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„Pseudo-Feminist!“ Liebe in Zeiten des Kapitalismus in Triangle of Sadness

Von Anne Newball Duke

Achtung Achtung! Wer den Film noch sehen möchte: hochgradiger Spoileralarm!!

Ruben Östlund. Ich merke mir selten sofort Namen von Regisseur*innen über längere Zeit, aber den habe ich seit The Square im Kopf. Einerseits sprechen mich seine Filme extrem an. Bildsprache, Perspektiven, Dialoge… und aber vor allem die erzählerischen Auslassungen ziehen mich komplett in ihren Bann. Ich habe nach seinen Filmen immer das Gefühl, dass wenn ich nicht sofort und ganz viel über sie spreche, ich den halben Film nicht gesehen habe. Die Filme verlangen Nacharbeit, geben Denkaufgaben nach Hause mit.

Andererseits war ich bei beiden danach kurzzeitig verwirrt, weil Östlund doch sehr genüsslich über gewisse Ausformungen des Feminismus herfällt. Erst nach dem Sehen von Triangle of Sadness allerdings habe ich Lust bekommen, mich näher mit seinem Feminismus-Bashing zu beschäftigen und zu schauen, was er eigentlich genau basht.

Ich bin nicht gut in Zusammenfassungen, aber meine wäre die:

Das Modelpärchen Yaya und Carl bekommt einen Aufenthalt auf einer Luxusyacht „geschenkt“, wo sie auf einen stinkreichen russischen Oligarchen samt seiner zwei Frauen (!), ein altes Eigentümer-Ehepaar eines Waffenunternehmens, einen Tech-Branchen-Gewinner usw. treffen.

Die Crew wiederum muss nun derweil allen Wünschen dieser (Möchtegern-)Reichen gerecht werden; und wenn nun die russische Oligarchin bestimmt, dass alle Crewmitglieder – auch die in den unteren Etagen der Yacht – mal den Moment genießen und schwimmen gehen sollen, dann leisten dem auch alle widerspruchsfrei Folge, auch wenn sich dadurch das Stresslevel der Bediensteten extrem herhöht und das Captains-Dinner um eine halbe Stunde verschoben werden muss.

Mitten in diesem Captains-Dinner nun kommt es zum Showdown: ein Sturm kommt auf, und bald kotzen die Superreichen den teuren Kaviar auf Tisch, Flur, in und neben das Klo, rutschen mit ihren Körpern durch Kotze und Scheiße, als wenn’s kein Morgen mehr gibt. Für die meisten wird es auch kein Morgen mehr geben, aber nicht wegen dem Sturm; denn der legt sich, noch bevor die Sonne aufgeht. Nein, Piraten entern die 250-Millionen-Luxusyacht, die durch den Sturm nicht mehr von schwer bewaffneten Sicherheitsleuten auf dem Dach bewacht wird (gated Community auch mitten auf dem Meer) wie die Tage zuvor. Doch irgendwas geht bei der Enterung schief: wenige Sekunden nachdem die Handgranate (eine aus der Fabrik des Waffenunternehmerpärchens!) der Piraten auf der Yacht gezündet hat, fliegt nur wenige Sekunden später die halbe Yacht in die Luft, und nur wenige Sekunden wiederum darauf geht sie unter. Nur wenige haben überlebt, und wissen nun auch nicht, wie sie auf der zum Glück nahen Insel überleben sollen. Abigail, die „Toilettenmanagerin“ auf der Yacht, kommt in einem Rundum-Plaste-Rettungsboot – also mit Dach – ein wenig später als die anderen sieben Überlebenden an. Sie ist die einzige, welche nun über die überlebensnotwendigen Fähigkeiten Fischefangen und Feuermachen verfügt. Sich das zunutze machend, dreht sie das Machtgefüge einmal komplett: Sie ernennt sich zum „Captain“, und alle Überlebenden müssen sie in ihrer neuen Rolle bestätigen, wenn sie noch ein Stück von ihr gefangenen und von ihr gegrillten Tintenfisch zugeworfen bekommen haben wollen. Abigail baut in ihrem Matriarchat nun neue Hierarchien auf, und zwischen all den nun immer wechselnden Kompliz*innenschaften nimmt die Story ihren unheilvollen Lauf.

Der Mensch als Kapitalismusmaschine

Ruben Östlund seziert die kapitalistischen Ausprägungen des Feminismus, vor allem dessen Hohlheit und Leere auf sehr genüssliche Art und Weise. Ich hätte das doof gefunden, wenn er es einfach nur dabei belassen hätte. Aber er schmeißt sich genauso genussvoll in andere „Spezialgebiete des Kapitalismus“ wie die Waffenindustrie, die Tech-Industrie, die Landwirtschafts-Industrie, und er fokussiert dabei eben die völlige Erdabgehobenheit der Nutznießer*innen, der Kapital-Gewinner*innen, die in diese Industrien investiert haben und dadurch superreich geworden sind. Diese Abgehobenheit – als Teil des programmatischen Oben und Unten gesellschaftlicher Hierarchien – wird u.a. deutlich in den wenigen Worten, welche die Figur Therese, die Iris Berben verkörpert, durch eine Sprachbehinderung noch sagen kann: „In den Wolken!“ und „Ja“ und „Nein“. Oder auch darin, dass eine Superreiche nicht mal weiß, auf welcher Art von Schiff sie mit ihren Füßen eigentlich steht.

Und dann dämmerte es mir, dass das Kleine mit dem Großen natürlich verbunden ist, und nur alles zusammen betrachtet das reibungslose Funktionieren und die Wirkungsweise des Kapitalismus erklärt. Ohne die Werbung von Influencerinnen wie Yaya kein Verkauf von Dingen, die die Welt für ein gutes Leben aller Würdeträger*innen nicht braucht. Begehrlichkeiten müssen geweckt werden durch Schönheit, Schönheitsideale und Reichtum müssen verteidigt werden, und schon stoßen Waffenunternehmerpaar und Modelpaar – kling! – gemeinsam auf die Liebe an.

