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Rubrik Blitzlicht

Politik ist keine Bürger*innenbespaßung

Von Juliane Brumberg

„Da mache ich mir auch Sorgen über die politische Kultur in dieser Gesellschaft, wenn sich manche, die kaum bereit sind, für das Gemeinwohl Opfer zu bringen, zu selbstherrlichen Urteilen aufschwingen.“ (Angela Merkel 1991 im Interview mit Herlinde Koelbl*)

Als politisch interessierte Frau tausche ich mich gerne über meine Beobachtungen des politischen Geschehens aus. Zunehmend nerven mich aber solche Gespräche, da ich beobachte, dass viele Menschen Politik eher als Thema der abendlichen Unterhaltung und Bespaßung betrachten und weniger als Prozess des Aushandelns des menschlichen Zusammenlebens. Da wird sich aufgeregt über eine „viel zu junge“ Außenministerin oder Friedrich Merz als Parteivorsitzender gewünscht, „weil die Politik dann spannender und nicht so langweilig ist“. Es werden die Schlagworte aus der Presse wiedergekäut, Vorurteile aus den Medien aufgegriffen oder aus den allabendlichen Talkshows zitiert, deren Gäste ja leider auch hauptsächlich auf den Unterhaltungswert hin ausgewählt werden. Eigenständiges Nachdenken über Politik nehme ich selten wahr. Das ist eine andere Form von „Unpolitisch-Sein“, über das Anne Newball-Duke vor einiger Zeit geschrieben hat.

Eine Stadträtin meiner Heimatstadt mit immerhin 40 000 Einwohner*innen meinte kürzlich nach einer mühseligen und kontroversen Stadtratssitzung, „Der Oberbürgermeister-Job ist ein Sch….-Job, ich möchte ihn nicht machen“; eine Momentaufnahme aus dem politischen Alltag. Ich gehe mal davon aus, dass die Politiker*innen – auch wenn sie im Wahlkampf polarisieren – es ernst meinen mit dem Willen zur Gestaltung eines guten Zusammenlebens. Beim Sprechen über Politik vermisse ich Achtsamkeit und Respekt dem gegenüber, was – die meisten – Politikerinnen und Politiker leisten. Sich mit Häme über die Politik aufzuregen, ist nicht angemessen.

*Herlinde Kölbl, Angela Merkel, Porträts, 1991-2021, Taschen Verlag Köln 2021, Seite 23.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 01.02.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Martina Horak-Werz sagt:

    Liebe Juliane Brumberg,
    Sie haben ja so recht!
    Dürfte ich Ihren Text in unserem Frauenrundbrief des Dekanats zitieren?

    Liebe Grüße aus der Pfalz
    Martina Horak-Werz, Pfarrerin

  • Elfriede Harth sagt:

    Liebe Juliane, gut, sich darüber Gedanken zu machen, wie in Zeiten digitalisierter Kommunikation sich das Sprechen (miteinander und übereinander) verändert.

    „Politik“ – als „Prozess des Aushandelns des menschlichen Zusammenlebens“ fängt ja schon in der Familie an, wenn ausgehandelt (oder durchgesetzt) wird, wer was wie und wann macht. Da wird – parallel zum Erlernen der Muttersprache – eingeübt, was Autorität, Macht, Care, Verantwortung, Schutz, Zugehörigkeit, Wertschätzung, Organisation, Regeln, Miteinander, etc.. ist und wie diese Werte verteilt werden/sind. Da wird z.B. gelernt: „wer Arbeit kennt, und danach rennt und sich nicht drückt, der ist verrückt!“ aber es wird u.U. auch gelernt, dass es angenehm ist, wenn man Sachen, die man sucht, auch findet (weil sie sich auf „ihrem Platz” befinden), oder wenn sich die Familie gemeinsam zu Tisch setzt und sich beim Essen austauscht über das, was die Einzelnen gerade beschäftigt. Dabei ist es zunächst nicht so wichtig, wer denn dafür gesorgt hat, dass die Sachen an ihrem Platz sind oder das Essen auf den Tisch kam.

