Forum für Philosophie und Politik
Von Cornelia Roth
Schon länger frage ich mich, warum sich so wenige Feministinnen mit dem Klimawandel beschäftigen. Neulich fragte ich eine Freundin: Kann es sein, dass sie sich durch die Ökofeministinnen der 80-er und 90er gebremst fühlen? Stimmt genau!, sagte meine Freundin. Ich bin mit dem einen Bein Differenzfeministin, gelegentliche Queersympathisantin und keine Ahnung was. Mit dem anderen Bein bin ich eine Ökofeministin.
Wenn eine Ökofeminismus abschreckend findet, bitte ich Sie, trotzdem weiterzulesen.
Ökofeminismus, das hieß damals zum Beispiel, Jahreszeitenfeste zu feiern. In den 90-er und 00-er Jahren habe ich mich mit meinen Freundinnen im Wald oder auf der Wiese getroffen. Wir haben versucht, uns in das einzubinden, was in der Natur gerade passiert. Zur Wintersonnenwende haben wir zum Beispiel frühmorgens im Dunkeln zugeschaut, wie der erste längere Tag anbricht. Wir haben Bezug auf unsere körperlichen Veränderungen als Frauen genommen. Spiritualität schwang im Ökofeminismus auch mit. Sie schloss die Vorstellung der Beseeltheit der Natur mit ein. Daraus ergab sich ein Bewusstsein von Verbundenheit.
Die Feste waren draußen. Es war sinnlich und es half, Rhythmus und Balance zu finden, das tat gut. Ökofeminismus bedeutete auch, für den Schutz der Natur zu kämpfen. Zum Beispiel wurde die Baueinfahrt der Nuklear-Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf tanzend blockiert.
Wir schrieben uns bei unseren Festen eine deutlich größere Kompetenz im Umgang mit der Natur und Bewahrung des Lebens zu als Männern. Da ist auch was dran. Frauen wurde Jahrhunderte lang die Rolle der sorgenden Hausfrau zugewiesen, die sich um das Wohlergehen aller kümmert, weiß, wie Leben wächst, die vorausschaut und sich verantwortlich fühlt – sprich Daseinskompetenz hat.
Das Problem war nur, dass im Ökofeminismus diese Kompetenz meist aus der Biologie statt aus der Tradition hergeleitet wurde – als Frauen sozusagen auf den Leib geschrieben. Das ist fragwürdig. Denn es kann eine Falle sein, wenn Frauen sich genau die Eigenschaften als natürlich zuschreiben, mit denen sie Jahrhunderte lang für dumm erklärt oder ins Haus eingesperrt wurden. Herrschende haben immer Zuschreibungen geschürt, um Gefangenschaft und Ausbeutung zu rechtfertigen – oder wenigstens Vorschriften zu machen.
Also: deswegen sich bloß nicht in Richtung Natur outen? Womöglich noch kombiniert mit bunten Röcken, andächtigen Gesängen und Bäume umarmen?! – Letzteres muss ja auch Keine, wenn sie dazu keine Lust hat.
Aber sich in Richtung Natur outen ist nötig. Wie wir in unseren Breiten mit ihr umgehen, finde ich einem Rassismus und Kolonialismus ähnlich. Besonders bei uns auf der nordwestlichen Halbkugel gilt die Gattung Mensch als die Krone der Schöpfung und wird allen anderen Lebewesen gegenübergestellt. Historisch wurde sich auf die biblische Schöpfungsgeschichte berufen bzw. auf ihre gängige Deutung: “Macht euch die Erde untertan!” Das heißt: die Natur ist für den Gebrauch durch die Menschen geschaffen. Dieses Zweckdenken haben wir völlig verinnerlicht, es wird ganz ähnlich gerechtfertigt wie bei rassistischen Erzählungen: andere Lebewesen sind “instinktgetrieben”, “vegetativ”, “fühlen nichts”. Schlussfolgerung: “Nützlinge” züchten, “Schädlinge” ausmerzen.