Hach ja, die Liebe.

Zwei Momente sind mir in Erinnerung geblieben, in denen das Wort “Liebe” in den Mund genommen wird.

Situation eins: Carl erhofft sich im ersten Teil des Films (dieser ist in drei Teile geteilt: im ersten wird Carls Beziehung mit Yaya seziert, der zweite spielt auf der Yacht, und der dritte auf der Insel), dass Yaya irgendwann einmal Liebe für ihn empfinden kann. Aber kann Liebe entstehen, wenn sich die zwei, zwischen denen sie wachsen soll, auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen befinden?

Genauer betrachtet – und das wird einem erst beim tieferen Nachdenken so richtig deutlich – ist Yaya nicht interessiert an einer wie auch immer gearteten gleichberechtigten Beziehung. Sie ist vielmehr dabei, ein Matriarchat aufzubauen in ihrem Unternehmen mit nur einem Angestellten: Carl. Sie ist die Erfolgreichere, sie verdient mehr Geld. Carl scheint eine Art Manager von ihr geworden zu sein und tut alles für ihren Erfolg. Dafür hat er auch seine Karriere als (einst äußerst erfolgreiches) Model hinten angestellt; diese Lesart wird zumindest nahegelegt. Zu zweit bekommen sie fast alles „gratis“ (natürlich ist im Kapitalismus nichts gratis, wir wissen das), aber wenn sie dann doch mal privat unterwegs sind, haben sie zunächst kein Gesprächsthema. Das kommt erst auf, als Yaya Carl mal wieder die exorbitant hohen Restaurantkosten bezahlen lässt. Als sein Aufbegehren in einen Streit mündet und sie wütend auseinandergehen, wird sie in diesen Stunden der Trennung wohl überlegen, ob sie ihn noch braucht oder nicht.

Er jagt derweil wütend und gekränkt den Gang des teures Hotels entlang, die Kamera folgt ihm, und leise zischend presst er zwischen seinen Zähnen hervor: „Pseudo-Feminist!“ Er kommt zuerst im Hotelzimmer an und wartet auf sie. Und sie kommt tatsächlich zurück, noch in der Nacht, und gibt zu, manchmal manipulativ mit ihm zu sein. In diesem Moment habe ich als gutgläubige Zuschauerin noch geglaubt, einen Funken Ehrlichkeit sprühen gesehen zu haben. Auch Carl hat den Eindruck, denn beinahe euphorisch bringt ihn Yayas Manipulationsgeständnis dazu, an eine vielleicht zukünftig mögliche Liebe zwischen ihnen zu glauben. Später wird klar: auch das Zugeben der Manipulationsstrategie ist nur eine Strategie. Nichtsdestotrotz muss man den beiden zugestehen: sie funktionieren als Unternehmer*innen-Pärchen – von gleichberechtigten Partnern kann man bei dem hierarchischen Verhältnis allerdings nicht sprechen – super. Um nur eine Szene hervorzuheben, die im Film verschiedene Variationen hat: Yayas jedes Mal routinierte, fordernde Handbewegung nach ihrem Handy, nachdem er damit Fotos von ihr im Bikini auf Deck oder beim Essen (, das sie nicht essen wird) geschossen hat. Diese kleinen Szenen – und der Film ist voll davon – sind einfach nur grandios.

(Kleiner Einschub: Später habe ich irgendwo gelesen, dass Iris Berben meinte, die Arbeit mit Ruben Östlund sei von einer Intensität geprägt gewesen, die sie vorher bei Dreharbeiten noch nicht erlebt hat. Dass sie teils einzelne kleine Szenen zigmal gedreht haben, bis sie wirklich perfekt waren. Mich erinnert das an die perfektionistische Arbeit von Vicco von Bülow alias Loriot, wo die Mitwirkenden ähnliches berichteten, und dieser Perfektionswille ebenfalls im Resultat so spürbar ist.)

Während Yaya sich abends bereits an der Yachtbar amüsiert, speist er noch etwas abseits am Laptop die Fotos ein, scheint also den Business-Teil des „Gratis“-Luxusyacht-Aufenthaltes zu erfüllen. Als sie später ordentlich angeschwipst auf das Zimmer kommt, bietet er ihr das erotische Rollenspiel “Handwerker trifft auf sexy Hausfrau” an, auf das sie vergnüglich eingeht. Hierarchische Rollen sind dieser Beziehung zutiefst eingeschrieben. Aber zum Sehzeitpunkt im Kino denke ich noch: ja aber Spaß haben sie immerhin zusammen, ist da vielleicht doch eine wenn auch utopische Chance auf Liebe?

Die zweite Situation, in der das Wort Liebe auftaucht, habe ich oben bereits angedeutet: bei einem der abendlichen Essen sitzen Yaya und Carl mit einem alten Unternehmerpaar am Tisch – beide bestimmt schon an die achtzig. Sie erfahren, dass die beiden durch ihre Waffenfirma zu Reichtum gekommen sind; der Verkaufsrenner waren viele Jahre vor allem die Handgranaten. Irgendeine gesetzliche Verordnung zum Verkaufsverbot dieser Handgranaten in bestimmte Gegenden der Welt hat den Gewinn kurzzeitig um 25 % geschmälert (wenn ich mich recht erinnere), so erzählen sie. Und dann schauen sie sich verliebt in die Augen und sagen: „Durch diese schweren Zeiten haben wir es nur mit unserer Liebe geschafft.“ Woraufhin beide Paare auf die Liebe anstoßen.

