Forum für Philosophie und Politik
Von Brigitte Leyh
Bei Autounfällen ist die Sterberate von Frauen um 17 Prozent höher. Warum? Weil der Mann bzw. dessen Dummy bei den vorgeschriebenen Versuchen der Standard ist, nach dem sich Gurt, Abstand zum Armaturenbrett, und Sitz richten. Das Risiko schwerer Verletzungen ist für Frauen 47 Prozent höher, weil die Rückenlehnen ein Männergewicht von 76 Kilogramm bei 1,77 Metern Länge voraussetzen, so dass Frauen mit ihrem geringeren Gewicht bei für sie härterer Rückenlehne leichter durch die Windschutzscheibe katapultiert werden. Die Forderung nach auch weiblichen Dummys mit Brüsten führte zu deren Positionierung auf dem Beifahrersitz – so, als würden Frauen kein Auto fahren.
Das Entlarven von Fakten in einer Welt, die für Männer entworfen wurde, ist das Anliegen der englischen Autorin und preisgekrönten Journalistin Caroline Criado-Perez in „Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“. Das Buch liest sich auf 424 Seiten voller Fakten wie ein Krimi. Selbst ich als informierte Feministin bin erschüttert über das gewaltige Ausmaß der Unterschlagung von Fraueninteressen in so gut wie allen Lebensbereichen, und das ist nicht nur empörend und dumm und volkswirtschaftlich teuer, sondern für uns Frauen schädlich bis tödlich!
Nicht nur beim Autobau, auch in anderen Bereichen der Technik werden Frauen ignoriert: Obwohl Frauen öfter stürzen, gibt es keine Geräte zur Sturzfrüherkennung, Beckenbodentrainer werden trotz Bedarfs nicht entwickelt, bessere Milchpumpen für Stillende werden abgelehnt zugunsten eines schmerzhaften Modells, die Headsets sind zu groß und so weiter und so fort.
Auch die Gestaltung des öffentlichen Raums missachtet weibliche Bedürfnisse. Ein besonders ärgerlicher Punkt ist , dass Frauen aufgrund ihrer Anatomie (Menstruation) und sozialen Rolle (zum Beispiel sind sie häufig in Kinderbegleitung unterwegs) zum Zeitverschwenden und Schlangestehen vor Toiletten verdammt sind. Dass Toiletten für Frauen und Männer (die zusätzlich Urinale haben) die gleiche Grundfläche haben, ist also nur scheinbar ein Ausdruck von Gleichbehandlung.
In der Medizin werden Schmerzen von Frauen oft nicht ernst genommen oder auf die Psyche geschoben, sodass Frauen signifikant häufiger Psychopharmaka beschrieben bekommen. Herzinfarkte bei Frauen wurden aufgrund ihrer anderen Symptome jahrelang nicht erkannt und die Frauen stattdessen mit Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit und Übelkeit nach Hause geschickt. Und auch das Glück des Gebärens wird durch die Macht einer sexistischen Medizin getrübt.
Medikamente werden in Versuchsreihen entwickelt, die oft nur mit Männern getestet wurden, obwohl Frauenkörper durchschnittlich ganz andere Fettgewebe und einen anderen Stoffwechsel haben. Auch in Tierversuchen dominieren die Männchen, teilweise wird das Geschlecht auch gar nicht erwähnt und bleibt unbeachtet, so als ob es keine Rolle spielte. Die Einbeziehung von Weibchen wurde als zu teuer abgelehnt. „Selbst im Fall von Krankheiten, die bei Frauen häufiger vorkommen, untersuchen die Wissenschaftler oft ausschließlich XY-Zellen“, schreibt Criado-Perez. Die Dosierung von Tabletten wird ebenfalls meist auf den Standardmann zugeschnitten, für eine Frau kann die Dosis zu hoch oder unwirksam oder sogar schädlich sein, wie etwa bei Aspirin, Paracetamol, oder Morphium.
All das geschieht nicht einmal aus bösem Willen, sondern einfach aus Ignoranz und Borniertheit. Die Beispiele dafür, wie sehr Frauen von einer angeblich objektiven Wissenschaft ignoriert und vernachlässigt werden, sind in dem Buch überwältigend. Wer es nicht glauben will – und bitte weiter nachforschen – findet fast 50 Seiten Anmerkungen und Belegstellen. Ich bin der Meinung, das Buch sollte ein Muss sein. „Das war für mich eine Offenbarung zu lesen“ sagte eine junge Frau vor kurzem. Sie ist dadurch zur Feministin geworden.
Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. Penguin 2020, 15 Euro.
Die von Criado-Perez angeführten Daten beruhen hauptsächlich auf unzähligen Quellen in englischer Sprache, die ja auch von deutschen WissenschaftlerInnen genutzt wird. Da es in Deutschland nur einen einzigen Lehrstuhl für Gendermedizin gibt (an der Charité) und es nur wenige Vorlesungen zu Genderaspekten in der deutschen Medizin gibt, gehe ich davon aus, dass die Daten auch auf Deutschland zutreffen, empfehle aber in jedem Fall – wie im Text geschrieben – Überprüfung und ständiges Nachfragen. Anscheinend versucht Prof. Bettina Pfleiderer mit der von ihr initiierten Online-Plattform Genderwiki (https://gendermedwiki.uni-muenster.de) endlich Genderbeachtung zu bewirken.
