Forum für Philosophie und Politik
Von Maria Coors
„Kann es sein, dass Corona eigentlich nur Konflikte und Probleme in Ihrem Leben verstärkt, die sonst auch da wären?“, möchte meine Psychologin von mir wissen. Wegen der hübsch gemusterten Maske kann ich ihr zart-klügliches Lächeln nur erahnen. Sie hat eine von diesen Premium-Masken. Hat sie die selbst genäht? Woher nimmt sie die Zeit? Hat sie die gekauft? Woher nimmt sie das Geld? Sie soll mich nicht so angrinsen mit ihrer Angebermaske. Angebermasken sind definitiv ein Problem, das mir nur Corona beschert hat. Diese Frage soll sich wohl besonders gescheit anhören. Hat sie sich sicher nicht selbst ausgedacht. Nee, hab ich nämlich auch gelesen diesen einen Essay, auf zeit.de und den anderen, auf sz.de. Also vom letzten nur die Überschrift, weil ich den sonst hätte bezahlen müssen. Soweit kommt das noch, dass ich Leute für ihre dümmliche Fragestellerei mit extra Runzelstirn bezahle. „Ich bin nicht depressiv, mein Leben ist mir nur gerade zu scheiße“, sage ich meiner Hausärztin, die mich eindringlich ermahnt, mein neuerlich wieder aufgenommenes Rauchlaster einzustellen, aber dafür ein „ganz mildes Antidepressivum“ zu nehmen. Ich mache Runzelstirn und versuche dabei einen gleichzeitig festen und glaubhaft leidenden Blick. Immerhin – vier Tage krank. Jetzt kann ich nach Hause gehen und mit den coronabedingt daueranwesenden Kindern spielen – grandios. Ich musste in den letzten Jahren ja feststellen, dass alle diese von meiner Mutter sehr bemitleideten vernachlässigten Kinder, die früher den ganzen Tag vor der Glotze saßen, während ich Geige geübt habe oder Klavier, oder Judo, oder im Kindertheater war, jetzt bei SAP oder Audi arbeiten. Oder irgendwas mit Beratung machen. Jedenfalls geht es ihnen wunderbar mit ihren hässlichen Riesenhäusern mit Trampolin im Garten für die aktuellen und zukünftigen Kinder, und die Nachbarskinder dürfen da auch draufrumhopsen. Und meine Kinder auch, wenn ich zu Besuch komme, in die alte Heimat. Die Kinder lieben das. Auch Corona lässt sich da gut aushalten, es rechnet sich fast. Die Mamis machen noch ein bisschen Elternzeit – das Kleinste ist ja noch nicht ganz 3. Und die 600€ für den Halbtagsplatz im Dorfkindergarten, verrechnet mit dem Teilzeitgehalt in dieser Steuerklasse, also das ist schon ok so. Ich genieße das. Die Riesenhäuser mit den Riesengärten und das Trampolin für die Kinder. Einmal waren wir auch versuchsweise kurz auf dem Spielplatz. Das kleine Kind hatte große Angst auf dem Weg, der nur eine Straße war ohne Gehweg. „Mama, nicht auf der Straße laufen, da kommen Autos.“ Nee, das sieht nur aus wie eine Straße. Am Wochenende kommt da höchstens mal ein Traktor vorbei. Traktoren mag das Kind, den Spielplatz nicht – der sieht haargenau aus wie 1995. Dorfspielplätze sind nichts für Kinder – die haben ihre Trampolins in den Halbe-Million-Euro-Riesenhäuser-Gärten. Spielplätze sind für später, zum Saufen und Rauchen da – fast vergessen. Eine halbe Million, warum genau arbeite ich nicht bei SAP? Da ist meine Mutter dran schuld, mit ihrer blöden Anti-Fernseh-Politik, und der Geigenunterricht. Eine ordentliche Freizeitgestaltung, ein hervorragender Schulabschluss, und schon ist das Leben und die Zukunft versaut. Mütter sind das Schlimmste. Ich mache das alles anders, setze die Kinder jetzt vor den Fernseher und mich auf den Mini-Balkon, rauchen. Was für eine dusselige Frage. SAP, Trampolins, Zigaretten und mein ewig unfertiges Leben, alles keine Corona-Innovationen. Danke, da komme ich auch alleine drauf.
Vielen Dank für diesen schönen ehrlichen Text. Da ist viel Wahres zum Schmunzeln mit Tränen in den Augen dabei.
Weiterer Beitrag über “was alles auf der Kippe steht”:
https://awblog.at/eltern-am-arbeitsplatz/?jetztlesen
schöner text, so ungeschminkt. ja, wie habe ich zum teil leute beneidet mit gärtchen oder welche die nicht so belagert wohnen wie ich. als ich neulich mal meinen frust wo hinschreiben wollte, zu so ner sorgenseite, bekam ich zur antwort: sie scheinen sehr frustriert zu sein! ( als würde man zu sowas hinschreiben, weil man mal sagen möchte, hui, das leben ist ja so prickelnd zu mir, und das glück mir so hold, das wollte ich mal sagen, weil ich es sonst garnicht mehr aushalte…) und alles wird besser bin ich nur freundlich, so ungefähr, war die dämliche antwort, da schwillte od. schwoll mir der kamm noch mehr, oder der hals…
ich habe neulich auch die zigarettchen so genoßen bei meiner feundin, und ja, vielleicht mal wieder nen tabak, dachte ich mir vorhin auch…
Sehr treffend, diese unpathetisch erscheinende Alltagsprosa.
So ist’s halt, mit dem so häufig zitierten Corona-Brennglas.
Vor Corona war’s für viele Menschen schon beschissen. Mit und nach Corona, noch um einiges mehr.