So langsam kristallisiert sich heraus, um welche „Liebe“ es sich hier handelt. Es ist eine Liebe, die von der wahren Liebe zum Lebendigen, zur Welt bereinigt ist. Es handelt sich vielmehr um eine Form der fetischisierten, bedingungslosen Liebe zum kapitalistischen System. Alle diese Menschen haben dem Kapitalismus ihre Stellung ganz oben im hierarchischen System zu verdanken. Die (Möchtegern-)Superreichen, die Östlund hier karrikiert, sind im Grunde pure Kapitalismusmaschinen.

Stell dir vor, es ist Matriarchat, und kein Feminismus geht hin

Wir springen gedanklich auf die Insel:

Kaum hat Abigail nun ihr Matriarchat errichtet, will sie Carl mit Haut und Haaren haben. Und sie bekommt ihn. Gewaltvolle Machtausübung ist Trumpf. Das Plasterettungsboot wird von ihr in eine Pleasure-Suite umfunkioniert. Scheint es am Anfang, als ob Yaya eifersüchtig ist, wird bald klar, dass sie gar nicht so sehr um den Verlust von Carl trauert, sondern viel mehr Abigail für den Aufbau ihres Matriarchats bewundert. Das sagt sie ihr auch auf einer gemeinsamen Insel-Erkundungstour. Sie gehen zu zweit los, und ich dachte, „Fuck, gleich bringt Abigail Yaya um, oder will es tun, aber Yaya hat mehr Kraft oder makabres Glück wie oft in so Filmen, und Abigail stirbt.“ Aber nein. Mitten auf der Tour sitzt die Kräftigere, Schnellere, Jüngere von beiden, Yaya, schon längst auf einem Felsen und reicht der schnaufenden, erschöpften Abigail die Hand und zieht sie nach oben. Und wieder rechnete ich jeden Augenblick damit, dass der fight zwischen den beiden beginnt und eine abstürzt. Stattdessen sitzen die beiden Frauen in Eintracht beieinander und respektieren sich gegenseitig. Yaya erhofft sich hier von Abigail sicher ein hierarchisches Upgrade. Und Abigail wiederum sieht ebenfalls gar keinen Grund, Yaya als Rivalin zu sehen. Eifersucht? Pah! Carl wird in diesem Moment, wo die beiden so scheinbar friedlich nebeneinander auf dem spitzen Felsen verweilen und sich ausruhen, nochmal so richtig offensichtlich degradiert zu einem Loverboy, einem Sexsklaven, der gut fürs Business und für das Vergnügen (Yaya) und für das reine Vergnügen (Abigail) da ist.

Carl wiederum nimmt beide Male die ihm unter der systemtypischen Gewalt „angebotene“ Rolle an. (Was wäre passiert, wenn er sich geweigert hätte, zu Abigails Lovertoyboy zu werden? Hatte er die Option überhaupt? Kann er es sich erlauben zu rebellieren, wenn er nicht allein für sich sorgen kann?) Als er Abigail – noch vor dem Trip der zwei Frauen – fragt, warum sie ihre Beziehung nicht endlich öffentlich machen, es wüssten ja eh schon alle (und er ist natürlich zum Gespött der übrigen Männer geworden) und er würde dafür auch offiziell mit Yaya „Schluss machen“, winkt sie nur locker und leicht genervt ab. Eine öffentliche Anerkennung einer wie auch immer gearteten Beziehung würde nur seine hierarchische Stellung verbessern. Sein Versuch scheitert auch hier – wie schon bei Yaya zuvor nach dem Streit darum, wer die Rechnung bezahlt. Denn bezahlt hat by the way natürlich er sie dann doch letzten Endes. Beide Frauen wissen also, wie man ihn „untenhält“, und respektieren sich für diese in hierarchischen Gesellschaftsordnungen wichtige Kompetenz.

Yaya wird aber auf diesem Trip tatsächlich von Abigail ermordet werden, aber nicht aus Eifersucht, sondern weil Yaya am Ende ihrer Erkundungstour den Fahrstuhl eines Luxus-Resorts findet. Abigail will also mit dem Mord verhindern, dass die anderen sechs Überlebenden, also die ihr aktuell Untergebenen, von diesem Resort erfahren und sich somit die Hierarchieverhältnisse – schwupsdiwups – wieder drehen.

Fazit also: Hier ist kein Feminismus weit und breit in Sicht. Oder wie Carl – unverstandener- aber korrekterweise – sagt: nur Pseudo-Feminist*innen, so weit das Auge reicht. Der dem Kapitalismus einverleibte und zurechtverdaute Feminismus ist leer, hat keine Substanz, keinen Halt. Ich musste daran denken, wie Ursula von der Leyen der neuen ultrarechten Regierungschefin Giorgia Meloni „als erster Frau“ in diesem Amt gratulierte. Auch hier: eine Referenz auf Feminismus, bei der sich mir der Magen umdreht. Unnötig zu sagen, wir wissen es: einer der wichtigsten Agendapunkte, die rechte Parteien in Regierungsmacht haben, ist es, jegliche über Jahrzehnte von Feminist*innen hart erkämpften feministischen Errungenschaften wieder zu vernichten. Wir sehen es überall um uns herum; allein in den USA passieren diesbezüglich gerade täglich monströse Backlashs in Gesetzgebung usw.

Worte, Begriffe werden ihres Sinns beraubt und mit dem alten europatriarchalen (Begriff „Europatriarchat“ nach Minna Salami) Bullshit gefüttert und tragen sodann die altbekannten gewaltvollen europatriarchalen Realitäten in sich, welche wiederum über Raum und Zeit gelegt werden. Das kann ganz sanft geschehen; du bemerkst es kaum, wirklich. All diese Umcodierungen und neuen Füllungen, Versetzungen und Diäten von Worten geschehen, bis sie ganz locker und bequem in die Kleidergröße des Kapitalismus passen. Capitalism likes that und schickt ein Selfie in die Welt. Look at me, it’s me, I am a Feminist! Ich musste nichts retuschieren, really! Ich bin zwar schon Jahrhunderte alt, aber ich habe jetzt ganz ohne operative Eingriffe Yayas wundervolle, sanfte, weiche, glatte, jugendliche pc-PoC-Haut!