    So wie man sich erst irgendwann später mit Grammatik befasst, lernt man vielleicht auch, dass Sachverhalte eine Ursache haben und von jemandem verursacht, also vollbracht wurden. Denn das Verursachen oder Vollbringen kann auch sehr gratifizierend sein, erfreuend. (Ich verwende bewusst das Fremdwort, weil da „gratis“ drin steckt). Wenn jemand ein Kind beobachtet, dann wird dieser Mensch sehen, dass das Kind sehr beglückt ist, wenn es etwas vollbringt: den Schuh alleine anziehen, den Legoturm alleine bauen, ein witziges Sprichwort aufsagen, vom Sofa auf den Boden springen. Auch wir empfinden es als befriedigend, wenn wir etwas vollbringen: einen Sachverhalt begreifen, ein Rätsel lösen, einen duftenden Kuchen aus dem Backofen holen, den Kleiderschrank ausmisten oder einen Artikel fertig schreiben. Es ist erfüllend, sich als wirkmächtig zu erleben.

    Ich bin überzeugt, Menschen, die sich politisch engagieren, tun es um die eigene Wirkmächtigkeit zu erleben. Wenn aber diese Erfahrungsmöglichkeit in weite Ferne rückt, wir uns also als ohnmächtig erleben, dann sinkt das Interesse an politischem Engagement. Dann wird Politik zur Bespaßung. Ein Alternativprogramm zur Fußballbundesliga. Wo dieses Spektakel 22 Millionäre zeigt, die sich um einen Ball kloppen. Auch hier gibt es Menschen, die ins Stadion gehen, um dort ein berauschendes Gefühl von Zugehörigkeit zu einer Fangemeinschaft zu erleben. Oder sie sitzen im Schlafanzug auf der Couch mit einer Flasche Bier in der Hand und brüllen ihren Fernseher an, während Experten jede Bewegung analysieren und kommentieren. Auch hier gibt es Hooligans, die aufeinander einprügeln. Auch hier gibt es Mord an Spielern, die nicht geliefert haben wie erwartet.

    Die Institutionen unserer repräsentativen Demokratie stammen zu einem großen Teil aus dem 19. Jahrhundert. Damals konnte ein guter Teil der Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Es gab keine allgemeine Schulpflicht. 1950 machten 5% der Bevölkerung Abitur. Es gab im 19. Jahdt. keinen elektrischen Strom und kein fließendes Wasser. Also weder Internet noch Handys. Es gab nur einige Zeitungen. Menschen gingen zu Fuß oder zu Pferd oder wagten sich in eine der ersten Eisenbahnen. Erst zwischen den beiden Weltkriegen setzte sich langsam das Radio durch. Bis 1918 waren die Deutschen Untertanen des Kaisers!

    Die repräsentative Demokratie stammt also aus einer Zeit als bürgerliches Wissen und bürgerliche Kultur noch sehr ungleich verteilt waren. Wo Zugang zu (bestimmter „politischer“ Information) noch schwierig war. Aus einer Zeit, in der die Ständegesellschaft noch ganz ausgeprägt war. (Unser dreigliedriges Schulsystem und unser System der Altersvorsoge sind noch immer noch davon geprägt!)

    Wenn unsere Teilhabe an Politik in unserer Zeit sich immer noch darauf beschränkt, nur alle 4 Jahre zur Polit-Veranstaltung Wahlen eingeladen zu werden (abgesehen davon, das das inzwischen auch zu einer finanziellen Schlacht geworden ist! und ich will gar nicht anfangen von der Rolle der social media zu sprechen), und in der Zeit dazwischen aber nur als passives Publikum mit Talkshows abgefüttert werden, dann verkommt Politik in der Tat zu einer Bespaßung. Wie Gregor Gysi vor einigen Tagen im Bundestag sagte: wenn 35 % der Bevölkerung entweder afd wählt, gar nicht wählt oder Parteien wählt, die keine Chance haben, in den Bundestag zu kommen, dann ist das ein Zeichen, dass 1/3 der Menschen das Vertrauen in die verloren hat, die an der Macht sind. https://youtu.be/UF_v7mJ5YAQ

    Zeit, die Institutionen unserer Demokratie zu überholen. Zeit, – wie Care Revolution ja fordert -, so sehr wie es geht zu dezentralisieren! Und die Bürger:innen von Erwerbssklaverei zu befreien, damit sie mehr Zeit haben für so wichtige Dinge wie für Sorgearbeit für das Gemeinwohl. Vor Ort!

