Forum für Philosophie und Politik
Von Kathleen Oehlke
Vor einer Woche dachte ich, dass ich das Blitzlicht über ein anderes Thema schreiben würde. Dann überfiel Putin die Ukraine und die anderen Themenideen waren vom Tisch. Nachvollziehbar, der Situation angemessen, keine Frage.
Dennoch sollte jetzt nicht passieren, was ich zuletzt im Kleinen, wie etwa in Gesprächen oder auch in der Kommentarspalte von Online-Zeitungen immer wieder beobachtet habe. Nämlich dass eine große Krise oder Katastrophe genutzt wird, um andere Themen zu bagatellisieren à la „Als ob wir gerade keine anderen Sorgen hätten.“ Das erscheint mir wie eine Erwachsenenversion von „Mama ist krank und ihr (Kinder) streitet; muss das denn sein?“ Das heißt, anderen werden ihre legitimen Anliegen abgesprochen, weil sich woanders auf der Welt oder auch gleich um die Ecke eine größere Katastrophe abspielt. Das ist nicht nur respektlos, sondern möglicherweise sogar kontraproduktiv. Konflikte wollen ausgetragen werden. Meist gilt, je früher, desto besser und am besten konstruktiv. So etwas muss geübt werden. Abgesehen vom Übungseffekt solcher Debatten haben Themen wie Gendersternchen, die Breite von Radwegen und Mülltrennung natürlich sehr wohl ihre Berechtigung, auch wenn gerade der Regenwald brennt, auch wenn in der Ukraine Krieg herrscht, und auch dann, wenn eine Pandemie die Welt in Schach hält. Denn auch, wenn die Welt über Nacht eine andere geworden ist, dreht sie sich doch weiter. Und solange sie sich dreht, lohnt es sich, für ein gutes Leben für alle zu kämpfen (oder zu streiten) mit allem, was dazu gehört.
An dieser Stelle verweise ich gern auf das ABC des guten Lebens mit K wie Konflikt und S wie Sowohl als auch.
Natürlich ist das, was da gerade in der Ukraine passiert, nicht irgendein “normaler” Konflikt, sondern eine Ungeheuerlichkeit. Über das Böse hat Juliane Brumberg vor einem guten Jahr hier etwas geschrieben.
Ganz meine Meinung. Darüber hinaus empfehle ich erbauliche Lektüre:
den Duden: Deutsche Rechtschreibung: Zusammensetzung,
bevor uns eine russische Rakete trifft.
Was Krieg ist, habe ich schon als 5Jährige sehr bewusst erlebt
als wir im Februar 1945 in Ostpreußen vor den Russen fliehen mussten…
Dass es in meinem Leben jemals einen Anlaß geben könnte,
dass die Erinnerung heute als tiefer Schmerz so spürbar wird,
hätte ich nicht mehr erwartet.
“Ich glaube an das Gute im Menschen!“
soll Anne Frank gesagt haben.
Heute kann ich das für mich so uneingeschränkt nicht mehr sagen;
hoffentlich morgen wieder…
Sie sprechen mir aus dem Herzen, Frau Oelke. Hätten wir Frauen in Deutschland/England das Wahlrecht, wenn unsere Vormütter nicht während des 1. Weltkrieges weiter dafür gekämpft
hätten?
(Auch sie mussten sich anhören, dass ihrere Männer, Söhne, Brüder ihr Leben lassen, während sie das Parlament damit beschäftigen, wählen zu wollen.)
Fürs Gute einzutreten wird immer wichtig sein, unabhängig, was zeitgleich in der Welt passiert.
P.S.: Für das Verb – gekämpft – finde ich kein besseres, obwohl es in der Tat aus der Kriegssprache ist.
Schlagzeilen heißen nicht umsonst “Schlag”-Zeilen. Sie sind dazu da, aktuell einprasselnde Themen uns um die Ohren zu schlagen – und sie haben nur Wirkung, wenn wir richtig geschlagen werden von den Schlagzeilen – nur dann reagieren wir. Schlagzeilen schlagen in der Konsequenz andere Themen, die weniger schlagkräftig sind, vom Tisch. Diese Gebiete sind dann niedergeschlagen, sie werden unwichtig.
Drei Jahre wurden uns Impfberichte, Impfdiktate, Impfzwänge, Impfpsychosen, Impfnebenwirkungen um den Kopf geschlagen, da war kein Raum für Nachdenken, Spiritualität, Sinn des Lebens, Ende eines erfüllten Seins oder Reflexion des eigenen Handelns.
Nun schlagen uns die schlagkräftigen Medien die Ukraine-Krise so kräftig in unser Blickfeld, dass wir kaum noch atmen können. Das Schlimmste daran, da wird nicht abgewogen, da wird nicht reflektiert, sondern da wird eine Kriegssprache, Abwertungs- und Verdammungssprache auch von den Nichtkriegern benutzt, die einen schaudern lässt.
Was in so einer Notsituation hilfreich wäre: Die ausgestoßenen Worte wandeln hin zu einer Sprache des Verstehens und der Toleranz, zu einem: Den Menschen Annehmen, auch mit den ureigenen dunklen oder bitteren Seiten, zu einem: Beruhigend auf die schlagende Gewalt der Sprache und des Handelns hinweisen – und: Ohne Aggressionen. Ohne Verletzen. Ohne in die Enge treiben. Ohne Keine Chance lassen, sondern mit dem Ziel: Aus dem Konflikt einen Ausweg zu suchen.
Also das Schlagende, das Niedermachende, das Abwertende und Verdammende aus dem Wortschatz herausnehmen und die Konflikte mit all ihrer Vergangenheit und Geschichte und die Situation mit all seiner Gewachsenheit und Breite reflektieren und dann alle Beteiligten zu heilen versuchen.
Das Problem also nicht verengen – und andere Probleme vergessen, wie richtig in dem Beitrag hingewiesen wurde – sondern erweitern und die Menschlichkeit aller Beteiligten zu Grunde legen.