beziehungsweise – weiterdenken

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Gedankensplitter über die Heilkraft des Schreibens

Von Christiana Puschak

Vor einiger Zeit habe ich das Buch “Freiheit und Feminismen“ (Psychosozial Verlag) der Wiener Sozialwissenschaftlerin, Philosophin und Mitherausgeberin Bettina Zehetner gelesen und darüber sowie über Feministische Therapie in der Zeitschrift Wir Frauen geschrieben. Kurze Zeit später entdeckte ich Kathleen Oehlkes Artikel Sich verletzbar schreiben auf beziehungsweise-weiterdenken.

Seit vielen Jahren befasse ich mich mit Kreativem und mit Therapeutischem Schreiben. An zahlreichen Schreibgruppen habe ich teilgenommen und habe früher als Psychotherapeutin Poesietherapie bzw. Schreibtherapie neben anderen Kunsttherapieformen wie Mal- und Theatertherapie eingesetzt.

Christiana Puschak in ihrem Arbeitsraum. Foto: privat

Für mich war Schreiben zudem oft eine Hilfe in persönlichen Krisen. Bereits als Kind führte ich Tagebuch und habe damit eigentlich nie aufgehört, habe auch immer wieder autobiografische Texte verfasst. Während der Pandemie nahm ich zweimal an einem Online-Kurs für Kreatives Schreiben über jeweils mehrere Wochen teil, was für mich und – wie ich den Rückmeldungen entnehmen konnte – für die meisten Teilnehmerinnen eine Hilfe in dieser kritischen Zeit war.

Im o.g. Buch ermöglichen die Autorinnen der Leserin in lebendiger Form, an ihren Erfahrungen aus vierzigjähriger Beratungstätigkeit und feministischer Praxis teilzunehmen. Das Buch ist so gestaltet, dass man es gerne immer wieder in die Hand nimmt, ein Kapitel liest und sich dazu Gedanken macht. Weitere spannende Informationen geben die ersten Erfahrungen des Beraterinnenteams mit der Corona-Krise, die die Autorinnen in das Buch aufgenommen haben, als sie die geplante Buchvorstellung wegen der Krise um acht Monate verschieben mussten.

Für mich steckt im Wort „Therapeutisches Schreiben“ mehr noch als beim Ausdruck „Kreatives Schreiben“ die Möglichkeit der heilenden Wirkung des Schreibens. Schreiben kann immer auch Therapeutisches bewirken, selbst in Form von E-Mail-Kontakten: „Das alles aufzuschreiben, hat gerade gutgetan und meinen Kopf geklärt“, so eine Klientin.  Seit 2006 bietet „Frauen beraten Frauen“ neben der persönlichen Beratung das Schreiben online an. Es eignet sich für die Klientinnen, die Rat und Hilfe suchen, aber nicht persönlich kommen können, weil sie beispielsweise krank sind oder ohne Auto mit einer ungünstigen Verkehrsanbindung auf dem Land leben. Außerdem gibt es Frauen, die an einer grundlegenden Angststörung oder an zeitweiligen Panikzuständen leiden und sich daher nicht ans Steuer eines Autos setzen und auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können.

In einem gesonderten Kapitel gehen die Autorinnen auf den verstärkten Mailkontakt vieler während der Coronakrise und dessen Auswirkungen ein.

Beim therapeutischen oder biografischen Schreiben steht nicht der Schreibstil im Vordergrund, sondern es geht darum, „Unsägliche(s) sagbar“ zu machen. Die unterschiedlichsten Genres können therapeutisch wirksam sein: Ob Gedicht, Kurzgeschichte oder Teile eines Romans, ob Brief oder Comic oder ein anderweitig illustrierter Text – jede Form des schriftlichen Ausdrucks kann einen Prozess in Gang setzen, der Erleichterung verschafft und damit therapeutisch wirkt.   

Entstanden ist die Online-Gruppe, bei der ich mitgemacht habe, aus regelmäßigen persönlichen Treffen mehrerer Frauen. Vermutlich hatten nur wenige von uns vorher die Vorstellung, dass ein solch intensiver Austausch, wie er sich zwischen uns gestaltete, virtuell möglich ist, da die meisten mit Online-Schreibgruppen keine Erfahrung hatten. Durch die Online-Form konnte die Gruppe leichter erweitert werden, als es sonst in festen Gruppen möglich ist und es nahmen auch Frauen daran teil, die weit von Berlin entfernt wohnten oder auf Reisen waren. So hat uns das Online-Schreiben um Kontakte bereichert, die wir sonst nicht gehabt hätten. Für mich ist trotzdem klar, dass ich persönliche Treffen in Schreibgruppen künftig nicht missen möchte. Doch ich konnte erleben, dass Online-Schreiben nicht nur ein „notdürftiger Ersatz“, sondern eine echte Alternative zu persönlichen Treffen sein kann – eine Bereicherung durch eine virtuelle Variante, wie sie auch Antje Schrupp in ihrem Artikel über Feminismus per Videokonferenz schildert.  

