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Rubrik Blitzlicht

Erspartes Leiden

Von Dorothee Markert

Wieder einmal dachte ich an Luisa Muraros Text „Freudensprünge“, als ich fast einen Monat lang in einer Kleinstadt in einer nicht von mir gewählten und eingerichteten Wohnung lebte, weil wir die Wohnung meiner Schwiegereltern auflösen mussten. Wegen der Pandemie konnten wir nicht im Hotel wohnen und noch nicht einmal abends Essen gehen. Es war kalt und regnerisch und die Heizung funktionierte nicht, weil die Reparatur sich für den Vermieter vor dem Umbau nicht mehr lohnte.

Während ich mich nach anfänglichem Horror irgendwie doch immer mehr arrangierte, dachte ich voller Mitgefühl an die vielen Ehefrauen im Patriarchat, die selbstverständlich dort hinzogen, wo ihr Mann eine Stelle fand oder wo seine Verwandtschaft dem Paar eine Wohnung zur Verfügung stellte. Es ist noch gar nicht so lange her, dass, auch wenn die Frau ebenfalls berufstätig war, noch nicht einmal die Frage gestellt wurde, ob sie am Wirkungsort ihres Mannes auch eine Stelle finden würde bzw. ob sie dort überhaupt leben wollte. 

Ein kleines Dorf, früher keine Idylle

Ich dachte an meine Mutter, die immer in der Stadt gelebt und sich sehr modebewusst gekleidet hatte, sogar im Krieg. Als mein Vater nach der Gefangenschaft eine Dorfschullehrerstelle bekam, in einem kleinen Dorf ohne befestigte Straßen und ohne Kanalisation, musste sie dort und später in einer Kleinstadt mit einer pietistisch geprägten Bevölkerung leben, in einer Wohnung mit Plumpsklo und Kohleöfen. Ihre Heimatstadt mit ihren kulturellen Angeboten und ihren Freundinnen war zwar nur 50 km entfernt, doch das war unerreichbar weit, denn der Zug war teuer und an ein Auto oder Telefon war noch lange nicht zu denken.

Dass Frauen heute nicht mehr selbstverständlich an einem Ort ihr Leben verbringen müssen, den sie niemals selbst gewählt hätten, ist auch „erspartes Leiden“, ein Grund für Freudensprünge! 

Autorin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 26.07.2021

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