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Rubrik denken, heilen

Zur notwendigen Neujustierung von Wahrheit und Freiheit in einer Welt in Klimakrise

Von Anne Newball Duke

Folgenden Artikel verstehe ich als eine Art “Aufschlag”. Es handelt sich um ein erstes grobes Abstecken einer Neujustierung. Ich stelle mir das idealerweise so vor, dass sich viele daran reiben oder Motivation verspüren, sich mit der Idee auseinanderzusetzen. In diesem Falle – wenn die Kommentare oder Gedanken länger als eine Seite werden und für sich stehen können – könnte eine Art Reihe entstehen.

Foto: Anne Newball Duke

Behauptung:

Es gibt die unverhandelbare Wahrheit der planetaren Grenzen. Erst wenn diese unverhandelbare Wahrheit in allen Gesprächen vorausgesetzt und einbedacht wird, können Wahrheiten in Gesprächen, in Parlamenten usw. usf. verhandelt werden. Auch Freiheit gibt es nur innerhalb der planetaren Grenzen. Nur innerhalb dieser kann über Freiheiten verhandelt werden.

Ein Gespräch ohne unverhandelbare Wahrheit

Mein erstes (Streit-)Gespräch zu diesem Themenkomplex, das tief in mir haften blieb, führte ich etwa 2013 mit meiner Schwiegermutter. Sie und ihr Mann leben in Miami und haben einen relativ typischen amerikanischen Lebensstil der mittleren Mittelschicht: schönes, kleines Reihenhäuschen mit Garten, jede/r hat ein Auto, und dazu gibt es noch eine Harley für’s Wochenende in der Garage. Mein Schwiegervater hatte sich damals auch ein größeres Motorboot angeschafft. Meine Schwiegermutter versucht im Rahmen des ihr Möglichen nicht mehr so energieverschwendend zu leben. Sie tut dies vor allem über gesunde Ernährung, wenig Fleisch usw. Mein Schwiegervater hingegen nicht; er ist der Meinung, er habe es – zunächst als in die USA Eingewanderter – “geschafft” im Land des Tellerwäschernarrativs, und jetzt dürfe er “die Freiheit” in aller Freiheit auskosten. Er lässt sich von meiner Schwiegermutter nichts verbieten. Und darf sie das überhaupt? Hat sie das Recht dazu? Darüber ging unsere irgendwann sehr emotionale und aufgeladene Unterhaltung; sie ging im Kern in etwa so:

Ich sagte ihr: “Aber mit der Harley am Wochenende rumkurven, das ist keine Freiheit!”

Sie: “Für dich nicht, für mich nicht, aber für ihn schon! Er hat ein Leben lang hart gearbeitet, um das zu erreichen.”

Ich: “Aber was erreicht er denn? Die Zerstörung des Planeten, der Lebensgrundlage seiner Enkelkinder!”

Sie: “Ja, du magst recht haben, aber ich kann es ihm nicht verbieten.”

Ich: “Wieso nicht? Warum versteht er das nicht?”

Sie: “Weil es einfach ein ganz anderes Denken ist. Ich könnte es ihm nie nie nie verbieten. Und du darfst es ihm auch nicht verbieten. Für wen würdest du dich denn dann halten? Du hast ihm doch nicht zu sagen, was Freiheit beinhaltet und was nicht! Wir leben ja in keiner Diktatur! Seine Meinung und seine Auslegung von Freiheit ist ebenbürtig mit der deinen. Wir – du und ich – haben kein Recht dazu, ihm diese abzusprechen, und wir schaffen das im Übrigen auch nicht.”

Am Ende dieser Auseinandersetzung war ich sehr unzufrieden mit mir, weil ich gefühlt keine “wirklichen” Argumente hatte; ich argumentierte von meiner abrufbaren, sehr einfachen Kapitalismuskritik aus. Zudem hatte ich weder eine Freiheits- noch eine Wahrheitsdefinition im Kopf. Alles war so schwammig wabbelig relativ. Er hat recht, ich habe recht, weil Freiheit ist ja multipel auslegbar. Warum war ich dennoch felsenfest davon überzeugt, dass die Freiheitsauslegung meines Schwiegervaters und meine nicht auf einer gleichberechtigten Ebene nebeneinander stehen konnten und durften? Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass auch meine Argumentation ordentlich hinkte.

Erster Kritikpunkt aus heutiger Sicht an meiner damaligen Argumentation wäre natürlich, das alles auf individueller Ebene durchgespielt, also in gewisser Weise personal blaming betrieben zu haben. Denn warum gibt es überhaupt eine gesellschaftliche Norm, in der diese planetenzerstörenden Aktivitäten – das Harley-Fahren ist da ja nur ein winzig kleiner individueller Touch gegen all die Industrien, die genau so ein individuelles Leben ermöglichen und proklamieren und durch sie existieren – okay sind, ja eben Freiheit bedeuten? Nur: Warum ist meinem Schwiegervater das zumindest auf theoretischer Ebene nicht klar? Ich hätte mehr Verständnis, wenn er sagen würde: “Harley fahren ist scheiße fürs Klima, aber es tut mir gut, es macht mich glücklich…” Denn solche “bösen” Hobbies habe ich ja auch immer noch, und das war damals auch mein Gefühl in der Diskussion, dass ich doppelbödig argumentierte, denn ich war ja nicht “sauber”, wer kann schon komplett “sauber” leben aktuell.

Bei einem unserer nächsten Besuche fragte ich ihn. Er hat mich sehr gern. Er sagte in etwa: “Schau, Anne, ich bin natürlich wie du ein Linker im Herzen. Grün würde ich nicht sagen, aber links. Wie ginge das auch anders als Jugendlicher und junger Mann, der die Gräueltaten rechter Diktaturen in Südamerika leibhaftig miterlebt hat? Aber ich denke nach all dem Erlebten halt auch… die Welt ist nun mal wie sie ist. Ich habe das akzeptiert. Alles ist besser als Diktatur, Angst, Tod. Und es hat mich viel Mühen gekostet, dahin zu kommen, wo ich jetzt stehe. Und ich möchte das jetzt auch genießen. Am Ende möchte ich auch nur ein gutes Leben haben.” “Ein gutes Leben haben” bedeutet hier wohl eher: “Einen Teil von dem planetenzerstörenden Wohlstand abhaben, solange ich kann, weil ich es kann”. Ich glaube nicht, dass ich ihm in dieser Deutlichkeit damals geantwortet habe. Und was bringt es denn auch, jemandem so etwas zu sagen? Ist es die richtige Form der Vermittlung? Aktiviert es ihn, sein Begehren neu auszurichten? Andererseits: seine Meinung, seinen Standpunkt so stehen zu lassen, bedeutete für mich damals, in Melancholie und Traurigkeit zu fallen. Heute würde ich sagen: “Doch, ich kann etwas ändern, und ich tue es auch, ich gehe auf die Straße, ich schreibe”, aber damals tat ich das noch nicht, ich fraß mein Wissen, die seelenruhig fortgeführte Zerstörung des Planeten und meine Zukunftsintuitionen in mich hinein und erstickte förmlich daran; und aus diesem Gefühl entstiegen wiederum Wut- und Ohnmachtsgefühle, die nur mit Verdrängung zu händeln waren.

Die Zukunft ist nicht mehr unvorhersehbar

Viele philosophische Ansätze gehen zum einen davon aus, dass die Welt unkaputtbar und die Zukunft nicht vorhersagbar ist, so auch Hannah Arendt. Antje Schrupp schreibt hier: “Nicht um Beweise oder unverrückbare ‘Wahrheiten’ geht es laut Arendt im Bereich des Politischen, sondern darum, dass die Verschiedenheit der Menschen eine gemeinsame Welt schafft, deren Zukunft nicht vorhersagbar ist.” Auch im ABC des guten Lebens finde ich diesen Satz: “Freies Handeln hingegen ist auf eine offene und unvorhersehbare Zukunft gerichtet, (…).” (S.65) Nun, das ist nicht mehr der Fall. Klimaforscher*innen können ganz gut vorhersagen, wie es um die Menschheit bestellt ist in 30, 50, 80 Jahren, wenn wir so weitermachen wie bisher.

Natürlich sind und bleiben singuläre Zukünfte unvorhersehbar; bestimmte externe klimakrisenbedingte Ereignisse machen allerdings bestimmte Zukünfte an manchen Orten wahrscheinlicher, und diese haben dann nicht geringen Einfluss auf die singulären Zukünfte der Menschen dort. Worum es mir aber geht, ist, dass es gar keine je singulären Zukünfte mehr geben wird, wenn es keine Zukunft für die Menschheit gibt. Und diese Gewissheit, diese Gefahr, in die wir hineinlaufen, muss sich von nun an auch – davon bin ich überzeugt – in der Philosophie, im Nachdenken über das Menschsein wiederfinden.

