Forum für Philosophie und Politik
Von Christine Jung
„Kannst du mir ein Seminar anbieten, in dem du meinen Mitarbeiterinnen eine Einführung und Grundlagen zu dem Ansatz der ‚Italienerinnen‘ und dem Theorieansatz des Sex und Gender-Konzepts nahe bringst? Ich suche nach einer entsprechenden Weiterbildung, und da fiel mir ein, dass du dich damit auskennst.“
Unverhofft erhielt ich im Februar diese Anfrage von Anja Taubner von der Fachstelle Geschlechtergerechtigkeit im Kirchenkreis Hamburg Ost der Nordkirche. Nach kurzer Bedenkzeit sage ich zu und nahm die Herausforderung an.
Denn wie nenne ich eine Denkrichtung, eine Praxis, für die es keinen allgemein gültigen Begriff gibt, wie grenze ich die Auswahl der Veröffentlichungen ein und was lässt sich in vier Stunden online via Zoom realistischerweise so vermitteln, dass es das gesetzte Ziel erreicht?
Seit mehr als dreißig Jahren beschäftige ich mich mit feministischen Themen. Studierte an der Uni Dortmund Frauenstudien (1999) und führte dieses Handlungsfeld in dem sich anschließendem Studium der Erziehungswissenschaften weiter.
Ich hatte das große Glück, bei Angelika Wetterer (Sex und Gender-Ansatz) zu studieren, bei der ich eine Prüfung ablegte. Meine Diplomarbeit verfasste ich über eine Evaluation eines Gendertrainings. In dieser Zeit kam ich zum ersten Mal in Berührung mit den „Italienerinnen“, durch die Flugschrift „Hunger nach Sinn“, die mich inspirierte. Meine erste Hausarbeit im Rahmen der Frauenstudien beschäftigte sich mit dem Buch: „Wie weibliche Freiheit entsteht.“
Zwanzig Jahre später konnte ich Impulse und Veranstaltungen verschiedener Art mit gestalten, wie zum Beispiel die Mitarbeit in der „Steuerungsgruppe Gender“ im Kirchenkreis Osnabrück und der Mitgestaltung des Frauenmahls, wo wir Antje Schrupp durch meine Initiative als Referentin gewannen, oder der Mitarbeit mit einem Beitrag bei der ersten Denkumenta 2013, in St. Arbogast.
Für die Durchführung meines Seminars wählte ich einen Mix aus theoretischem Input, Biografiearbeit, einem fragegeleiteten Austausch und einigen ausgewählten Audios aus dem „ABC des guten Lebens“, die meine Tochter für mich einsprach.
Im Rahmen des Praxistransfers lag die eigentliche Herausforderung darin, wie sich diese Denkrichtung, Perspektive in die Alltagspraxis integrieren lässt. Geht das überhaupt und wenn ja, wie?
Da tauchen Themen auf wie Arbeitsplatzverdichtung, die Frage, wo (berufliche) Räume sind, um diese Themen weiterzudenken, und was von dem Gehörten auf welche Weise nützlich ist, und wie es sich mit einfachen Mitteln umsetzen lässt, um in die Erfahrung zu kommen.
Ich entschied, mich für dieses einführende Seminar an den Fragen zu orientieren, die Ina Praetorius in ihrem Buch: „Weit über Gleichberechtigung hinaus …“ entwickelt. Ihre Leitfrage lautet: Wenn Gleichberechtigung nicht das Ziel von Frauen (und Männern) ist, welche Fragen können wir stellen, die mir einen anderen, neuen Blick, einen Perspektivwechsel ermöglichen, um nicht nur mein tägliches Tun anders wahrzunehmen, sondern auch Ideen zu generieren, die in meinem Alltag anwendbar sind? Wie identifiziere ich patriarchale Überschreibungen, und wie kann ich sie unter dem neuen Blickwinkel definieren?
Das Ganze spielerisch anzugehen, in einen offenen, suchenden Prozess einzusteigen, ist eine mir wichtige Grundhaltung, die Räume öffnet. Diese überaus inspirierende Sichtweise zu verstehen ist wie ein Tanz, ein Flirt, um zu prüfen, ob sich daraus eine länger andauernde Beziehung ergibt.
Mein Leitgedanke dafür lautet: forschend gute Fragen zu entwickeln, die einen Perspektivwechsel ermöglichen. Dafür lässt sich die Gruppe nutzen, um gemeinsam an konkreten Anlässen, mit der jeweils anderen, gute Fragen/Sichtweisen zu entwickeln.
