Forum für Philosophie und Politik
Von Adelheid Ohlig
Männer in Kamelhaarmänteln – ein Titel wie für einen spannenden Film, dachte ich und wurde neugierig. Der jugendliche Dandy auf dem Titelblatt, mit einem Fuss tänzelnd, keck und kess in die Welt schauend, weckt weitere Neugier. Die ersten Sätze liessen mich dann mit dem Buch zur Kasse des Buchladens gehen.
“Protect me from what I want”, so geht es mit dem Wünschen los. Und bald stellt sich die Frage „Machen Kleider Leute?“ Beim Lesen wird klar: die Antwort lautet Ja. Haben wir schon immer geahnt, auch wenn wir gern unabhängig von Äusserlichkeiten wären.
Elke Heidenreich wirft liebevolle Blicke auf ihre eigene Kleidungsgeschichte, lässt in einem Brief an die 16jährige Elke die Unsicherheiten der Pubertät, das Unwohlsein im eigenen Körper aufleben. Sie integriert das ernste, traurige Mädchen, das ihr aus einem Jugendfoto entgegenschaut, in ihr heutiges Leben. Sie betrachtet die Kleidung der Menschen um sie herum, macht sich vergnügliche Gedanken dazu.
Köstlich ihr Auftritt bei den Salzburger Festspielen, wo die feschen Damen der österreichischen Gesellschaft in der Toilette Heidenreichs Eröffnungsvortrag loben, ihr das Fesch sein allerdings absprechen. Heidenreich kommt aus der Toilettentür und sagt: „Aber fesch sind doch Sie!“
Heidenreich holt Modezaren und andere sogenannte Grössen von ihren Sockeln, spricht ihnen Vorbildfunktionen ab. Anhand der Röcke, Blusen, Schleifen ihrer Kindheit, an den Kleidern ihrer Mutter entfaltet die Autorin einen Teil ihrer Biographie. Tante Ernis Fähigkeiten und Fertigkeiten als Schneiderin werden geehrt und liebevoll erinnert. Die Moden der 1950er und 1960er Jahre erstehen vor dem inneren Auge dank Elke Heidenreichs detaillierten Beschreibungen.
Hier tauchen die Männer in Kamelhaarmänteln auf, besonders einer: ihr Vater. Da dieser tot ist, braucht sie keine anderen Männer in solchen Mänteln mehr.
Heidenreich kauft Schönheit, auch Stücke, die sie, da unpassende Grösse, gar nicht anziehen kann. Dann hängt sie das hellgraue in Venedig gekaufte Samtseidenkleid aus edler Schneiderkunst zum Träumen ins Schlafzimmer.
Und ich nehme mir vor, weniger auf die „weg damit“ Ratgeber zu hören – eine dieser AusräumspezialistInnen kommt übrigens auch vor – sondern mehr den Geschichten zu lauschen oder mir selber welche auszudenken.
Der Dandy auf dem Umschlagbild ist Frida Kahlo, die wir sonst in Farben- und Formenpracht kennen. Auch Fridas Kleidern ist eine Geschichte gewidmet.
Elke Heidenreich, Männer in Kamelhaarmänteln – Kurze Geschichten über Kleider und Leute, Hanser Verlag München 2020, 223 Seiten, 22 Euro.
Es gibt Menschen, die sehen immer gut aus, egal was sie anhaben. und andere sehen um so besser aus, je fescher sie sich kleiden.
Daneben gibt es aber auch Menschen, die in sehr vielen Kleidungsstücken leiden, die die Stoffe nicht vertragen, die Farben nicht aushalten, die in besonders edlen Roben Schweißausbrüche bekommen und Lähmungserscheinungen, wenn die Strumpfhosen aus Wolle sind.
Hoffentlich steht über diese Menschen auch was in dem Buch.
Die prunkvollen großartigen “Kleider” ablegen, das Loslassen, ist nicht unbedingt ein
Zeichen von Stärke. Mir imponieren manchmal gerade die “Zeitgenossinnen”,
die sich für das Gegenteil entscheiden. Vllt tun sie das Falsche aus “Nonnen/Mönchssicht”,
aber immerhin, sie s p r i n g e n. Es gehört in gewissen philosophischen Kreisen ja sehr viel Mut dazu, eben nicht alles Weltliche abzulegen, vielmehr sich wie
z.B. Elke Heidenreich ein prächtiges Samtkleid aus Venedig ins Blickfeld zu rücken,
ins Schlafzimmer. Cool!
Wenn ich mir alte Fotos von mir ansehe muss ich oft schmunzeln, – manchmal entspricht die Kleidung dem Zeitgeist und manchmal nicht. Ich kann daraus ersehen wie ich zu dieser Zeit mit meinem Sein in der Welt war – dafür oder dagegen / unsicher oder provokativ, etc.
Nun habe ich vor einigen Wochen das autofiktionale Märchen „Die Alte Kaiserin und das Kleine Ich“ geschrieben. In diesem Märchen geht es u.a. auch um Kleidung:
„ Sie hat ihre Kleider abgelegt. Eins nach dem anderen.
Viele Schichten der Pracht, des Prunk und der Großartigkeit.
Mühsam war das ablegen.
Lange hat es gedauert.
Erst schien es ihr, als ob sie selbst die Kleidung wäre.
Als ob sie in ihre Haut eingewachsen wäre.
Die Ablösung tat weh. Sie schmerzte.
Und Angst ergriff sie.
Ein kleines Mädchen schrie „Schaut, die Kaiserin ist nackt“.
Und dann schämte sie sich.
Stand da.
Ohne Kleider.
Nackt und bloß.“
Die Buchbeschreibung hat mich neugierig gemacht, liebe Adelheid Ohlig, danke!