Denn wesentliche Pfeiler zur Deutung der Menschen in der Welt sind umgestürzt. Wir können weiterhin alle verschiedener Meinung sein, aber wir müssen zunächst einmal die simple Wahrheit anerkennen, dass wir alle dieselbe Lebensgrundlage haben. Und wenn wir diese zerstören, dann hilft uns unsere Pluralität auch nicht mehr zur Aushandlung einer gemeinsamen Welt. Ich sage also, es gibt eine unverrückbare Wahrheit, und das sind die planetaren Grenzen. Nur innerhalb dieser können wir tätig sein, nur innerhalb dieser können wir eine gemeinsame Welt aushandeln. Wahrheit, so Hannah Arendt, sei das, „was der Mensch nicht ändern kann“. Die Wahrheit sei der „Grund, auf dem wir stehen, und der Himmel, der sich über uns erstreckt“. Zu der Schlussfolgerung gehört: Alles andere, was zwischen „Grund“ und „Himmel“ vorstellbar ist, kann, darf und soll sich ändern. (Die letzten drei Sätze sind von Claas Christophersen.) Ich sage: Im Angesichte der Klimakrise und des Artensterbens ist nicht mehr alles vorstellbar; darf nicht mehr alles vorstellbar sein. Hannah Arendt ging noch davon aus, dass der Grund, auf dem wir stehen, sicher sei. Das ist er aber nicht mehr. Deswegen müssen wir Sätze wie diesen in unserem Denken verändern: Der Grund, auf dem wir stehen, ist nicht mehr sicher. Wir können heute nicht mehr davon ausgehen. Das Politische muss sich innerhalb der planetaren Grenzen abspielen; es muss sich in die planetaren Grenzen bewegen. Außer das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, ist eine in Betracht zu ziehende Option. Aber welchen Sinn hätte dann das Politische, geht es im Bereich des Politischen doch genau darum, eine gemeinsame Welt mit und für Menschen zu schaffen?

Damals bei der Diskussion mit meiner Schwiegermutter gab es die ganze Klimabewegung um Fridays for Future noch nicht. Ich erschloss mir alles vom Funktionieren des kapitalistischen Wirtschaftens aus: Endlicher Planet versus unendliches Wachstum: mehr musste ich nicht verstehen. Mehr muss doch eigentlich niemand verstehen, oder? Was ist daran so schwer zu verstehen? Je mehr ich übrigens über unser Wirtschaftssystem lernte und erfuhr – ich studierte VWL sogar im zweiten Nebenfach (aber es ist wie mit Russisch: einfach alles weg mittlerweile) – desto schockierter war ich, dass wir Menschen weiterhin denken, mit dem Siegeszug des Kapitalismus sei das Ende der Geschichte (in den frühen Zweitausendern war das unhinterfragter allgemeiner Glaubenssatz) eingeläutet. Okay, wenn wir “Ende der Geschichte” als “Ende der Menschheit” verstehen. Denn es ist bestimmt nicht dieses weltumspannende Wirtschaftssystem, mit dem wir Menschen bis in alle Ewigkeit glücklich und zufrieden wirtschaften werden, und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch heute.

Heureka! Wahrheit!

bearbeitetes Bild und Foto: Anne Newball Duke

Ich bin sicher nicht die Erste, die das sagt, aber ich sage es jetzt trotzdem like the very first time in diesem Zusammenhang: die Wahrheit steht auf dem Kopf. Und deswegen darf die Freiheit Harley fahren.

Wenn ich so etwas sage wie “die Freiheit steht auf dem Kopf”, dann regt sich in vielen Menschen sofort Widerstand, mir werden die “Abers” regelrecht um die Ohren gehauen. Die eine Wahrheit gibt es doch gar nicht, höre ich, und: Wahrheit ist doch kontextabhängig und entsteht erst im Gespräch zwischen Menschen.

Und wenn nun beides wahr ist? Wenn es beide Wahrheiten gibt, die kopfstehende Wahrheit und die verhandelbare Wahrheit? Und diese beiden in einer Beziehung, in einem nicht ausblendbaren Verhältnis zueinander stehen sollten?

Immer, wenn ich denke, ich habe eine Eingebung, die sicher noch kein Mensch hatte, und dann lese ich es plötzlich – danach suchend – gefühlt “überall”, dann denke ich an die Legende um Archimedes und wie er sich in die Badewanne setzte, und danach splitterfasernackt “Heureka!” schreiend durch die Straßen und Gassen Siziliens lief; weil er soeben entdeckt hatte, dass er im Wasserbad so viel an Gewicht verlor, wie das von ihm verdrängte Wasser ausmachte. ‘Hach, was waren das für Zeiten, als so etwas noch das erste Mal entdeckt werden konnte!’, denke ich dann immer etwas neidisch.

Auch meine Erkenntnis ist vom Grunde her simpel. Und doch habe ich sie bisher nirgends so zusammengesetzt gefunden. Und ich finde sie vor allem in kaum einem Gespräch, nicht mal unter Klimaaktivist*innen. Viele Gespräche fühlen sich immer noch wie 2013 an; kaum eine geht mit mir diesen Schritt mit.

Ich denke, es gibt eine unverhandelbare Wahrheit mit Konditionalsatz:

Wir Menschen haben innerhalb der planetaren Grenzen zu leben und zu wirtschaften, wenn wir wollen, dass auch noch nach uns folgende Menschengenerationen ein gutes Leben auf der Erde haben.

Nun mögen sich manche fragen, “ja, aber was bedeuten denn ‘planetare Grenzen'”? Die planetaren Grenzen sind dann überschritten, wenn ein gutes Leben für die menschlichen Würderträger*innen, wenn ein Leben in funktionierenden Gesellschaften aufgrund der klimatischen Bedingungen, aufgrund der Zerstörung unserer Lebengrundlage, nicht mehr möglich ist.

An dieser Stelle höre ich in Diskussionen oft: “Aber ganz Schluss sein wird mit der Menschheit doch dann nicht; es werden ganz sicher welche überleben.” Ja okay, voll beruhigend, wenn nur etwa jede siebte Person bis zur nächsten Jahrhundertwende überlebt, die anderen sechs gewaltvoll sterben. Und die, die dann übrig bleiben, haben die dann ein gutes Leben? Die Chefin des Zukunftsministeriums in Kim Stanley Robinsons Science Fiction-Roman Das Ministerium für die Zukunft sagt, es sei “sicher kein Erfolg, wenn die wenigen Überlebenden der Katastrophe am Ende als Lumpensammler und Bauern arbeiteten” (S.376).

Dann höre ich oft dieses Argument: “Der Welt ist es egal, ob die Menschen weiterleben; sie wird weiter existieren”. Als wenn es egal ist, dass Milliarden von Lebewesen qualvoll sterben müssen. Wie ist es, mitansehen zu müssen, wie ein Kind in einer Flut wegtreibt und stirbt, ohne eingreifen zu können? Wie ist es, einen Affen im Amazonas verbrennen zu sehen? Milliarden solcher Tode sind egal? Und wahrscheinlich denken jetzt einige Leser*innen: ‘Wow, hier drückt sie aber ordentlich auf die Tränendrüse. Ich mag es nicht, wenn eine andere Person mir eingibt, wann ich zu weinen habe.’ Warum magst du das nicht? Warum weinst du nicht, wenn dir eine Person sagt, dass andere Lebewesen qualvoll sterben? Und wenn es der gewaltvolle Tod des eigenen Kindes ist? Oder der eigene? Schön durchgespielt wurde das in dem Netflix-Film Don’t look up, in der eine Wissenschaftlerin die einzige zu sein scheint, die über ihren sicheren Tod und den aller anderen Menschen sechs Monate später durch einen Kometeneinschlag weinen muss. Alle anderen verhindern das Hineinlassen einer solchen Wahrheit in den Körper durch Therapien, Schönheits-OPs, Ablenkungsmanöver usw. usf.. Ich weiß nicht, wie wir zu so einem zynischen, emotionslosen, ja beinahe körperlosen Denken und (Nicht-)Fühlen fähig geworden sind. Planetenweites Weinen wäre jetzt wirklich total angebracht. Und dann beginnen wir – jetzt wirklich wissend und fühlend um das, was auf dem Spiel steht – mit dem “Wechsel von der industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer lebenserhaltenen Zivilisation” (Robin Wall Kimmerer in Geflochtenes Süßgras, S.395).

