Forum für Philosophie und Politik
Von Jutta Pivecka
Frauen, Leben, Freiheit
Seit dem gewaltsamen Tod von Jina Masha Amini, die im September 2022 von den islamischen Sittenwächtern in Teheran festgenommen wurde, weil sie ihr vorgeschriebenes Kopftuch angeblich nicht korrekt trug, kommt es in der Islamischen Republik Iran immer wieder zu Demonstrationen gegen das Mullah-Regime, das seit 1979 herrscht.
Ich habe mit meiner aus dem Iran stammenden Freundin Shabnam Hemmatian ein Gespräch über die gegenwärtige Situation im Iran geführt.
Jutta: Shabnam, als wir uns im Spätsommer 2022 getroffen haben, hast du mir erzählt, dass praktisch alle jüngeren Menschen im Iran, zu denen du Kontakt hast, keine Hoffnung mehr für das Land haben und auswandern wollen. Die Herrschaft der Mullahs erschien unüberwindlich. Auch konnten sie ihren Hass gegen Nicht- und Andersgläubige weiterhin exportieren, wie das schreckliche Attentat auf Salman Rushdie im August zeigte. Wie beurteilst du die Situation jetzt?
Shabnam: Manchmal bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen. Der Tod dieser jungen Frau, die zum ersten Mal im Leben in Teheran war und völlig willkürlich ermordet worden ist, wurde zum Funken, der einen Flächenbrand ausgelöst hat. Dieser Mord ist zum Symbol für die Willkür und Unverschämtheit des Regimes geworden, für die schon lange bestehenden Repressionen, vor allem gegenüber Frauen und Kurd_innen. Neu an diesen Demonstrationen gegenüber früheren Aufständen ist, dass 1. Frauen im Vordergrund stehen, 2., dass sich unter dem Motto “Frauen. Leben. Freiheit” spontan viele sehr unterschiedliche gesellschaftliche und politische Richtungen vereint haben, 3., dass diese Bewegung schon seit fast vier Monaten anhält und die Menschen sich nicht einschüchtern lassen und 4., dass die Bewegung auch von außen, von den Exil- Iraner_innen , und auch von demokratisch gesinnten Politiker_innen im Ausland massiv unterstützt wird. Zum ersten Mal stehen die diplomatischen Beziehungen der Islamischen Republik zu Europa oder zum Beispiel Kanada ernsthaft zur Disposition.
Jutta: Hierzulande galt manchen ja eine Debatte um das von bestimmten islamischen Gruppen postulierte Verhüllungsgebot für Frauen per se schon als islamfeindlich. Nun hat sich die Revolution gegen die Mullahs im Iran gerade am Zwang zur Kopfbedeckung für Frauen entzündet. Wie siehst du das?
Shabnam: Masih Alinejad hat genau dies vorausgesagt, dass der Hijab die Islamische Republik zu Fall bringen wird. Denn der Zwang zur Kopfbedeckung symbolisiert die gesamte Unterdrückung der Frauen, die diese seit 43 Jahren erleiden. Frauen sollen unsichtbar sein und nur als Mütter und Hausfrauen verstanden werden. Die herrschenden Mullahs im Iran definieren mit dem Zwangshijab die Frauen als Sexualobjekt, indem sie behaupten, dass Männer sexuell erregt werden, wenn Frauen sich unverhüllt öffentlich bewegen, singen, Fahrrad fahren, schwimmen, tanzen oder lachen.
Jutta: Zuletzt: Was wünschst du dir von der deutschen Regierung und von der deutschen Öffentlichkeit? Was können wir tun, um die Frauen und Männer im Iran in ihrem Kampf für Freiheit zu unterstützen?
Shabnam: Dem Regime sollte die Anerkennung verweigert werden. Die Beziehungen zu diesem Regime sollten auf ein Minimum reduziert werden. Die Organe des Regimes, wie die Revolutionsgarden, sollten als terroristische Vereinigungen behandelt und ihre Gelder im Ausland vollständig blockiert werden. Sie sollten im Ausland auch keine sichere Zuflucht finden, z.B. keine medizinische Behandlung. Wir kennen Fälle von Folterknechten, die dafür gesorgt haben, dass Medikamente im Iran knapp sind, aber sich selbst in Topkliniken im Ausland behandeln lassen. Die Bevölkerung in Deutschland und anderen Ländern kann uns unterstützen, indem sie an Demonstrationen teilnimmt und vor allem versucht, die Stimme von Menschen zu sein, die im Iran in Gefängnissen sitzen und von Folter und Hinrichtung bedroht sind, z.B. indem sie die Namen dieser Menschen nennen und Informationen über diese teilen, so dass sie nicht in Vergessenheit geraten.
Weder verzeihen, noch vergessen wir. Frauen. Leben. Freiheit.
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Shabnam Hemmatian ist 1965 in Teheran geboren und lebt seit 1984 in Deutschland. Sie hat Philosophie studiert und arbeitet in einem Medienzentrum.
Schlicht: Danke, Jutta, für diesen Text!
Furchtbare Zustaende!
Ich fand zu diesem Thema Die Anstalt vom 15. November https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-15-november-2022-100.html sehr beeindruckend.