Forum für Philosophie und Politik
Sie wohnt bei mir um die Ecke und wurde schon immer von meinem Mann und mir „scharf“ beobachtet, wenn sie des Weges kam und kommt. Sie ist immer wohlfrisiert, trägt noch immer Schuhe mit hohen Absätzen, aber geht an einem Stock. Wenn ich sie sehe, macht sie sich entweder auf nach Pankow oder kommt von den dort getätigten Besorgungen zurück. Und alles piekfein.
Ich hatte sie lange nicht gesehen, aber kürzlich sind wir zusammen aus der Straßenbahn gestiegen. Ich ging ihr vorsichtig nach, weil ich sie nicht erschrecken wollte, habe mich ihr vorgestellt und nachgefragt, ob es stimmt, was mir andere über sie schon erzählt haben. Dass sie in den gastronomischen Spitzenkneipen der DDR-Hauptstadt jahrzehntelang tätig war. Ja, sagt sie – das „Lindencorso“ war ihr Terrain, aber auch das „Café Moskau“, wo sie an der Bar tätig war. Das „Lindencorso“ – vor allem das kleine Espresso-Café, das dazu gehörte – ist mir selbst noch in guter Erinnerung, weil dort die Studentinnen und Studenten stundenlang bei einem Kaffee saßen.
Eine der heftigsten Szenen aus dem DEFA-Film „Solo Sunny“ spielt im Amüsierlokal des „Lindencorsos“. Einem Dienstreisenden an der Bar, der sie ziemlich plump anmacht, zerbricht die Heldin, gespielt von Renate Krößner, die Brille und steckt sie ihm wieder ins Jackett. Es war auch im realen Leben ein Dorado für Dienstreisende, das „Lindencorso“. Und drum herum waren einige Hotels, in denen sie wohnten, so dass es nicht weit war vom Amüsement ins Bett, mit wem auch immer. Dort zu arbeiten, brauchte es nicht nur Attraktivität, sondern auch eine gewisse freundliche Härte und Resolutheit. Das kann ich mir bei ihr gut vorstellen.
Überhaupt könnte sie viel erzählen, glaube ich, aber ich will sie nicht drängen. Sie ist mit dem täglichen Kraftaufwand beschäftigt und hat – vom ehemaligen Beruf – dennoch diese professionelle Freundlichkeit, die mir imponiert und gefällt. Und die feste Überzeugung, dass die äußere Aufmachung immer auch eine Rüstung ist.
Sonja Plonus heißt sie und meint – als wir uns auf eine Bank setzen –, dass sie sich ziemlich aufraffen muss, um ihren täglichen Gang zu absolvieren. Es wird von Jahr zu Jahr härter. Sie hat eine Makuladegeneration, die fortschreitet, und in ihrem Alter wird da nicht mehr operiert. Also hält sie sich ziemlich streng an Wege, die sie kennt. Und ich denke bei mir, dass auch ich das schon kenne.
Sie war mal verheiratet, aber ihr Mann ist gefallen, ihr Kind ist mit 8 Monaten gestorben. Das war im Jahr 1955. Sie hat nicht wieder geheiratet. Und jetzt wohnt sie hier, und einmal am Tage kommt auch eine Pflegekraft zu ihr, obwohl sie ja eigentlich noch immer alles selbst tut. Aber sie ist dadurch ein bisschen unter Beobachtung. Sonst ist sie allein.
Ich darf sie abbilden, das hat sie mir erlaubt. Ich finde, dass sie ein Muster an Disziplin ist, und der Welt eine Person zeigt, die dem Leben zugewandt ist, und ein Bild jener zerbrechlichen Härte zeigt, die zu manchen alten Menschen gehört, die Tag für Tag nicht aufgeben.
Sonja Plonus ist 97 Jahre alt.
Ich bewundere sie.
ja: inspirierend, stärkend, erfreuend- merci
Adelheid
Ein großes Lebensgeschichtenbuch hat sie sicher und ein wunderhübsches federleichtes Jäckchen an, die ganze Frau ein Wunder! Danke fürs Zeigen und Beschreiben!
Diese Frage ist kein Kommentar: Liebe Frau Geisler, darf ich wissen, in welchem Krieg der Mann gefallen ist, wenn ihr Kind mit acht Monaten im Jahr 1955 gestorben ist?
Vielleicht 1945 statt 55?
ich bin begeistert von der ausstrahlung dieser frau und danke für ihre geschichte. sie ist stark für sich, respektiert sich selbst und gestaltet ihren alltag. ich würde gern mehr über sie lesen.
Danke für die Kommentare:
@ Frau Nositschka – Ich denke, dass das Kind nicht von ihrem Mann war. Sie muss auch sehr jung geheiratet haben. Aber, ich räume ein, ich habe nicht nochmal nachgefragt. Ich habe sie auch eine Weile nicht gesehen.
Ich lese immer wieder die Überschrift dieses Artikels: “Die zerbrechliche Härte des Alters”… und ich finde die Härte nicht. Das gefällt mir!
Wie schön, Frau Geisler, dass Sie Frau Plonus angesprochen haben! Danke. Ihre Zeilen erzählen uns bereits eine eindrückliche Geschichte und berichten von der Alltagssituation im Alter. 97 Jahre, das ist fast unglaublich. Falls es Ihnen gelingt, mehr aus dem Leben von Frau Plonus zu erfahren, wäre es ein Geschenk, darüber lesen zu können.
Viel Gutes für Sie in Berlin und herzliche Grüsse aus der Schweiz: Elisa Bolliger
97 Jahre alt und so schöne junge schlanke gepflegte Hände ohne
die typischen Altersverformungen. Diese Frau hat mein Interesse.
Ich bin neugierig mehr von ihr zu lesen.
Danke schön Magdalene, dass du Sonja angesprochen hast. Deine Zeilen geben Kraft für das, was uns im Alter alles noch erwarten kann. Und ich bin voller Bewunderung für all die Frauen, die in diesen harten Nachkriegsjahren weitergemacht haben, bis zum Umfallen, und dann wieder Aufstehen und nun sogar bis ins hohe Lebensalter. Lieben Gruß auch von mir an Sonja.
Dieser Tage habe ich sie – nach langer Zeit – mal wieder gesehen. Sie trug eine hübsche weiße Steppjacke und stützte sich schwer auf ihren Stock. Ich sprach sie natürlich an und fragte sie, wie es ihr geht. Da antwortete sie recht unverbindlich. Sie sieht jetzt noch zerbrechlicher aus, aber sie war wie immer schön geschminkt. Ich hielt sie nicht lange auf, aber freute mich, dass wir uns trafen.
Haben wir also keine Angst vor dem Alter!
Danke! Ich suche mit 68 Jahren solche Vorbilder! Einen schönen Gruß an sie!