Forum für Philosophie und Politik
Von Jutta Pivecka
Über Najat El Hachmis Roman „Am Montag werden sie uns lieben“
In der Welt, in der Najat El Hachmis Ich-Erzählerin Naima aufwächst, müssen Mädchen und Frauen selbst um die Freiheit ihrer Träume kämpfen. Denn auch in die Träume schleichen sich die Zwänge ein, denn auch die Träume sind geprägt von den Forderungen der Umwelt, einerseits der partriarchalischen, muslimisch-marokkanischen Einwandererkultur in einer Vorstadt von Barcelona und andererseits den Idealbildern „westlicher“ Frauen aus der Werbung.
Die Ich-Erzählerin des Romans führt Listen, wie sie sein wird, ab nächsten Montag, wie sie schlank sein wird, fleißig, gut, wie sie alle Pflichten erfüllen wird, diejenigen, die Mutter und Vater ihr auferlegen: eine gute Hausfrau und Mutter werden, kein Gerede verursachen, aber auch diejenigen, die sich selbst auferlegt: gut in der Schule sein, selbstständig werden, westlichen Schönheitsideale entsprechen. Sie will etwas wert sein. Ein Mädchen, eine Frau, hat immer einen Preis in dieser Welt: „Je umworbener eine junge Frau war, desto höher stieg ihr Preis.“ Den Preis legt das Interesse fest, das Männer an Frauen finden. Gleichzeitig ist umgekehrt jedes Interesse von jungen Frauen an Männern zutiefst verpönt. Es ist sind diese „Wert“-Vorstellungen, aus denen sich die Protagonisten befreien will durch Bildung und Arbeit. Sie idealisiert das Frauenbild der Mehrheitsgesellschaft und hofft sich diesem durch Diäten und Sport anzugleichen. Doch sie bleibt, gerade durch ihr verzweifeltes Bemühen, den Erwartungen zu genügen, in den Vorstellungen gefangen, aus denen sie sich befreien will. Die Versuche, den eigenen Wert zu steigern, machen unmöglich, was sie ersehnt: Um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Denn sie selbst bewertet sich eben nach jenen Kriterien, denen sie zu entkommen sucht.
El Hachmis Roman ist als ein Brief konzipiert, ein Brief der Ich-Erzählerin an die geliebte Jugend-Freundin, mit der gemeinsam sie versucht hat, den beengenden Verhältnissen zu entkommen. Immer wieder wird das „Du“, die vermisste Freundin, angerufen, um die gemeinsame Geschichte zu beglaubigen, nachzuvollziehen, wie geschehen konnte, was ihnen geschehen ist, obwohl sie mutig waren, bis zur Selbstausbeutung fleißig, strebsam, ideenreich. Die Freundin, als ganz junges Mädchen von den Eltern an einen gewalttätigen Cousin verheiratet, will nach der Scheidung eine echte Romanze erleben und verliebt sich in einen jungen Mann, der so ganz anders zu sein scheint, als die anderen Männer, der behauptet, ihre Eigenständigkeit zu achten. Sie macht eine Friseurlehre, träumt davon sich selbstständig zu machen mit einem Brautmodengeschäft oder später mit einem Süßigkeitenladen; sie hat erste kleine Erfolge, die ihr der Neid und das Gerede in der Siedlung zerstören, wird schnell schwanger. Auch die Ich-Erzählerin erlebt parallel ihre Liebesgeschichte mit einem jungen Mann, der verspricht, ihr Studium zu unterstützen. Die Sehnsucht danach, geliebt zu werden, treibt beide junge Frauen in frühe Ehen und frühe Schwangerschaften. Von den Männern werden sie bitter enttäuscht: „Das alte Lebensmodell unserer Eltern war zu bequem für sie, darauf würden sie nicht verzichten.´ Wir sind für sie der Hauptgewinn.´, sagtest du. ´Wir machen nicht nur alles, was unsere Mütter gemacht haben, wir schaffen außerdem noch das Geld ran, wir entbinden sie von jeder Verantwortung.“