Denn machen wir uns doch mal ehrlich: Beide Argumente dienen fast ausschließlich der Ausrede, nichts tun zu müssen und das von Menschen selbst verschuldete “Schicksal” einfach hinzunehmen, nach dem Motto: “Wir Menschen sind halt so, da kann man nix machen, das alles muss einfach so kommen.” Als wenn es Gottes/unsere – wessen auch immer – Bestimmung wäre, dass die Menschheit sich und Milliarden andere Lebewesen mit in den Abgrund reißen. So kann nur eine Person reden, die denkt, dass es sie selber nicht erwischen wird. Und auch nicht ihre Kinder. Und über diese Kinder hinaus geht ihr Empathievermögen in räumlicher und zeitlicher (generationaler) Dimension nicht. Dieser so eng begrenzten Vorstellung nach haben also ihre Kinder für das gute Leben der nächsten Kinder zu sorgen. So ist das aber nicht. Wir zerstören die Lebensgrundlage für tausende von nach uns kommenden Generationen gerade UNWIEDERBRINGLICH.

Und es ist halt auch ein weiterer fataler Fehlglaube dieser Person: Dass es sie hier nicht erwischt. Doch. Es kann sie erwischen. Es erwischt sie schon. Die Frage ist, ob sie es erkennen will als das, was es ist, oder ob sie sich weiter wegdrehen und Schultern zucken will. Schultern zucken kann sie nur, wenn sie die Verantwortung für diese weltliche Komplexität, die sie mit der Geburt in die Wiege gelegt bekommen hat, nicht spürt und (für) wahr_nimmt.

Freiheit!

bearbeitetes Bild und Foto: Anne Newball Duke

In den Jahren seit dem Streitgespräch mit meiner Schwiegermutter habe ich nur in sehr unterschiedlichen Büchern von feministischen und/oder indigenen Autor*innen eher indirekte Antworten darauf gefunden, wie Freiheit und Wahrheit auszulegen wären, wenn das Erhalten des “sicheren Bodens, auf dem wir stehen”, das Ziel ist. Was ich aus ihnen entnahm, war: Wir tragen Verantwortung für das Weiterbestehen der Welt, wie sie jetzt ist, und deswegen, so denke ich, muss Verantwortung dringend an unseren Freiheitsbegriff gekoppelt werden.

Nehmen wir einen der berühmtesten Freiheitssätze, und einen vielzitierten in diesen Tagen; und zwar den von Rosa Luxemburg:

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“.

Natürlich beinhaltet diese Freiheit nicht, einen anderen Menschen töten zu können oder ihm sonst welches Leid anzutun. Es gibt auch nicht die Freiheit, andere Menschen rassistisch oder misogyn anzugehen. Denn dann wäre es ja vorbei mit der Freiheit des Anderen.

Warum aber beinhaltet unser Freiheitsverständnis immer noch die Freiheit, den Planeten zu zerstören? Wir geben der ganzen Welt, jedem einzelnen kleinen Menschenwesen mit unserem Wirtschaftssystem die Freiheit, seinen Teil zur Zerstörung des Planeten beizutragen. Nicht nur die Freiheit, sondern wenn sie nicht “frei wollen”, dann zwingen wir sie ganz einfach in Unfreiheit dazu, im Namen eines Wirtschaftssystems, dass sodann also eigentlich nur zerstörerische “Freiheit” für wenige bringt.

Nie werde ich vergessen, wie in einer Doku ein Baggerfahrer rußverschmiert aus dem offenen Fenster der Fahrerkabine in einer kolumbianischen Kohlemine sagte: “Ich möchte das nicht tun, es fühlt sich nicht richtig an, ich bin nicht weit von hier geboren, früher war hier alles Wald… aber ich habe Familie, ich brauche das Geld, das ich mit meiner Arbeit im Kohleabbau verdiene, zum Leben.” Das sind keine absurden Auswüchse unseres Wirtschaftssystems, das genau ist es, und zwar wie es leibt und lebt, das sind Eindrücke aus der Mitte des ruß- und ölverschmierten Motorraums, aus dem Herzen ihres systemischen Funktionierens. Und hier ist by the way die Freiheit des Anderen halt eben nicht gewahrt, aber gut, lassen wir jetzt das Sezieren und Widerlegen des patriarchal, kapitalistisch und imperial durchzuckerten Freiheitsbegriffes beiseite, das ermüdet zu sehr.

Nehmen wir uns lieber drei sehr vereinfachte Gesprächsbeispiele vor.

Beispiel 1

Zwei Menschen treffen in einem Gespräch aufeinander; der eine ist davon überzeugt, dass Gas der Zukunftsenergieträger ist; der andere aber ist sich sicher, dass Öl die Zukunft ist. Selbst wenn diese beiden sich am Ende irgendwo in der Mitte treffen (ich weiß: Kompromissfindung ist nicht gleich Wahrheitsfindung) oder ihre Differenz zu schätzen lernen, so entspricht nichts von dem Verhandelten der Wahrheit, selbst wenn sie mit Umarmung und neuer Freundschaft aus dem Gespräch gehen. Wahr ist vielleicht ihre Freundschaft und ihre guten, warmen Gefühle in dem Gespräch. Aber das, worüber verhandelt wurde, fand komplett außerhalb der planetaren Grenzen statt und kann deshalb keine Wahrheit in Bezug auf das verhandelte Thema enthalten.

Beispiel 2

Die eine Person ist für die 1,5-Grad-Politik, die zweite Person hat eine gemäßigte Position (so nennt man das ja heute in der politischen Sprache). Die zweite sagt der ersten Person leise, dass sie zwar theoretisch schon die Notwendigkeit sehe, möglichst unter 1,5 Grad zu bleiben. Laut sagt sie dann, dass die Menschen aber noch nicht so weit seien, so schnell ginge das einfach nicht, die fossilen Industrien sei noch zu stark, deren Lobbyismus zu tief verwurzelt im Herzen der Demokratie usw. usf., und deswegen müssten in der Klimapolitik Abstriche gemacht werden. “Abstriche” bedeutet eine Welt über 3 Grad, sagt die erste daraufhin. Das ist eine Welt, von der wir nicht wissen, ob auf ihr noch menschliches Leben möglich sein wird. Es würden Milliarden von Menschen sterben. Ja, sagt dann wieder die zweite. Aber die Menschen können sich nicht so schnell ändern, wie es jetzt notwendig wäre, wir können einfach die Politik weltweit nicht so schnell ändern, das musst du auch einfach verstehen. Ja, sagt die erste wieder, aber wissen die Menschen, die sich jetzt nicht schnell ändern können, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Kinder und sogar schon sich selbst in einen schnellen oder langsamen gewaltsamen Tod schicken? Wissen sie das? Ist ihnen das klar? Die erste ist nun ganz aufgebracht; sie kennt ihre Reaktionen schon; viel zu oft war sie schon gefangen in diesen “Vermittlungsgesprächen”. Sie seufzt. Sie fragt: Worüber streiten wir hier eigentlich? Warum kommt mir dieses Gespräch so sinnlos vor, warum bin ich müde und ohne Strom? Ich kann ihr sagen warum. Weil sie sich dessen bewusst ist, dass sie gerade ein Gespräch außerhalb der planetaren Grenzen führt. Es ist ein Gespräch, das – tuckern wir mit dieser Art noch ein paar Jahre länger vor den notwendigen sozialen Kipppunkten herum – direkt in den Tod führt.

Beispiel 3

Anders würde es aussehen, wenn die 1,5-Grad-Grenze gesetzt ist; wenn die Gespräche nur darüber geführt werden, wie sie einzuhalten ist: wie viel Kohle darf noch wo raus, und warum da und nicht dort? Fakt ist, es müssen so und so viele Windräder in der und der Zeit gebaut werden: wo bauen wir sie? Und wie hoch? Und wie garantieren wir den allerbesten Artenschutz? Die Versuche und Experimente, in die planetaren Grenzen zu gelangen, müssen heiß debattiert und umkämpft sein. Nur unterhalb der 1,5-Grad-Grenze, der unverhandelbaren Wahrheit, dürfen nun Wahrheiten ausgehandelt werden. Alles oberhalb dieser Grenze fliegt raus. Das Akzeptieren von planetaren Grenzen selektiert in atemberaubender Geschwindigkeit alles Bullshittige, Irrelevante raus.

