Forum für Philosophie und Politik
Von Kathleen Oehlke
Fünfzehnter Beitrag aus der Serie „Küchengeschichte(n) – wie Haushaltsgeräte die Care-Arbeit veränderten und verändern“
Heute ist ein Haushaltsgerät dran, das sich gleich in zweierlei Hinsicht von den bisher vorgestellten unterscheidet. Erstens gibt es das schon so lange, dass selbst die ältesten BZW-Autorinnen und Leserinnen die Einführung noch nicht mitbekommen haben (Patentanmeldung 1846 und sodann sehr schnelle Verbreitung). Zweitens ist die Nähmaschine ein Gerät, mit dem etwas produziert wird. Im Gegensatz zu den Arbeiten, die mit Staubsauger, Thermomix & Co. erledigt werden, bleibt das, was mit der Nähmaschine gemacht wird, zumindest so lange bestehen, bis das Werkstück abgenutzt ist. Wir befinden uns jetzt also im Bereich der Produktion. Wie die Nähmaschine sich auf das Soziale und die Arbeit direkt nach ihrer Erfinung und Verbreitung ausgewirkt hat, hat Karen Hauser Ende der 70er Jahre in ihrem Aufsatz “Technischer Fortschritt und Frauenarbeit im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte der Nähmaschine.” beschrieben. Seit ihr Text erschien, ist noch etwas ganz entscheidendes dazugekommen, nämlich das Internet. Aber von vorn.
Wie in so vielen Haushalten war und ist auch in meinem Elternhaus eine Nähmaschine vorhanden. Und obwohl nähen nicht zu den Lieblingstätigkeiten meiner Mutter gehört, konnten meine Schwester und ich doch mit selbstgenähten Kostümen zum Kinderfasching gehen und auch an der Arbeitskleidung meines Vaters wurden lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt. Wie in wahrscheinlich vielen Mutter-Tochter-Verhältnissen üblich, zeigte meine Mutter mir, wie das Mysterium Nähmaschine zu bedienen ist, so dass ich mich bald selbst daran versuchte. Das war in den 90ern. Mit der damals aktuellen Mode hatte ich so meine Schwierigkeiten, so dass der Wunsch in mir aufkeimte, mir eine gut sitzende Hose zu nähen. Nun wuchs ich in einem kleinen Dorf auf, das Internet gab es noch nicht und auf die Idee, um Hilfe zu bitten, kam ich irgendwie nicht. Also schlich ich in der Kreisstadt zwar im Karstadt um das Schnittmusterregal und durch die Stoffabteilung, zog dann aber doch die mehr schlecht als recht sitzenden Hosen aus dem Jeansladen oder dem Quelle-Katalog an. Meine Nähabenteuer beschränkten sich hauptsächlich auf Patchworkdecken und Sofakissen. 25 Jahre später: Die Mode der 90er ist zurück, der Wunsch nach Kleidung, die meiner Körperform schmeichelt, ist noch da. Mittlerweile wohne ich in einer größeren Stadt mit Stoffgeschäften und Nähkursangeboten UND das Internet ist nicht nur erfunden, sondern voll von Nähblogs und -videos, Schnittmustern und Online-Stoffgeschäften. Selbst im Radforum bringt das Suchwort “Nähmaschine” 281 Treffer, denn auch Zeltunterlagen und Radtransporttaschen können natürlich selbst genäht werden (www.rad-forum.de, Stand 21.5.2023).
Allermeistens sind auf Nähseiten Frauen unterwegs, die sich in Netzwerken und Nähforen gegenseitig bestärken, Tipps geben, ihr Wissen teilen und sich füreinander freuen angesichts gut sitzender Kleidung oder gelungener Reparaturen. Was mich besonders freut und beeindruckt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen in diesen Foren und Blogs über ihre Körper sprechen und schreiben. Viele von ihnen verfügen nicht über sogenannte “Idealmaße”, so dass Anpassungen an den Schnittmustern nötig werden. Und dann wird ausführlich und teils bebildert in der Gruppe besprochen, was zu tun ist bei einem flachen Hintern, breiten Hüften, ausladendem Busen etc. Das sind dann keine Makel, sondern Gegebenheiten, um die geschickt drumrumgenäht wird. Und plötzlich sind es dann diese Frauen, die mit maßgeschneiderter Kleidung herumlaufen – und dabei gut aussehen!