Es wird offensichtlich, wie die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung in der hermetisch geschlossenen Gemeinschaft der Migranten aus Marokko in der Siedlung und der sie umgebenden „modernen“ spanischen Welt vor allem zu Lasten der Frauen geht. Die muslimisch geprägte Community hält an der patriarchalischen sozialen Kontrolle der Frauen fest, schränkt die Bewegungsfreiheit der Mädchen massiv ein, während die Männer die Freiheiten dieser Welt in vollen Zügen genießen. Die „fortschrittlichsten“ unter ihnen nutzen die modernen Vorstellungen aus, um sich die Privilegien beider Welten zu sichern: sie verlangen die umfassenden Dienste der traditionellen Hausfrau und setzen zugleich auf die finanzielle Unabhängigkeit der berufstätigen Frau, der sie keinen Unterhalt mehr schulden. Hier zeigt der Roman jene Fehlentwicklungen durch einen missbrauchten Feminismus auf, wie sie z.B. auch durch das modernisierte Scheidungsrecht in Deutschland entstanden sind: Ohne eine gleichzeitige gerechte Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern ist die gerühmte „Eigenständigkeit“ durch Vollerwerbsarbeit nur eine Schimäre, die zur Verarmung und Überlastung von Frauen führt. El Hachmi erspart den Leserinnen und ihren Protagonistinnen nicht die Erkenntnis, wie sie selbst am Aufbau dieser Falle durch ihre gleichzeitige Sehnsucht nach Liebe und Gleichstellung mitgewirkt haben.
Doch sind die Härten, denen El Hachmis weibliche Protagonistinnen ausgesetzt sind, noch wesentlich einschränkender, diskriminierender und verletzender als jene, mit denen auch „weiße“, säkulare Frauen konfrontiert sind. Die Autorin zeigt in aller Schärfe, wie die religiös begründeten traditionellen „Wertvorstellungen“ sich gegen die, vor allem auch sexuelle, Selbstbestimmung der Frauen richten. Dabei gibt es durchaus Differenzierungen. In den Familien der Freundinnen der Ich-Erzählerin herrschen etwas liberalere Sitten als unter der Faust ihres sich besonders fromm wähnenden Vaters, der freitags in der Moschee die Bestätigung erhält, dass seine gewalttätige Unterwerfung von Frau und Tochter nur zu deren Besten ist, ja es geradezu seine Pflicht sei, diese auf dem tugendhaften Weg zu halten. Die Mutter wird regelmäßig verprügelt vom Vater. Die Tochter kann der schwachen Mutter, die ihr nur heimlich gegen den verhassten Vater hilft, lange nicht verzeihen. In die Phase ihrer Ablösung aus dem Elternhaus fällt der zunehmende Kopftuchzwang in der von marokkanischen Einwanderern geprägten Siedlung. Die Kontrolle der Frauen, ihre besitzergreifende Markierung gegenüber der als feindlich wahrgenommenen Umwelt, wird immer wichtiger in einer Zeit des zunehmenden Kontrollverlustes, die die schlecht ausgebildeten Väter und Ehemänner erleben.
