Forum für Philosophie und Politik
Von Antje Schrupp
Das Verhältnis zwischen Geschlecht, Reproduktion und Elternrollen beschäftigt mich ja seit einer ganzen Weile. In meinem Buch „Schwangerwerdenkönnen“ (hier Dorothees Rezension), habe ich speziell den Aspekt der Reproduktion bearbeitet, der mir heute im Vergleich zu den Aspekten „Geschlecht“ und „Elternrollen“ zu kurz kommt. Aber natürlich lässt sich das nicht voneinander trennen, man muss es gemeinsam betrachten. In diesem Zusammenhang ist der Dokumentarfilm „(M)other“ von Antonia Hungerland sehenswert, denn er setzt sich mit dem Zusammenhang von Reproduktion, Mutterschaft und Familienformen auseinander.
Nicht nur das Muttersein ist derzeit übrigens in der Debatte, auch das Vatersein. Jochen König hat sich kürzlich einen veritablen Shitstorm eingehandelt, weil er vorschlägt, Vaterschaft – in Form von Sorgerecht – an das tatsächliche Sorgen und nicht ans Spermageben zu binden. Das ist natürlich eine originelle Idee, die Trennung von Elternrolle (Vaterschaft) und Reproduktion (Spermagabe) als solche auf der „männlichen“ Seite dieser Gleichung ist aber nichts wirklich Neues. Vielmehr war genau diese Trennung den Männern lange Zeit sogar so wichtig, dass sie das Recht des Spermagebers, die Vaterschaft zu verweigern, gesetzlich festgeschrieben haben, etwa mit dem Verbot der „Recherche de la paternité“ in Frankreich, wonach es im 19. Jahrhundert ausdrücklich verboten war, einen Mann gegen seinen Willen als „Vater“ zu outen.
Auf der „weiblichen“ Seite war das anders, da gilt seit den alten Römern der Rechtsgrundsatz „mater semper certa est“, also „Die Mutter ist immer sicher“, was bedeutet, dass eine Frau, die ein Kind gebiert, automatisch dessen Mutter ist und entsprechend dafür verantwortlich, es zu versorgen. Das steht im BGB heute noch so. Mit der Erfindung von Reproduktionstechnologien ist dieser Zusammenhang aber nicht mehr zwingend. Reproduktive Vaterschaft ist heute genauso „sicher“ festzustellen wie Mutterschaft, sie ist sogar eindeutiger, da in reproduktiver Hinsicht ein Kind zwar nur einen Spermageber, aber zwei biologische Mütter haben kann: Die Eizellengeberin und die Schwangere müssen nicht dieselbe Person sein.
Was bedeutet das nun für unsere Vorstellung von Elternschaft, von Familie, von Geschlecht, von Generationen? Antonia Hungerland hat sich diesem Thema genähert, indem sie Menschen befragt und portraitiert hat, die diesbezüglich in irgendeiner Weise neue Wege gehen: Frauen, die als Leihmütter für andere schwanger sind, Männerpaare, die Eltern sind, Mütter, die sich gegen traditionelle Zuschreibungen wehren. Genau solche Geschichten müssen wir hören und erzählen, um den Boden für neue freiheitliche Regelungen (sozialer und juristischer Art) zu diesem Thema zu finden.
Allerdings kam mir auch hier wieder der Fokus auf das Schwangerwerdenkönnen als körperlicher Prozess etwas zu kurz. Über die die körperlichen Belastungen, die mit dem Schwangerwerdenkönnen zusammenhängen, wurde relativ schnell hinweggegangen. Die eine Leihmutter erzählte einfach nur, dass sie immer super leichte Geburten hat. Ja gut, ist aber ja nicht immer so. Auch haben weder die intendierte Mutter (also die Frau, mit deren Eizelle eine der Leihmütter schwanger war) noch die Väter in dem Film über ihr Nicht-Schwangerwerdenkönnen und ein damit eventuell zusammenhängendes Bedauern gesprochen, obwohl doch diese biologische Ungleichheit (manche Menschen können schwanger werden, andere nicht) die die große Herausforderung ist, die wir bewältigen müssen, wenn wir uns von der heteronormativen Paarlogik verabschieden wollen. Es wäre zum Beispiel interessant, zu erfahren, ob es Unterschiede gibt, wenn ein Mann oder eine Frau nicht schwanger werden kann.
Ich vermute aber, es gehört zum Konzept des Films, weniger auf die körperlich-biologischen Aspekte von Mutterschaft als vielmehr auf die Beziehungen einzugehen: Wie konstituieren sich Familien, wenn die sexuell-reproduktiv-patriarchale Einheit von „Vater, Mutter, Kind“ sich auflöst?
Derzeit scheint in der Debatte der Fokus vor allem noch darauf zu liegen, unerwünschte Zuschreibung an „Mütterlichkeit“ zu kritisieren zurückzuweisen. Also sich dagegen zu wehren, dass Menschen, die geboren haben, unbedingt Mütter sein müssen, und dagegen, dass Menschen, die nicht gebären können, keine Kinder haben sollen. Das ist natürlich wichtig, aber ich fände es in dem Zusammenhang fast noch wichtiger, dabei auch die besondere Qualität und Bedeutung von „mütterlichem“ Handeln herauszuarbeiten.