Es ist einfach so: Je weiter der Feminismus in die auf fossilem Kapitalismus aufgebaute Demokratie eingepasst wird, desto weniger Feminismus ist drin. Aber wir können ihn weiter so nennen: „Feminismus“. Klar. Feel free. Die Worte sind frei, wer kann ihren Sinn erraten. Keine* kann das, die nicht ein klitzekleines bisschen tiefer denkt. Und wenn dann doch mal kurz die Auswüchse der Absurdität zu offensichtlich werden, dann machen wir uns – allen voran rechtskonservative alte weiße Männer – über den ganzen Feminismus lustig, stürzen uns nach Blut lechzend auf ihn wie Mücken auf die ahnungslosen letzten Badegäste in der Dämmerung an einem paradiesischen Strand von Sardinien. Schaut euch den Feminismus an, so absurde Ziele, so sinnentleert und nichtssagend! Wie lächerlich und pseudo-rebellisch er jetzt ist, ach was!, schon immer war!, der Feminismus! Büärgs, so erbärmlich.

Schaut doch nur, wie Yaya Carl vor allen auf der Insel kritisiert, als er in so verständlicher emotionaler Erregung mit dem Finger auf Abigail zeigt. „Gewalt!, Gewalt in deiner Sprache!“, interveniert sie, und schwingt eine kurze Rede wie aus dem Lehrbuch für gewaltfreie Kommunikation. Einige Tage später ist sie tot. Erschlagen von der Frau, die sie noch Stunden zuvor „feministisch“ verteidigte. Was hat Yaya also die feministische Moral gebracht?, feixt der rechtskonservative Geist. Ich entgegne: Natürlich ist die Gewalt in Carls Sprache Scheiße! Aber die ganze Gesellschaftsordnung ist von krass gewaltvollen Strukturen durchzogen, dass es total logisch ist, dass die Sprache in einer solchen auch Gewalt ins sich trägt.

Wirklich, ich finde es immer richtig, gewaltvolle Sprache aufzudecken. Aber dann, Yaya, benenn auch die gesellschaftsinhärente Gewalt! Du tust das nicht, weil du selber die Gewalt spürst, deshalb passt auch du dich ein und suchst deine Möglichkeiten der Vorteilsnahme, also ist deine Kritik wieder nur selektiv strategisch manipulativ. Und das ist total verständlich, denn all dein Sein ist auf Überleben programmiert. Auf Moral wird nur für die Machthaberin gepocht! Die Moral von der Geschicht‘ in Bezug auf dich, Yaya, ist: Du weißt nie, wann du wieso einem solchen System im Wege stehst und zum endgültigen Schweigen gebracht wirst. Es ist daher in gewissem Sinne tragisch, dass du stirbst. Es hätte jede* andere der übrigen sechs in derselben Situation getroffen.

Da loben wir uns doch das Europatriarchat, sagt dann wieder der alte weiße Mann, gerade heraus, so wie es ist (und ergänzt: ich habe eine Frau und einen schwarzen Freund!). Das Letzte, was wir in der Krise brauchen, sind Umwege über sinnverdrehte feministische Worte. Was wir brauchen, sind emanzipierte, potente, fleißige, starke Bienchen, ob Mann, ob Frau, ob LGBTQI*, schwarz oder weiß, who the fuck cares??? Hauptsache, sie bringen die Gesellschaft voran (wohin nochmal? Egal) und bewahren die Demokratie (, die sodann fehlerlos glänzt)!

Yessss! Ich schaffe gerade den Bogen zurück in die stürmische Endphase auf der Luxusyacht.

Also die nächste Frage, der Schimpfworte bereinigt, ist:

Who cares?

Wer hält dieses System am Laufen bis zum bitteren Ende? All die kleinen fleißigen Care-Arbeiter*innen. Kaum eine Superreiche* sitzt noch am schwankenden Tisch, da serviert das Service-Personal immer noch in kerzengerader Haltung (die eine Hand hält das Tablett, die andere ist fein säuberlich auf den Rücken geklebt) die letzten Gänge. Aus den Toiletten ist noch nicht mal die Scheiße explodiert, und die russische Oligarchenfrau glitscht in ihrer eigenen Kotze noch immer im Bad mal nach links, mal nach rechts, je nach Bootslage, und gibt dabei den Versuch nicht auf, die Kotze auf diesen Gleitwegen noch akkurat ins Klo zu platzieren, da schrubben die Toilettenmanagerin Abigail und die ihr unterstellten fleißigen und unermüdlichen Reinigungskräfte schon die erste Kotze auf den Gängen weg. Wenn das Schiff nicht gekapert und untergegangen wäre, ich schwör, dann hätten die fleißigen Bienchen bis spätestens mittags alles wieder in die beste aller Ordnungen geputzt und das Mittagessen wäre in gewohnter Akkuratesse vom Kochpersonal zubereitet und vom Servicepersonal serviert worden.

Den Männern – dem superreichen „Shitseller“ (mit dem Verkauf von Düngemitteln reich geworden) inklusive – auf der Insel ist es letzten Endes fast egal, welche Rolle jene hat, die für sie sorgt. Abigail sorgt für sie – dafür bieten sie ihr Gold und Juwelen an, werden Sexsklave, whatever. Sie können ja nicht für sich alleine sorgen. Alles, womit sie Geld gemacht haben, was sie zu Superreichen oder zur Influencerin gemacht hat, befriedigt weder ihre eigenen existentiellen Bedürfnisse noch die anderer.

