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Kapitel 12: Jenseits marktwirtschaftlicher Zweckrationalität: Care-Arbeit

Von Antje Schrupp, Dorothee Markert, Andrea Günter

Zum 20. Jubiläum der Flugschrift „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik“ wurde das Büchlein im Christel Göttert Verlag neu aufgelegt und wird hier im Forum auch erstmals online veröffentlicht (hier der Link zum Anfang). Dies ist das 12. Kapitel: Care-Arbeit

Flugschrift
Flugschrift “Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn”

Die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und der Industrialisierung hat die noch heute vorherrschende Vorstellung eines Gegensatzes von häuslicher Arbeit, die auf Fürsorge (Care) beruht und unbezahlt ist, und marktwirtschaftlich organisierter Erwerbsarbeit herausgebildet, die nach Kriterien der Zweckrationalität organisiert ist.

Diese Entgegenstellung gehört ebenfalls zu den weit verbreiteten falschen Alternativen: Einerseits gibt es die marktwirtschaftliche Logik nirgendwo absolut: Auch in Betrieben wird Care-Arbeit geleistet; von Führungskräften wird in neuerer Zeit zunehmend Fürsorgefähigkeit erwartet. Auf der anderen Seite wird auch ein Privathaushalt nach rationalen Gesichtspunkten organisiert, wodurch Hausfrauen Management-Fähigkeiten erwerben.

Anstelle der Entgegensetzung der beiden Arbeitsbereiche ist endlich davon auszugehen, dass es jeweils eine unterschiedliche Mischung von Care-Orientierung und Zweckrationalität gibt. Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, dass es in unserer Kultur aus guten Gründen immer Arbeitsbereiche gegeben hat, die bezahlt wurden und doch dem unmittelbaren Zugriff marktwirtschaftlicher Gesetze entzogen worden sind, wie etwa Bildung, soziale Arbeit, medizinische Versorgung, rechtlicher Beistand.

Allerdings sind die hier erzielten Gehälter in den Bereichen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, im Vergleich zum Produktionssektor nicht angemessen. Die gegenwärtige Tendenz, soziale Arbeit einseitig marktwirtschaftlichen Prinzipien zu unterwerfen, ist kurzschlüssig, da selbst der bisher marktwirtschaftlich organisierte Bereich nicht ohne Care-Arbeit auskommt, ja deren Wichtigkeit zunehmend ins Blickfeld rückt und dort in sie sogar planmäßig investiert wird. Gewinnorientierung in der Care-Arbeit ist kontraproduktiv, da sie den Aufbau und die Erhaltung gelingender Beziehungen erschwert, was sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche negativ auswirkt.

Frauen, die sich dafür entscheiden, eine erwachsene, berufstätige Person zu versorgen, leisten Arbeit, die direkt in die Geldverteilung eingebunden werden muss, um sie sichtbar zu machen und die damit verbundenen Tausch beziehungen und -möglichkeiten zu erweitern.

Dass Hausarbeit zur Entlastung der Berufstätigen und die häusliche Fürsorge für Kinder, kranke und alte Menschen sowie die Pflege privater Beziehungen ein wichtiger Beitrag zum Wohlergehen der beteiligten Menschen sind, ist erst in dieser Generation aus dem Bewusstsein geraten. Im vormals propagierten „Ernährerprinzip“, das diese Arbeiten in höhere Männerlöhne einkalkulierte, war die Idee, dass Geld eine Form von Anerkennung für diese Tätigkeiten ist, immerhin noch enthalten. Das Ernährerprinzip hat allerdings nie so funktioniert, dass das den Frauen (und Kindern) zustehende Geld diesen wirklich und in vollem Umfang zugute kam.

Heute ist das Ernährerprinzip durch die Forderung ersetzt worden, Männer müssten sich an der sogenannten „Reproduktionsarbeit“ beteiligen. Dies funktioniert in der Praxis aber nur sehr ungenügend. Faktisch leisten Frauen diese Arbeit heute weitgehend umsonst – für berufstätige Ehemänner, erwachsene Söhne, manchmal auch Töchter. Damit tragen sie zum einen dazu bei, dass bestimmte Arbeitsbereiche weiterhin gering geschätzt werden, was dazu führt, dass überwiegend von Frauen geleistete Arbeit fast überall schlechter bezahlt wird. Zum anderen ergibt sich dadurch eine Wettbewerbsverzerrung im Beruf gegenüber denen, die nicht von Hausarbeit befreit sind – in erster Linie trifft dies berufstätige Frauen.

Es ist also eine neue Form der gesellschaftlichen Vermittlung in Hinsicht auf Hausarbeit und Care notwendig. Seit Beginn der 80er Jahre gibt es genaue Berechnungen über den quantitativen Anteil dieser Tätigkeiten an der in unserer Gesellschaft notwendigen Arbeit insgesamt. Eine Lösung müsste zum einen die gesamte berufstätige Gesellschaft an der Finanzierung der Kindererziehung beteiligen und zum anderen sicherstellen, dass die Hausarbeit für erwachsene, berufstätige Personen von diesen angemessen honoriert wird.

Jede Form von Ehegattensplitting ist abzuschaffen. Wir brauchen keine Privilegierung von Ehe und Familie in unserem Recht, sondern einen besonderen Schutz von Care-Arbeit, von Fürsorge im Rahmen der Generationen. Dies würde nicht nur zur materiellen Absicherung derer, die diese gesellschaftlich wichtige Arbeit leisten, dienen, sondern hätte auch positive Auswirkung auf die Bewusstwerdung und Anerkennung der kulturellen Werte, die durch diese Arbeit vermittelt und geschaffen werden.

Das derzeitige Sozialhilfesystem baut auf dieser Abwertung der Care-Arbeit auf und zwingt allein erziehende Mütter daher häufig dazu, sich selbst und ihre Kinder zu pathologisieren. Kinder müssen für ihre Mütter oder Eltern lügen, um zum Beispiel das Mitwohnen eines Freundes der Mutter oder Schwarzarbeit vor dem Sozialamt zu verbergen. Der hierdurch verursachte Schaden für die Gemeinschaft wiegt viel schwerer als ein möglicher Missbrauch der Sozialsysteme.

Staatliche Hilfen müssen grundsätzlich an die versorgende Person ausbezahlt werden, so lange sie sich ausschließlich der Familienarbeit widmen möchte, ohne staatliche Kontrollen oder sonstige Auflagen.

Aus: Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp, Andrea Günter: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 1999, Neuauflage 2019

Autorin: Antje Schrupp, Dorothee Markert, Andrea Günter
Eingestellt am: 31.08.2021
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