Im Angesichte der Klimakrise ist es angebracht, den Luxemburg’schen Freiheitsbegriff ebenfalls mit Konditionalsatz zu versehen. So wie Nachfrage und Angebot nicht in einem luftleeren Raum passieren, wovon die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaflter*innen immer noch ausgeht, so findet auch das Austarieren von unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern auf unserer Erde, mit einem nur noch sehr begrenzten CO2-Budget, das in die Atmosphäre entlassen werden darf, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten.

Und so ist also auch nicht alles Freiheit, was heute als Freiheit ausgelegt wird. Ich gehe davon aus, dass jede Mutter, jeder Vater, jede Oma, jeder Opa, jede Tante, jeder Onkel, jeder Mensch für die je nachfolgende Generation nur das Beste will, oder? Ich gehe davon aus, dass auch ein wirtschaftsliberaler Mensch, der 1,5-Grad-Politik aus tiefstem Herzen ablehnt – wegen Wirtschaft und Wachstum und so, und wegen Kosten von Klimapolitik –, mit einem Großteil seines eigenen Tuns und Redens relativ sicher danach strebt, dass seine Kinder ein gutes Leben haben. Auch eine Windkraftgegner*in, die all ihre Freizeitenergie in diese Bürgerinitiative steckt, vielleicht sogar für diese ehrenamtliche Arbeit ihre Lohnarbeit gekündigt hat, denkt, sie kämpft für ein gutes Leben für ihre Kinder. Auch eine Nazi will das. Ein gutes Leben für ihre Kinder. Oder? Ich würde ihr das nicht absprechen wollen.

Jede Person hat andere Prioritäten, was sie für ein gutes Leben wichtig und erstrebenswert hält und was nicht. Aber alle Personen dieser Welt brauchen eine Lebensgrundlage, brauchen also die Welt in den planetaren Grenzen. Ohne Lebensgrundlage kein je singuläres Menschenleben und also auch keine je singulären Prioritäten. Es gibt verschiedene Messlatten, die momentan unser gesellschaftliches Miteinander regeln. Es gibt Gesetze, es gibt die zehn Gebote, es gibt die Verfassung, und in bürgerlichen Gesellschaften wie der unseren ist die Moral eine wichtige Messlatte, und auch kluge Worte von klugen Menschen. Diese leiten her, warum wir dies tun und jenes lassen sollten, legen uns Verhaltungsweisen nahe und belegen dies mit altem und neuem Wissen. Manchmal gleicht das wahrhaftig einem Tarot-Karten-Auslegen, wie wir in Coronazeiten gesehen haben, in der viele soge- und selbsternannte Philosoph*innen und ebensolche Intellektuellen auf glibbrigem Boden straucheln und ausrutschen (ich schrieb darüber schon hier). Bei all dem Auslegen ist aber doch die wichtige Frage: Welche der Philosoph*innen der Antike, der Moderne, der Postmoderne usw. usf. aber hat die planetaren Grenzen je im Blick gehabt und zum Gegenstand  oder Fundament ihrer philosophischen Überlegungen gemacht?

Die bürgerliche Gesellschaft hat ihre Fundamente in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Können Moralvorstellungen und auch viele der in dieser Gesellschaft geschaffenen Gesetze, die sich ja aus dieser Gesellschaft erst entwickelt haben, uns aber wirklich weiterhelfen? Können sie uns dabei helfen, das Menschenleben auf der Welt weiter zu garantieren? Muss die Frage nach der geeigneten Messlatte nicht diese sein: Was ist Grundvoraussetzung für (ein gutes) Leben? Die Antwort ist erstmal total simpel: Luft zum Atmen, bestimmte lebenserhaltende (Körper-)Temperaturen, ausreichendes Essen und Trinken, ein sicherer Ort, der Schutz vor den Elementen bietet, Schutz vor Gewalt, Respekt für die Integrität des Körpers, Sorge und Aufmerksamkeit, wenn diese gebraucht werden und noch viel mehr. (Teils aus dem ABC des guten Lebens, S.154). Was braucht es dazu? Einen Planeten, der sich nicht über 1,5 Grad erhitzt. Artenvielfalt. Keine/so wenige Klimakatastrophen wie nur irgend möglich. Keine Kriege um Lebensraum, um Ressourcen. Wir brauchen menschliches Leben innerhalb der planetaren Grenzen für ein gutes Leben.

Aber was tun wir stattdessen momentan? Worüber verhandeln wir in den Parlamenten, an den Küchen- und Biertischen, wo auch immer? Wir verhandeln, ob wir die 1,5-Grad-Politik überhaupt wollen. Wenn wir sie überhaupt schon auf dem Schirm haben. Wir denken, das sei Freiheit. Die Option auf die Zerstörung unseres Planeten darf mir niemand nehmen, denn das ist die pure Lust am Leben!

Meiner Meinung nach ist es längst Zeit, den Freiheitssatz von Rosa Luxemburg zu ergänzen:

Freiheit kann es nur innerhalb der planetaren Grenzen geben. Eine so verstandene Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.

Dem kapitalistischen Wirtschaftssystem dienende Freiheitsbegriffe gehören abgeschafft. Freiheit bedeutet von nun an nicht mehr, einen Freifahrtsschein zur Zerstörung des Planeten zu haben. Punkt aus Ende der Diskussion. Die Freiheit fährt von nun an nicht mehr Harley. Die Freiheit macht nicht mehr mit bei der Konstruktion einer Normalität, die die Welt zerstört. Das ist unverhandelbar. Unverhandelbar ist auch, dass wir diese Unverhandelbarkeit im Bereich des Politischen etablieren. Nur innerhalb dieser Unverhandelbarkeit kann über Freiheit verhandelt werden.

Und jetzt kristallisiert sich immer deutlicher hervor: Freiheit außerhalb der planetaren Grenzen ist und war nie wirkliche Freiheit. Die kapitalistische Marktwirtschaft ist ein Misswirtschaftssystem, denn es agiert außerhalb der planetaren Grenzen. (Wirtschaft ist Care) Es ist gefährlich, tödlich. Genauso gefährlich und tödlich ist der dem System dienende Freiheitsbegriff. Nicht nur der Freiheitsbegriff wurde in den Dienst dieser Misswirtschaft gestellt oder ist diesem vorausgegangen oder diesem erwachsen. Egal wie rum, Fakt ist, dass sie zusammen und wunderbar zerstörerisch und ambivalent verflochten miteinander gewachsen sind. Philosophie allgemein und so viele Wissenschaften wurden dem Misswirtschaftssystem angepasst oder ermöglichten überhaupt erst das Misswirtschaftssystem. Jede Wissenschaft hat hier einen Fuß in der Tür. Auch die Literatur- und Kulturwissenschaften haben ihren Anteil. Kein Zeichen flotiert frei; wenn die Autor*in (bisher war ja immer nur vom “vom Tod des Autors” die Rede…) tot sein kann, dann war das, was sie geschrieben hat, irrelevant für die Menschheit, wenn diese noch weitere Jahrhunderte oder Jahrtausende auf diesem Planeten zu Hause sein mag.

Nun können Leute sagen: Aber ich will die Freiheit haben, den Konditionalsatz wegzulassen, einfach damit ich weiter Nazi oder Windkraftgegner*in bleiben kann. Jenen können wir nun sagen: Euer Streben für das gute Leben eurer Kinder spielt sich außerhalb der planetaren Grenzen ab. Wenn ihr euer Begehren nicht in die planetaren Grenzen lenkt, dann werden eure Kinder kein gutes Leben haben. Das ist sicher. Ihr könnt euch jetzt für das Leben oder den (relativ wahrscheinlichen) gewaltsamen Tod eurer Kinder entscheiden.

Ein Verantwortungsgefühl für die Welt ist den meisten Menschen auf dieser Welt abhandengekommen. Die Verantwortung, die wir Menschen für diese Erde haben, weil wir sie beherrschen und fähig sind, sie zu zerstören. Es müsste in jeder einzelnen Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsphase vermittelt werden. Ich trage Verantwortung. Du trägst Verantwortung. Ersieeswirihrsie* tragen Verantwortung. Wenn eine Person denkt, sie hat sie nicht, dann sieht sie sie bloß nicht und will nichts von ihr wissen. Eine Freiheit, die dir erlaubt, die Verantwortung nicht zu sehen, existiert nicht. Der Verantwortung nicht gerecht zu werden, ist von nun an nicht mehr von einem Freiheitsbegriff abgesegnet.

