Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
In ihrem Buch wagt die Autorin Thea Unteregger den Spagat, ausgewählte Göttinnen auf der historischen und der spirituellen Ebene vorzustellen – wobei die spirituelle Interpretation der Göttinnen ihr das wichtigere Anliegen ist. So zeigt sie ausführlich die Aspekte auf, für die die jeweilige Göttin zuständig ist und gibt Anleitungen, wie die Leser*innen sich diesen Aspekten nähern oder sich mit der Göttin verbinden können. Was das Buch besonders macht ist, dass Thea Unteregger für jede Göttin ein bildnerisch abstrahiertes Zeichen entworfen hat, das mit ihrer inneren Vision der jeweiligen Göttin zu tun hat oder sich an die historischen Funde anlehnt. Dazu gibt es ein eigenes Kartenset für diejenigen, die sich meditierend den Kräften der Göttinnen nähern wollen. Buch und Kartenset sehe ich als ernst zu nehmendes und gelungenes Angebot für Menschen, die in den herkömmlichen Religionen nicht die spirituelle Nahrung bekommen, die sie suchen. Wer den eigenen Horizont erweitern oder anerzogene Muster überwinden möchte, bekommt hier Hilfestellung.
Ebenso interessant finde ich jedoch die historischen Erklärungen zu den Göttinnen: Woher kommen sie? Wie kamen sie in den Alpenraum? Wie wurden sie von wem verehrt? Fast immer sind es vielschichtige Figuren, in die oft auch lokale Traditionen integriert wurden. Oder wir finden im Christentum Anklänge an die alten Kulte. So erläutert Thea Unteregger, dass die Körperhaltung der uralten ägyptischen Muttergöttin Isis mit dem Horusknaben für Maria mit dem Jesuskind übernommen wurde. Und auch die Titel der Isis wie ‚Stern des Meeres‘, ‚Gottesgebärerin‘ oder ‚Himmelskönigin‘ gingen auf Maria über. Dass Isis nicht nur in Ägypten verehrt wurde sondern mit den Römern auch in die Alpen gelangt ist, wusste ich zum Beispiel vorher nicht,
Die Göttinnen stammen aber nicht nur aus der ägyptisch-griechisch-römischen Mythologie, sondern auch aus dem keltischen Horizont. Deren Interpretation – darauf weist die Autorin hin – ist noch weitaus schwieriger, weil es von den Kelten keine eigenen schriftlichen Überlieferungen gibt. Wir wissen nur das, was die Römer – durch ihre Brille gesehen – über sie aufgeschrieben haben. In einer dritten Kategorie werden Göttinnen vorgestellt, die die Autorin den alpenländischen Sagen und Mythen entnommen hat, etwa die Frau Percht oder die Saligen, die wilden, weisen Frauen, die Milde und Güte zu den Menschen bringen. Im letzten Oberkapitel schließlich stellt Thea Unteregger urzeitliche Frauenfiguren vor, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurden und interpretiert sie, da sie aufwendig hergestellt waren, vorsichtig als göttliche Frauen: „Jenseits der Wissenschaft steht es uns frei, uns von diesen Figuren berühren und inspirieren zu lassen“. Und sie fragt, welche Botschaften für uns durch all die Jahrtausende wohl hindurchklingen?
Insgesamt ist es ein spielerischer und phantasievoller Umgang mit uraltem Wissen, zu dem die Autorin ermuntert. Wer Freude an sowas hat, findet hier vielfache Anregungen und Impulse. Und wer bei Touren in den Alpen schon mal den Zauber mystischer Gebirgsstimmung erlebt hat, kann leicht nachvollziehen, warum Margriata, Tanna, Merisana, Samblana, Dolasilla, Luyanta oder Befana dort zu Hause sind.
Thea Unteregger, 28 Göttinnen, Auf den Spuren weiblicher Kulte im Alpenraum, Edition Raetia Bozen 2020, 240 Seiten, 27,50 €.