Gerade wenn man Mutterschaft von Normierungen und Biologismen befreien will, ist es ja notwendig, sie anstelle von Klischees und angeblichen Natürlichkeiten mit sinnvollen Inhalten zu füllen. Der neutrale Begriff „Elternschaft“ reicht dafür meiner Ansicht nach nicht aus. Denn es ist zwar in der Tat falsch, zu behaupten, FRAUEN könnten bestimmte Dinge (Fürsorge etc.) besser als andere, weil sie Frauen sind. Es ist aber gleichzeitig richtig und wichtig, zu betonen, dass MÜTTER (unabhängig von Gender und reproduktiver Rolle) tatsächlich bestimmte Dinge besser können, weil sie Mütter sind. Zum Beispiel weil Menschen durch das Muttersein und die damit zusammenhängenden Erfahrungen im Umgang mit Ungleichheit (Erwachsene und Babys, Verantwortung für Abhängige usw.) eine Expertise haben, die Nicht-Müttern fehlt.
Dieser Aspekt kommt aber im Film durchaus vor. Besonders berührend fand ich die Szenen, in denen „praktizierte Mutterschaft“ gezeigt wurde, Mütterlichkeit in Aktion sozusagen. Erwachsene und Kinder, die in einer bestimmten Weise miteinander agieren, bei der man gegenseitige Verbundenheit, Nähe und Vertrautheit sieht, gleichzeitig aber Verantwortlichkeit und Zugewandtheit der Älteren, Vertrauen und Geborgenheit der Jüngeren.
Das Gute an einem Dokumentarfilm ist, dass sich diese Dinge zeigen lassen, ohne dass man sie aussprechen, erklären, erläutern, benennen muss. Aber auf diese Weise bleiben sie eben dann auch ungesagt, unerklärt, wie ein selbstverständliches Hintergrundrauschen, das aber nicht selbst im Vordergrund das Thema ist. Und in dieser Hinsicht entspricht auch auch (M)otherland der traditionellen Kultur unserer Gesellschaft, wonach die mütterliche Tätigkeit zwar die Dinge am Laufen hält, aber nicht wirklich der Rede wert ist, nicht eigens analysiert wird, sondern den Anschein macht, irgendwie „natürlicherweise“ vorausgesetzt werden zu können (nur eben nun nicht mehr ausschließlich bei Frauen, die geboren haben, sondern auch bei anderen Menschen, die Eltern werden).
Es aber wäre wichtig, dieses Geschehen zu thematisieren, weil: Die mütterliche „Expertise“ wenn man so will, die Menschen haben, die dauerhaft für ein Baby, ein Kind Verantwortung tragen und es ins Erwachsenwerden begleiten, fehlt ja nicht nur den Individuen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben (mir zum Beispiel). Sie fehlt vor allem als gesellschaftspolitische Kategorie, eben vor dem Hintergrund, dass das Muttersein privatisiert, „frauisiert“ usw. wurde. Hier gibt es noch so viel aufzuarbeiten und Patriarchatskritik zu üben, dass ich es bedenklich finde, wenn Begriffe wie „Mutter“ und „Vater“ in geschlechtsneutrale „Eltern“ aufgelöst werden.
„Mütter“ und „Väter“ sind nicht dasselbe, und sie werden auch nicht dasselbe, wenn man sie von bestimmten reproduktive Funktionen (Eizelle und Schwangerschaft vs. Sperma) und sozialen Geschlechterrollen (Weiblichkeit und Männlichkeit) löst. Mutterschaft und mütterliche Qualitäten haben vielmehr ein widerständiges Potenzial gegenüber dem Patriarchat, wenn ich das hier mal so pauschal behaupten darf. Mutterschaft ist nicht nur eine gewaltförmige Zuschreibung, die Leuten mit Uterus gegen ihren Willen übergestülpt wurde (obwohl sie das natürlich auch ist), sondern Mutterschaft bezeichnet ein soziales Verhältnis, das die reale Utopie (sic) einer neuen symbolischen und gesellschaftlichen Ordnung in sich trägt.
Die Mutter ist – in feministischer Tradition – eben nicht das weibliche Pendant zum Vater, weder in dem Sinne, dass sie einfach die weibliche Variante von „Elter“ ist, noch in dem Sinne, dass sie die komplementäre Ergänzung zum Vater ist. Beides sind patriarchale Erzählungen.
Die feministische Mutter steht für die Alternative einer Welt, die nicht mehr von Vaterordnungen strukturiert wird. Und diese feministische Mutter will ich im politischen Diskurs erhalten, auch wenn ich sie nicht mehr exklusiv „weiblich“ denke und auch nicht unbedingt als Uterusbesitzerin, sondern als kulturelle Figur, als Paradigma für eine nährende Beziehungsweise zwischen radikal Ungleichen. Die feministische Mutter sollte also ein echtes Role-Model sein für alle Menschen (sogar für die, die gar keine Kinder haben).