Die Ich-Erzählerin gewinnt literarische Preise und die Aufmerksamkeit einer „linken“, sich fortschrittlich und antirassistisch gebenden Öffentlichkeit. Doch sie erkennt auch schnell, was diese „Blase“ hören will: Exotische „Wüsten“-Geschichten und einen romantisierende Perspektive auf die kulturellen und religiösen Zwänge. Andere sind bereit, das zu liefern: „Es dauerte nicht lange, bis sie merkten, dass ich dafür nicht taugte, dass ich nichts Interessantes zu erzählen hatte. Und weil ja eine Mora wie die andere ist, luden sie stattdessen die Tochter der Parabòlica ein, und die gab ihnen, was sie wollten: ihr Staunen über die westliche Zivilisation als sie zum ersten Mal einen Schalter umgelegt habe und das Licht angegangen sei. Auch wiederholte sie beflissen, was die Scharlatane im Fernsehen sagten: dass die Frau im Islam besser geschützt sei und außerdem höher geachtet werde, denn der Ehemann sei verpflichtet, gut für sie zu sorgen – all diesen Quatsch, den du ja zu Genüge kennst. Und die Leute glaubten ihr, denn es war das, was sie hören wollten.“
En passant erledigt El Hachmis auch typische Mittelstandmythen westlich geprägter erschöpfter Teilzeitmütter, die sich nickend afrikanische Sprichwörter zuwerfen und vormoderne Gesellschaftsformen idealisieren: „Die Mütter aus der Schulklasse diskutierten über Erziehungsfragen und bewunderten afrikanische Gesellschaften, in denen sich für jedes Kind der ganze Stamm zuständig fühle. Ich war versucht ihnen zu sagen: Ihr wollt einen Stamm? Ich schenke euch meinen, in all seiner Liebenswürdigkeit – sollen sie euch wegsperren, euch unterwerfen. Eurem Nachwuchs dürft ihr euch widmen, selbstverständlich, aber sonst dürft ihr nichts. Sie werden ihr Möglichstes tun, euch eure Würde zu nehmen, so lange, bis ihr euch gar nicht mehr daran erinnert, dass ihr mal welche hattet. —-Natürlich sagte ich nichts, was hätte ich ihnen auch sagen sollen. Mir fehlte die Kraft.“
Nach und nach erschließt sich der Leserin, wie bedeutsam es ist, dass dieser Roman in der ungewöhnlichen „Du“-Form, als Brief an die Freundin verfasst ist. Denn die Befreiungsgeschichte der beiden Freundinnen gelingt nur scheinbar. Sie trennen sich von ihren Ehemännern und ziehen zusammen in die Innenstadt Barcelonas. Die Freundin arbeitet in einem angesagten Friseursalon, die Ich-Erzählerin neben ihrem Studium bei einer sozialen Organisation, die Migranten hilft. Während die Ich-Erzählerin ihr Kind bei sich behält und ständig zwischen Job, Studium und Sorge für das Kind überfordert ist, lässt die Freundin ihr Kind bei ihrer Mutter und entfremdet sich diesem immer mehr. Darunter leidet sie sehr, ohne darüber sprechen zu können. Sie bestraft sich selbst mit sexuellen Exzessen, während die Ich-Erzählerin versucht eine stabile Beziehung zu einem Dozenten aufzubauen. In einer Nacht kommt es schließlich auch zu sexueller Erfüllung zwischen den beiden Frauen, die sich seit Jahren ein Ehebett in der gemeinsamen Wohnung teilen. Doch es gelingt ihnen nicht, über diese Erfahrung zu sprechen.
Die Freundinnen erkennen nicht oder erkennen zu spät, dass sie einander die Sehnsucht nach Liebe und Gleichberechtigung erfüllen können, so sehr sind auch ihre Träume von Zwängen geprägt, dass sie nicht in der anderen Frau erkennen können, was sie begehren: „Die tiefere Wahrheit unserer Geschichte war schlichter, als wir es uns vorstellten. Sie hatte nichts mit Kulturschock zu tun, mit Integration, mit Zwischen-zwei-Welten-Sein, mit all dem worüber wir uns den Kopf zerbrachen. Das Einzige, was wir wollten, war, geliebt zu werden. Einfach so, wie wie waren. Ohne uns zurecht zu stutzen oder anpassen und unterordnen zu müssen. Weder verhüllt noch ausgehungert, weder von tausend Nadeln durchstochen noch mit tausend Cremes zugekleistert noch in enge Kleider gezwängt. Wir mit unseren Körpern, die wir selbst sind, mit unseren Köpfen, unseren Gedanken, unseren Gefühlen und unseren Wunden, den vernarbten und den offenen. Sonst nichts.”
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Der Roman “Am Montag werden Sie uns lieben” der katalanischen Autorin Najat El Hachmis wurde auf der Buchmesse vorgestellt. Ich kann ihn sehr empfehlen.