    Hast Du schon die ebi-grundeinkommen.de unterzeichnet? (Diese kleine Reklame am Ende musste einfach noch sein!)

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Man soll PolitikerInnen und Politiker ernst nehmen und respektieren, das ist richtig und für mich auch sehr wichtig.

    Trotzdem darf man nicht übersehen, dass es einzelne Politikerinnen und Politiker gibt, die anscheinend das Volk nicht sehen wollen.

    Gerade jetzt, wo tausende Menschen jede Woche auf der Straße gehen, um gegen die aufgezwungene Impfpflicht zu demonstrieren, und diese Zigtausende nicht lauter Chaoten sind, vermisse ich das Ernstgenommenwerden von den Politikern und Politikerinnen. Genau betrachtet sind es höchstens 1 – 2 Politiker (außer dem rechten Flügel), die es wagen, die Demonstranten und Demonstrantinnen anzuschauen, mit ihnen zu sprechen, ihre Anliegen wahrzunehmen und sie nicht als “Irre” und “Wirre” abzustempeln.

    Es braucht den gegenseitigen Respekt, das gegenseitige Zuhören und die gegenseitige Achtung.

  • Brigitte Leyh sagt:

    Wahlen nur alle 4 Jahre, alte Institutionen, Impfpflicht oder nicht (ich fände sie gut) – es gibt viel zu viele Entschuldigungen dafür auf dem Sofa sitzen zu bleiben und sich nur unterhalten zu lassen. Eine Demokratie, deren BürgerInnen nicht bereit sind Achtung für die Arbeit derjenigen, die sich für uns alle einsetzen, mehr oder weniger aktiv zum Ausdruck zu bringen – die hat schon verloren.

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Also, Brigitte, eine Demokratie kann doch gar nicht verlieren!
    Deine SofaHocker sind es, die den “Zugang zur Demokratie“ verloren haben, – möglicherweise.
    Und wenn du, Elfriede, in deinem Kommentar schreibst:
    “Ich bin überzeugt, Menschen, die sich politisch engagieren,
    tun es um die eigene Wirkmächtigkeit zu erleben,“ du meinst es positiv, dann wähle ich das Sofa und lass meine Gedanken weiterdenken.
    (Mir ist bei dem Gelesenen so vieles eng und zu wertend gedacht.)
    Demokratie muss für mich immer etwas sein und bleiben,
    “wo man trotzdem lacht”!

  • Antje Schrupp sagt:

    @Gisela Forster – Also ich weiß nicht, wenn ich mir die Art und Weise in Erinnerung rufe, wie “die Politik” mit anderen Demonstrationen bisher umgegangen wird, etwa die Globalisierungs-Demos, oder auch Occupy usw. wo die Demonstrierenden stundenlange eingekesselt, zusammengeknüppelt und so weiter wurden, wo Demonstrationen teils gar nicht stattfinden durften und mit massiver Polizeigewalt begleitet wurden – dann verstehe ich ehrlich gesagt nicht, woher dein Eindruck kommt, dass die jetzigen Anti-Corona-Maßnahmen-Demos weniger Respekt bekommen als üblich. Zumal auf diesen Demonstrationen teilweise wirklich üble Rechtsradikale mitlaufen mit offenen Nazi-Abzeichen, Holocaust-Leugnerinnen, krasse Antisemiten und so weiter. Ich habe den Eindruck, dass hier von staatlicher Seite sehr viel mehr Rücksicht genommen wird, als das bei Demonstrationen in Deutschland bisher so allgemein üblich ist.

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