Verantwortung gefriert zu extrinsischer Moral, die sich für viele anfühlt, als sei sie “von oben” verabreicht, wenn diese nicht an die Vermittlung einer Weltverbundenheit gekoppelt ist. Ich bin von dieser Welt. Du bist von dieser Welt. Ersieeswirihrsie* sind von dieser Welt. Unsere Kinder sind von dieser Welt. Das Wasser ist von dieser Welt. Die Farne sind von dieser Welt. Der Eisbär ist von dieser Welt. In sieben Generationen wollen Menschen immer noch von dieser Welt sein. Wenn uns das egal und nicht wichtig ist, dann sterben wir eben aus und reißen Milliarden andere nichtmenschliche Würdeträger*innen dieser Welt mit in den Tod. Warum stellen wir uns nicht die Frage, ob wir ein Recht dazu haben, nur weil wir es können? Dieses Egalsein jedenfalls, diese durch und durch pathologische Gleichgültigkeit sollten wir nicht Freiheit nennen. Es ist dann nur das: Gleichgültigkeit, die in den Tod führt.

Die Freiheit muss ins Verhältnis und in Beziehung gesetzt werden zu dieser nicht verhandelbaren Wahrheit. Es gibt keine Freiheit außerhalb der planetaren Grenzen, so wie es auch keine für das Leben notwendige Wahrheit außerhalb der planetaren Grenzen gibt. Außerhalb gibt es nur Tod und Zerstörung.

Wir müssen nicht nur unser Wirtschaften, sondern auch unser Denken, unsere Wissenschaften, unser Philosophieren in die planetaren Grenzen lenken.

Täten wir das, ergäben sich eine Reihe von erfreulichen “Nebenwirkungen”. Das Patriarchat würde sich auflösen, der Rassismus und der Antisemitismus zu großen Teilen ebenfalls, denn es gäbe keinen Grund und keine Nahrung mehr für diese lebensfeindlichen Einstellungen. Und es würde sich auflösen müssen, weil die Auflösung die Grundvoraussetzung dafür wäre, in die planetaren Grenzen zu kommen. Okay, sicher wird die Menschheit nicht von allem Bösen geheilt. Und ich bin auch keine Prophetin.

Mein Schwiegervater musste seine Harley wegen schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen im zweiten Coronajahr verkaufen. Es tut mir auch ein bisschen leid. Denn dieser Verkauf allein rettet ja nicht das Klima, das wissen wir längst. Ich lese noch einmal im ABC des guten Lebens: “Freiheit bedeutet vielmehr gerade die Möglichkeit (oder Fähigkeit), über das bereits Gedachte und für möglich Gehaltene hinauszugehen, sich ‘hinauszulehnen’ aus der gegebenen Realität (Luisa Muraro). Also zum Beispiel neu anzufangen.” (S.65) Es ist Zeit für ein neues Tellerwäschernarrativ. Es ist Zeit für ein neues Hobby, lieber Schwiegervater: Werde Klimaaktivist. There are a million ways of being one. Und füll dafür bitte dein Linkssein wieder mit Herz und Leben. You made it. Self-made-climate-activist. Hilf mit, soziale Kipppunkte zu erreichen. Deine Enkelinnen hier in Deutschland, die jetzigen von der Klimakrise bereits schwer getroffenen Menschen und Lebewesen und jene zukünftiger Generationen werden es dir für immer danken. Auch wenn wir es nicht schaffen, du und ich. Dann haben wir es immerhin versucht. Definitiv Top one des guten Lebens in einer Welt in Klimakrise.

bearbeitetes Bild und Foto: Anne Newball Duke

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Martin Schneider sagt:

    Liebe Anne,
    sehr, sehr guter Artikel mit jedem einzelnen Gedanken. Ich gehe mit dir diesen Schritt zu tun. Aber du weißt selbst, wie müßig das ist. Wenn dir nicht dieses Gemüt mit in die Wiege gelegt worden ist, hast du schwer die Wahl, anders als dein Schwiegervater zu handeln. Ich selbst bin auch so eine “indigene” Stadtart und könnte auch bei jedem Gedanken über unser Natur und Umwelt losheulen.

  • Martin Schneider sagt:

    Falsche Taste gedrückt, daher Fortsetzung –>
    Weiß auch gar nicht, wo man einen Hebel ansetzen könnte. Es ist wie bei den falsch beschriebenen Lemmingen, die ins offene Meer rennen sollen.
    Einzig der Satz von Karl Marx ist da wahrhaft: “Die Philosophen haben die Welt unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern”. In einem Versprecher hatte eine*r gesagt, es komme darauf an, “sich” zu verändern. Denke, das ist die einzige Form, um etwas kreativ zu bewirken. Lernen am positiven Modell. Hoffentlich bleibt uns noch so viel Zeit. Verschiedene gesellschaftliche Strömungen geben aber Hoffnung.
    Mir ist der “planetarische Grenzrahmen” schon viel zu groß, würde den für mich auf einen regionalen Rahmen einschränken, wenn nicht sogar auf einen familiären.
    Gruß aus Freiburg

  • Ulrike Bär sagt:

    Liebe Anne,

    da hast du ja fast ein Buch geschrieben mit dem interessanten Gedanken “Freiheit innerhalb planetarischer Grenzen”. Ich glaube ich weiß was du sagen willst, kann das aber nicht so schön philosophisch kommentieren .-)
    ” Warum aber beinhaltet unser Freiheitsverständnis immer noch die Freiheit, den Planeten zu zerstören? ” – ich denke, obwohl es den meisten Menschen klar ist, was sie dem Planeten zumuten, denken sie doch (vielleicht wie dein Schwiegervater .-): Ich habe so schwer gearbeitet und das habe ich mir jetzt verdient, oder: für mich reicht es noch oder……
    Viele Ausreden, warum wir einfach zu bequem sind in die Handlung zu kommen.
    Und natürlich geht es um Ressourcen, Macht, Vormachtstellung, “der Markt wird es schon richten”, und Wachstum.
    Ständiges Wachstum erfordert ständigen Konsum, und da ist es nebensächlich, dass wir den Planeten überfordern und ausplündern.

    Ich will jetzt keinen Roman schreiben, aber danke sagen für deine Gedanken, dein dranbleiben und deine Gedanken-mit-uns-teilen.
    Herzlich Ulrike

  • Anne Newball Duke sagt:

    Lieber Martin, danke für das schöne Feedback. Was du am Ende schreibst… also planetare Grenzen können und sollen ja auch lokal und meinetwegen auch familiär gedacht werden. Also: wie kommt eine Stadt in die planetaren Grenzen? Familie finde ich… also wenn es nur Gasheizung gibt, wie soll das dann gehen z.B.? Deswegen mache ich den politischen Bereich so stark. Deswegen finde ich es tatsächlich bissn wichtiger, auf die Straße zu gehen als morgen Veganer*in zu sein. Weil wenn sich die große Politik über politische Maßnahmen in die planetaren Grenzen bewegt, dann ändert nicht nur eine Familie ihre Essgewohnheiten, sondern gleich… ja… sehr sehr viele. Das ist mir einfach immer sehr sehr wichtig. Und ich finde, dass mit dem politischen Engagement auch dann fast “automatisch” der persönliche Wandel mit einhergeht. Wenn aber z.B. eine Familie für sich im stillen Kämmerlein entscheidet, nur noch vegan zu essen, dann findet das für mich nicht im politischen Bereich statt. Aber das mögen andere anders sehen. :) Liebe Grüße nach Freiburg! Anne

    Liebe Ulrike,
    wie schön, das du es gelesen hast, das macht mich ganz froh, hihi. Danke dir für deine Worte. Dass es keine Nebensächlichkeit mehr bleibt, dafür kämpfen wir :). <3 Deine Anne

  • Barbara von Lauenstein sagt:

    Hallo Anne,

    danke, dass du den Artikel gepostet hast. Ich habe ihn jetzt 2x gelesen und wahrscheinlich kann ich in einem Antwortschreiben gar nicht alles anführen, was mir beim Durchlesen durch den Kopf ging, weil es so eine komplexe und komplizierte Sache ist. Also verzeih mir, wenn ich mich nur auf manches beziehe, anders nicht kommentiere und auch in meinen Kommentaren natürlich persönlich und subjektiv bin. Deine Leistung besteht ja darin, dass du versuchst übergeordnet die Dinge zu analysieren und zu durchdringen. Wahrscheinlich hast du viel darüber in ganz anderen Zusammenhängen gelesen und dich damit schon sehr lange auseinandergesetzt. Ich habe jetzt nur deine Vorlage!

