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Rubrik hervorbringen

Mut zum Blut

Von Heike Brunner

Menstruation with a pride. Oil on Canvas. 215 x 275
2010-11 Copyright Sarah Mapel

60 Jahre Pille

Vor sechzig Jahren kam die Pille in den USA auf den Markt. Seit 1961 ist sie im ehemaligen Westdeutschland erhältlich gewesen, ab 1965 im ehemaligen Ostdeutschland.

Ihr Siegeszug wurde mit der kostenfreien Abgabe begünstigt; die sexuelle Revolution, der Pillenknick – alles bekanntes Vokabular, das zu dieser Zeit und dem Thema gehört.

Um die Nebenwirkungen wurde und wird gerungen und um die Einnahme bis heute kontrovers diskutiert. Fakt ist, dass es aber einen ganz neuen Knick der Pille gibt: den der Pillen-unwilligen oder -scheueren Generation. Eine aktuelle Studie zeichnet dieses Bild zumindest in Deutschland: Junge Frauen sind der Pille offenbar kritischer gegenüber eingestellt – oder sind sie vergesslicher und undisziplinierter?

Die Pharmaindustrie arbeitet weiter daran, die Pille an die junge Frau zu bekommen. (Siehe TK Pillenreport 2015, S. 30 folgende.) Die Pille gänzlich ohne Blutung wird nun angepriesen und dies auch von einer sonst eher kritischen deutschen Kabarettistin. Abgesehen davon, dass die Hygienemittelindustrie dann finanzielle Einbußen hätte, hätte aber die Pharmaindustrie ein schönes neues Verdienstpäckchen: Frauen, die fünf Tage zusätzlich die Pille einnähmen, damit sie gar keine Blutung mehr bekämen, sorgten für fünf oder sechs Pillchen mehr pro Kopf. Das summiert sich bei ca. 150 Millionen weltweiten Userinen pro Tag.

Blood-shaming und Let it free-bleed

Ganz anders treten jungen Feministinnen dazu auf und dies nicht nur in Deutschland. Da ist die “Let it free-bleed” Bewegung zu nennen: Feministinnen, die es satthaben, ihre Menstruation zu verstecken und offensiv damit umgehen. Das (letzte) Zeichen eines vorhandenen Rhythmus und der spezifischen Besonderheit von Frauen bluten zu können, möchten diese keinesfalls wegradiert bekommen. Sich nicht länger von Hygiene Artikeln der eigenen weiblichen Kraft berauben zu lassen wurde Thema, spätestens mit der Elite Sportlerin Kiran Gandhi, die 2015 ohne Binde an den Start ging, worüber dann auch Brigitte berichtete. Künstlerinnen wie unsere Titelbildgeberin Sarah Mapel oder Marisa Carnesky and the Menstronauts und viele andere starteten spätestens ab den 10er-Jahren des neuen Jahrtausends dazu mit Ausstellungen, Installationen oder Performances und regten die öffentlichen Diskurse rund ums Bluten neu an und auf.

Zyklus zu haben, ist eine Entdeckungsreise wert

Die Menstruationsberatungen und Zyklusworkshops der Frauengesundhgeitszentren (FFGZ) haben verstärkten Zulauf, erfahre ich im Gespräch mit Taina Engineer. Vor zwei Jahren starte sie als junge Nachwuchsaktive im FFGZ Berlin. Seit 1974 werden dort Beratungsangebote und Kurse zu Frauengesundheit angeboten und die hauseigene Zeitschrift, die Clio erstellt. Als Sexualpädagogin war sie an der Entwicklung eines neuen Zyklus- und Menstruationsberatungsangebot beteiligt. Sogar für sie selbst, sagt sie, habe sich mit dem Erleben in den Kursen vieles an ihrer Sicht auf die Menstruation neu und positiv verändert. Und auch wenn Taina Engineer großer Fan von natürlichen Zyklen ist, so ist es ihr hinsichtlich der Pilleneinnahme wichtig, Frauen nicht zu bevormunden und jede individuelle Entscheidung zu akzeptieren. Ziel des FFGZ ist es, betont sie, Frauen umfangreich zu Beraten und Wissen zu vermitteln, um sie so am Ende zu informierten und selbstbestimmten Entscheidungen zu befähigen.

Zu den Beratungen kommen Frauen mit hohem Leidensdruck und den unterschiedlichsten körperlichen und psychischen Beschwerden, von Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Depression bis hin zu den Krämpfen. Aber auch jene, die weg von der Pille möchten und nach Alternativen suchen. Die Altersgruppen sind sehr unterschiedlich, junge 18-Jährige interessieren sich ebenso wie Frauen, die die 30 längst überschritten haben. Taina Engineer berichtet, dass über die Beratungen die Frauen dann in die Workshops finden. Dort geht es zunächst viel um die Biologie, darum, die verschiedenen hormonellen Phasen kennenzulernen. Es gilt, Zeiten für Aktivität auf der einen Seite und Rückzug und Kreativität auf der anderen mit den Körperzyklen zu entdecken und bewusst zu nutzen. Als weiteren Beratungsbereich zur Menstruation bekommen die Frauen sehr gute Informationen zu den inzwischen weiter entwickelten Hygieneprodukten jenseits von Tampon und Wegwerfbinde.