Insgesamt ist das Konzept gut aufgegangen. Die „Austauschinseln“ wurden genutzt, der Methodenmix ließ keine Langeweile aufkommen, die Teilnehmerinnen waren bis zum Schluss aufmerksam dabei.
Resümee: Gute Fragen für den Praxistransfer zu entwickeln und sich dabei gegenseitig zu unterstützen, ist an sich eine gute Idee, aber vielleicht im Rahmen einer Einführung zu viel. Das hieße, solch ein Angebot benötigt eine Vertiefung.
Meine Frage an euch lautet: Was sind eure Erfahrungen mit Seminaren mit diesem Ansatz? Welche Wege des Praxistransfers wähltet ihr, wo liegen Hürden, was bewährte sich?
Liebe Christine, Du stellst wichtige Fragen (für die ich keine Antworten habe), aber allein schon, dass sie gestellt sind, ist gut. Was mich an Deinem Artikel richtig freut ist, zu lesen, dass die Denkanstöße der Italienerinnen und deren Vermittlerinnen im deutschen Sprachraum auf fruchtbaren Boden fallen, weiterentwickelt werden und versucht wird, sie in die Praxis umzusetzen. Das ist Erntezeit für all die Denkerinnen, die soviel Kraft und Herzblut in die Entwicklung und Vermittlung dieses philosophischen Konzepts gesteckt haben. Wunderbar! In diesem Sinne wünsche ich Dir, dass Du vielleicht auch schon Antworten auf Deine Fragen bekommst! Wer weiß schon, was vor Ort alles so geschieht?
Liebe Juliane,
vielen Dank für Deine wertschätzende Rückmeldung! Ich bin auch sehr gespannt, ob und was sich wie weiter entwickeln wird.
Liebe Frau Voigt Kehlenbeck,
vielen Dank für Ihren unterstützenden Kommentar. Volle Zustimmung meinerseits, was Sie über das Affidamento schreiben. Es fehlen Räume, wo junge und ältere Frauen sich begegnen können, dass es zu so einem Autausch kommen kann. Die Hochschule ist so ein Ort. Ich suche gerade “Räume”, bzw. bin im Gespräch, wo sich mein Angebot platzieren und weiterentfalten kann.
Liebe Christine Jung,
es ist ein lustiger Zufall, dass ich soeben ihre Erzählung lese, von dem Seminar, dass Ihnen eine Freundin an getragen hat, und ich just in dieser Woche mit einer Freundin im Garten saß, Kita-Leiterin, und sie fragte, ob sie den Ansatz der italienischen Feministinnen kennen würde. Ich bin Dozentin an der Fachhochschule in Wolfenbüttel und unterstütze meine Studierenden, männlich und weiblich, mit großem Bewusstsein, dass ich ähnlich unterstützt worden bin. Ich finde Ihre Idee, des gemeinsamen Suchens, ein wunderbares Bild, zugleich aber geht es im affidamento ja um das Anerkennen von Erfahrungen von Frauen. Dies geht meines Erachtens zur Zeit wieder sehr verloren, insofern lohnt es, dieses Thema noch mal neu aufzulegen. Danke für die Anregung.
In dem Versuch, einer jungen Freundin zu erzählen, was der Gehalt des affidamento ist, wurde mir deutlich, das die sehr selbstbewusste junge Generation erst einmal nicht so viel anfangen kann mit der Idee, s ich einer älteren, erfahreneren Frau anzuvertrauen . Dabei wurde mir deutlich, dass die Italienerinnen nicht das Anvertrauen meinten, sondern das Rückenstärken der älteren Frau. Die jungen Frauen haben ein Recht auf ihre eigene Perspektive, auch auf ihre Vorstellung, dass sie eine solche Unterstützung nicht bräuchten und wir älteren Frauen haben hingegen das Wissen, dass eine solche Unterstützung ungeheuer wichtig ist. Und dieses Wissen, sollten wir praktizieren und weitergeben. Meine Rolle ist oft das Ermutigen, das Unterstützen von rebellischen Haltungen, das offene Ohr für Empörung und Zorn über patriarchales Selbstverständnis. Weiter denken würde auch lohnen zum Thema Ende des Patriarchats. Luisa Muraro hat nicht umsonst postuliert, dass das Patriarchat zu Ende sein und dieses Ende programmiert werden müsste. Dieses Buch hat mit seinem Titel sehr viel Empörung und Zweifel geweckt, mich aber hat es überzeugt. Auch wenn das Patriarchat zu Ende ist, so ist es ihnen seine Übergangsphase durchaus noch wirksam. Diese Wirksamkeit aufzudecken, wäre ein schöner Seminarinhalt, den gemeinsames Denken prägen könnte. viel Spaß beim Weiterzumachen