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Ohne Gleichberechtigung keine funktionierende Wirtschaft

Von Brigitte Leyh

Auf Linda Scotts Buch „Das weibliche Kapital“ wurde ich durch einen ganzseitigen ZEIT-Artikel mit dem Titel „Frauen sind die größte Unterschicht der Welt“ (Nr. 40, 24.9.20) neugierig. Daraufhin habe ich mir das Buch gekauft, es ist wie eine feministische Offenbarung. Scott entlarvt die männerdominierte Ökonomie, die die wirtschaftlichen Leistungen der Frauen unterschlägt bzw. ignoriert, als Wurzel des wirtschaftlichen Übels der Welt. Dieses Übel kann nur beseitigt werden, wenn die Unterdrückung der Frauen abgeschafft wird. Scott untermauert ihre These, dass Wohlstand einer Gesellschaft nur mit Gleichberechtigung geht, mit zahlreichen Untersuchungen und Statistiken.

Wie kommt die emeritierte Oxford-Professorin für Ökonomie zu dieser Behauptung? Der Klappentext besagt: „Für ihre jahrzehntelange Forschung zur wirtschaftlichen Rolle rund um den Globus wurde sie vom Prospect Magazine zweimal unter die Top 25 der Global Thinkers gewählt. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit berät sie UN-Panels, Think Tanks und international tätige Unternehmen.“

Linda Scott weiß also, wovon sie spricht, und sie argumentiert mit ihren Erfahrungen in der Dritten Welt, die sie mit dem speziellen Blick auf die weibliche Bevölkerung bereist hat. Daher hat sie nur scheinbar Banales herausgefunden, dass es nämlich einen wichtigen Zusammenhang gibt zwischen dem Schulbesuch, also der Bildung von Mädchen, dem Menstruationstabu und dem Fehlen von Monatsbinden.

Scotts Hauptaugenmerk aber gilt, wie der Titel schon sagt, der Ökonomie: Frauen produzieren fast die Hälfte aller landwirtschaftlichen Produkte weltweit, haben aber in vielen Ländern oft weder Grundbesitz noch die Verfügungsgewalt über die Erträge, die sie an die Männer übergeben müssen. Die kleineren Beträge, die sie behalten dürfen, taugen nicht zum Kauf besserer Geräte, zur Erhöhung der Produktivität. Ihre eingeschränkte Bewegungsfreiheit und Verbote gegen Frauen im Handel bremsen sie aus. Oft sind Frauen allein verantwortlich für die Versorgung ihrer Familie, während viele Männer laut Scott ihre Einkünfte für sich selbst, für Alkohol und Vergnügungen verwenden. Kurz gesagt, Gemeinschaften werden durch männliche Vorherrschaft klein und ökonomisch unten gehalten. „Den Vereinten Nationen zufolge leiden 925 Millionen Menschen auf der Welt chronisch Hunger. 150 Millionen von ihnen könnten ernährt werden, wenn die Benachteiligung von Frauen in der landwirtschaftlichen Produktion  aufgehoben würde. Die Forschung zeigt auch, dass Landwirtinnen bei gleichen Ausgangsbedingungen genauso viel produzieren wir Landwirte.“ (S. 90)

Diese Aussage ist so gewaltig, dass ich froh bin, zur Bestätigung Kofi Annan, den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, zitieren zu können: „Studie um Studie hat uns gelehrt, dass es kein wirksameres Werkzeug gibt als die Ermächtigung der Frauen. Keine andere politische Maßnahme hat bessere Chancen, die wirtschaftliche Produktivität zu erhöhen oder die Kinder- und Müttersterblichkeit zu senken. Keine andere politische Maßnahme hat derart eindeutige positive Auswirkungen auf Ernährung und Gesundheit, die HIV-Prävention eingeschlossen. Keine andere politische Maßnahme erhöht die Bildungschancen der nächsten Generation so wirksam.“ (S. 24)

Vergleiche in 163 Ländern zeigen, dass der Wohlstand einer Bevölkerung umso mehr steigt, je mehr die Frauen gleichberechtigt sind, erwerbstätig und mit eigenem Geld. Wo Frauen aber nur schuften dürfen, nichts erben und nichts besitzen, sich nur den allerletzten Bissen gönnen, damit ihre Kinder halbwegs satt werden, wo Kinder von schlecht genährten Müttern schon im Mutterleib geschwächt sind, da sind Krankheiten und Elend vorprogrammiert.

Wow! Was für ein Buch!

Linda Scott, Das weibliche Kapital, Hanser Verlag München 2020, 412 Seiten, 26 Euro.

Autorin: Brigitte Leyh
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 28.08.2021

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    Ich habe das Buch nicht gelesen, daher ist mein Kommentar nur bedingt brauchbar. In Lateinamerika, ein Kontinent des “Globalen Südens” finden allerlei Veränderungen statt. Die Geburtenraten liegen inzwischen durchschnittlich bei 2.17 %, (https://de.theglobaleconomy.com/rankings/Fertility_rate/Latin-Am/). Frauen finden z.B. in der Bekleidungsindustrie leichter einen Job als Männer (sie sind ja auch “billiger”). Sie sind also häufig diejenigen, die die Familie ernähren, nicht nur wenn sie in Subsistenzwirtschaft leben. Das kann Männer kränken. Da reproduziert sich eine Art Kränkung, die bereits stattfand, als diese Länder kolonisiert wurden, und die Kolonialherren sich an den indigenen Frauen “bedienten”.
    Ich waere vorsichtig mit dem Begriff “Wohlstand”. Was bedeutet das? Wird er gemessen am BIP? Wie werden die Kosten der Umweltzerstörung gemessen, die stattfindet, wenn ein Land in den globalen Handel eingegliedert wird?

  • 29.08.2021

    Wie sehen die Leser und Leserinnen dieses Buch unter dem Titel “Das weibliche Kapital”?
    Ich hatte mir im Rahmen meines berufsverbandlichen und -politischen Engagements (bezogen auf die überwiegend weiblich besetzten Pflegedienste) vor gut rund 20 Jahren gewagt, in einem Zusammenhang vom “humanen Kapital” zu sprechen und las kurze Zeit später, dass es zum UNWORT DES JAHRES gekührt wurde ….
    Ich wünsche der Autorin großen Zuspruch und freue mich, dass die Ökonomie aus weiblicher/feministischer Seite ernsthaft betrachtet und erörtert wird”
    Helga Laurinat

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