Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Am 22. Juli 2021 ist die Feministische Theologin und Patriarchatskritikerin Christa Mulack (*1943) gestorben. In den letzten Jahren hatte ich sie aus den Augen verloren. Doch in den 1990er Jahren war sie für mich eine Wegbereiterin für mein ‚Feministisches Coming Out‘. Ihre Bücher und Veröffentlichungen zur Feministischen Theologie und zur Matriarchatsforschung haben mich sehr geprägt. Ich nahm sie jetzt wieder zur Hand. Insbesondere einen Schuber mit vier Heften, in dem über eine Frauenreise ‚Auf den Spuren der Göttin‘ nach Catal Höyük in der Türkei berichtet wurde. Darin ein Aufsatz von Christa Mulack ‚Matriarchales und Patriarchales Weltbild‘. Besonders nachhaltig beeindruckte mich seinerzeit – und heute immer noch – eine tabellarische Auflistung von matriarchalen und patriarchalen Prinzipien, die Christa Mulack einander gegenübergestellt hat. Und egal, ob es Matriarchate in dieser Weise wirklich gegeben hat, die matriarchalen Werte bieten Anhaltspunkte oder sind eine Vision, nach der eine bessere Zukunft für Frauen und Männer gestaltet werden könnte: Mutterrecht statt Vaterrecht, Matrilinearität mit weiblicher Erbfolge statt Patrilinearität, Leben, Liebe und Glück als höchster Wert statt Gehorsam gegenüber Autorität und männlichem Gesetz, Polares sowohl-als-auch Denken statt Dualistischem entweder-oder, ein zyklisches statt einem linearem Weltverständnis und nicht zuletzt eine Göttin der Beziehung statt einem Gott als absolutem Herrscher. Diesen Fragestellungen hat Christa Mulack mit großer Leidenschaft in vielen Vorträgen und Seminaren unter die Frauen gebracht.
Das Aha-Erlebnis schlechthin hatte ich bei dem Buch … und wieder fühle ich mich schuldig, Ursachen und Lösungen eines weiblichen Problems, das 1993 im Kreuz Verlag erschien. Das feministische Rad hat sich weitergedreht, trotzdem lohnt es sich, noch einmal auf die weiblichen Schuldgefühle zu blicken. In Erinnerung und mit Dank an Christa Mulack möchte ich an dieser Stelle die Buchvorstellung veröffentlichen, die ich 1994 für meine Heimatzeitung, die Fränkische Landeszeitung in Ansbach, unter dem Titel ‚Evas Apfel oder die kollektive Schuldbereitschaft der Frau‘ geschrieben habe.
„… und wieder fühle ich mich schuldig.“ Schon der Titel trifft. Geht ganz tief hinein. Welche Frau kennt es nicht, dieses Nachdenken und dieses Grübeln, diese Bereitschaft, die Verantwortung zu übernehmen, sich schuldig zu fühlen. Und das ist ja auch nichts Gefährliches. Gefährlich ist es, wenn andere – Männer? – diese Bereitschaft zur Selbstkritik ausnutzen und Frauen dazu bringen, fremde Schuld auf sich zu nehmen.
Was ist das für ein Gesellschaftssystem, in dem Straftaten überwiegend von Männern begangen werden, aber hauptsächlich Frauen sich schuldig fühlen? Das Buch enthält eine massive Portion Patriarchatskritik, zeigt Wege auf, sinnvoll mit Schuld umzugehen und macht Mut, sich selbst zu vergeben.
Die Autorin Christa Mulack betont ausdrücklich, dass auch Männer unter übermässigen Schuldgefühlen leiden können. Doch handelt es sich bei ihnen nicht um so ein auffallend kollektives Phänomen. Aber gerade darum geht es ihr: aufzuspüren, warum die Frauen in ihrer Gesamtheit so leicht bereit sind, die Schuld sich selbst aufzuladen, während Männer dazu angeleitet werden, Schuldgefühle – etwas beim Töten im Krieg – als durch Sachzwänge begründet zu verdrängen.
Christa Mulack wendet sich dabei nicht generell gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld, sie hält diese sogar für ausgesprochen wichtig. Das feinfühlige Reagieren auf das eigene Gewissen und nicht auf das patriarchale System hält sie für unerlässlich, wenn ‚frau‘ auch dem Weg ist, ihre Selbstbestimmung zu ergründen.
Selbst Theologin, prangert sie Vertreter von Kirche und Theologie an, die Fähigkeit des Menschen, sich schuldig zu fühlen, immer wieder für Herrschaftsinteressen missbraucht zu haben. Und da es immer Männer waren, die in der kirchlichen Hierarchie Macht ausübten, hat sich ein einseitiges System herausgebildet, in dem männliche Schuld tabuisiert und weibliche Schuld zum Kern allen Übels hochstilisiert wurde. Die biblischen Geschichten werden dazu herangezogen, dies zu untermauern. War doch Eva daran Schuld, dass Gott die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben hat: weil sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, weil sie sein wollte wie Gott! Mulack stellt die Frage anders: Müsste es nicht geradezu als Versäumnis gelten, wollte der Mensch nicht sein wie Gott? Was ist Sünde daran, wenn der Mensch göttliche Vollkommenheit als Ziel anstrebt?