Die Moral von der Geschicht‘

Viele werden sagen: „Sssiiiiehste, wenn Frauen durch ihre Care-Fähigkeiten an der Macht wären, isses auch nicht anders! Der Kapitalismus und die in ihm eingeschriebenen Hierarchien haben uns versaut, forever and ever, wir können nichts außerhalb von ihm und ihnen mehr denken! Auch nach dem Ende des Europatriarchats fallen wir in die nächste gewaltvolle hierarchische Ordnung, wir haben es ja nicht anders gelernt, es ist schicksalhaft unausweichlich und universal!“

Aber: Was ist es eigentlich, was wir nicht gelernt haben? In Wahrheit haben wir einfach nicht gelernt zu denken. Das Denken wird ausgeschaltet in dem Moment, wo es anfängt interessant zu werden, wo wir uns eigentlich nur aus schicksalhafter Ergebenheit herausbugsieren müssten. Aber nö, lieber zurücklehnen auf der Sonnenbank, eine Runde späten Fun-Kapitalismus durch die Nase ziehen und sich daran erfreuen, dass man anscheinend zu den letzten gehört oder gehören wird, die untergehen werden, die soeben der Auslöschung, der Vernichtung, dem Tod nochmal entkommen sind.

Östlund zeigt in Triangle of Sadness im Grunde nur, wie es auch nicht geht. Ein Matriarchat mit denselben Vorzeichen? Ja, dann geht es eben nur vom selben zum selben. Abigail hatte ihren kurzen geschichtlichen Moment an der Spitze dieser kleinen kompakten Inselgesellschaft, zusammengeschrumpft auf acht Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sichtbar sind sie alle geworden, selbst einer der Piraten (oder arbeitete er doch im Maschinenraum der Yacht, so wie er vorgibt? Man weiß es nicht endgültig…) – der einzige Schwarze in diesem Reigen – hat es vom unsichtbaren, gewaltvoll weggedrückten Rand in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Werden also hier nicht zwei der vielen feministischen Forderungen erfüllt? „Sichtbarkeit für Minderheiten“ und „Frauen an die Macht“, z.B. in die Dax-Vorstände usw.? Okay, ja, aber wird die Gesellschaft nun dadurch besser, weniger gewaltvoll?, fragt mich Östlund.

Und spätestens, als ein schwarzer Strandutensilien-Verkäufer Therese einen Sonnenhut für ihre verbrannte Gesichtshaut anbietet, wird klar, dass die Insel nicht so verlassen ist und es nur eine Frage der Zeit ist, bis unsere kleine, noch ganz frische Abigail-Crusoe-Gesellschaft, die einen Freitag strandete, wieder ins alte Europatriarchat kippen wird.

Zur selben Zeit wie Therese entdecken auch Yaya und Abigail den Luxus-Resort-Fahrstuhl auf der anderen Seite der Insel, in dem höchstwahrscheinlich genau jener Luxus-und/oder-Funkapitalismus leibt und lebt, wie er noch wenige Tage zuvor auch auf der Luxusyacht praktiziert wurde. Wird da vielleicht gerade eine Staffel von „Pleasure Island“ oder „Too hot to handle“ abgedreht, fragt sich mein albernes Gehirn? Man weiß es nicht. Für Yaya ginge es nun jedenfalls mit dem Fahrstuhl literally wieder nach oben, für Abigail wieder nach unten. Ach Ruben Östlund, wirklich großartige Bilder und Metaphern, die quasi in Metonymien kippen, ich liebe es einfach!

Yaya bietet Abigail – durch den Anblick des Fahrstuhls gedanklich bereits back in business as usual – an, dass sie ihre Assistentin werden könnte. Die Ordnung dreht sich vor Abigails inneren Augen, sie fällt vom „Captain“ die hierarchischen Treppenstufen zurück, weit weit zurück, viel weiter zurück als in Vor-Matriarchats-Zeiten. Denn sie ist dann wieder abhängig von der Gunst der Reichen und ihrer Arbeitgeber*innen, denen sie in ihrem kurzen Matriarchat teils übel mitgespielt hat. Von ganz oben wieder nach ganz unten??! Nie wieder, sagt sie sich, als sie Yaya erschlägt. Sie war ganz oben, sie hat die Macht im Körper gefühlt. Sie hat Gewalt ausgeübt. “Und Gewalt vernichtet am Ende alle, die mit ihr in Berührung kommen”; zu diesem Schluss gelangt Simone Weil durch die Analyse der Ilias: Alle gehen zugrunde, denen das Schicksal Gewalt verlieh, weil sie ihr zu sehr vertrauen. “Sie sehen weder, dass ihre Kraft begrenzt ist, noch betrachten sie ihr Verhältnis zu anderen als ein Gleichgewicht ungleicher Kräfte. Da andere ihnen nicht den Einhalt gebieten, den die Rücksicht auf unsere Mitmenschen verlangt, kommen sie zu dem Schluss, dass ihnen das Schicksal alle Rechte verlieh und den ihnen Unterlegenen keine. Sie überschätzen ihre Kräfte. Sie müssen sie überschätzen, weil sie keine Grenzen kennen.” (in: Krieg und Gewalt. Essays und Aufzeichnungen, S. 171). Abigail herrscht in ihrem Matriarchat nach alten Hierarchieregeln; sie führt Liebelosigkeit und Gewalt in Form von Demütigungen usw. konsequent weiter. Die Notwendigkeit, die sie darin sah, Yaya zu töten, resultiert aus der Angst vor und dem Unwillen der Rückkehr in die alte Ordnung, in der sie es wieder sein wird, die Gewalt und Willkür an ihrem Körper erleben wird.

Reden wir noch von Feminismus?

Eine Frau erschlägt eine andere. Und jetzt wird es leise und eng in all dem feministischen Kleidergeraschel.

