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Rubrik Blitzlicht

Charles Michel oder: Wie sich die EU von Despoten instrumentalisieren lässt

Von Antje Schrupp

Unter dem Hashtag #SofaGate wird in den Sozialen Medien ein Desaster diskutiert, das der türkische Despot Erdogan der Europäischen Union beschert hat:

Bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel – beide gleichrangige Repräsentant:innen der EU – bekam lediglich Michel einen “Herrschersessel” auf Augenhöhe neben Erdogan angeboten, von der Leyen hingegen musste entfernt und “tiefer” auf einem Sofa Platz nehmen.

Die EU zeigt sich empört. Leider zeigt sie sich nicht an der richtigen Stelle empört.

Denn nicht Erdogan ist für das Desaster verantwortlich zu machen, sondern Ratspräsident Michel: In einem von der EU verbreiteten Video ist zu sehen, wie von der Leyen stehen bleibt und ihren Unmut deutlich macht, während Michel nicht schnell genug auf dem ihm angebotenen Sessel neben Erdogan Platz nehmen kann. Er ist auch nicht wieder aufgestanden, nachdem das Problem deutlich wurde, hat sich nicht mit von der Leyen solidarisiert. Keineswegs. Er hat klar gemacht, dass das ihr Problem ist und nicht seins.

Erdogan ist hier wieder mal ein propagandistisches Meisterstück gelungen: Er hat die EU vorgeführt als eine Organisation, die nicht zu ihren eigenen (angeblichen) Werten steht. Denn die Adressat:innen seiner Inszenierung sind ja nicht wir, die hier Empörten. Sondern es sind die Männer rund um den Globus, die sich die alten patriarchalen Zeiten zurückwünschen.

Sie haben hier gesehen: Sobald man den europäischen Männern einen Macho-Thron anbietet, hüpfen sie genauso drauf wie alle anderen. Das westliche Bekenntnis zur Freiheit und Gleichheit der Frauen ist auch nur Show. Was für ein Symbol, nur wenige Tage nachdem die Türkei ihren Austritt aus der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung häuslicher Gewalt erklärt hat!

Beibt nur zu hoffen, dass die Sache in der EU wenigstens ein Nachspiel hat. Charles Michel und die Mitarbeitern des Protokolls müssen die Veranwortung für das Desaster. Wenn man sein erbärmliches Statement auf Facebook dazu liest, spricht allerdings nichts dafür, dass er das freiwillig macht.

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Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 08.04.2021

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Unglaublich. Aber genau dieselbe Erfahrung, die ich im Laufe meines Berufslebens als Pfarrerin im Zusammenhang mit der Ökumene gemacht habe. Viele männlichen Kollegen lassen uns da genauso im Regen stehen, wenn deutlich wird, dass die katholische Seite uns als Frauen nicht ernst nimmt.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Martina – Stimmt, das ist ein ähnliches Setting!

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Hier ist so deutlich zu sehen, wohin Gleichberechtigung führt bzw. letztlich nur führen kann:
    „Alle sind gleich, aber manche sind gleicher“… Animal Farm lässt grüßen!

  • Regina Hunschock sagt:

    Genauso könnte das Robert Habeck passieren oder machen
    Es gibt so viele Alpha Männchen Codes, die auch die „emanzipierten“ Männer auf der obersten Bühne sprechen werden, müssen, wollen. Denn in erster Linie tun Männer das für Männer, die heilige männliche Ordnung einhalten und mitspielen

  • Sammelmappe sagt:

    Flott auf den Punkt gebracht.
    Ist so wichtig, deutlich zu machen, wer hier sich für was entscheidet.

    Geht wirklich gar nicht.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Regina, ha, das ist eine interessante Überlegung. Vielleicht sollte man alle Männer, die sich um eine öffentliches Amt bewerben, so einen Test machen lassen, also sie irgendwann im Lauf ihrer Karriere unvermutet in so eine Situation bringen und dann schauen, ob ihre Reflexe funktionieren – und wenn nicht, waren sie innen offenbar noch nciht so postpatriarchal, wie sie (vermutlich mit ehrlichen Absichten) von sich selber dachten. Aber ja, bei Habeck würde ich da auch nicht die Hand ins Feuer legen.

  • Brigitte Leyh sagt:

    Wirklich beschämend. Wir müssen Charles Michel massenweise Protestbriefe schicken!
    Der Vorfall ist ein Grund mehr, unsere Männer nicht länger zu schonen und länger so zu tun, als sei Emanzipation nur Frauensache. Wir müssen ihnen viel offensiver abverlangen, dass sie sich endlich mit uns zusammen für weibliche Gleichheitsrechte einsetzen.

  • Regina sagt:

    @Antje, yo, ich habe sowohl in meiner beraterischen Tätigkeit auf der Managementebene (z.B. Bosch oder Daimler oder IBM) sehr viel über diese Codes der männlichen Kommunikation erfahren und erlebt, als auch zuletzt während meiner Kandidatur zur Bürgermeisterin in Bayern. Ich war Kandidatin einer grünen WählerInnenliste. Vorabsprachen, klare Linie auf grüne Themen usw. stellten sich plötzlich in der Ratssitzung ganz anders dar, Bürgermeister und sein Vertreter fingen plötzlich an zu flüstern und Worte von sich zu geben, die mir eben wie Codes vorkamen, nach denen sie gesprochen, meine Grünen Männer ganz anderes stimmten. Voll der Kampfgeist fehlte, den sie eben noch gegen den CSU Bürgermeister hatten.
    Einmal kam einer von diesen DAX Unternehmen auf einer After Teamworkshop Party zu mir und grinste mich an und meinte, genau, wir brauchen so Frauen in der 2. und 3. Ebene, die für uns die Arbeit machen, die intelligent sind, weil Ihr Frauen das oft nämlich viel besser könnt als wir. Aber wir müssen ja auch nicht, wir sind ja schon oben.

  • Dr. Gisela Forster sagt:

    Wie wäre es mit einem weltweiten Experiment:
    Alle Männer werden ein Monat mit Frauen ausgetauscht, also ein Monat lang tauscht jeder Mann seinen Tagesablauf mit einer Frau: Er richtet ihr morgens die Chefinnenkleidung her, und sie wandelt gepflegt in die Vorstandsetage, er zieht sich am Morgen die Haushaltsschürze an, weckt die Kinder, macht Frühstück und Brotzeit, bringt Kinder in die Kita, gibt den Kleinsten zu Hause das Fläschchen und hetzt 12 Stunden herum. Sie kommt um 18 Uhr entspannt und sauber gekleidet, hoch attraktiv, selbstbewusst und zufrieden mit ihrem Erfolg nach Hause, setzt sich vor den Fernseher und lässt sich von ihm die Schinkenbrötchen servieren, dann begibt sie sich ohne links und rechts zu schauen mit einer wissenschaftlichen Lektüre ins Bett und überlässt ihm die nachts schreienden Kinder. Sie steht morgens entspannt und ausgeschlafen auf, kleidet sich vornehm und trifft sich mit den Botschafterinnen der anderen Ländern zu einem gemütlichen Dinner, alle Botschafterinnen und Regierungsfrauen nehmen auf den Chefsesseln Platz, beenden die männlichen Rivalitätskriege der Welt und singen statt dessen lächelnd und freundlich ein Friedenslied.

  • Dor sagt:

    Und das Gefummel von E. an von der Leyens Jacke ?

  • elisabeth jankowski sagt:

    Antje , besser hätte man es nicht sagen können. Michel hat die ganze EU blamiert.

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