Verklären möchte ich hier nichts. Die Spannbreite der Nähseiten und -foren reicht von kapitalismuskritischem Minimalismus, wo auf Blogs gezeigt wird, wie man aus zerschlissenen Handtüchern noch Waschlappen nähen kann, bis hin zu Leuten, deren Stoffvorräte so groß sind, dass ein Leben nicht ausreichen wird, um sie zu vernähen. Natürlich werden in solchen Foren auch Stereotype bedient (“Jungsstoffe”) und teils viel zu viel konsumiert, weil Anleitungen für schnell genähte Kleidungsstücke und Täschchen zu immer neuen Stoffkäufen verleiten. Aber auf wundersame Weise, oder weil die Algorithmen mich mittlerweile kennen, habe ich aber auch sehr viele “Nähcommunities” gefunden oder wie das mittlerweile heißt, in denen ich mich gut aufgehoben fühle. Als Corona noch neu war, wurden Stoffmasken genäht und die entsprechenden Schnittmuster und Anleitungen geteilt. Als die US-Wahlen anstanden, waren Instagram & Co. voll von Patchworkarbeiten, auf denen “go vote” o.Ä. stand. Auch andere politische Themen wie das Abtreibungsrecht, die Black lives matter-Bewegung, die Klimakatastrophe und natürlich der Ukraine-Krieg werden adressiert. Und dann kommt noch das Thema Care dazu. Textilien werden immer gebraucht. So wundert es nicht, dass es Nähaktionen gibt wie Mini-Kleidung für Frühchen, Quilts für Geflüchtete, Nesteldecken für Menschen mit Demenz oder, wenn mal Pandemie ist, eben das Nähen von Mund-Nasen-Bedeckungen.
Nähen als Freizeitvergnügen, einfach so, das gab es früher nur für sehr reiche Frauen. Arme Frauen nähten um ihr Überleben. K. Hauser hat herausgearbeitet, wie die Nähmaschine dazu beigetragen hat, schlecht bezahlte Heimarbeit zu verfestigen, die in der Regel von Frauen verrichtet wird. Heute können auf Platformen wie Etsy oder anderen Märkten selbst hergestellt Produkte verkauft werden. Häufig sind das Einzelstücke, Kleinserien oder auf Bestellung angefertigte Dinge. Ich bezweifle, dass der Stundenlohn für viele der angebotenen Dinge den aktuellen Mindestlohn erreicht oder gar überschreitet, geschweige denn ein Einkommen ermöglicht, das zum Leben reichen würde. Die allermeisten nähen wahrscheinlich nicht aus purer Notwendigkeit heraus, sondern weil es ihnen Freude macht. Nicht ohne Grund heißt es in Patchworkkreisen, dass Quilts entweder für sich selbst genäht oder verschenkt werden. Auf diese Weise haben sie dann eben keinen Preis. Aber weil man die Sachen ja unmöglich alle selbst behalten kann und auch Familie und Freunde i.d.R. bereits üppigst beschenkt wurden, verkaufen viele die genähten Kosmetiktäschen und Sofakissen. Und weil es ja eigentlich ein Hobby ist, dies eben zu einem Preis, der einen Stundenlohn von kaum mehr als 2-3 € ergibt. D.h. die in K. Hausers Text beschriebene Entwicklung setzt sich in neuem Gewand fort. Selbstausbeutung als Freizeitbeschäftigung sozusagen.
Während mancherorts schon das Ende des Hobbys proklamiert wird, verzeichnen Veranstaltungen wie Nähmessen und Stoffmärkte nach wie vor hohe Besucher*Innenzahlen. Welche Freude es macht, einen Quilt zu nähen zu verschenken, schrieb ich hier schon mal. Auch das Nähen von Kleidung, besagter Zeltunterlage und allerlei Kleinigkeiten bereichert meinen Alltag – gutes Werkzeug darf da natürlich nicht fehlen. Mir macht das so viel Freude, dass jüngst sogar eine weitere Nähaschine bei mir einziehen durfte.
Zum Weiterlesen
Karin Hausen, Technischer Fortschritt und Frauenarbeit im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte der Nähmaschine. Geschichte und Gesellschaft 4, 1978, S. 148-169. Online hier abrufbar: https://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1980/1980-11-a-741.pdf
Und hier noch drei inspirierende Blogs, die ich schon länger lese:
1. Blog mit vielen hilfreichen Anleitungen, Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit und hier konkret zum Thema Stundenlohn: https://www.greenfietsen.de/2015/05/preis-fuer-mein-handmade-produk.html
2. Einer meiner Lieblingsblogs, teils Kleidung, teils Kunst, hier mit einem Quilt gegen den Ukraine-Krieg https://bimbambuki.blogspot.com/2022/09/blog-post.html
3. Blog mit den Kategorien “Schnittmuster” und “Great Women”: https://lemondedekitchi.blogspot.com
Danke für diesen interessanten Einblick in die Näherinnenszene und die Geschichte des Nähens mit Maschine!
Ich hatte in der Schule noch “Handarbeitsunterricht”, in dem irgendwann auch auf Maschine genäht wurde: noch die mechanische Version mit beweglichem Fußbrett! Als ich dann mal die Elektrische ausprobierte, war ich entsetzt über den Kontrollverlust, den das mit sich brachte. Kein langsames Anfahren mehr, das Ding ratterte los wie wild. Ich ließ die Finger davon und führte fortan ein Leben ohne Nähen. Für Kleinigkeiten taten es die Änderungsschneidereien, die irgendwann nur noch von Migranten betrieben wurden, wohl wegen des schlechten Stundenlohns. Bin ihnen dankbar, dass es sie gibt!