer“ betrachten. 

Man kann das begrüßen und sich auf die neuen Begegnungen freuen – oder  – und dazu neige ich – stoisch an einem Menschenbild festhalten, nach dem Menschen keinen Körper haben, sondern Körper sind. Dann ist die Frage nicht, ob und inwiefern sich Produkte von Menschen und KI unterscheiden, sondern ob und inwiefern es sinnvoll ist, mit KI zu kommunizieren.

Don´t touch. 

* Wie bedeutsam gerade für ein weibliches Denken die „Verkörperlichung des Denkens“, die radikale Kritik der Geist/Körper-Dichotomie ist, hat Heike Schmitz in ihrem Vortrag: Minne und künstliche Intelligenz gezeigt, den wir 2019 auf bzw-weiterdenken veröffentlicht haben: https://bzw-weiterdenken.de/2019/12/minne-und-kuenstliche-intelligenz/  Meine Überlegungen stützen sich auf diesen Vortrag, an den ich in letzten Monaten wieder häufig gedacht und über den ich nachgedacht habe. 

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 26.06.2023
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • “Touchscreen” ist ja noch eine eher marginale Verbindung mit dem Körper. Da ist viel mehr in der Pipeline! Gerade hat die Firma Neuralink von Elon Must die Genehmigung der US-Gesundheitsbeörde bekommen, Chips ins Gehirn von Menschen einzupflanzen, um “direkt” mit Computern interagieren zu können:

    Studie an Menschen : Musk-Firma Neuralink darf Gehirn-Chips testen
    https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/musk-neuralink-gehirn-computer-chips-100.html

  • Jutta Pivecka sagt:

    “´Touchscreen´” ist ja noch eine eher marginale Verbindung mit dem Körper.” -Das stimmt, wenn man es individuell betrachtet. Meine Überlegung ging eher dahin, dass der Touchscreen erst die Massen dazu verführt hat, sich auf das Gerät einzulassen und über diese Einlassung ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Das Implementieren von Chips im Körper dagegen wird – zumindest bisher – wohl von einer Mehrheit für sich selbst abgelehnt. Gleichwohl kann es natürlich beunruhigen. Mit meinem Beitrag wollte ich dazu anregen, auch darüber nachzudenken, welche Folgen gerade diese “marginalen” Verbindungen haben, wenn sie für viele/für fast alle zur “Normalität” werden. Vielleicht übersehen wir das, wenn wir uns auf die heftigeren Eingriffe konzentrieren. Politische Kämpfe wären dann nicht nur darum zu führen, wer was wo wie implantieren darf, sondern viel eher darum, dass gesellschaftliches Leben (weiter) stattfindet, auch ohne sich an die KI “anzuschließen”.

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