Forum für Philosophie und Politik
Von Dorothee Markert
Als ich erfuhr, dass Antje Schrupp „schon wieder“ ein Buch über das Schwangerwerden-Können und seine gesellschaftlichen und politischen Folgen herausgebracht hatte, dachte ich zuerst, es sei einfach nur eine kürzere Fassung ihres 2019 erschienenen Essays zu diesem Thema. Doch da irrte ich mich.
Das Angebot des Unrast-Verlags, etwas für dessen Reihe über Geschlechterfragen zu schreiben, nutzte die Autorin dafür, ihr Buch Schwangerwerdenkönnen weiterzudenken, von einer sehr informativen und gut belegten Bestandsaufnahme hin zu noch klareren Stellungnahmen. Diese münden in Vorschläge, an welchen ethischen Prinzipien sich eine Politik orientieren müsste, die mit den patriarchalen Vorannahmen aufräumt, die bis heute dazu führen, dass Frauen, die schwanger werden, Freiheit und körperliche Selbstbestimmung verwehrt werden. Es ist genau so ein Text, wie ich ihn mir wünschte, als ich das Buch Schwangerwerdenkönnen zu Ende gelesen hatte, denn ich befürchtete, dass inmitten der Fülle an Informationen und Argumentationen die bahnbrechend neuen Ansätze jenes Buches nicht die dringend notwendige gesellschaftliche und politische Wirkung entfalten würden.
Erfreulich fand ich auch, dass Antje Schrupp in ihrem neuen Buch das umgesetzt hat, was sie aus der Kritik am vorherigen Essay und aus den Diskussionen nach ihren Vorträgen zum Thema dazugelernt hatte. Hier ein Beispiel von mehreren: Kritisiert wurden in den Kommentaren zu meiner Rezension von Schwangerwerdenkönnen die Begriffe „Samenspender“ und „Sperma“, die einfach sachlich falsch sind. Diese Begriffe stammen aus einer Zeit, in der behauptet wurde, im männlichen Beitrag zur Zeugung sei schon das neue Lebewesen angelegt, während Frauen nur das Gefäß seien, in dem das Kind heranwachse. Bleiben wir sprachlich in der pflanzlichen Analogie, dann müssen wir statt Samen oder Sperma von „Pollen“ sprechen, Antje Schrupp benutzt außerdem auch den Begriff „Ejakulat“.
Die Autorin geht in ihrem Büchlein der Frage nach, wie wir die Reproduktion so organisieren können, dass „grundlegende Werte – individuelle Freiheit, Menschenrechte, der Schutz der Schwächeren, Solidarität, gleiche Chancen und Möglichkeiten – dabei gewahrt sind, und zwar für alle Beteiligten, auch für diejenigen, die (potenziell) schwanger werden“ (S. 5). Mit dem, was man in patriarchalen Zeiten für naturgegeben hielt, obwohl es Erzählungen waren, die sich patriarchale Männer zu ihren Gunsten ausgedacht hatten, kann das nicht gelingen. „Als politische Wesen können und müssen wir Menschen die Rahmenbedingungen unserer Fortpflanzung selbst gestalten und tragen dafür auch die Verantwortung. Weder Naturgesetze noch göttliche Ordnungen geben bestimmte Verhältnisse vor“ (ebd.).
Aus diesem Blickwinkel heraus muss Antje Schrupp weder In-Vitro-Fertilisation noch Eizellenkauf und bezahlte Schwangerschaft grundsätzlich ablehnen, denn sie hat klare Kriterien, worauf dabei zu achten ist. So geht sie eben nicht darüber hinweg, wie hoch die körperliche Belastung für Frauen im Zusammenhang mit der Eizellenentnahme ist, während sie andererseits Gesetze kritisiert, die bestimmten Frauen den Zugang zur Reproduktionstechnologie verwehren. Und an mehreren Stellen betont sie, dass erst dann nicht mehr die Gefahr besteht, dass Frauen durch die Reproduktionsindustrie ausgebeutet werden, wenn globale ökonomische Gerechtigkeit herrscht und ihre individuellen Freiheitsrechte sichergestellt sind. Auch besteht sie darauf, dass Leihmutterschafts-Verträge unethisch sind, wenn sie eine Frau nach Schwangerschaft und Geburt zur Herausgabe des Kindes zwingen können.