Triangle of Sadness insinuiert keinesfalls, dass Feminismus nicht notwendig sei, sondern der Film seziert einzig und allein seine vom Kapitalismus einverleibten Ausformungen. Und es ist ja eigentlich banal, aber: Setzen wir eine Frau an die Spitze, kommt es nicht automatisch zur Umkehrung der Verhältnisse; nur weil eine Frau die überlebensnotwendigen Fähigkeiten wie Fischefangen und Feuermachen beherrscht, befraut, whatever. In diesem Moment, in dem derartige „neue“ – im Kapitalismus nur absichtlich und gewaltvoll verdeckte – Abhängigkeiten in menschlichen Beziehungsweisen sichtbar und existentiell werden (denn natürlich sind diese Abhängigkeiten so alt wie die Menschheit selbst), gibt es im Hierarchiegefüge halt lediglich ein paar Umbesetzungen.

Wie in Parasite ist das kapitalistische System so gewaltvoll, dass die auf der Hierarchie ganz unten stehende Frau mit Migrationsgeschichte lieber das Morden beginnt, als wieder in die alte Ordnung zurückzukehren. Eine ewige Spirale der Gewalt. Abigail wird nun lebenslänglich im Gefängnis landen, und schon sehe ich ihre Figur in „Orange is the new Black“ vor meinem inneren Auge weiterspielen. Wenn sie Glück hat. In einem Bundesstaat mit Todesstrafe ist sogar ihr Leben bedroht. Dann wären schon zwei Frauen und kein Mann der acht Überlebenden tot. Das feministische Kleid, das nur nach einer äußerst entbehrungsreichen Diät passt, passt nicht mehr. All die systeminhärente Gewalt und Ungerechtigkeit quillt wieder hervor, so wie die Kotze und die Scheiße aus den Körpern und Klos der Superreichen auf der Yacht.

Der Kapitalismus ist also noch nicht zu Ende.

Eine meiner Lieblings-Wissenschaftskritiker*innen und -philosoph*innen Isabelle Stengers hat es mal so schön trocken irgendwo gesagt: es ist dem Kapitalismus egal, ob er stirbt, wie und wann er stirbt. Er ist ja kein Lebewesen. Er hat keine Gefühle. Er würde seinen Tod gleichgültig in Kauf nehmen, noch während er selbst Lebewesen tötet. Es liegt in seiner Natur. Er ist lebendig genau so lange, wie er von Menschen genährt wird und sie alternativlos an ihn glauben, ihm Leben, Liebe und Alternativlosigkeit einhauchen. Und im Grunde – finde ich – stellt Östlund hier folgende Frage (oder ich stelle sie mir, angeregt durch den Film): kann ich einen Menschen oder andere Lebewesen lieben, wenn ich den Kapitalismus liebe, bzw. mich ihm ganz und gar, mit Haut und Haaren, vollumfänglich körperlich, emotional, mental, seine systeminhärente Gewalt akzeptierend usw. ausliefere und ihm damit dazu verhelfe, maschinistische, rentable, profitorientierte, gewaltvolle Blüten zu treiben, der Kapitalismusmaschine also immer wieder Frischfleisch (absichtliche Entmenschlichung!) und Munition gebe (absichtliche Kriegssprache!) und ihn befähige, sich die letzten Refugien, die letzten vom Kapitalismus noch verschonten Räume, Zeiten und Lebewesen einzuverleiben?

Die Inselmenschen sind zu keiner Liebe zu Lebewesen fähig. Auch Trauer ist ihnen unmöglich (die Unfähigkeit zur Trauer ist ein anderes Thema in dem Film, über das ich nochmal Seiten füllen könnte). Östlund lässt diese Gefühle bei all seinen Figuren einfach weg. Das Schöne ist: die Fiktion darf das. Sie darf extrapolieren. Alle Östlund-Figuren – egal aus welcher gesellschaftlichen Schicht – sind also liebe- und trauerbereinigte Figuren. Das macht sie zu „reinen Kapitalist*innen“, ja quasi Kapitalismusmaschinen.

Und wie ticken Menschen als Kapitalismusmaschinen? Befinden sie sich gedanklich immerwährend im Krieg, in dem kein Denken mehr möglich ist? Was Simone Weil zum Zustand von Menschen im Krieg schreibt, passt genau auf unsere acht Figuren. Im Krieg, so Simone Weil, erleidet die Seele alle Tage Gewalt. “Morgens ist sie unfähig, nach etwas zu streben, weil sich der Gedanke nicht auf den Weg machen kann, ohne dem Tod zu begegnen. So löscht der Krieg jede Vorstellung eines Ziels aus, auch die eines Kriegsziels. Es löscht sogar die Gedanken aus, den Krieg zu beenden. Wer ihn nicht erlebt, kann sich nicht vorstellen, dass so eine gewalttätige Situation möglich ist; wer ihn erlebt, kann sich nicht vorstellen, dass sie zu Ende geht. So tut man nichts, um dieses Ende herbeizuführen. Die Hände können nicht aufhören, die Waffen zu halten und sie zu bedienen, wenn man dem bewaffneten Feind gegenübersteht; der Kopf müsste nachdenken und einen Ausweg finden, hat aber jede Fähigkeit verloren, irgendwelche Überlegungen anzustellen, die in diese Richtung gehen. Er ist vollauf damit beschäftigt, sich Gewalt anzutun.” (Simone Weil in Krieg und Gewalt, S. 178)

„Als ob das alles normal und unausweichlich sei.“

Sagt Luisa Muraro.

Und damit meint sie im Grunde auch, dass wir Menschen durch die dem Kapitalismus unverdauliche Fähigkeit zur Liebe und die aus dieser entstehenden ebenfalls unverdaulichen Fähigkeit zum Denken noch nicht im Kriegszustand sind; oder viele von uns zumindest nicht sein müssten.

