Forum für Philosophie und Politik
Vor kurzem war ich bei einem Vortrag über alte, weiße Männer. Nein nicht bei einem Vortrag über Schriftsteller oder Musiker oder Wissenschaftler, die in der Regel WHAM sind – also weiß und heterosexuell und alt und Männer – wenn nicht jemand speziell auf die Idee kommt, dass es auch andere Menschen gibt; sondern bei einem Vortrag über WHAM als Problem. Der Referent war ein junger weißer Mann, der die bemerkenswerte Leistung vollbracht hatte, zu hinterfragen, was dies für sein Leben bedeutet. Ich sage bemerkenswert, weil man das als WHAM bisher schlicht nicht machen musste – es sei denn man war homosexuell oder krank oder arm oder … okay, die Zahl der reinen weißen Männer ist kleiner als man denkt, aber zumindest diesen Aspekt seines Seins musste man nicht hinterfragen. Geschlecht war etwas, was Frauen hatten. Hautfarbe, was schwarze Menschen oder People of Colour hatten. Sexuelle Identität, was queere Menschen hatten. WHAM war unsichtbar.
Und dann wurde WHAM vor gar nicht allzu langer Zeit plötzlich zu einem Schimpfwort. Alte weiße Männer stellen wir uns rassistisch und sexistisch vor wie Donald Trump oder autokratisch wie Wladimir Putin oder aufgeblasen und selbstverliebt wie Boris Johnson – oder konservativ wie alle zusammen. Und wenn man in die Geschichte schaut, sind es tatsächlich zum allergrößten Teil alte weiße Männer, die uns in diesen Schlamassel gebracht haben, in dem wir uns heute befinden. Trotzdem macht es mich unruhig, wenn ich an allen Ecken höre: Check your Privilege. Werde dir deiner Privilegien bewusst – und was dann?
Die Antwort in dem Vortrag war, dass Mann – im Sinne von WHAM – lernen sollte, Entschuldigung für seine Privilegien zu sagen, und nicht die ganze Zeit alles besser zu wissen und das lautstark zu verkünden, sondern Platz zu machen, wenn andere Menschen das Licht beanspruchen, in dem Mann sich sonnt, weil WHAM das nun einmal so gewohnt ist. Nun wäre es natürlich verlockend, wenn Donald Trump sich dafür entschuldigt hätte, dass er Kinder an der Grenze internieren ließ, und zu einem Alexandria Ocasio-Cortez Supporter geworden wäre.
Doch würde das auch bedeuten, dass wir weiterhin darauf angewiesen wären, was Leute wie der Donald tun oder nicht tun, und dass sie verstehen, was das Problem ihrer Politik ist … hm … Es würde auch bedeuten, dass gesellschaftliche Beteiligung von Frauen, und trans und inter und nicht-weißen Menschen weiterhin in der Hand von WHAMs läge – weil sie uns höflich die Türen öffnen: Nach Ihnen Madame! – und dass die netten und interessanten weißen Männer den Mund halten würden – um bloß nicht zu mansplainen – während die anderen, also die Donalds dieser Welt, sich nicht einen feuchten Dreck darum scheren.
Doch noch schlimmer, individualisiert dies ein strukturelles Problem. Sogar wenn alle WHAMs sich ab jetzt ganz doll dafür schämen, dass sie weiß sind, oder dass sie männlich oder hetero sind, würde das nichts an der Verteilung von Vermögen und Macht und Einfluss ändern. Es geht hier nicht um Hormone oder um Melanin, es geht um gesellschaftliche Strukturen. Und die verändern wir nicht, indem wir Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung beurteilen, noch nicht einmal weiße, heterosexuelle, alte Männer.
Tatsächlich bin ich ja heilfroh darüber, gerade kein WHAM zu sein. Andreas Hechler, vom Bildungsinstitut Dissens, das patriarchatskritische Männer- und Jungendarbeit macht, bringt das in einem Artikel im FICKO-Magazin bewegend auf den Punkt, in dem er beschreibt, dass er alles, für das traditionelle Männlichkeit und Weiß-heit steht, ablehnt – wie Macht, Hierarchien, Ausbeutung anderer Gruppen oder zumindest von dieser Ausbeutung zu profitieren, damit wir reich sein können, müssen andere arm sein – gleichzeitig verkörpert er aber eben diese Kategorien, weshalb er sich auf seine Männlichkeit lange nicht anders beziehen konnte als mit Selbsthass und Verzweiflung. Das ist ein Schmerz, den ich zutiefst verstehen kann.