Bei den ethischen Debatten darüber, wie die technischen Möglichkeiten der Reproduktion in Zukunft genutzt werden sollten, sei es wichtig, „die Grenzen traditioneller hetero-normativer Klischees und vermeintlicher ‚Natürlichkeiten’ zu sprengen und stattdessen Kriterien anzulegen, die sich an Werten wie Freiheit und Gerechtigkeit orientieren und die Würde von Kindern, von Menschen, die schwanger werden (können) und von Menschen mit Kinderwunsch wahren“ (S. 78). Mit diesen Worten endet Antje Schrupps Kapitel über „vervielfältigte Formen von Elternschaft“. Ihr Ausblick auf die vielen Möglichkeiten, wie Kinder gut aufwachsen können, wenn die traditionelle Kleinfamilie nicht mehr die Norm ist, hat mir besonders viel Freude gemacht.
Wichtig ist mir an dieser Stelle auch der Abschnitt, in dem die Autorin darlegt, dass sich reproduktive Freiheit nicht analog zu den herkömmlichen Freiheits- und Gerechtigkeitskonzepten definieren lässt, sondern dass Wege zu einem freiheitlichen Umgang mit Ungleichheit entwickelt werden müssen, denn die Ungleichheit, dass nur etwa die Hälfte der Menschheit schwanger werden kann, kann ja nicht aufgehoben werden. Wer von einem heterosexuellen Paar mit Kinderwunsch die Schwangerschaft auf sich nimmt, kann eben nicht frei ausgehandelt werden. Ein Freiheitsbegriff auf der Grundlage von Individualität, Unabhängigkeit und Gleichheit taugt in Bezug auf die menschliche Fortpflanzung auch deshalb nicht, weil Menschen als abhängige, vollkommen auf andere angewiesene Wesen zur Welt kommen, das heißt, dass „die Biologie uns dabei zu Beziehungshandeln zwingt […] Wer ein Kind zur Welt bringt, ist auf Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen“ (vgl. S.10/11).
Das kleine rote Buch Antje Schrupps, ihre „feministische Ethik der Fortpflanzung“, sollte überall dort gelesen werden, wo Menschen etwas mit dem Schwangerwerdenkönnen zu tun haben, sei es persönlich, weil eine Frau oder ein Paar sich ein Kind wünscht oder kein Kind bekommen möchte, sei es in beruflichen oder politischen Kontexten, die mit dem Thema zu tun haben. In diesen Bereichen sollte es m.E. sogar zur Pflichtlektüre werden. Auf die eine oder andere Art betrifft das Thema uns alle, denn dass Kinder geboren werden und ihnen ein gutes Aufwachsen ermöglicht wird, geht alle an, auch die, die nicht oder nicht mehr schwanger werden können. Außerdem durften wir ja auch alle neun Monate lang innerhalb des Körpers einer Frau wachsen und zu einem Menschlein heranreifen, das schließlich auch außerhalb ihres Körpers lebensfähig war, und wir wurden schließlich von jener Frau unter Schmerzen und unter Lebensgefahr zur Welt gebracht. Angesichts der ungeheuren Leistung, die Frauen hier für den Fortbestand der menschlichen Gemeinschaft erbringen – überwiegend übernehmen sie ja auch noch die Verantwortung für ein gutes Aufwachsen des Kindes – bleibt es ein Skandal, dass ihnen immer noch in zahlreichen Ländern der Welt das Recht abgesprochen wird, selbst darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft und eine Geburt auf sich nehmen wollen.
Antje Schrupp, Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung, Unrast transparent, Münster 2022, 86 S., 7,80 €
Liebe Antje,
danke für das klare und informative Büchlein “Reproduktive Freiheit – Eine feministische Ethik der Fortpflanzung”. Ich verstehe es als einen Anfang, der zusammenträgt, was alles bedacht werden kann, wenn biologisch weibliche Menschen (und – kleine Zukunfts”musik” – maschinelle Uterusse) schwanger werden können und Kinder gebären.
Du hast auf den Begriff “Menschen mit Uterus” verzichtet und das habe ich als sehr angenehm empfunden. Dieses Buch war für mich wesentlich angenehmer zu lesen als sein Vorgänger. Ich habe gar nicht gewusst, WIE sehr mich diese Begrifflichkeit gestört hat.