Es gab einen Moment im Film, an dem es in die Utopie hätte kippen können. Als Abigail ihre Rede auf der Insel hält, an deren Ende sie sich dann aber leider selbst zum Captain krönt. Sie beginnt die Rede nämlich damit, ihre Care-Arbeit in die Sichtbarkeit zu rücken und ihr die lebensnotwendige Stellung zu geben, die sie seit eh und je hat. „Ich sorge für Essen. Ich mache Feuer. Ich weiß, wie das geht. Ihr wisst nichts davon.“ Alle neuen Gesellschaftsmitglieder müssen sich der existentiellen Abhängigkeit von dieser Care-Arbeit bewusst werden. So weit so gut, ein großartiger Moment. Aber danach ist es auch schon vorbei, aus der Traum von der Utopie. Was wäre, wenn sich Abigail auf die Liebe besonnen hätte und nicht auf den unbedingten Willen zur Macht, mit welchem sie das Europatriarchat lediglich in ein Euromatriarchat kippen lässt? Wie hätte sie die Autorität, die ihr in dem Moment von den anderen zuerkannt wurde, im Sinne eines guten Lebens für alle nutzen können?

Luisa Muraro ist nicht der Meinung, dass – wie Östlund durch seine Liebe- und Trauer-bereinigten Figuren nahelegt – wir Menschen „in einen Zustand von Brutalität und Barbarei fallen. Als wir zur Welt gekommen sind, wurden wir erwartet, Menschen erwarteten uns, die uns ein wenig Liebe schenkten, uns angelächelt und sprechen gelehrt haben: So sind wir Menschen geworden, dank einer mütterlichen symbolischen Ordnung“ (in: Stärke und Gewalt, S. 26). Klar können wir sagen, auch diese ist überstrichen und durchdrungen vom Europatriarchat, und manche werden mit mehr und andere mit weniger oder gar keiner Liebe erwartet. Aber sind nicht dennoch die meisten befähigt worden, die Liebe zu fühlen und in Sprache zu bringen, und könnten mit dieser Sprache nicht auch ganz andere Gesellschaftssysteme entstehen? Denn dieser Diskurs des Kapitalozäns – so Donna Haraway – „ist einfach nur falsch für Kopf und Herz; er laugt unsere Fähigkeit aus, uns andere Welten vorzustellen und für sie Sorge zu tragen.“ (in Unruhig bleiben)

Die Liebe zur Welt und Liebe zu anderen Lebewesen ist unkapitalisierbar. Obwohl sie andererseits natürlich auch und immer im Kapitalismus existiert, existieren muss, weil… keine* von uns lebt außerhalb der kapitalistisch geprägten Ordnung… Aber dennoch: ich bin der festen Überzeugung, dass es Refugien der Liebe gibt, und dass solche durch gedankliche, denkreiche Extrapolationen erschaffbar sind.

Und dieses Denken von der Liebe zur Welt ausgehend wäre dann wieder in einem Feminismus verankert, welcher immer noch fähig ist, oder uns befähigt, sich aus dem Kapitalismus rauszudenken. Luisa Muraro und viele andere Feminist*innen meinen nämlich, es ist möglich, den eigenen stillschweigenden Konsens mit der Ordnung, die das Zusammenleben reguliert, aufzukündigen. „Und sich in einem inneren Akt, der praktischen Konsequenzen haben wird, sagen: Ich mache nicht mehr mit. Ich vertraue den Gesetzen und offiziellen Instanzen nicht mehr, ich hole mir die gesamte Verfügbarkeit über mich und meine Stärke zurück, ich selbst muss sie verwalten, egal wie groß oder klein sie ist, und ich gebe nur mir die Erlaubnis, sie zu gebrauchen.“ (ebd.) Donna Haraways Worte dafür sind: „nicht mehr für das Denken [innerhalb des Kapitalismus] zur Verfügung stehend“ (S.83), „die tödlichen Pfade verlassen“ (S.51). Es ist ein Handeln und ein Denken notwendig – so zitiert sie Brad Werner –, die nicht mit der dominanten kapitalistischen Kultur zusammengehen. Und das sei, so Werner, im Übrigen auch keine Frage der Meinung, sondern geophysikalischer Dynamiken. (zit. aus Donna Haraway: Unruhig bleiben, 2016, S. 69)

Ich liebe Triangle of Sadness. Aber ich bekomme gleichzeitig unstillbaren Hunger auf Filme, die nicht dem Kapitalismus, sondern der Liebe zur Welt folgen, die ebenso lustig und großartig und denkanregend sind wie Triangle of Sadness. Portrait einer jungen Frau in Flammen, Arrival oder Djam oder Eiskönigin II u.v.m. sind schon so Meisterwerke; es gibt sie natürlich schon. Aber: es muss mehr davon geben, mehr mehr mehr mehr mehr!!! Wir müssen uns wirklich viel viel öfter aufmachen in die feministische Utopie! Es liegt doch an uns, ob sie Spaß macht oder nicht! Wenn wir sie doch erschaffen! In der Fiktion ist alles erlaubt: wir können extrapolieren und imaginieren und auslassen, was wir wollen! Sie muss sich zum Glück nicht an Gesetze geophysikalischer Dynamiken und eben überhaupt gar nicht an die Regeln der kapitalistischen Ordnung halten! Nicht-Ordnungs-gemäße, sondern chaotische Gedanken sind frei, wie müssen sie ernst nehmen und rausposaunen und uns dann ins Denken und in Gespräche darüber vertiefen.

„Es ist von Gewicht, mit welchen Ideen wir andere Ideen denken.“ Diesen Satz (S.53) hat Donna Haraway von Marilyn Strathern entliehen und ihm in ihrem Buch Unruhig bleiben vielfältige Flügel des Weiterdenkens gegeben, zum Beispiel.: „Es ist von Gewicht, welche Geschichten Geschichten erzählen, welche Konzepte Konzepte denken.“ (S.139)

Es ward uns doch der Körper zum Denken und die Sprache zum Konstruieren neuer Gesellschaften gegeben. We have it all.

Lasst uns endlich mehr mehr mehr Geschichten über die Liebe zur Welt realisieren! Vorbei an systemischen Kriegssystemen und der Kotze und Scheiße von Superreichen. Büärgs, erbärmlich.

Was fehlt, fragt Östlund, was fehlt, was habe ich ausgelassen??