Liebe Jutta, ich habe in der Tat den Roman nicht gelesen, ich kann also nicht auf das Buch reagieren, sondern nur auf Deinen Artikel. Den ich damit gar nicht negativ kritisieren will. Ich will nur anmerken, dass die beschriebene schwierige Befreiung aus kulturellen Mustern und Zwaengen nicht auf betimmte Kulturkreise beschraenkt ist, sondern etwas bleibt, das “wir” wohl alle erleben. Auch “bei uns” im (post-)”christlichen” Westen ist noch ein weiter Weg zu gehen, um “uns” zu befreien. Was uns Frauen hier als “Freiheit” und “Fortschritt” verkauft wird….. ein Beispiel gibst Du selbst, mit der Reform des Unterhaltrechts bei Scheidung.
Was unser Umgang mit unserer Koeperlichkeit und mit allem was in “unserem Kulturkreis” “Liebe”. “Beziehung”, “Sexualitaet, etc.. anbelangt…. kann ich nur auf einen Artikel von Antje Schrupp verweisen, der zwar schon einige Jahre alt ist, aber dennoch nicht so viel an Aktualitaet verloren hat. Er befindet sich hier auf diesem Blog: https://bzw-weiterdenken.de/2010/04/mehr-korperkontakt/
“Das Einzige, was wir wollten, war, geliebt zu werden. Einfach so, wie wie waren. Ohne uns zurecht zu stutzen oder anpassen und unterordnen zu müssen. ” – Verliebt man sich eigentlich in einen Menschen oder in ein Geschlechtsorgan? Und was ist “Verlieben”? – Ich kenne eine ganze Reihe (“westlicher”, “christlicher”) Frauen, die nach heterosexuellen Partnerschaften oder Ehen es irgendwann endlich schafften, sich daraus zu befreien und zusammen mit einer anderen Frau das zu finden, was in dem Zitat oben steht. Dabei ist es ihnen vollkommen gleich, in welche Schublade sie gesteckt werden. “Lesbe”? – Was ist das? – “Liebe” – was ist das? “Sexualitaet” – was ist das? Ihre – wie ich erfahren konnte – und auch total glaube – beglueckende Beziehung ist sicherlich nicht nur “platonisch”. Aber muss denn jede koerperliche Beruehrung “sexuell” sein (was im allgemeinen mit “genital” gleichgesetzt wird?).
Immer wieder denke ich an diesen Ausspruch, den ich mal in Lateinamerika hoerte: Gewalt und Zaertlichkeit unterscheiden sich voneinander durch die Art, wie mit Naehe und Distanz umgegangen wird. Gewalt ist die groesstmoegliche Naehe ohne jegliche Distanz, waehrend Zaertlichkeit die groesstmoegliche Naehe bei gleichzeitig groesstmoeglicher Distanz ist.
Wenn Frauen mit Maennern zusammenleben, die sie nicht moegen und ihnen die Institutionen ihrer Kultur nicht erlauben, sich von ihnen zu trennen, so kann es durchaus sein, dass ein “Harem” als befreiend erlebt wird. Frauen duerfen zusammen sein, sich unbekleidet begegnen, etc… liebevoll zueinander sein, etc… und es muss nicht eine alleine alles ertragen, was ihr unangenehm ist. (z.B. mit dem besagten Mann schlafen). Es erlaubt, Freiraeume zu schaffen…. die wir Westlerinnen so gar nicht wahrnehmen koennen. (Inzwischen ist die Polygamie ja in muslimischen Kulturen selten, da es oekonomisch immer schwieriger wird.) Genau wie die Burka in der Oeffentlichkeit auch Freiraeume ermoeglicht, weil man eben nicht sieht, wer sich darunter verbirgt. (Welche Frau? Vielleicht gar ein Mann….?)
Ich habe das Buch nicht gelesen. Daher kann ich hier nicht darauf eingehen. Aber ich musste jetzt einige Male an Werke von Eva Illouz denken. Eine gebuertige (juedische) Marokkanerin, die in Frankreich aufwuchs. Interessant, wie sie analysiert, was der Neoliberalimus mit Frauenkoerpern macht und was “negative Beziehungen” sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Eva_Illouz. Eine empfehlenswerte Lektuere!