Und nun mache ich selber so ein Wortungetüm! “Biologisch weibliche Menschen”. Diese Begriffe sind nötig geworden, weil trans Männer sich übersehen und gekränkt fühlen, wenn von “Frauen, die gebären”, die Rede ist. Sie werden übersehen, weil sie eine so kleine Minderheit sind und ich kann die Kränkung darüber verstehen. Und diese Minderheit ist häufig Gewalt ausgesetzt, deshalb ist der Kampf der trans Menschen um Sichtbarkeit und Respekt sehr wichtig und ich möchte ihn unterstützen.
Aus meiner Sicht jedoch ist der Begriff “trans Mann” nicht richtig. Hier müsste es trans Mensch heißen – ein “trans Mensch, der sozial als Mann gelesen wird/werden möchte” oder “ein männlicher trans Mensch”. Ich kann aus Höflichkeit so tun, als würde ich zustimmen, dass ich ihn für einen Mann halte, zeitweise mag seine Performance auch so überzeugend sein, dass ich ihn für einen Mann halte. Ich würde höflich sein, weil er sich das so sehr wünscht, aber ich sehe diesen Menschen als einen besonderen Menschen an, nicht als Mann.
Das Problem, das sich nun bis in diese kleine Ethik verzweigt, ist das Problem, dass der männliche trans Mensch oder der weibliche trans Mensch mit mir und meinesgleichen haben: dass ich sie nicht für “normal” halte und sie es doch so sehr sein wollen. Doch anstatt das Konzept der “Normalität” aufzubrechen und die Wirklichkeiten zu hinterfragen und dafür Bewusstsein zu schaffen, will man den Begriff der “Normalität” behalten und nur neu definieren, wieder einen Kodex erstellen. (Letzthin hatte ich eine heftige Gender-Diskussion mit einem Taoisten, der irgendwann kicherte, weil er im Gespräch mit mir erkannte, dass auch er streng genommen nicht klar in eine Geschlechterkategorie passt – er hatte die Vorstellung, mit einem energetischen “Kind” schwanger zu sein…)
“Reproduktive Freiheit” breitest du ausgehend von einer Freiheit der Frauen aus, keine Kinder haben zu müssen, hin zur Freiheit aller, auch queerer Menschen, Kinder haben zu können. Du beschreibst das kritisch, benennst die ausbeuterischen Wesensmerkmale der kapitalistischen Verwertung weiblicher Ressourcen durch die Reproduktionstechnik. Du verweist, wiederum kritisch, auf alle möglichen damit einher gehenden soziokulturellen Erscheinungen: Die Ermöglichung später Schwangerschaften, was es Karrierefrauen schwer macht, frühzeitig Familien zu planen; die Ermöglichung der Schwangerschaft für Unfruchtbare, was den Druck auf alle erhöht, diese körperlich und psychisch schwer belastende Technik zu nutzen; die Ermöglichung von Schwangerschaften für Paare, die keine biologische Differenz aufweisen. Dies sind nun alles tiefgreifende Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Generationen und den Geschlechtern, die einen mag frau begrüßen, die anderen gefallen frau nicht.
Es ist sehr wertvoll, zu klären, wer nun alles in den Elternstand EINES Menschen kommen kann (S.76):
• die genetischen Eltern
• die Person, die das Kind in sich getragen hat und es geboren hat
• die Menschen, die ein Kind wollen
• juristische Eltern mit staatlichem Sorgerecht
• soziale Eltern, die sich um das Kind kümmern
In unserer Gesellschaft handelt es sich hier überwiegend, wenn auch nicht mehr normalerweise, um Funktionen EINES Elternpaares. Das können diese Eltern gut machen oder schlecht. Ich will das hier in keiner Weise idealisieren. Kinder wissen m.E. von wem sie abstammen, wer sie auf die Welt gebracht hat, wer sich um sie kümmert und wer für sie juristisch verantwortlich ist. Sie wissen, an wen sie sich wenden können und müssen.