Liebe!!

And who cares for love??

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Kathleen Oehlke sagt:

    Liebe Anne, jetzt hab ich richtig Lust bekommen, mir den Film anzuschauen. Mit deinem Text im Kopf wird das ein noch größeres Vergnügen.

  • Hallo Anne, danke für Hinweis auf Film und Regisseur, die ich beide nicht kenne. Aber es klingt spannend. Allerdings dachte ich beim Lesen deines Artikels die ganze Zeit schon das, was du ganz am Ende schreibst: Warum erzählen wir nicht endlich andere Geschichten? Die Geschichte von „Wenn Frauen an der Macht wären wären sie genauso doof wie die Männer“ ist ja eine uralte Behauptung, die schon immer das Ziel hatte, die Nutzlosigkeit von Feminismus zu behaupten, eben mit dem Argument „Die Welt und die Menschen sind eben so“. Leider hat der Gleichheitsfeminismus dieses Narrativ bedient, indem das „So werden wie die Männer“ sogar als feministisches Ideal ausgegeben wurde, aber in meiner Wahrnehmung doch nur von wenigen. Die Hauptströmung der Frauenbewegung/ des Feminismus hat doch immer darauf bestanden, dass es nicht um „umgekehrte Rollen“ geht, sondern um eine Umwälzen der symbolischen Ordnung. Gerade diejenigen, die für Matriarchale Kulturen eintreten und eingetreten sind, haben immer ganz deutlich gesagt, das es natürlich NICHT darum geht, dass Frauen herrschen statt der Männer, dieses „Matriarchat ist auch nicht besser“ ist doch selbst schon patriarchale Propaganda.

    Daher meine Frage: Ist „Triangle of Sadness“ wirklich ein kapitalismuskritischer Film, oder ist er ein patriarchaler Propagandafilm? (Letzteres schließt ja nicht aus, dass er als Film „gut“ ist, also gute Dialoge, Inszenierung usw.). Oder dient vermeintliche Kapitalismuskritik ihm als Argument dafür, patriarchale Propaganda zu machen? Oder – das ist vielleicht das Wahrscheinlichst: Hat der Regisseur vielleicht einfach gar kein Interesse am Feminismus (und in der Folge vermutlich auch keine Ahnung davon), sondern wollte nur den Kick „Frauen und Männer-Konfusion meets Arm-und-Reich-Konfusion“ mitnehmen?

    Hilft ja nichts, ich werd mir den Film wohl anschauen müssen :))

  • PS: Noch eine Frage: Wer bringt denn hier für die Situation der Machtumkehr den Begriff „Matriarchat“ ins Spiel – Östlund selbst, im Film, oder die Kritik oder du? (

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Antje, ach cool, so viele tolle Fragen. Beginne ich gleich mit der Letzten: ja, das Wort fällt im Film. Ich glaube, Yaya sagt auf der Erkundungstour zu Abigail so etwas wie “Wahnsinn, wir du in kurzer Zeit hier so ein Matriarchat aufgebaut hast.”
    Und ja klar hast du recht. Mit Gleichheitsfeminismus und “so werden wie die Männer”, unterschreibe ich alles.
    Und auf die Kapitalismuskritik einzugehen, die Östlund anbietet, darauf hatte ich tatsächlich keine Lust. Seine einfach Antwort ist, dass die Reichen halt Steuern zahlen sollen (“Pay taxes!”). Das ruft der (angeblich) mit Kommunismus sympathisierende Captain in die Lautsprecherdurchsagen der Yacht, als dieses am Wanken ist. Das ist mir ein zu einfaches und zu billiges und natürlich am Ende total unwirksames Kapitalismus”reparatur”-Angebot, und mir meine Zeit zu schade, das gerade zu biegen.
    Ich kann am Ende nicht genau sagen, warum mich etwas anspricht, warum ich Lust habe, dem Feminismuskonzept nachzugehen. Vielleicht ist es diese sehr prickelnde Ambivalenz zwischen “Ich liebe den Film!” und den darin gemachten Aussagen, die ich dann gar nicht so prickelnd finde. Und vielleicht finde ich den Film aber so gut (ich habe so viel böse Freude empfunden, ich habe wirklich so viel gelacht und mich richtig gut unterhalten gefühlt), dass ich für mich diese Ambivalenz aufarbeiten muss. Und dann denke ich, dass das vielleicht auch für andere interessant ist, die wie ich an diesen Östlund-Filmen nagen.
    Woran hat Östlund Interesse? Gute Frage. Ich denke schon, wie ich auch schrieb, dass er den oberflächlichen pc-Feminismus, im Grunde auch den Gleichheitsfeminismus, aufs Korn nehmen will. Und er zeigt schon recht deutlich, wie dieser Feminismus vom Kapitalismus einverleibt wird. Diese deutliche Sprache fand ich ziemlich gut. Und auch wichtig.

    Und nein, ich denke nicht, dass er “patriarchale Werbung” macht. Aber das kann vielleicht einen andere Kinogängerin anders beurteilen. ;) Und er macht auch keine Werbung für die Rückkehr zum Kapitalismus (wie der Spätkapitalismus aussieht, hat er ja mit all dem Gekotze gezeigt); das ist halt nur das, was unweigerlich passiert, wenn es nur vom selben zum selben geht. Er denkt nicht darüber hinaus. Er bietet keine Lösung an. Er zeigt nur recht deutlich, also… er spielt sehr eindrücklich aus, was passiert, wenn Matriarchat auch nicht besser (also: auch nicht feministischer) ist. Vielleicht hat mir der Film zu gut gefallen, als dass ich möchte, dass die Schauenden rausgehen und lediglich sagen, “ja ok, keine Lösung weiterhin in Sicht”, sondern dass sie sagen, “ok, so gehts auch nicht, beides geht nicht, weil es dasselbe ist, aber wie denn dann”.

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