Viele denken, der Kapitalismus ist die Wurzel des ganzen Problems. Ich glaube das nicht. Spätestens mit dem Denken der Philosophen des klassischen Griechenlands wurde der Mann als Vertreter des Menschen und des Geistes und die Frau als Sonderfall des Menschen und der Natur eingeordnet, verbunden mit einer postulierten Höherwertigkeit des Mannes selbstverständlich. Die Frau war dazu da, zusammen mit Sklaven, Kindern und den “natürlichen Ressourcen” dafür zu sorgen, dass der Mann denken und politisieren konnte – und um das “Gefäß für seinen Samen” bereitzustellen. So sehen sich die meisten Frauen in unserer Kultur heute nicht – aber das ist nach wie vor die Sichtweise unserer nordwestlichen Kultur auf alle anderen Lebewesen (und außerdem gibt es dieses Nutzendenken gegenüber Migrant*innen).
Der Kapitalismus befeuert dieses Denken und Handeln, weil die selbstverständliche kostenlose Verwendung der “Natur”-Mitwelt ihre direkte Basis ist – wie auch die unentgeltliche Haus- und Pflegearbeit von Frauen. Beides kommt in der Volkswirtschaftslehre nicht einmal vor, gehört ja zur Sphäre des “Natürlichen” oder des “Privaten”, irgendwo da draußen.
Können Worte helfen, aus dem Schlamassel herauszufinden, eine andere Haltung einzunehmen?
Wir erkennen die Natur gar nicht als Mitwelt, weil wir sie als benützbares Drumherum sehen. So geht es jedenfalls mir meistens. An diesem Punkt denken Frauen in der Regel nicht viel anders als Männer. Diese Sicht ist auch praktisch, sozusagen angenehme Rücksichtslosigkeit: Rücksicht (Respekt) sehe ich daher als ein Schlüsselwort für die Situation. Ganz wörtlich, zurückzuschauen, sich umzuschauen: WER ist hier eigentlich? Und aus der Sonderstellung sich in die Mitwelt zu begeben, auch wenn das Wort erstmal noch seltsam klingt.
Wie beim Thema Kolonialismus ist Wiedergutmachung nötig, also nicht nur weniger nehmen, sondern Sorge tragen, dass sich die lebende Welt fortlaufend regenerieren und auffrischen kann. Passend finde ich dafür das Wort Großzügigkeit, das die Ökonomin Kate Raworth ins Spiel gebracht hat.
Warum sollen sich gerade Feministinnen mit Klimawandel und Natur-Mitwelt beschäftigen? Weil Frauen schon immer die Welt gestalten und sich nicht nur um sogenannte Fraueninteressen kümmern. Und weil Frauen beim Thema Daseinskompetenz einen Haufen Ahnung haben samt feministischen Forschungen, die für viele Veränderungen richtungsweisend sein können.
Und weil es Spaß macht! Das Eintreten für Klimagerechtigkeit bedeutet heute, für neue Möglichkeiten zu sorgen: des Zusammenlebens, der Versorgung, des Sorgens füreinander, des Essens, des Wohnens, des Arbeitens, der Städteplanung, des Landwirtschaftens, des Wirtschaftens überhaupt, das heißt: für die gesamte Art zu leben. Und es wird ja nicht nur diskutiert, sondern an vielen Ecken schon angefangen mit dem Ausprobieren.
Also: Klimagerechtigkeit ist feministisch!
Ja, Juliane, das glaube ich auch. Nur scheint mir in der feministischen Diskussion der Klimawandel keine so grosse Rolle zu spielen wie zum Beispiel die Care-Krise. Und das glaube ich hängt zusammen mit feministischen Blockaden beim Thema “Natur”.
Liebe Cornelia,
vielen Dank für den Text – ich freue mich über die neuen Betrachtungen der Wörter (deine Gedanken zu “Rücksicht” sind sehr spannend und regen zum weiteren Nachdenken an).
Dass der Graben zwischen heutiger Feminist*innen-Generation und den Klima-Aktivist*innen groß ist, will ich verneinen (wegen mir selbst) und muss ich bestätigen, leider, zum Beispiel über das Buch “Handeln statt hoffen” von Carola Rackete, das mich umtreibt. Ich stutzte bei der Berufsbezeichnung, Rackete ist – so mein Sprachgebrauch – Kapitänin. Sie selbst bezeichnet sich aber als Kapitän:
“Ja, Kapitän. Nicht Kapitänin, ich mag das Wort nicht. Kapitän ist die korrekte Bezeichnung für diesen Beruf. Und ich weiß ja, dass ich eine Frau bin.”