    Deine Behauptung eine unverhandelbare Wahrheit und Freiheit gibt es nur in den planetaren Grenzen überrascht zuerst, so habe ich es noch nie gehört oder gelesen. Schon der Begriff planetare Grenzen erstaunt mich, obwohl er natürlich treffend ist.

    Dein Schwiegervater und auch viele hier verbinden mit Freiheit, es sich leisten können, weil eben dieses leisten können Jahre gedauert hat und mit Verzicht und harter Arbeit verbunden waren. Da ist der Freiheitsbegriff auf einer emotionalen Ebene, die aus der persönlichen Situation entsteht und ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Das ist gebunden an die eigene Macht und zeigt den Erfolg im Leben. Dagegen ist es schwer anzukämpfen, weil es nicht rational ist und man damit auch nicht mit rationalen Gründen und Argumenten weiterkommt. Bedenken und Kosten, auch für die Allgemeinheit werden als Neid und Nicht-Gönnen empfunden, während das Ausleben dieser Freiheiten als persönliches Siegen und Belohnen angesehen wird. Hier wird Freiheit von jedem persönlich festgelegt und ausgelebt. Ich denke, dass dies der Knackpunkt ist, auch bei uns persönlich, weil sich Emotion, die oft nicht als solche interpretiert wird, nicht mit der Vernunft verträgt. Ich denke da an die Werbung und unser Verhalten, wenn man sich z.B. einen Porsche kauft und dafür dann rationale Gründe vorgibt oder sucht und die Entscheidung so begründet. Das machen wir alle, selbst bei Dingen, die nicht unbedingt die Welt schädigen, aber vielleicht unser Konto usw, auch da fallen uns immer Argumente ein, diese emotionale Entscheidung zu rechtfertigen.

    Wir wissen also oft, wahrscheinlich immer, wenn wir etwas tun, das schädlich für andere oder uns selbst ist, was wir tun und tun es trotzdem. Deshalb ist es hier wahrscheinlich wenig erfolgsversprechend, wenn wir hier versuchen mit Erklärungen oder Vorgaben, auch politischen eine Verhaltensänderung zu bewirken.

    Was kann getan werden gegen dieses Verhalten? Warum ist es den Menschen nicht zu vermitteln, dass wir keine Zukunft haben, wenn wir unsere Lebensgrundlagen zerstören? Hier wird wahrscheinlich der gleiche Mechanismus greifen wie bei anderen Sachverhalten: Wahrheiten werden nicht anerkannt, das Ende der Menschheit wird in Kauf genommen oder zumindest das Ende von einem Teil der Menschheit (totale Überheblichkeit der westlichen Welt). Die planetaren Grenzen werden bezweifelt oder die Maßnahmen der Politik nicht akzeptiert.

    Das kapitalistische System belohnt die, die Ressourcen verschwenden, die können sich dann auch ein besseres Leben mit mehr Vergnügen, Spaß und Lebendigkeit leisten. Darauf wollen die Erfolgreichen im Kapitalismus nicht verzichten und die anderen, haben den Kampf aufgegeben oder sind beschäftigt mit dem reinen Überleben und können sich nicht um Veränderungen kümmern. Zuerst muss hier für mehr Bildungsgerechtigkeit und für ein anderes Gesellschaftsbild gesorgt werden. Wie im Zuge der Aufklärung, als der Mensch als vernunftbegabtes Wesen, dass sich kümmert und gestaltet, müssen hier neue Bilder für die Menschen angeboten werden. Deshalb gefällt mir der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung so gut. Die Stärke der Menschen, zu entdecken, zu fühlen, zu organisieren muss für den Planeten und das Leben auf der Erde geweckt und auch belohnt werden. Es muss sich lohnen ein fühlendes, verantwortungsbewusstes Wesen zu sein, nicht nur von einigen wenigen, sondern die allgemeine Anerkennung muss auf solche Menschen und solche Lebensentwürfe ausgerichtet sein. Ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu deuten, sondern diese Werte müssen wieder einen neuen Stellenwert bekommen und das Leben lebenswert machen. Nicht das große Auto oder die tolle Reise machen jemanden zu einem interessanten Menschen, sondern der verantwortlich Umgang mit unseren Rohstoffen, die Stärkung des Miteinanders und die Achtung des Lebens sind Grundvoraussetzungen für Anerkennung, nicht nur für einen Erfolg bei der Umsetzung der Klimaziele und den Umbau unserer Wirtschaft und unseres Lebens.

    So, Anne, das sind so ungefähr meine Gedanken zu deinem Weiterdenken Artikel. Danke für deine Gedanken und die tolle Zusammenfassung, die eine eigene Auseinandersetzung möglich machen.

    Liebe Grüße Barbara

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Anne,

    Wir haben ja schon öfter über das Thema diskutiert, und du weißt, dass ich deine Fragen ein bisschen zu „moralisch“ finde, im Sinne von: Zu auf die Einzelnen gerichtet. In Bezug auf die Einzelnen lassen sich deine Warum-Fragen ja doch eigentlich mit Psychologie beantworten, oder nicht? Verdrängung, Egoismus, Menschen sind ja generell großartig darin, Dinge nicht wahrzunehmen, die ihnen nicht gefallen oder die sie nicht verarbeiten können. Und darauf hingewiesen zu werden, hilft halt erfahrungsgemäß nicht, auch das aus psychologischen Gründen.

    Mir kam beim Lesen deines Textes noch folgender Gedanke: Kannst du was mit der Erklärung anfangen, dass wir die falsche „Bedienungsanleitung“ haben? Also in Form von falscher Philosophie, falschem Freiheitsverständnis? Und innerhalb dieser falschen „symbolischen Ordnung“ kriegen wir das Ding halt nicht repariert (oder zum Laufen), weil wir einfach nicht in der Lage sind, es zu begreifen, zu durchdringen, zu beeinflussen mit dem „Handwerkszeug“, das wir zur Verfügung haben?

    Dann wäre die Schlussfolgerung eben, dass wir anderes Handwerkszeug brauchen. Denn es ist halt so wie Iris Murdoch sagt (und ich in diesem Artikel schreibe: https://bzw-weiterdenken.de/2008/08/uber-das-mussen/): In dem Moment, wo wir eine Entscheidung treffen, ist der Prozess der Entscheidungsfindung längst gelaufen. Richtige Entscheidungen zu treffen und auch Dinge zu Verstehen ist etwas, das man Üben muss, mit einer funktionierenden Anleitung. Sonst kann man es nicht – und ich glaube, die Menschen, von denen du schreibst, können nicht. Es sind keine bösen Menschen oder unaufmerksame Menschen usw. – sie haben einfach nicht die notwendigen Fähigkeiten und Qualifikationen aufgrund unserer Kultur, die für den Umgang mit solchen Situationen einfach nicht ausgestattet ist.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Antje, oh jeh, nun schon wieder die Moralkeule, harter Treffer ;), gegen die schreibe ich nun seit langer Zeit an, aber anscheinend immer noch nicht präzise genug. Nun gut. Ja genau um die Änderung der Bedienungsanleitung geht es mir ja. Philosophie verstehe ich da auch als eine Institution, die solche Rahmen vorgeben sollte. Sie sollte ihren Rahmen wechseln, denn die Zukunft liegt nicht mehr unvorhersehbar vor uns, das muss einfach geändert werden, und dann ergeben sich vom neuen Rahmen auch weitere andere Inhalte, die dann in den nächsten Schritten zu bestimmen wären, um die dann gestritten werden kann usw. usf.
    Und wie ändert man diesen Rahmen? In und von allen Institutionen selber aus, und gleichzeitig von der Straße. So denke ich, sind soziale Kipppunkte erreichbar. Ich nehme hier – das war zumindest meine Intention – die Institutionen ins Visier, und nicht meinen Schwiegervater. Der soll lediglich mit mir auf die Straße kommen oder mit den Nachbarn am Gartenzaun über Klima sprechen, das wäre schön, was auch immer. Damit die Institutionen durch die Masse der Leute auf den Straßen merken, ‘oha, da sollten wir auch mal zu Potte kommen, der Wind ändert sich’.
    Und ich versuche eben herzuleiten, dass das nichts mit Moral zu tun hat, sondern mit Verantwortung, die man hat, auch wenn man denkt, man habe sie nicht. Das ist mein Punkt. Am Anfang war ich moralisch unterwegs, 2013, mit der Harley und so. Aber davon distanziere ich mich ja, also diese Bewegung weg von der Moral wollte ich eigentlich verdeutlichen.