Christa Mulack stellt die These auf, „dass das durch die Jahrtausende den Frauen durch patriarchale Strukturen aufgezwungene Versäumnis, vom Baum der Erkenntnis von gut und böse zu essen, nicht nur hinter weiblichen Schuldgefühlen sondern ebenso hinter den großen Weltproblemen steht.“ So ist inzwischen auch die Weltorganisation der Vereinten Nationen soweit, einen Zusammenhang zwischen der Überbevölkerung und den mangelnden Erkenntnismöglichkeiten (Bildung!) der Frauen zu sehen. War es also eine sehr folgenschwere Weichenstellung, als mit der Etablierung des Patriarchats, Frauen aus allen geistigen, religiösen und politischen Führungspositionen verbannt wurden? Und immer noch sind an der Spitze der Machthierarchien Männer, die festlegen, was richtig und was falsch ist, was Schuld ist und wer schuldig wird.
Die Autorin erhebt nicht den Anspruch, ein allumfassendes Werk über Schuldgefühle geschrieben zu haben; sie hebt deutlich hervor, dass dieses Buch aus der feministischen Sichtweise geschrieben ist. Und so birgt es denn auch über die Schuldproblematik hinaus eine Fülle von – nicht unbedingt zum ersten Mal formulierten – Einsichten, die das Wissen um Ursprünge und Vergangenheit von Frauen erheblich erweitern. So erfahren wir etwas über matriarchale Traditionen und über die Bedeutung des Märchens „Das Mädchen ohne Hände“, über die Erkenntnis des weiblichen Opferseins, über die Forderung nach Gleichberechtigung auch an der Schuld im Dritten Reich, der Ausbeutung der Dritten Welt und der Umweltzerstörung. Und außerdem wird auch die Frage gestellt nach der Mitschuld der Frauen am Patriarchat.
Dieses Buch entspricht wissenschaftlichen Anforderungen, ist aber so lesbar und gut verständlich geschrieben, dass jede Frau, die auf der Suche nach der Wahrheit ist, sich ohne Weiteres darin zurechtfindet, Dass mit diesem Thema Frauen angelockt werden können, hat sich bis in kirchliche Gruppen hinein herumgesprochen, das Thema ist ‚in‘. Doch ob ‚man’ wirklich bereit ist, Christa Mulack gründlich zu lesen und ihre Einsichten zu beherzigen, ob die Kirche als Institution wirklich daran interessiert, ist dass Frauen sich nicht länger schuldig fühlen, ist fraglich.
Christa Mulack, … und wieder fühle ich mich schuldig, Ursachen und Lösungen eines weiblichen Problems, Kreuz Verlag Stuttgart 1993, 400 S., Pomaska-Brand, Schalksmühle 2008, ISBN 978-3-935937-58-0.
Vielleicht auch interessant, an diese Stelle nochmal unsere Artikel über Christa Mulack hervorzuholen:
Ich schrieb 2009 etwas über eine Veranstaltung mit ihr in Frankfurt zu dem provokanten Thema “Sind Lesben frauenfeindlich”: https://bzw-weiterdenken.de/2009/02/sind-lesben-frauenfeindlich/
Juliane schreib 2010 etwas über ihren Vortrag zu “Politik und Spiritualität” beim Goddess-Kongress im Hambacher Schloss: https://bzw-weiterdenken.de/2010/08/spiritualitat-als-nahrboden-der-politik/
Liebe Juliane, Danke für den interessanten Nachruf!
Ich danke Frau Christa Mulack aus tiefstem Herzen, weil sie mir durch ihre Bücher die Augen und das Herz geöffnet hat. Schon lange vorher hatte ich das seltsame Gefühl, dass es sich nicht gut anfühlt, zu einem Gott zu beten, der die Interessen von Männern vertritt, welche die Würde der Frauen, der Kinder und die Würde der Mutter Erde – mit Füßen treten.
Durch die Lektüre der Bücher von Christa Mulack konnte ich zu einem gänzlich weiblichen Gottesbild finden und habe gelernt, meine Gebete weiblich zu formulieren, so zu sprechen, dass sie sich stimmig für mich anfühlen.
Freilich bin ich in meinem kleinen Ort am Land ganz alleine mit meinem feministischen Gottesbild. Ich würde mir eine Kirche wünschen, in der die Sprache und die Rituale auf eine weibliche Gottheit ausgerichtet wird , um die innersten Bedürfnisse des Menschseins in einer Gemeinschaft ausdrücken zu können.
Trotzdem , dass dies noch nicht der Fall ist, fühle ich mich sehr befreit, weil ich eine wunderbare Beziehung zum göttlich Weiblichen finden konnte.
Ich hoffe, dass Christa Mulacks Wirken weite Kreise zieht und somit auch eine ganze Gesellschaft von innen her zum Positiven umgeformt werden kann.
Vielen vielen Dank an Christa Mulack!
Maria
Danke Christa Mulack. Du hast mich schon in Dortmund an der Uni in den wilden 1980er sehr beeindruckt, inspiriert und meinen Blick geschärft. Erst kürzlich habe ich einige Bücher von Dir aus einem Antiquariat erworben. Die kommen alle in die FEMINASOPHIE Bibliothek, damit Dein Wissen weitergetragen wird.