Da ist er, der Graben.
Ihr könnt ja wieder mal das lesen und es gleich noch an Carola Rackete schicken :-) https://www.boell.de/de/2015/02/19/wirtschaft-ist-care-oder-die-wiederentdeckung-des-selbstverstaendlichen?dimension1=ds_feminismus
Mir wird nach dem Lesen deines Artikels sehr bewusst, dass es in dieser Hinsicht Kreise gibt, die sich schließen und Wege, die sich trennen bzw. schon vor langer Zeit getrennt haben.
Und irgendwie merke ich jetzt, dass das auch ein nachvollziehbarer Zusammenhang ist. Manchmal gehen Dinge verloren und manchmal bekommen sie eine neue Funktion.
Will mir gerade selbst damit sagen, dass es zwar traurig ist, immer wieder von Neuem beginnen zu müssen, aber dass das auch Begleiterscheinung eines lebendigen Prozesses ist.
Vielen Dank, Anne!
Du hast recht, in der Klimabewegung sind viele junge Feministinnen und Feministen unterwegs. Ich höre die geschlechtergerechte Sprache auf den Demonstrationen, ich sehe die vielen Sprecherinnen und die weiblichen Gesichter der Bewegung. Und das schlägt sich auch in den Diskussionen nieder. Zum Beispiel habe ich an einer “Planungszelle” teilgenommen, in der – von Fridays for Future organisiert – ausprobiert wurde, wie zufällig zusammengewürfelte Teilnehmer*innen lösungsorientiert über eine CO2-Steuer diskutieren. Wir waren zwei Frauen und zwei Männer. Bei uns zwei Frauen war eine Priorität eine Vorab-Folgenabschätzung – also ein vorausschauendes Denken, das Frauen im Umgang mit Kindern und einem Haushalt seit Jahrhunderten gewöhnt sind. Die beiden Männer hatten andere Prioritäten. Unsere Priorität könnte man ein Ergebnis weiblicher Denkkultur nennen, sie ist unverzichtbar.
Was ich in meinem Artikel meine, ist der feministische Diskurs. Da kommen Klimawandel und die Natur, finde ich, eher am Rande vor – fast ein bisschen wie “mitgemeint”. Ich glaube das hat mit einer Spannung im feministischen Diskurs zu tun, wenn es um “Natur” geht, nämlich was ist dann bitte “natürlich”? Das plagt uns ja dauernd. Auch wenn auf einer ganz allgemeinen Ebene schon lange geklärt ist, dass die Gegenüberstellung von Natur und Kultur Quatsch ist (siehe Ina Praetorius Arbeiten).
Was ich überlege, ist, ob man die Mitlebewesen unter dem Motto “Müssen wir anders behandeln und für sie Sorge tragen” sehen kann. Kolonialisierte Völker haben sich meines Wissens dagegen verwahrt. Sie verlangen Respekt und Wiedergutmachung vor der Fürsorge. Manche Menschen haben automatisch solch eine respektvolle Haltung gegenüber den Mitlebewesen, verbunden mit Liebe. Aber die passenden Worte dafür finde ich sind noch nicht klar. Auch, welchen Platz das Wort “Verbundenheit” dabei hat.
Liebe Barbara, liebe Sammelmappe, danke für Eure Kommentare!
Dein Artikel, Cornelia, animiert mich, den Satz, “Feminismus ist gut für Frauen, Kinder und Männer” den ich mantramässig wiederhole, zu erweitern: “Feminismus ist gut für Frauen, Kinder, Männer und die Welt”. Denn ohne Sorge für die Welt/Natur ist weder für Frauen, noch für Kinder und Männer irgendwas gut. Meine Erfahrung ist die, dass die meisten Feministinnen das große Ganze im Blick haben und versuchen, die Welt auf vielen Ebenen zu gestalten.