PS: Weil manche das vielleicht missverstehen könnten: Unter „feministische Mutter“ verstehe ich nicht eine Mutter, die selbst Feministin ist, wobei das natürlich nie schaden kann. Sondern ich meine ein feministisches Verständnis von Mutterschaft, also das, was Feministinnen in Müttern sehen.
Hier kann man den Film für 99 Cent streamen: https://www.pantaflix.com/de/m/764169
Liebe Antje Schrupp, danke für diese interessante Rezension des Films. Ich möchte zu bedenken geben, dass auch feministische lesbische Mütter noch einmal interessant wären zu befragen, gerade wenn die eine das Potenzial des Gebärens nutzt, und die andere dieses ungenutzt lässt . auch hier entfaltet sich Mütterlichkeit, und diese ist durchaus auch als Idee des role models feministisxhe Mütterlichkeit noch einmal interessant, weil sich hier nicht Elternschaft aus dem bipolaren Mutter und Vater Konstrukt entwickelt.
Gerade auch hetero feministische Perspektiven noch einmal gegen zu denken durch lesbisch feministische Lebensweisen, finde ich immer wieder interessant, weil sie mich als Hetero in meiner begrenzten denke auch offenbart.
Gruß
Corinna
Einerseits finde ich es schön, dass die Tätigkeit des “Mutterns”, des mütterlichen Handelns, so detailliert
herausgearbeitet wird und deutlich wird, wie essentiell diese Mütterlichkeit als Grundbedingung für unser aller Leben und für jedes neue Leben ist – aber leider gesellschaftlich zu wenig als “systemrelevante” Leistung wahrgenommen und anerkannt wird.
Toll, dass auch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird!
Anderseits verschwindet leider für mein Empfinden abrupt die sprachliche Verbindlichkeit, die beim überzeugenden Beschreiben des mütterlichen Handelns (sehr schön: “Expertise”) menschliche Wärme spürbar werden lässt, beim Thema Mutterschaft.
Plötzlich mutet die Sprache fast technisch an:
“Mutterschaft ist nicht nur eine gewaltförmige Zuschreibung, die Leuten mit Uterus gegen ihren Willen übergestülpt wurde (obwohl sie das natürlich auch ist),…”
Puh.
Das will erst mal verstanden und verdaut werden.
– Wie habe ich eine “gewaltförmige Zuschreibung von Mutterschaft” zu verstehen?
– Was meint “Leute mit Uterus”?
Wenn damit gebärfähige Frauen gemeint sind, könnte ich emotional besser im Inhalt des Gesagten bleiben, wenn die Frauen um die es hier geht, würdevoller bezeichnet würden.
Ich würde es bei dem für mich heiligen Thema des “Lebengebens” im Sinne der Schöpfungskraft der Frauen (vgl Hanna Strack: Die Frau als Mitschöpferin) angenehmer finden, wenn die lebengebende Eigenschaft von gebärfähigen Frauen auch im gesellschaftlichen/politischen Kontext entsprechend respektvoll bezeichnet würde.
Es gibt Worte, die weniger technisch sind:
– weibliche, fortpflanzungsfähige Frauen/Menschen
– Frauen/Menschen mit lebengebenden Eigenschaften
Spannend finde ich an der Rezension des Films den Hinweis darauf, dass “Mutterschaft ein widerständiges Potential gegen das Partiarchat” besitzt!
Hier ist meine Neugierde geweckt und ich würde dazu gerne mehr erfahren!
Den Film werde ich mir jedenfalls gerne ansehen, danke für den Tipp!
Als Mutter von vier Kindern und als Feministin wünsche ich mir einen feministischen Blick auf Mutterschaft und eine gesellschaftliche Wertschätzung. Und merke an mir selbst, wie schwierig das ist.
Es fällt mir schwer zu benennen, was die spezifischen Fähigkeiten einer Mutter ausmachen. Eher sehe ich, was ich als Mutter nicht tun kann: beruflich mehr und Neues ausprobieren, Freundschaften und Interessen pflegen… Aber das kann auch mein individuelles Versagen sein. Und ich sehe, was mir nicht oder nur schwer gelingt: bedingungslos für meine Kinder da sein, in allen Krankheiten, Nöten, Sorgen und Launen.
Ich bin zur vierfachen Mutterschaft so ähnlich gekommen, wie die zitierte Leihmutter: Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit fielen mir leicht und schienen mir zu liegen. Jetzt, wo die Kinder im Grundschul- und Jugendalter sind, fordert das Muttersein mich auf ganz andere Weise, und fällt mir eher schwer. Und auch der Verzicht auf eigene Interessen dauert mir zu lange.
Das sei ja meine freie Entscheidung gewesen, höre ich oft. Aber wer kann wirklich die Tragweite so einer Entscheidung ermessen, und kann sich die eigene Einstellung nicht auch wandeln, in immerhin anderthalb Jahrzehnten? Das finde ich schwierig am Muttersein, was natürlich auch an meiner traditionellen Zweierbeziehung liegen kann.
Ich wünsche mir mehr gesellschaftliche Wertschätzung, auch mehr finanzielle Absicherung, und mehr Austausch darüber, was Mutterschaft ausmacht und wie sie erleichtert werden kann.