Nun gibt es den “postpatriarchalen” Wunsch, “Geschlechtlichkeit, Elternschaft, Familienformen generell zu ent-binarisieren”. Warum? Um “von der Gegenüberstellung “normal” und “unnormal” wegzukommen” (S.76). (Sic!) “Normal” sein wollen, so sein wollen, wie alle anderen, ist aber nun gerade für Kinder vom späten Kindergartenalter bis zum Beginn der Pubertät ein Riesenthema. Sollen wir Erwachsenen wirklich auch so argumentieren? Und kann dann ausgerechnet die Reproduktionstechnik (Wir sollten aufhören von “Medizin” zu reden.) hierfür nützlich sein? Eine Technik, die, wie du, Antje, auch ausführt, soziale Ungleichheit unter weiblichen Menschen ausbeutet, die in der Lage ist, extrem kontrollierend (Genetik) zu wirken, was Rassismus befördert und die als ein Auswuchs der neoliberalen, spätkapitalistischen, patriarchalen Wissenschaft gelten kann, der es grundlegend an demokratischen, ethischen Kontrollmechanismen und Mitwirkungsrechten fehlt!
Mit fehlt in dieser Ethik der Reproduktiven Freiheit die Position des Kindes. Und ich fühle mich äußerst unwohl, wenn ich mich damit zwangsläufig in einer Ecke mit konservativen Kreisen wiederfinde, die als einzige als Verfechterinnen des sog. Kindeswohls benannt werden. Ein Kindeswohl, das vorgeschoben ist, um die Freiheit der körperlichen Selbstbestimmung der Frauen anzugreifen.
Ich stelle aber hier nichtsdestotrotz Fragen:
Wohin soll das Kind sich wenden, wenn es eine solche Vielzahl Eltern hat, wenn jede dieser o.g. Funktionen personalisiert ist? Vielleicht gelingt es einer Ethik der Reproduktiven Freiheit mit der Zeit eine Gewichtung vorzunehmen, samt rechtlicher Absicherungen etc., aber macht das für einen jungen Menschen oder ein Kind Sinn? Es steht im Extremfall im Lauf der Jahre vor sechs bis neun Personen, hat Sympathien und Abneigungen und an wen wird es sich wenden? An die No.1 auf der noch zu erstellenden Liste?
Die Bindungsforschung hat gezeigt, wie wichtig Bindungserfahrungen für kleine Menschen sind. Und das bereits ab der ersten Minute unterm Erdenlicht! Und welche schlimmen Folgen es für Kinder hat, wenn Bindung nicht gelingt… Hier eine künstliche Trennung zu machen und einen “Übergang” von “körperlichen” in einen “sozialen” Zustand (S.69) zu konstruieren, mag richtig “gedacht” sein, ist aber fern einer wünschenswerten Lebenspraxis von (Gebär-)Mutter und Kind. Die Geburt selbst wird vergessen. (Ja, glaubt man denn, eine Geburt wäre etwa vergleichbar dem Kuchen, den man aus dem Backofen holt? Offenbar. Vielleicht spiegelt sich hier die mit fast 30% unnötig oft in Deutschland praktizierte Kaiserschnittgeburt. Dies ist tatsächlich eine Sectio.)
Ich bin davon überzeugt, dass es vielfältige Möglichkeiten des Zusammenlebens von Menschen gibt, die für Kinder ganz wunderbar sind. Aber ich frage mich gerade, ob es nicht für Kinder besser wäre, nicht nur der Reproduktionstechnik Widerstand entgegen zu setzen, sondern auch auf solch eine Ethik zu verzichten, die Elternschaft filetiert und das Leben für Kinder äußerst kompliziert machen wird.
Es gibt noch etwas, das mir in dieser Ethik fehlt. Es ist eine Würdigung und Wertschätzung der Mütter, die Kinder auf die Welt bringen. Sie wird zwar dem Ganzen vorangestellt, aber es scheint mir doch eher ein Lippenbekenntnis zu sein, da ich im weiteren Verlauf den Eindruck hatte, dass im Schwangersein mehr ein Opferstatus erkannt wird, was es ja in manchen historischen Zeiten und in anderen Weltregionen durchaus war und ist. Möglicherweise spiegelt auch dies den Zeitgeist wieder, in dem junge Frauen sich schlecht fühlen und kritisiert werden, wenn sie die ersten Jahre ihre Kinder begleiten wollen und sie nicht bald in die Krippe geben.
Was ist nötig, damit Frauen und männliche trans Menschen selbstbestimmt schwanger oder nicht schwanger sein können? Was ist nötig, damit Menschen, die sich ihren Kindern umfassend widmen und sie solange als “Eltern” begleiten, wie dies (immer mal wieder) von den Kindern gewünscht wird, ein gutes Leben haben können?
