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Die Pariser Kommune aus der Sicht einer Akteurin: Louise Michel

Von Vera Bianchi

Im Februar hat Antje Schrupp an dieser Stelle Louise Michels Buch über die Pariser Kommune, das sie 1895 schrieb und das jetzt von Veronika Berger ins Deutsche übersetzt wurde, vorgestellt. Auch in ihren Memoiren, die Louise Michel rund zehn Jahre vorher schrieb, zwischen 1883 und 1886, nehmen die Themen und Sichtweisen eine große Rolle ein, die Antje an dem Buch über die Kommune auffallen. Auf diese Themen gehe ich nach einer kurzen Vorstellung Louise Michels ein.

Verhaftete Kommunardinnen im Gefangenenlager in Versailles nach der Niederschlagung der Kommune. Louise Michel vorne rechts, stehend mit verschränkten Armen und hellem Rock.

Die 1830 geborene Louise Michel erhielt nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin keine Anstellung, weil sie sich weigerte, den Eid auf das Kaiserreich Napoleons III. zu leisten; so arbeitete sie stets unter prekären Bedingungen in Privatschulen. In Paris schloss sie sich der republikanischen Opposition an und war vor allem in der Pariser Frauenbewegung aktiv.  Als am 18.3.1871 aufgrund der Kriegsniederlage im deutsch-französischen Krieg und des Versailler Friedensvertrags mit dem Deutschen Reichs die Pariser Nationalgarden entwaffnet werden sollten, stellten sich Frauen vom Wachsamkeitskomitee Montmartre, unter ihnen Louise Michel, den Soldaten entgegen. Die Kommune von Paris wurde proklamiert und bis zur blutigen Niederschlagung Ende Mai aufrechterhalten. Louise Michel wurde im Dezember 1871 zu lebenslänglicher Verbannung nach Neukaledonien, einer Inselgruppe östlich von Australien, verurteilt, wo sie bis zu ihrer Amnestie 1880 blieb. Von 1883 bis 1886 war sie in Frankreich inhaftiert. Bis zu ihrem Tod kämpfte sie mit Vortragsreisen und der Gründung der anarchistischen Zeitschrift „Le Libertaire“ für ihre politischen Ziele. Sie starb 1905; zu ihrer Beerdigung in Paris kamen über 100.000 Menschen.

Was Antje beim Kommune-Buch feststellt, trifft auch auf Michels Memoiren zu: Louise Michel ist keine Chronistin der Ereignisse, sondern folgt ihren Gefühlen. Sie schreibt ihre Memoiren zeitweilig wie einen stream of consciousness, sie springt zwischen Ereignissen, Wünschen, politischen Themen und Gefühlen hin und her und kommt immer wieder an anderen Stellen darauf zurück; mitunter kommentiert sie ihren Text, so rechtfertigt sie sich nach einem längeren Kapitel über Frauen und deren Unterdrückung: „Dieses Kapitel ist keine Abschweifung. Als Frau habe ich das Recht, über die Frauen zu sprechen.“ (S. 93) oder spricht ihre Leser*innen direkt an („Ihr seht es, Freunde“ (S. 138)). Zwischen ihren Lebenserinnerungen erscheinen immer wieder einige zentrale Themen: Gleichheit der Geschlechter, Wissen(schaft) und Freiheit; Macht; Mut, Heroismus und Pflicht und die neue Menschheit.

Louise Michel war nicht nur Mitglied im Wachsamkeitskomitee Montmartre der Frauen, sondern auch in dem der Männer: „Ich ging immer zu dem der Männer, weil es immer die Linie der russischen Revolutionäre vertrat.“ (S. 129) „[I]ch gehörte weiterhin den beiden Comités, die dieselben Tendenzen vertraten, an. […] vielleicht werden beide ineinandergreifen, denn wenn es um die Pflicht ging, kümmerte man sich kaum darum, welchem Geschlecht man angehörte. Mit dieser albernen Frage war Schluss.“ (S. 129) Sie tritt für die Gleichheit der Geschlechter ein und beklagt, dass die Mädchen absichtlich unwissend gehalten werden durch Erziehung und schlechte Schulbildung; „[w]as wir wollen, ist Wissen und Freiheit.“ (S. 93)

Eine intersektionale Denkweise, also die Verflechtung verschiedener Herrschaftskategorien miteinander, zeigt sich in ihrer Einschätzung, „Sklave ist der Proletarier, Sklave aller Sklaven ist die Frau des Proletariers“ (S. 92) ebenso wie in ihrer Konstatierung, dass in den USA Frauen dieselben Vorlesungen besuchten wie die Männer, welche „nicht verstehen, dass man sich mehr mit der Frage der Geschlechter als mit der der Hautfarbe beschäftigt.“ (S. 90) Lange vor der expliziten Benennung erkannte sie die Bedeutung dieser miteinander verwobenen ungleichheitsgenerierenden Dimensionen race, class und gender. Sie kämpfte nicht nur für die Befreiung der Arbeiter*innen und der Frauen, sondern unterstützte auch 1878 den Befreiungskampf der in Neukaledonien lebenden Ureinwohner, der Kanak, gegen die französische Kolonialherrschaft.