Die Texte, die wir verfassten, waren nicht von vornherein in jedem Fall für Mitleserinnen bestimmt, sondern wir konnten immer wieder aufs Neue entscheiden, ob wir unsere Texte mit unseren Namen den anderen Kursteilnehmerinnen zugänglich machen oder lieber anonym bleiben wollten. Die meisten schrieben mit Namen, doch diejenigen, die das nicht wollten, waren von der Gruppe nicht ausgeschlossen, sondern durch die Lektüre der Texte der anderen in den Prozess einbezogen.

Ob anonym oder nicht, wir lernten einander in dieser Zeit besser kennen und wurden offener in dem, was wir schrieben. Die unterschiedlichen Texte regten uns manchmal zum Weiterschreiben an – ein Prozess, der mich an beziehungsweise-weiterdenken erinnert.

Wichtig bei der Poesietherapie/dem therapeutischen Schreiben ist ein geschützter Rahmen. In nicht-virtuellen Gruppen lernen sich die Teilnehmerinnen zunächst über kürzere selbstgeschriebene Texte sowie über verbalen Austausch kennen. Dadurch kann Vertrauen entstehen, da es für viele etwas Neues ist, Persönliches in einer Gruppe vorzulesen, die nicht als Therapiegruppe konzipiert ist. Denn auch wenn kreatives Schreiben therapeutisch wirken kann, sind kreative Schreibgruppen zunächst einmal keine Therapiegruppen. Allerdings sind die Themen gerade bei autobiografischen Schreibgruppen – Kindheit, erste Liebe, Abschied von den Eltern, Älter werden u. ä. – oft ein Auslöser dafür, sich tiefergehenden Problemen anzunähern, so dass es manchmal schwierig ist, hier die richtige Balance zu finden. Für viele gilt aber: „Indem ich es niederschreibe, kann ich es loslassen“.

Manchmal wird therapeutisches Schreiben durch Bibliotherapie ergänzt. Dabei werden Texte anderer vorgelesen, die – oft durch die Gruppenleiterin – vorher auswählt werden: Lyrik, Prosa, Essays, Auszüge aus Biografien.  Über diese Texte wird in der Gruppe gesprochen und sie dienen oft als Impuls für neue eigene Texte.  

In den meisten dieser Schreibgruppen gilt die Regel, niemanden zum Vorlesen gegen seinen Willen zu überreden. Manchen hilft es allerdings, ermutigt zu werden, da es eine neue Erfahrung sein kann, sich zu öffnen und damit angenommen zu werden. Dies einzuschätzen ist Aufgabe der Gruppenleiterin, hängt aber auch von den Beziehungen und der Atmosphäre innerhalb der Gruppe ab. 

Es gehört immer Mut dazu, eigene Texte vorzustellen, vor allem wenn es darin um die eigene Person und ihre Befindlichkeit geht. Für jede einzelne Frau kann der Schritt in die Öffentlichkeit – und sei diese Öffentlichkeit auch noch so klein – ein emanzipatorischer Akt sein. Frauen haben lange genug geschwiegen, sei es über allgemeine Themen oder sei es über die persönliche Befindlichkeit. Die Zeiten, in denen weibliche Texte als „bloße Selbsterfahrungsliteratur“ und deshalb als „trivial“ abgewertet werden, sollten vorbei sein!

Zum weiterlesen:

Frauen* beraten Frauen* (Hg.), Freiheit und Feminismen – Feministische Beratung und Psychotherapie, Gießen 2020, 382 Seiten, 39,90 €.

Autorin: Christiana Puschak
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 29.06.2021
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Christiana, vielen Dank für diesen Text, er macht mich sehr glücklich.
    In meiner Diss habe ich mich ein Kapitel lang mit der Quasi-Absenz von schreibenden chilenischen Frauen im deutschen Exil auseinandergesetzt. Und ich bin hier ständig mit der Frage konfrontiert worden, ab wann denn etwas wirklich “Literatur” ist, z.B. heißt es in einer Auseinandersetzung mit den schreibenden Frauen: “Schreiben als eine Art Selbstrettung, Schreiben als Existenzsicherung. ‘Natürlich’ ist eine solche Literatur mehr als nur Literatur und insofern auch nicht immer nach nur rein literarischen Maßstäben zu bemessen.” Wo ist denn da nun also die Grenze, habe ich mich immer wieder gefragt, wenn z.B. selbst Christa Wolfs Literatur bis vor Kurzem (Oder ist es immer noch so? Ich weiß es gerade nicht.) noch unter der Voreinstellung der “subjektiven Authentizität” oder irgendwie noch abwertender des “weiblichen Schreibens” analysiert wurde. Es geht hier ja nicht um weibliches Schreiben, wie wir es hier verstehen, sondern um “weibliches Schreiben”, das so anders ist als das männliche, und das ja vor allem qualitativ einfach gar nicht mit Letzterem vergleichbar ist.
    Dein Text hat mich an meine damaligen Denkstrudel erinnert. Und es macht mich einfach grundsätzlich glücklich und sehr froh, wenn Frauen für sich diesen Weg des Schreibens und zudem noch des Miteinander-Teilens entdecken.

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