Und nur, um die Verwirrung vollständig zu machen, möchte ich nun für Check your Privilege argumentieren. Denn der Trick mit Privilegien ist ja, dass man sie tatsächlich nicht bemerkt, wenn man sie hat. Und das ist ein Problem, weil man dann davon ausgeht, dass alle anderen sie auch haben und sich nur anstellen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder dazu gezwungen zu werden, sich in Andere hinein zu versetzten und herauszufinden, wie die Welt aus ihrem Blickwinkel aussieht. Es ist wichtig über Privilegien zu reden. Doch die Frage ist: Wie? Sollen ab jetzt auch alte weiße Männer ständig von der Polizei angehalten werden, weil sie ja Drogen bei sich tragen oder anderweitig kriminell sein könnten? Sollten Bewerbungen von Menschen, die Hans Schmitz heißen, im Papierkorb landen, weil Arbeitgeber nach guten deutschen Namen suchen wie Mithu Sanyal? Sollten weiße alte Männer jetzt ständig unterbrochen werden: Ach, Häschen, das verstehst du halt nicht? Sollten … Unsinn! Ausgleichende Ungerechtigkeit ist noch immer Ungerechtigkeit. Was wir brauchen ist mehr Gerechtigkeit, mehr Privilegien oder besser gesagt: eine Debatte darüber, welche Privilegien wir in einer freien Gesellschaft von Gleichen teilen wollen.
Anmerkung der Redakteurin Antje Schrupp:
Liebe Mithu,
vielen Dank für deine Gedanken zum Konzept WHAM. Ich bin momentan immer etwas irritiert, wenn (politisch korrekte) Sprache und Notwendigkeit von Transformation der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt oder zumindest in eine Art Opposition gebracht werden. Das Bewusstwerden über die eigenen Privilegien ist für viele vielleicht der Beginn dafür, für eine andere Gesellschaft, eine “freien Gesellschaft unter Gleichen” eben, einzustehen und sich für eine solche auch politisch zu engagieren. Andererseits kann es eben auch sein, dass eine*r erst politisch engagiert ist, zum Beispiel in der Klimabewegung, und hier erst sensibilisiert wird und merkt, wie Sprache und Kultur/Gesellschaft miteinander verwoben sind, über ganz konkrete Konflikte beispielsweise. Und was ich beobachte, dass es bei vielen ein sehr langsamer Prozess ist. Gut Ding brauch Weile. Wichtig ist die ständige Reibung, das Nicht-mehr-in-Ruhe-Lassen derjenigen, die sich zu WHAMmig ;) fühlen; die Diskurse über diese Arten der gesellschaftlichen Konflikte und Lösungsansätze müssen ständig in unterschiedlichsten Formen und Momenten wieder eingebracht werden.
Über die enge Verquickung und das Hin und Her zwischen oder auch das gegenseitige Aufeinandereinwirken von Sprache und Kultur/Realität, aus dem egal wie immer Veränderung resultiert, ist schon viel gesagt worden. Aktuell lese ich von Chiara Zamboni “unverbrauchte worte. frauen und männer in der sprache”, wundervoll übersetzt von Dorothee Markert (und im wundervollen Christel Göttert Verlag erschienen :), und da gibt es zum Beispiel diese Sätze: “Uns von wahren Worten ‘berühren’ zu lassen, bedeutet, dass das, was an Wahrem oder über die Gegenwart gesagt wird, uns dazu bringt, verschiedene Schichten alter Erfahrungen nochmals zu betrachten und über die im Schatten gebliebenen Seiten gelebter Gefühle nachzudenken. Die Wahrheit ist ein Verstehen dessen, was ist, und sie geht direkt ins Herz. Doch gleichzeitig steht sie auch am Beginn eines langen, mühevollen Weges.” (S. 75f.)
Andreas Hechlers Schmerz (oben zitiert) ist somit verstehbar, aber wichtig ist doch letzten Endes auch, dass er auch über diesen Schmerz in eine sinnvolle und wirksame politische Handlungsfähigkeit gefunden hat und jetzt aktiv die gesellschaftlichen Widersprüche angeht hin zu einer “Gesellschaft von Gleichen”.
