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Rubrik anschauen

Bildnisse wie aus der Zeit gefallen.

Von Heike Brunner

Eine Ausstellung im Städel – die Malerin Ottilie W. Roederstein.

Ausschnitt Selbstporträt Ottilie W. Roederstein – Ausstellungscover Städel, FFM. Frei. Schaffend.

Vergessen war sie fast: Die Künstlerin, die von 1859-1937 u. a. in Frankfurt am Main lebte und sich als junge Frau ihre Freiheit im Schaffen hart erkämpfen musste. Denn Frauen wurden bis 1919 nicht an deutschen Kunstakademien zugelassen. Ausbildungen mussten in privaten Kursen absolviert werden, diese waren teuer. Ottilie W. Roederstein schaffte es, ihre nicht wirklich wohlhabend Eltern (insbesondere die Mutter) zu überzeugen, dass sie Kurse besuchen durfte und verdiente sich schnell mittels der Malerei ihr eigenes Geld für die Ausbildung und das Leben. Sie ist eine Vorreiterin ihrer Zeit.

Nicht nur, dass sie sich mit einem eigenwilligen Stil in der Kunstwelt durchsetzte, die damals gängigen Techniken, wie die französische akademische Malerei, beherrschte und frei verwendete. Auch in ihrer Themenwahl setze sie neue Maßstäbe. Als Frau einen männlichen Akt (religiöser Natur) darzustellen, war eine Überschreitung der damaligen Grenzen. Schon der Besuch eines abendlichen Aktunterrichts galt als äußerst verwerflich. Die in Zürich Geborene lernte zunächst in ihrer Heimatstadt, danach ging sie via Berlin nach Paris und zog weiter nach Frankfurt am Main. Dort lebte und wirkte sie viele Jahre und unterrichtete die ersten Frauenklassen am Städel. So ist es nicht verwunderlich, dass die Kurator*Innen Alexander Eiling und Eva-Maria Höllerer diese sehr schön gestaltete und informative Ausstellung dort vorstellen. Ottilies Lebensweg ist in allem sehr eigenwillig. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth H. Winterhalter, der ersten niedergelassenen Gynäkologin, in Frankfurt. Zusammen sorgten die beiden Frauen dort für die Förderung der Mädchenbildung und waren aktiver Teil der entstandenen politischen und philosophischen Frauenzirkel der ersten feministischen Welle Ende des 19. Jahrhunderts. Sie galten als wichtige Netzwerkerinnen mit sehr vielen Kontakten.

Die Malerin finanzierte ihr Leben in erster Linie durch Porträtmalerei und experimentierte dabei innovativ, teilweise existenziell bedingt, mit verschiedensten Techniken und Materialien. Sie arbeitete zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, hier entstanden neuartige Materialverwendungen, die der Not entsprangen. So verwendete sie Holz statt Leinen für die Untergründe. Zudem hatte sie sich recht schnell einen Namen geschaffen und konnte ihr Honorar mehr oder weniger selbst bestimmen. Die Frankfurter Gesellschaft wurde gern von ihr porträtiert, darunter waren auch jüdische Menschen, deren Bildnisse unter der Nazizeit verschwanden und zerstört wurden.

Ihre Porträts haben immer ein bisschen etwas Magisches, was an der besonderen Akzentuierung der Hintergründe liegen mag. Da kontrastieren sich blaue Augen in komplementär orange gehaltenen Flächen; die Personen scheinen regelrecht aus den Bildern hervorzutreten – zeitlos für uns da zu sein. Auch die Flächen zwischen den Stillleben, diese malte sie erst im späteren Dasein ihres Schaffens, lassen den Raum und Luft dazwischen erlebbar machen. Zum einen sorgt für diesen Effekt sicherlich die Technik, komplementäre Farben zu verwenden, zum anderen sind es immer mal wieder Kontrastbrüche, die die Objekte noch feiner und lebendiger wirken lasen und den sie umgebenden Raum ins schier unendliche vertiefen. Selten habe ich Porträts derart präsent erlebt. Vielleicht hat Ottilie die Fähigkeit gehabt, dieses Besondere in den porträtierten Menschen zu entdecken und darstellen zu dürfen, was diese unglaubliche Nähe und Präsenz der Abgebildeten erzeugt.

In der Ausstellung sind zudem ihre Selbstporträts, die die verschiedenen Phasen ihres Seins dokumentieren, zu sehen. Da ist die junge Ottilie mit roter Mütze und später die Alte, die den Schlüssel zum Atelier abgibt. Dieses letzte Bildnis entstand 1936. Das besondere an ihm ist, dass es das einzige Selbstporträt ist, in dem sie den Blick der Augen direkt auf die Betrachtenden richtet. Ein ernster und vieldeutiger Blick, vielleicht mahnend und ich persönlich frage mich, inwieweit die Schlüsselabgabe nicht nur krankheitsbedingt (sie verstarb im folgenden Jahr an ihren Beschwerden), sondern doch auch etwas mit der politischen Situation der Nazizeit gemein haben könnte?

Die Ausstellung präsentiert zu Beginn die persönlichen Infos über die Malerin mit ausgestellten Briefen und Fotoalben und einer multimedialen, großflächigen Projektion der in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotos von ihr. Diese steht im angenehmen Kontrast zu der teils farbintensiven folgenden Malerei. Besonders reizvoll ist der von Katharina Thalbach gesprochene Audioguide, eine der eigenwilligsten und schönsten Frauenstimmen am Sprecherinnen-Firmament.

Insgesamt erwartet die Besucher*Innen hier eine gelungene Retroperspektive zu einer sehr spannenden und eigensinnigen, aber doch scheinbar auch vom Wunsch zur Veränderung beseelten Künstlerin. Eine, die für die Freiheit der Frauen gearbeitet hat und die mit viel Engagement für die jungen Frauen im anfänglichen zwanzigsten Jahrhundert für gesellschaftliche Aufbrüche sorgte.

Die Ausstellung ist noch bis 16. Oktober im Städel zu sehen:

Frei. Schaffend.
Die Malerin Ottilie W. Roederstein
Karten und weitere Infos hier.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke für dieses Malerinnenporträt. Sie erinnerte mich an Paula Modersohn-Becker, 1876 – 1907, deren Biographie, geschrieben von Kerstin Decker, ich vor zwei Jahren las. Was sie verbindet ist nicht ihr Malstil, sondern die Schwierigkeit als Malerin in dieser Zeit zu leben und wahrgenommen zu werden.
    Decker schreibt: “Jetzt am 25. Mai 1936 in der Avenue du Maine in Paris, malt – wohl zum allerersten Mal – eine Frau sich selbst: hüllenlos. Der erste weibliche Selbstakt entsteht.”
    Ob sich die beiden Malerinnen wohl gekannt haben?

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