Was ist das für ein besonderer Zustand, den Schwangere und ihre Ungeborenen miteinander teilen? Was ist die tiefe Verbindung zum Leben und seine Bejahung, die sich in dieser Praxis zeigen kann? Und findet sich dies auch in den Kühlschränken der Reproduktionslabore und den Pipetten der Laborant*innen? Und was bedeutet das für eine Freiheitliche und feministische Ethik der Reproduktion? Wie kann unsere Gesellschaft lebensbejahend und lebensbewahrend werden? Müssen hierzu alle Eltern werden können? Oder ist das nicht eher zu materiell gedacht? Sitzt diese Ethik nicht einem konsumorientierten Machbarkeitswahn auf? Und wäre es, global gedacht, nicht an der Zeit, das Anything Goes zu wenden?
Was ist das für ein besonderer Zustand, den Schwangere und ihre Ungeborenen miteinander teilen? Die Symbolische Ordnung der Mutter leitet sich aus dieser primären Erfahrung ab. Die erste Gabe, die wir erhalten, ist unser Leben. Es ist eine Erfahrung, die alle Menschen teilen, aber nur eine Hälfte der Menschheit kann diese Gabe weitertragen. Wie wäre eine Gesellschaft, die dieses kreative und lebenserhaltende Geben im Kern ihrer Matrix hätte? Nicht nur praktisch, denn es ist bereits so, sondern auch symbolisch! Wenn sie das verstünde? Ob das wohl in einer “Ethik der Reproduktiven Freiheit” Platz hat? Mir erscheint der Begriff “Freiheit” an dieser Stelle nicht passend. Eine schwangere Person ist nicht frei, keine Minute. Sie ist neun Monate engst mit einem anderen Menschen verbunden, zumindest körperlich. Hier fände ich es spannend, weiterzudenken.
P.S.: Wir haben die Angestellten der Reproduktionslabore vergessen. Sie sind auch “Eltern”.
Liebe Antje,
ich möchte nicht missverstanden werden. Das Aufbrechen von Genderfixierungen finde ich großartig und ich könnte, was mich betrifft, nicht EINE Kategorie auswählen, so oft hat sich mein Selbstverständnis und mein Begehren gewandelt. Heute kannst du mich als Cis, 60, benennen. Außerdem gehöre ich zu den Frauen, die bereits in den 90-ern Gen-und Reprotechnik beobachtet haben und dabei festgestellt haben, dass männliche Gebärfantasien ein starkes Motiv darstellten.
Ich möchte auf keinen Fall transfeindlich rüberkommen, weil ich es nicht bin. Und ich möchte auch nicht homophob rüberkommen, weil ich Reproduktionstechnik generell in Frage stelle. Wenn es so wäre, dass diese speziell für homosexuelle Männer entwickelt worden wäre, wunderbar! Aber so ist es nicht.
Meine Kritik an dem Begriff trans Mann, der Kinder bekommen kann/will, bezieht sich darauf, dass in diesem Begriff die biologisch (heute oft) gegebene reproduktive Differenz nicht fassbar ist. In meinen Augen ist ein Mensch, der einen anderen Menschen auf die Welt bringt, eine Mutter, eine männliche trans Mutter, eine intersexuelle Mutter… jedenfalls kein Mann und kein Vater.
“Normalität” war nicht MEINE Frage, sondern du begründest deine Differenzierung der Elternfunktionen damit (S.76?) Mir geht es, im Gegenteil, nicht um solch übergeordnete Ideen, sondern um Lebenspraxis. Ich wollte eigentlich deutlich machen, dass “Normalität” immer hinterfragbar ist, wenn man sich, wie ich das tue, für LebensPRAXIS interessiert. Und da auch kann Umdenken entstehen.
Dass wir über Kinder nichts wissen, stimmt nicht. Es gibt weite wissenschaftliche Bereiche, die sich mit dem Kindeswohl befassen, allen voran Pädagogik und Psychologie. Das derzeitige System ist in vielerlei Hinsicht nicht gut für Kinder. Ich schrieb ja, das ich die Kleinfamilie keinesfalls idealisieren möchte. Allerdings gibt es auch schreckliche Geschichten von Kommunen und anderen Kollektiven/Institutionen. Gemeinschaften sind sicherlich nicht per se besser.