    Liebe Barbara, vielen Dank für dein tiefes Beschäftigen mit dem Text, das berührt mich sehr. Ich wollte antworten auf diesen Abschnitt: “Wir wissen also oft, wahrscheinlich immer, wenn wir etwas tun, das schädlich für andere oder uns selbst ist, was wir tun und tun es trotzdem. Deshalb ist es hier wahrscheinlich wenig erfolgsversprechend, wenn wir hier versuchen mit Erklärungen oder Vorgaben, auch politischen eine Verhaltensänderung zu bewirken.” Aber dann schreibst du das hier: “Die Stärke der Menschen, zu entdecken, zu fühlen, zu organisieren muss für den Planeten und das Leben auf der Erde geweckt und auch belohnt werden. Es muss sich lohnen ein fühlendes, verantwortungsbewusstes Wesen zu sein, nicht nur von einigen wenigen, sondern die allgemeine Anerkennung muss auf solche Menschen und solche Lebensentwürfe ausgerichtet sein. Ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu deuten, sondern diese Werte müssen wieder einen neuen Stellenwert bekommen und das Leben lebenswert machen.”, danke dafür, so schön. Und das wäre im Grunde fast meine Antwort gewesen, warum ich meine, dass eben doch Vorgaben “von oben” oder eben Institutionen helfen können, das Verantwortungsgefühl wieder mehr im Menschen hervorzuholen. Wenn die Rahmenbedingungen sich ändern, wenn anderes für richtig und schön und lebenswert befunden wird, und das ganz ohne schlechtes Gewissen, weil innerhalb der planetaren Grenzen. Aber wer ändert diese Rahmen? Das müssen m.E. eben auch die Institutionen ran; die Schulen, die Wissenschaften, die “Wirtschaft”, also wirklich alleallealle, und eben auch die Philosophie. Das ist keine Aufgabe nur der Klimaforschung oder eines Klimaministeriums. Ich will Bewusstsein dafür schaffen, weil ich glaube, dass immer noch viele Menschen denken, das und das gehört nicht in meinen Aufgabenbereich, oder ich hab damit nix zu tun, weil ich mach Kultur, oder ich unterrichte ja nur Mathe, oder ich ess ja schon vegan, also was denn jetzt noch. Ich glaube, es herrschen zu viele Grenzen im Kopf.
    (Also Antje, wenn ich immer noch “Warum”-Fragen stelle (hab ich das hier auch?), dann ist der psychologische Bereich für mich längst abgegrast. Wir kriegt man die Verdrängung, das Abspalten geknackt? Das ist eher meine Spielwiese jetzt.)
    Und in dem Artikel geht es mir eben um die Freiheit. Wenn es nicht mehr okay ist, dass Freiheit außerhalb der planetaren Grenzen gesellschaftlich anerkannt ist und belohnt wird, dann haben wir schon ein Stück Weg geschafft. Und ich denke, die Philosophie kann hier was tun, und in einigen Feldern tut sie es auch schon (z.B. wie schon gesagt feministische u/o indigene Biolog*innen mit philosophischer Ader), aber viel zu wenig.
    Und die ganze Diskussion um Freiheiten in Corona-Zeiten, die… da geht es halt immer um Interpretationen innerhalb unseres Systems, der Blick wird nicht geweitet auf die planetaren Grenzen zum Beispiel. Es wird ja bei Corona nicht enden, Corona ist ja im Grunde ein Resultat der falschen Freiheitsauslegung, also warum schauen wir nicht in ein größeres Fernrohr, wenn wir schon über Freiheit debattieren? Und warum stellen wir nicht mehr Verbindungen her zwischen den großen Freiheits-Krisen? Wenn man schon über Freiheit sprechen möchte, dann gehört auch unser “feiner” europäischer Umgang mit den Flüchtenden dazu usw. usf., und aber all diese “Bereiche” werden gefühlt mit je anderen Freiheitsvorzeichen versehen; mal sprechen wir über DIE Freiheit, und dann wieder über DIE … mir taugt das nicht so viel, ehrlich gesagt. Ich lese fast alles, was mit unter die Augen kommt, wo Freiheit im Titel steht, aber oft bin ich dann nach dem ersten Absatz schon enttäuscht.

  • Liebe Anne,

    Benni hat zum Thema “Chancen in der Dystopie” vor einiger Zeit schon was geschrieben, vielleicht ist das in dem Zusammenhang auch für dich interessant. Er schlägt vor (in Anlehnung an die Phasen der Trauer) in Bezug auf die Gesamtsituation in die Phase der Akzeptanz einzutreten – https://keimform.de/2021/dystopie-als-chance/

    Ansonsten sollten wir uns mal über Moral unterhalten, denn wir verstehen vielleicht Unterschiedliches darunter. Wenn du sagst “Mein Schwiegervater soll” – dann ist das doch Moral, Moral ist, wenn Menschen etwas “Sollen” (so würde ich es zumindest definieren).