Pille und Depression und Tabu

Die eigene Kraft zu erleben, den eigenen Zyklus zu erleben und zu entdecken, motiviert viele Frauen, die Pille abzulehnen – das begegnet mir in meiner Praxis als Heilpraktikerin. Das Bluten zudem nicht länger als beschämend erleben zu wollen, sondern selber zu gestalten, darüber schrieben schon vor fast 20 Jahren Autorinnen wie Dagmar Margotsdotter-Fricke, in: Menstruation- von der Ohnmacht zur Macht. Sie machte Straßeninterviews, die sie mit der offenen Frage: “Haben Sie/hast Du schon mal geblutet?” * startete; die Reaktionen spiegeln das Tabu nur zu deutlich.

Erwähnen möchte ich im Zusammenhang mit‚ ‘60 Jahre Pille’ noch die aktuelle Aussage der Oberärztin Dr. Vanadin Seifert-Klauss aus München. Auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie gab sie Anfang September 2020 zu bedenken, dass den Frauen die Potenz Leben geben zu können, mit der Pille emotional genommen werde und dies zu Depressionen führen könne. Tatsächlich ist diese Nebenwirkung aufgrund einer Studie auf den Beipackzetteln zu finden und insbesondere sehr junge Frauen sollen betroffen sein.

Es geht also um Potenz, um Kraft, und nicht nur um ein bisschen Blut, das den Schlüpfer beschmutzt. „Mut zum Blut!“ sage ich da, als eine, die sich gerade von ihrem Blut verabschiedet hat. Mit 15 Jahren hatte auch ich die Pille für drei Monate genommen, um sie dann wütend in die Ecke zu werfen. Ein Zyklus in Pfeilrichtung auf einem Packungsblister war mir unerträglich. Die Nebenwirkungen auch: Aufgequollen, plötzlich verschieden große Brüste, sodass ich wegen Verdachts auf Krebs sogar zur Ultraschalldiagnostik fahren musste und das schlimmste: eingeschlafene Libido, kaum dass sie erwacht war. Ein Büchlein wurde mein Leitfaden: Natürliche Geburtenkontrolle von Magaret Nofzinger. Der Freundin meiner Mutter, die es mir schenkte, bin ich noch heute sehr dankbar dafür.

Autorin: Heike Brunner
Redakteurin: Heike Brunner
Eingestellt am: 13.09.2020
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Brigitte Leyh sagt:

    Sehr interessante Gedanken. Trotzdem: Die Pille bedeutete für mich jahrzehntelang, frei von Angst vor Schwangerschaft zu sein. Ich hatte nie Probleme damit und hätte sie liebend gerne ohne Pause durchgenommen, wenn ich gewusst hätte, dass das Pausieren unnötig war.

  • Ja, auch ich erfahre in meinen Luna Yoga Kursen die Neugier der jungen Frauen, was alles körperlich selbst zu bestimmen ist. Mit Luna Yoga lässt sich nämlich dank ausgleichender Übungen der Zyklus in seiner natürlichen Weise erfahren. Durch die Stärkung der Beckenmuskulatur kann mit der Menstruation ebenso verfahren werden wie mit den anderen Ausscheidungen: so wie frau spürt, wann sie zur Toilette muss, können wir lernen, wann wir das Blut entlassen. In einigen Kulturen in Afrika und in Asien lernen Mädchen dies von Müttern oder Tanten.Im Luna Yoga geben wir dieses Körperwissen weiter.
    Eine wunderbare Erfahrung!

  • Ich habe die Pille in den 70gern 3 Jahre genommen – und erst nach dem Absetzen bemerkt, dass “Kopfweh” nicht zwingend zum Leben gehört!

    Dass dem Körper vorgegaukelt wird, frau sei schwanger, ist ein so tiefer Eingriff… das war mir damals nicht wirklich klar. Dass ich z.B. kaum Lust auf Sex hatte, war auch eine Pillenwirkung – im Kontext “Schwangerschaft” aber nachvollziehbar.

    Ich finds gut, wenn junge Frauen pillenkritischer werden. Und auch, dass es nicht alle toll finden, gar keinen Zyklus mehr zu haben. Dass mit Pille nur ein “Fake-Zyklus” erzeugt wurde, war mir damals auch nicht klar.

    Gleichzeitig finde ich den neuen “Kult ums Bluten” nicht besonders ansprechend. Mir ist das zuviel Bohei um körperliche Vorgänge. Die einen machen Körperoptimierungen, Identitätsfestigungen per Tattoos, Sporteln bis zum Schönheitsideal – die anderen vertiefen sich ins selbst bestimmte Bluten – mir kommt das alles vor wie eine Kompensation der gefühlten äußeren Machtlosigkeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene.

  • Heike sagt:

    Danke für Eure verschiedenen Perspektiven und Kommentare, es ist ein Thema was viel berührt, bewegt, privat und auch politisch ist und jede Generation anscheinend neu verhandelt.

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