Sehr differenzierte Überlegungen und Schlussfolgerungen lese ich aus dem Artikel und den Kommentaren, die mich inspirieren.
Allerdings verhake ich mich in meinem Mitdenken an einem Wort.
An dem Begriff “Privileg”.
Ich möchte die Begrifflichkeit in den genannten Kontexten durchdringen, sehe das Wort jedoch von seiner Beutung her anders verwendet, als ich es bislang kenne.
Der Duden übersetzt es mit “besondere Verordnung, Sonderrecht, Vorrecht” und “privilegieren” mit “jmd ein Vorrecht einräumen”.
Können wir bei den faktischen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft, die oft Minderheiten treffen und die es unbedingt zu sehen und auszurotten gilt, davon sprechen, dass die Allgemeinheit – also auch ich – Privilegien genießen würde?
Sind die vorhandenen Lebensbedingungen nicht vielmehr allgemeine Rechte, Normen?
Was ist mit sozial marginalisierten weißen Männern, Frauen und Kindern in der Gesellschaft? Was haben sie denn für sogenannte “Privilegien”?
Ich meine, es könnte präziser von “(unbewusst) erfahrenen Vorteilen” gesprochen werden als von einer Art “Privilegien”.
Das mit der “(politisch korrekten) Sprache” war ein etwas schiefer, nicht ganz passender Einstieg (oben in meinem Kommentar), hier gehts ja um das Konzept WHAM und was das mit den “Betroffenen” macht, sowie mit denen, die damit (noch viel mehr) gemeint sind und sich nicht drum scheren, und ob so ein Konzept bereits positiv wirkt; also bereits hin zu einer Gesellschaft von Gleichen beiträgt. Ich meine, die Frage ist doch, wie kommen wir zu einer Gesellschaft von Gleichen. Meiner Meinung nach ist diese in/mit einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaftsform gar nicht möglich; ich glaube, das wissen wir hier alle. Da beinhaltet die Aufforderung eines Privilegienchecks gerade der WHAMs nun zumindest die Möglichkeit eines Bewusstwerdens über gesellschaftliche Hierarchien und Machtstrukturen und der eigenen Verortung darin. Ich denke, das kann ein Anfang sein. Der Anfang eines noch ganz lange währenden Weges, den wohl noch viele Generationen gehen werden müssen. Denn klar, die Bewusstwerdung über eigene Privilegien etc. ändert noch nicht die Gesellschaft; kann sogar zur Verfestigung der Alten/Bestehenden führen. Aber ich würde schon sagen, dass so ein Konzept eine Störung der Ordnung darstellt. Und auch wenn die Störung vielleicht “behoben” wird, also die WHAMs (erstmal) fest im Sattel sitzen bleiben, so denke ich, dass es nicht egal ist, ob es die Störung bereits gibt/gab oder nicht. Sie kommt ja zudem mit vielen Störungen daher, in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und Ebenen. Und alle zusammen – hintereinander, gleichzeitig, ungleichzeitig…. egal wie – können vielleicht irgendwann zu einem system change führen.
Ich habe irgendwie noch mehr dazu zu sagen, aber leider schließt sich gerade wieder ein Zeitfenster; vielleicht nochmal ein andernmal mehr.
Liebe Anne Newball Duke,
auch ich lese grade exitracism von Tupoka Ogette in einem Lesekreis zu Antirassismus/Dekolonisierung.
Deine Idee, darüber nachzudenken, statt der Zuschreibung WHAW – breiter gedacht – vom sogenannten “Happyland” Konzept (Tupoka Ogette) zu sprechen, gefällt mir.
Das Konzept Happyland ist umfassender und weniger Männer Bashing.
In den westlichen Gesellschaften sind wir es ja alle, die vom historischen und aktuellen (verdeckten) Kolonialismus profitieren, nicht nur der sogenannte WHAM.
Zur Frage der Ungeduld, der drängenden Notwendigkeit, kann ich nur von meiner Zuversicht sprechen, dass der Bewusstwerdungsprozess im Gange ist, der dem Wandel vorausgeht.
Die Lesekreismitfrauen, auch ich, beobachten jedenfalls aufmerksames Interesse zB von Töchtern und Söhnen und bei deren Partner*innen, bei unseren Freund*innen an dieser Thematik und spürbaren Änderungswillen hin zu mehr Ausgleich im Ökonomischen, im Sozialen, zwischen Ethnien …
Du fragst nach meiner Absicht, warum ich die Verwendung des Begriffs “Privileg” hinterfrage.