    Ich habe inzwischen auch noch darüber nachgedacht, ob die Zukunft wirklich nicht mehr unvorhersehbar ist. Ich glaube, ich finde schon. Zu sagen, die Zukunft sei unvorhersehbar, bedeutet ja nicht, dass alles was man sich ausmalt, möglich ist. Es ist immer so und auch immer schon so gewesen, dass bestimmte Sachen der Zukunft durchaus vorhersehbar waren, aber eben nicht alles. Und auch wenn wir jetzt zwar vorhersehen können, dass es klimawandelbedingte Katastrophen geben wird, ist gleichzeitig doch NICHT vorhersehbar, was das dann konkret bedeutet und wie es ablaufen wird. Insofern würde ich immer noch sagen, dass die Zukunft offen ist.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Antje, ja nein, hehe, ich argumentiere ganz anders als Benni und als du. Ich trete in keine Phase der Akzeptanz ein, solange noch jedes zehntel Grad weniger Leid Zerstörung bringen kann. Ich verstehe auch ehrlich gesagt nicht, warum dafür plädiert werden sollte, sich jetzt schon in irgendwelche Nischen zurückzuziehen und dem Kapitalismus beim Bröckeln zuzusehen. Der bröckelt nicht, bis zum bitteren Ende nicht, der bröckelt sich in den Tod für alle, wenn wir nicht weiter jetzt daran rumruckeln mit Hammer und Spaten. Sprich für Kipppunkte sorgen. Ich empfehle wirklich den neuesten Science Fiction Roman von Kim Stanley Robinson “Das Ministerium für die Zukunft”. Hier wird ganz deutlich, dass selbst, wenn jetzt die nächsten 30 Jahre alles dafür getan würde – und zwar in ALLEN Gesellschaftsbereichen, natürlich angefangen beim Finanzkapital als oberste Priorität und dem Einführen des Carboncoin über das Andenken einer neuen Weltreligion -, dass wir das Ding noch drehen, es auch dann noch längst nicht sicher ist, höchstwahrscheinlich nie mehr richtig sicher sein wird. Die zukünftigen Generationen müssen eben dafür kämpfen, ihr Leben danach ausrichten, um überhaupt noch Nischen haben zu können. Und dass man dann mit DIESER Ungewissheit ja dann aber trotzdem weitermachen muss. Und da sitzt man dann doch eh sowieso weiter die ganze Zeit in seinen Nischen.
    Was bedeutet denn “Akzeptanz”? Winkend ins Ende zu rutschen, aus der eigenen Nische, sich krampfhaft festhaltend an der Nische, bis das Leben vorbei ist, sei es mit natürlichem oder gewaltsamem Ende?
    Oder bedeutet Akzeptanz, dass man trotz des Wissens um die Zerstörung weiterkämpft? Dann ist das mein Verständnis von Akzeptanz. Das war es auch schon immer. Ich glaube, dass du mich immer noch in einigen Punkten missverstehst.
    Über Moral können wir gerne mal reden. Ich finde jetzt keine anderen Worte als die, die ich bisher genutzt habe. Für mich ist die bürgerlich geprägte Moral, die aufgrund ihrer Herkunft und Konstruktion oft in Doppelmoral kippen muss, etwas ganz anderes als eine vom Verstehen um die Weltverbundenheit herrührende Verantwortung, aus der dann das Politischseinwollen dann ganz “natürlich” erwächst. Und wo ich mich gerade denkerisch befinde, ist hier die Kraft zu finden, um das Begehren neu auszurichten.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Anne – ich weiß gar nicht, ob ich da mit Benni einer Meinung bin. Wir haben vorige Woche dazu gepodcastet: https://besondereumstaende.podcaster.de/bu/utopie-in-der-dystopie/ – vielleicht wäre es interessant, das nochmal wieder zu viert weiterzuführen.
    Mein Punkt war ja hier ein anderer als der von Benni, nämlich dass ich bestreite, dass die Zukunft nicht mehr offen ist, wie du schreibst. Manches ist zwar vielleicht nicht mehr zu ändern, allerdings bedeutet das finde ich nicht, dass wir wissen, wie es in Zukunft weiter geht. Von daher finde ich Bennis Anliegen nicht ganz daneben (auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich es teile, vor allem, weil mir seine Hoffnungen bezüglich des „Preppens von Links“ zu optimistisch scheinen). Es bedeutet nämlich gerade nicht, einfach ans Ende zu rutschen, sondern realistisch die Optionen zu betrachten und zu überlegen, wie man sinnvoll handeln kann. Genauso könnte man zu dir sagen, du läufst solange mit den Demofahnen durch die Straßen, bis das Leben vorbei ist, das gibt sich ja nichts.
    Mir wird immer wichtiger, Moral nicht als eine individuelle, sondern als eine gemeinschaftliche, gesellschaftliche Größe zu verstehen. Wir können nicht alleine moralisch sein, aber das ist es, worauf unsere Kultur aufbaut – Armageddon, der Kampf zwischen Gut und Böse. Ich denke nicht, dass es das ist, was du meinst, aber tatsächlich ist es eben politisch-diskursiv ganz schwer, da rauszukommen und vieles an Klima-Aktivismus wird genau so verstanden. Und das hat eben nunmal zur Folge, dass sich Leute trotzig abwenden und dann erst recht gar nichts mehr machen. Dass Menschen vor zu hohen Ansprüchen sich Augen und Ohren zuhalten, ist eben eine verbreitete psychische Reaktion.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Antje, vieles von dem, was du zu dem sagst, was du meinst, was ich tue (mit Demofahne durch die Straßen laufen), wühlt in mir sehr viel Protest auf. Wie gesagt, ich fühle mich nicht verstanden. Ich habe auch das Gefühl, dass die Klimabewegung im Kern noch nicht verstanden wurde. Warum bin ich auf der Straße? Nicht, weil es mir Spaß macht, und ich es geil finde, eine Demofahne zu schwingen. Ich tue es aus innerer Notwendigkeit. Warum habe ich die? Weil EINER meiner Wege ist, über Masse und Protest Veränderung zu bewirken. Ich stelle mir vor, dieses Jahr gehen mindestens 2x 10 Millionen Menschen auf die Straße, ich glaube tatsächlich daran, dass das rasante Veränderungen bringen würde in den politischen Maßnahmen (nicht daran, dass wirklich 10 Millionen gehen, aber dass das gut wäre). Ja, daran glaube ich. Nicht heute, nicht morgen vielleicht, aber doch schneller sehr sicher, als wenn es die 10 Millionen nicht geben würde. Deine “Demofahne” fragt auch nicht danach, was schon mit Demofahnen erreicht wurde. Entgegen der pessimistischen Lesart nämlich schon total viel. Neben der Demofahne schwinge ich aber noch meine Finger auf der Tastatur. Das, was ich hier mache, ist für mich auch Klima-Arbeit. Indem ich übers Demofahne-Schwingen schreibe ;). Ich halte das Streiken für eine der wirksamsten Methoden, ja. Deshalb mache ich es. Deswegen habe ich auch in gewisser Weise mein Begehren dahin gerückt. Weil ich es für sinnvoll halte und für richtig empfinde. Ich rutsche doch nicht ins Ende! Ich mache doch das ganze Gegenteil! Ich verstehe nicht, was du damit meinst. Vielleicht, weil ich es nicht so sehe, dass es eine Trauerphase gibt und dann eine Akzaptanzphase oder sonstwas. Sondern dass immer beides gleichzeitig stattfindet. Ich höre doch nicht auf zu trauern, wenn der Wald brennt, wenn Menschen im Krieg sterben! Das ist doch nicht vorbei, also ist auch gar keine Zeit, mit dem Trauern aufzuhören! Aber gleichzeitig muss man jetzt halt mal zusehen und ins Handeln kommen! Sinnvoll handeln ist für mich Demofahne schwingen! Wieso sprichst du diesem Handeln die Sinnhaftigkeit ab? Jede kann doch was anderes als sinnvoll empfinden! Ich rate davon ab, die Sinnhaftigkeit nur im Privaten zu suchen, denn das ist meines Erachtens nicht richtig. Das sage ich in jedem meiner Artikel, und versuche es so gut es geht zu begründen. Aber ansonsten: freie Fahrt!! Ich glaube, hier liegt ganz viel vergraben an Missverständnissen: dass du meinst, Demofahne schwingen bringt nix. Und mich wundert das so sehr, weil du doch auch ständig auf der Straße zu finden bist! Wofür tust du es dann? Reine Solidarität mit den Dummen, die nicht checken, dass es nix bringt, bis das Leben vorbei ist? Natürlich geht das alles übrigens über mein Leben hinaus. Ich bin mir 100% sicher, dass auch nach mir noch viele Demofahnen geschwungen werden müssen. Natürlich darf es sich darin nicht erschöpfen. Natürlich muss das Fahneschwingen Resultate zeigen! Und ich mag es wie gesagt nicht, wenn einfach das Denklicht an der Demofahne ausgeknipst wird, indem gesagt wird, “das bringt doch nix”, das ist eine leere Handlung, eine Handlung, die ganz sicher keine Wirkung zeigt. Das spricht mir ja ab, dass ich ein Kopf und ein Herz habe, und mir Dinge zusammensetzen kann. Ich mache doch keine Dinge, die sich in sich selbstreferentiell um sich selbst drehen! Dafür ist mir meine Zeit echt zu schade. Es spricht der ganzen Klimabewegung ab, einen Sinn in dem zu sehen, was sie tut. Natürlich machen sie nicht alles richtig! Aber es ist die selbstkritischste Gruppe aktuell, die ich kenne. Eine, die jeden Tag so viel dazulernt. Und immer wieder neu denkt. Und immer noch nicht die Masse geknackt hat. Okay. Aber sie versucht es, und wenn nur das Fahneschwingen von der Masse gesehen wird, und wenn immer noch die Meinung besteht, das bringe nichts, dann werden die Dinge und Kausalitäten nicht zusammengesetzt, dann wird halt auch nicht genau hingeschaut und hingehört.
    Ich finde, Phasendenken sollte überwunden werden. Und auch der Glaube, alles Tun und Aufbegehren bringe nichts bis in den Tod. Ich kann nicht beeinflussen, was mein Tun bewirkt in the long run. Aber wenn ich nichts tue, ist klar, dass ich nichts getan habe und somit sicher auch nichts bewirkt habe, was notwendig gewesen wäre.

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Anne – jedenfalls in einer Hinsicht sind wir uns gleich: Ich fühle mich von dir auch nicht verstanden. Denn fast alles, was du mir vorwirfst, meine ich nicht nicht. Aber vermutlich ist das ein Thema, das wir mal im Gespräch bearbeiten müssten. Eins aber: Bei dieser Aufzählung (von der nicht ich gesprochen habe, sondern Benni) geht es nicht darum, dass das Trauern eine Phase sei, die vorbeigeht, sondern dass das Trauern verschiedene Phasen HAT, die nacheinander ablaufen (wie gesagt, ich teile das gar nicht, ich bin der Meinung, diese Phasen haben keine feste Reihenfolge und können sich auch wiederholen. Aber dein Vorwurf, irgendjemand würde dazu aufrufen, mit dem Trauern aufzuhören, stimmt eben nicht).

    Ich habe natürlich auch nie bestritten, dass du bzw. die Klimaaktivist*innen sinnvoll finden, was sie tun. Ich wollte ein Gespräch darüber führen, ob es wirklich sinnvoll IST. “Jede kann doch etwas anderes sinnvoll finden”, schreibst du. Ja natürlich. Aber das bedeutet doch nicht automatisch, dass jede recht hat oder alles, was irgendjemand sinnvoll findet, allein schon deshalb auch sinnvoll ist. Man kann doch darüber diskutieren. Man kann Argumente dafür und dagegen austauschen usw. Niemand sagt “Das bringt doch alles nichts”, und mir ist nicht ganz klar, warum du das hörst.

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Antje, ja, das mag stimmen, ich war im Coronanebel und wollte trotzdem was tun in der Zeit, und nicht nur dahinschwächeln. Ich habe sicher nicht genau gelesen, war ziemlich sensibel und habe sicher auch Bennis und deine Argumente verwurstelt. Nun gut, ich höre mir die Tage mal euren Podcast an, lese danach nochmal ganz genau ;), und dann melde ich mich nochmal.

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