Genau wie Antje in „Die Pariser Kommune“ sehe ich in Louise Michels Memoiren „Macht“ als ein Hauptthema; Macht ist nichts, was temporär in schlechten Händen ist, sonst aber erstrebenswert, sondern Macht als solche ist schlecht. Immer wieder geht Michel auf die schlechten Auswirkungen von Macht ein; „die Macht verursacht Schwindelgefühle, sie wird sie immer verursachen, bis zu der Stunde, da sie der ganzen Menschheit gehören wird.“ (S. 79) „Wer wird über die Verbrechen der Macht schreiben und darüber, wie ungeheuerlich sie die Menschen verändert […]?“ (S. 112) fragt sie – ein bis heute aktueller Gedanke, wenn wir die Veränderungen von Menschen betrachten, die aus sozialen Bewegungen kommen und Politiker*in werden. Männern, die Angst vor der Gleichberechtigung der Frauen haben, weil diese dann vielleicht regieren wollten, ruft sie zu: „Beruhigt Euch! Dazu sind wir nicht dumm genug! Es würde die Herrschaft nur verlängern; behaltet sie, damit sie schneller ein Ende finde!“ (S. 90). Sie berichtet von ihren Gesprächen, die sie mit Prostituierten und Dieben über deren Situation führte, und stellt fest, dass niemandem bereits bei der Geburt vorbestimmt ist, was er oder sie werden wird – „Nein, Ihr habt sie zu dem gemacht“ (S. 110) zitiert sie aus einem ihrer Gedichte der 1860er Jahre –, und überträgt dies auf die Mächtigen: „Man kommt auch nicht […] mit einem Ministerposten [zur Welt], um vom Schwindelgefühl der Macht ergriffen zu werden und Nationen zu ihrem Zusammensturz zu führen.“ (S. 111) Sie kämpft für die sozial Deklassierten, gegen einen Determinismus und für ihr positives Menschenbild.

Mehrmals wehrt sich Michel dagegen, als Heldin oder besonders mutig bezeichnet zu werden – „macht mich nicht besser, als ich bin und als ihr selbst seid!“ (S. 138). Für sie ist die Beteiligung an der Revolution Pflicht – obwohl sie friedliche Kundgebungen für ergebnislos hält (S. 344), nimmt sie zum Beispiel aus Pflichtgefühl an einer Demonstration von Arbeitslosen teil, infolge derer sie verleumdet wird, dort zu Brotplünderungen aufgerufen zu haben, und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wird. „Es gibt keinen Heroismus, es gibt nur die revolutionäre Pflicht und die revolutionäre Leidenschaft“ (S. 196), „[i]ch habe keinen besonderen Verdienst“ (S. 267), „[w]ir sind alle das Produkt unserer Zeit, weiter nichts“ (S. 267).

Enthusiastisch spricht Michel von der Zukunft der Menschheit: „Oh ja, ich träume schon von der Zeit, da alle Brot haben werden, von der Zeit, da die Wissenschaft die Köchin der Menschheit sein werde“ (105); „die Kunst für alle, die Wissenschaft für alle, das Brot für alle; hat die Unwissenheit nicht genug Unheil angerichtet, ist das Privileg des Wissens nicht schrecklicher als das des Goldes!“ (S. 171). „Ja, gewiss, der Mensch der Zukunft wird neue Sinne haben! Man spürt sie im Menschen unserer Epoche sprießen.“ (S. 171).

Ein positives Menschenbild, der altruistische Einsatz aller persönlichen Kräfte, der Versuch, in historischen Situationen eines Machtvakuums diese Macht nicht zu übernehmen, sondern sie auf alle Menschen zu verteilen, die dann gemeinsam in Freiheit leben – diese Überzeugungen Louise Michels und ihrer Genoss*innen in der Pariser Kommune sehe ich als Gründe an, warum die Kommune seit 150 Jahren so eine Faszination auf undogmatische Linke ausübt.

Louise Michel: Memoiren. Erinnerungen einer Kommunardin. (Klassiker der Sozialrevolte 27) Herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Jörn Essig-Gutschmidt. Unrast, Münster 2017. Frz. Original 1886 erschienen. 368 Seiten. ISBN: 978-3-89771-925-5

(Dieser Artikel basiert auf folgender Rezension: Vera Bianchi: Louise Michel: Memoiren. Erinnerungen einer Kommunardin. In: Arbeit – Bewegung – Geschichte II/2018, Berlin 2018, S. 228-231)

Autorin: Vera Bianchi
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 18.03.2021
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