Tupoka Ogette verwendet ihn ebenfalls in Verbindung mit “Happyland”.
Während des Lesens ihres Buches tauchte bei mir die Frage nach diesem Begriff auf.
Ich persönlich möchte andere Menschen nicht als “privilegiert” bezeichnen, wenn sie es unabsichtlich sind, weil sie unbewusst Vorteile haben oder hatten.
Konkretes Beispiel: Was kann zB ein Schulkind dafür, dass es weiß ist und nicht rassistisch beschimpft wird wie zB eine Mitschülerin mit dunkler Hautfarbe? Klar hat dieses Kind Vorteile, aber dürfen wir sagen, du genießt hier das Privileg Weiß zu sein?
Die Zuschreibung “Privilegien zu genießen”, empfinde ich als eine Art Schuldzuweisung.
Ein Wandel kann nur erfolgreich gestaltet werden, wenn sich alle Seiten frei fühlen, denke ich.
Noch zur Ergänzung:
Warum ich den Begriff “Privileg” falsch finde, wenn er für Inanspruchnahme gängiger Menschenrechte und mitmenschlicher Normen verwendet wird. Also beispielsweise, das Recht darauf, nicht beleidigt zu werden und nicht abgewertet zu werden, kann kein Privileg sein sondern ist ein Menschenrecht. Ob mir dieses Recht allerdings zugestanden wird oder eben nicht, das kann rassistische Gründe haben oder weil ich ein Handycap habe oder weil ich eine bestimmte sexuelle Orientierung habe oder, oder …
Wir schlussfolgern ja auch nicht, dass Menschen privilegiert sind, weil sie beispielsweise heterosexuell sind. Obwohl das praktische Leben einfacher sein mag.
Die Eliten in Sklavenhaltergesellschaften und diktatorischen Regimen geben sich selber natürlich Privilegien, verbriefte Sonderrechte, und beanspruchen diese ausschweifend.
In unserer auf den Allgemeinen Menschenrechten basierenden Demokratie gibt es diese Sonderrechte gar nicht.
Zwar gibt es Ungleichheit, Ungerechtigkeit, hierarchischen Missbrauch etc …Vorteilsnahme und Korruption, Ausgrenzung, Abwertung, Diskriminierung – aber laut Grundgesetz genießen alle das Grundrecht auf Gleichbehandlung und Schutz.
In der brandaktuellen Diskussion um mehr Rechte für Covid 19 Geimpfte wird der Begriff “Privileg” meinem Verständnis nach gut herausgearbeitet, beobachte ich:
Wenn Bürger*innen mit vollem Impfschutz mehr Freiheiten erlaubt werden als Bürger*innen ohne Covis 19 Impfung, wird ausdrücklich betont, dass es sich NICHT um “Privilegien” handelt, sondern um das Zurückgeben der bürgerlichen Rechte, die wegen der Pandemie zum Wohle aller eingeschränkt sind.
In der Rassismus Diskussion finde ich es nicht empathisch, vom “Privileg Weiß zu sein” zu sprechen, weil damit impliziert wird, angeblich ungerechtfertigte Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Das wiederum kann zu Schuldgefühlen wegen des übergestülpten, angeblichen eigenen Fehlverhaltens führen, sich etwas herauszunehmen, was einem nicht zustehen würde.
Normale Bürger*innenrechte sind keine Privilegien.
Historisch gesehen wurden (und werden) Weiße Menschen massenhaft versklavt:
In unserem oft zitierten Demokratievorbild, dem antiken Griechenland etwa, oder im Zeitraum zwischen 16. und 18. Jahrhundert Europäer*innen durch das Osmanische Reich, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Ich kämpfe aus ganzem Herzen gegen Rassismus und möchte beitragen, dass allen Menschen ihre Rechte eingeräumt werden. Mich stört nur die Verwendung des Begriffs “Privileg”. Weil mit “privilegiert sein” die ungerechtfertigte Inanspruchnahme bestimmter Sonderrechte und damit unverschämtes Verhalten unterstellt wird.
Sehr gut, auf eine Gruppe einhacken ist nie das Ziel von intelligenten und vor allem empathischen Menschen.