Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Im Moment befinden wir uns zwar mitten im grauen Winter. Vielleicht ist es gerade deshalb vergnüglich, mit einem Gärtnerinnen-Buch die Vorfreude auf die Zeit zu unterstützen, wenn alles wieder sprießt und blüht. Ich selber bin alles andere als eine leidenschaftliche Botanikerin und interessiere mich nicht besonders für Pflanzen, Insekten und Vögel.
Und überhaupt, was hat das Buch, zwischen dessen Seiten und Zeilen akribisch gezeichnete Käfer, Ameisen und Spinnen herumkrabbeln, in einem philosophisch-politischen Denkforum zu suchen? Aber es ist eben nicht nur ein naturverbundenes Sachbuch, sondern auch ein hochpolitisches Buch. Nach 286 höchst amüsant zu lesenden Seiten lauten die letzten beiden Sätze: „Es lebe die Revolution! Tod den Petunien, Friede den Unkräutern.“ Und dieser Ton zieht sich durch das ganze Buch. Die Autorin Christiane Habermalz, eine Journalistin in der Großstadt Berlin, wirft einen ganz anderen Blick auf unsere herkömmliche Gartenkultur. Die schönen Forsythien, über deren erste Blüten wir uns im Frühjahr so freuen, werden in ihrem Buch „die gelbe Osterpest“ genannt – weil sie keinerlei Nahrung für die ersten Bienen im Frühjahr bieten.
Das ist nämlich das Anliegen der Autorin, einen Lebensraum für Insekten jeglicher Art zu erhalten und auf den bedrohlichen Rückgang ihrer Anzahl und ihrer Vielfalt aufmerksam zu machen. Noch nie habe ich jemand so fasziniert von dem Gedränge der Hummeln am blau blühenden Natternkopf, von der Vielzahl Wildbienen, vom Familienleben der Ohrenkneifer oder vom Gesang der Grillen erzählen hören. Grillen übrigens, die in einem Berliner Supermarkt als Reptilienfutter angeboten werden und die die experimentierende Autorin im Eierkarton nach Hause schleppt, um sie auf ihrem Dachgarten freizulassen. Dass eines dieser Heimchen sich in einer Ritze unter dem Schlafzimmer der Nachbarin eingenistet hat und dieser mit ihrem Zirpen den Schlaf raubt, gehört zu den Dingen, die sie nicht einkalkuliert hatte.
Die meisten Menschen fühlen sich eher genervt von jeglichem herumfliegenden Getier, das sie mit Mückenstichen und Ungeziefer in Verbindung bringen. Dass wir die proteinreichen Insekten – und zwar viele davon – brauchen, wenn wir die Singvögel in unseren Gärten und in der Natur behalten wollen, das erklärt Christiane Habermalz. Eigentlich war das der Ausgangspunkt ihres Interesses für Insekten und Spinnentiere. Sie sah sie in erster Linie als Vogelfutter, denn ihre ursprüngliche Liebe gehörte den Vögeln. Doch davon gibt es immer weniger. In Europa leben heute über 420 Millionen weniger Vögel, als vor 30 Jahren. Eine Zahl, die ich kaum glauben kann und die mit der Dezimierung von Insekten zusammenhängt. Im Buch zitiert sie Studien, nach denen in den letzten zehn Jahren die Gesamtmasse der Insekten im Offenland um 67 Prozent und im Wald um 40 Prozent und die Anzahl der Arten um ein Drittel zurückgegangen ist. Das ist in der Tat besorgniserregend und dementsprechend politisch! Denn ohne die entsprechenden Pflanzen und giftfreie Zonen keine Insekten. Faszinierend, wie sie die Kreisläufe beschreibt, nach denen bestimmte Käfer oder Bienen auf bestimmte (Un-) Kräuter angewiesen sind. Und hier schließt sich der Kreis, denn ich berichte ja von dem Buch einer bekennenden Guerilla-Gärtnerin. Um Krabbel-und Fliegtierchen aller Art einen Lebensraum zu bieten, sät Christine Habermalz mit Leidenschaft genau das aus, was durchschnittliche Hobbygärtner*innen als Unkraut aus ihren gepflegten Einfamilienhaus-Gärten herausreißen. Sie macht es mit Augenzwinkern und revolutionärem Geist, schleicht in der Abenddämmerung oder frühmorgens durch die Parks und versteckt dort ihre ‚Samenbomben‘. Dabei freut sie sich an der Vielfalt und Zähigkeit im Pflanzenreich und wundert sich, wo überall die ausgefallensten Wildkräuter sich mit ihren Wurzeln verankern.
Immer wieder weist sie darauf hin, dass es die Menschen sind, die den Insekten und den Pflanzen ihren Lebensraum rauben oder durch chemische Schädlingsbekämpfung zerstören. Das sind Probleme unseres Zusammenlebens, die politisch gelöst werden müssen und können.
Ich habe viel gelernt bei der Lektüre dieses lehrreichen und unterhaltsamen Gärtnerinnenbuches, weiß nun zum Beispiel, dass das Gestrüpp, das im Hochsommer leuchtend blau am Bordstein unserer Straße blüht, Wegwarte heißt. Mit viel Nektar und Pollen bietet sie Insekten aller Art einen reich gedeckten Tisch. Oder dass Marienkäfer, Hainschwebfliegen und Gallmücken die effektivsten Blattlausvertilger sind. Wieder und wieder zum Schmunzeln anregend nimmt uns die Autorin, die eigentlich Hörfunkjournalistin ist, mit in ihren Alltag, der, wann und wo immer es geht, geprägt ist von der Für-Sorge für Unkräuter, Insekten und Vögel. Sie sammelt Totholz, um den Juchtenkäfer auf ihrem Berliner Dachgarten anzusiedeln, baut Insektenhotels in großem Stil aus hässlichen Betonhohlsteinen oder streift Samen von Wildpflanzen ab, um sie dann auf Verkehrsinseln mitten in der Stadt wieder auszusäen. Wissend, dass das, was sie tut nicht die ganze Welt verändert, ist es ihr trotzdem ein Herzensanliegen, unbebaute Brachflächen in ihrer Stadt oder versteckte Ecken in den öffentlichen Parks wenigstens vorübergehend in blühende Oasen für die Insekten zu verwandeln.
Dieses Buch hat mich begeistert und dazu angeregt, genauer zu überlegen, welche Pflanzen ich im Frühjahr für Balkon und Terrasse auswähle und die Forsythie in unserem Garten über kurz oder lang durch die ebenfalls gelb blühende Kornelkirsche zu ersetzen. Den allseits beliebten, aber ökologisch völlig sinnlosen, Kirschlorbeer haben wir zum Glück in unserem Garten gar nicht erst gepflanzt, denn, auch das habe ich aus dem Buch gelernt, er ist nutzlos für Insekten und außerdem hochgiftig. Ob ich allerdings als Bombenwerferin durchstarte und mit dem Familienrezept der Autorin Unkrautsamenbomben basteln werde, das weiß ich noch nicht.
Christiane Habermalz, Anstiftung zum gärtnerischen Ungehorsam, Bekenntnisse einer Guerillagärtnerin, Heyne Taschenbuch 60547, München 2020, 286 S., 9,99 €.