Das Indusriezeitalter hat es mit sich gebracht, dass Herstellung von Waren (denn das ist der Zweck von Industrieproduktion) als genormte Produktion organisiert wird (Das ist eine Frage der “Kostensenkung”, um nicht das Wort “Profitmaximierung” zu verwenden). Es wird also eine Norm festgesetzt. Und dann entsprechend produziert. Man braucht nur an Bekleidung zu denken: Schuhgrößen, Kleidergrößen, oder in Küche und Bad die Höhe der Möbel, etc… Alles , was von dieser Norm abweicht, ist “Minderheit”. Nicht alle Männer sind 177 cm groß oder haben das gleiche Gewicht. Aber vielleicht eine statistische Mehrheit. Diversität, egal welcher Art, fällt Normierung zum Opfer. Wird weg-genormt. “Systemrelevant” (um dieses Mode-Unwort mal hier zu gebrauchen) ist daher auch, biologisches Anderssein möglichst auszuradieren oder wegzudenken. So entstand eben der Homo oeconomicus. Ein Hirngespinnst, dass uns allen das Leben schwer macht. Und um diese Normierungswut herum haben sich ganz viele Institutionen gebildet, die das heutige Leben erschweren: Schule (mit “Standards” dessen, was ein Kind in einem bestimmten Standard-Alter alles können und machen soll, und enstprechender Notengebung, also “Be-Lohnung”), Gesundheitswesen (eine Geburt darf höchstens 5 Stunden dauern: Fallpauschale!), der Städtebau (warum empfinden wir “gewachsene” Ortschaften als so gemütlich und angenehm, im Vergleich zu Wohnsilos?) usw….. Nicht nur “Frauen” (mit und ohne Stern) fallen durch die Raster. Auch ganz viele Männer (mit und ohne Stern).
” Das Risiko schwerer Verletzungen ist für Frauen 47 Prozent höher, weil die Rückenlehnen ein Männergewicht von 76 Kilogramm bei 1,77 Metern Länge voraussetzen, …”
Haben Frauen oder Menschen mit kürzeren Armen ein höheres Risiko, gegen das Lenkrad geknallt zu werden? Ist es vielleicht unveränderbare Physik?
weiter: “…so dass Frauen mit ihrem geringeren Gewicht bei für sie härterer Rückenlehne leichter durch die Windschutzscheibe katapultiert werden. ”
Was soll damit wie erklärt worden sein? Durch die Windschutzscheibe fliegt niemand mehr, weil wir die Gurtpflicht haben… was habe ich hier verpasst? Warum ist jetzt die Rückenlehne für die Frau härter und “katapultiert” sie durch die Scheibe (*hessisches Fragewort mit 16 Buchstaben*)?
Was bitte soll bei Brüsten und Gurt anderes ausfallen?
Autofahren ist halt nicht wie in der Autowerbung, es ist oft anstrengend, stressig und zuweilen gefährlich (ich bin mal während 20min Autobahnfahrt 2mal fast touchiert, weil die jeweils nicht geschaut haben ob da noch wer ist), jetzt schaue man mal wer öfter fährt, der Mann oder die Frau? Hat man dies statistisch Erfasst, kann man ein Buch darüber schreiben warum Frauen überwiegend faul und bequem sind, und Stressiges lieber auf den Mann abwälzen, oder man schreibt eins worin man sich Beschwert, dass DIE PÖSEN Wissenschaftler sich an der Realität orientieren!
Berufsverletzungen u. -tote sind in der Größenordung 80%-95% männlich, wer schreibt darüber mal ein Buch und wer liest es in höhere Verkaufsränge?
“Herzinfarkte bei Frauen wurden aufgrund ihrer anderen Symptome jahrelang nicht erkannt und die Frauen stattdessen mit Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit und Übelkeit nach Hause geschickt.”
Ja weil einer von 100 bei einer Frau passierte, war noch früher eher irreal das eine Frau einen Herzinfarkt bekam, aber beim Stress holen die Frauen ja langsam auf.
“Medikamente werden in Versuchsreihen entwickelt, die oft nur mit Männern getestet wurden, obwohl Frauenkörper durchschnittlich ganz andere Fettgewebe und einen anderen Stoffwechsel haben.”
1. gibt es viel weniger Frauen als Männer die an und in sich rumexperimentieren lassen und unbekannte Nebenwirkungen für Geld in kauf nehmen und 2. führt die Menstruation zu Messschwankungen. 3. Schaue man mal auf die Finanzierung bei Brust- vs Prostata-Krebs, letzteres bekommt etwa die Häfte bei etwa gleicher Todesrate 4. Wow! jemand hat bemerkt das Männer u. Frauen durchschnittlich anderen “Stoffwechsel” haben! Ist ja selbstverständlich, dass Männer z.B. bei Hartz4 oder bei Hilfsrationen etwa 20% mehr Kalorien bekommen ist ja selbstverständlich…. Wie? Männer bekommen nicht mehr, und bei internationalen Hilfslieferungen manchmal gar nichts? Wie da heißt es “Frauen und Kinder zuerst”?(Hawaii) Was wir leben doch im Patriarchat und ich sollte Feminist werden!
Meine Frage an Brigitte Leyh und Antje Schrupp: Treffen diese Daten 1 zu 1 auch für Deutschland zu?