Über Matriarchate wissen wir nur sehr wenig, aber ich finde die Zeugnisse, die sie hinterlassen haben, auch toll. Genauso die wenigen bekannten, heutigen Gemeinschaften. Hier stehen “Mütter” im Zentrum, wie der Begriff uns sagt.
Wie du über menschliche Reproduktion nachdenken kannst und dabei “herkömmliche Mutter” ausschließlich auf die ca. neun Monate reduzierst, in der eine Frau ein Kind, um dessen Entstehung es dir geht, in sich trägt und das dann auch noch feministisch nennst, ist mir wirklich schleierhaft. Für mich ist diese reduzierte Sichtweise auf eine Frau, die Gefäß für ein Kind ist, und mehr ist sie in deiner Abhandlung leider nicht, eine zutiefst patriarchale Sichtweise: Wem “gehört” das Kind alles und wann und worin?
Wenn man der Meinung ist, die Tatsache, dass Menschenaffen in ihrer Entwicklung zu Menschen ihr Fell verloren haben, woraufhin es Frauen nicht möglich gewesen wäre, gleichwertiger Teil ihrer Gemeinschaften zu sein, sei an all der patriarchalen Misere schuld, ein biologistischer Gedanke, übersieht kulturelle Errungenschaften und Bedeutung von Frauen. (Hab das in letzter Zeit irgendwo gelesen, leider weiß ich nicht mehr wo. Es gibt so viele Theorien…) Es verkennt und übersieht, was Frauen in der Welt können, kennen und geleistet haben, auch im Hinblick auf menschliches Wohlbefinden und Freiheit. Es ist unhistorisch und verkennt kulturelle Komplexität und die Vielfalt an Kulturen. So geht es mir auch mit Frau Stoverock – es ist einfach ein Tor zur absoluten Beliebigkeit, wenn ich irgendwo aus der Geschichte ein Verhalten herauspicke und sage: Schaut, so isses eigentlich gedacht. In genannten Falle: Weibliches Begehren an und für sich als kulturelle Dominanz. Und das nimmt sie nicht einmal aus menschlichen Kulturen, sondern aus dem Tierreich! Ich kann das nur als Provokation und als Sehnsucht verstehen, Punk auf eine Art, da finde ich das gut. Aber nicht als Weltenerklärung. Und auch nicht als Utopie.
Mein Wunsch: Dass Frauen und alle Menschen, die gebären können, frei entscheiden können, ob sie einem Kind das Leben schenken oder nicht. Dass sie frei ihre Beziehungen zu ihrem Wohl und dem ihres Kindes gestalten können. Und wenn sie sich von der Verbundenheit mit ihrem und der Verantwortung für ihr Kind überfordert fühlen, Menschen und Orte für ihre Kinder finden, die den Kindern wohltun. Das wäre mir schon Utopie genug.
Liebe Birgit, weiterdenken setzt voraus, der anderen Person zuzuhören und erstmal bei sich ankommen zu lassen, was diese gesagt oder geschrieben hat. Es ist nicht möglich, wenn eine Aussage oder ein Text nur als Stichwortgeber genutzt wird, um ihm die eigenen fertigen Theorien (oder Vorurteile) entgegenzuhalten. Wenn ich deine beiden Kommentare lese, frage ich mich, ob du Antjes Buch wirklich gelesen hast, sogar in Bezug auf meine Rezension habe ich da Zweifel. Würdest du dich auf das beziehen, was Antje und ich geschrieben haben, hättest du beispielsweise gemerkt, dass es hier um eine andere Freiheit geht, die die Ungleichheit in Bezug auf das Schwangetwerdenkönnen miteinbezieht. Und du hättest den letzten Abschnitt deines Kommentars (über deine Utopie über ein gutes Aufwachsen von Kindern) nicht so geschrieben, als ob Antje etwas ganz anderes wolle. Was du über die Aufsplitterung in die vielen Elternschaften schreibst, einschließlich der Angestellten der Reproduktionstechnik, klingt in meinen Ohren sehr giftig, nach absichtlichem Missverstehenwollen, wie es bei einem Streit typisch ist.
Ich habe das Büchlein auch gerade gelesen, und zwar ruckizucki in einem Zug einfach so weggelesen. Das Thema hat mich eigentlich gar nicht so interessiert, aber so kompakt und gut erklärt, wie Antje es dort vermittelt hat, fand ich es doch plötzlich ziemlich interessant und wichtig.