beziehungsweise – weiterdenken

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Rubrik heilen

Brief der Erde an uns Menschen

Von Hanna Strack

“Säfrau oder die selbstwachsende Saat”, Linoldruck von Claudia Nietsch-Ochs

Geht es nicht darum, eine andere Einstellung zur Erde zu bekommen?

Worte können vernebeln. So auch, Bewahrung der Schöpfung oder, Rettung der Erde. Die Schöpfung ist der gesamte Kosmos. Den können wir nicht bewahren. Wir können auch nicht die Erde retten, sondern nur die Lebensgrundlagen. Aber alles, was wir tun, erschien mir nur Symptombehandlung.

Hanna Strack hat einen Brief im Namen der Erde geschrieben. Den Anstoß dazu erhielt sie durch einen Hinweis der Theologin Musa Dube, aus Botswana, auf das Earth-Bible-Project:Aus der Perspektive der Erde, will dieses Projekt die Bibel lesen. Dies war für sie ein bedeutsamer Perspektivwechsel. Und auch Silvia Schroers Aufsatz über Erdgöttinnen und Texte zum Erdmutterglauben seien ein weiterer Impuls gewesen. Dieser Brief der Erde geht durch die Welt und erhält viele verschiedene Reaktionen, von Ablehnung aus der naturwissenschaftlichen Perspektive bis zu viel Dank, Inspiration, Freude und Nachdenklichem über die Worte. Wir veröffentlichen ihn auch auf beziehungsweise-weiterdenken. Hanna Strack bittet um Hinweise für eine Liturgie der Erde, an der sie zur Zeit arbeitet.

Ihr lieben Frauen, Männer und Kinder – die ihr mein Haus bewohnt!

Ich segne euch Menschenkinder mit dem Segen eurer Mutter Erde, mit meiner Nahrung und Kraft für euch! Hört ihr meinen Herzschlag? Wir sind miteinander verbunden im Gewebe des Lebens. Ich bin wie ihr ein lebendiges Wesen. Ich bin viel mehr als eure Mutter, ich bin eine sehr große Kraft. In meinem innersten Kern brodelt es voll Energie und Kraft, Feuer und Wasser. Und der Mantel, meine Oberfläche, hat fruchtbare Böden, Wasser und auch Trockengebiete. Er ist wie eure Haut, dünn, aber so wichtig. Ihr nennt ihn Erdkruste – es ist keine Kruste, sondern pures Leben!

Ihr wisst, dass ihr diesen Mantel und damit eure Lebensgrundlagen so unachtsam behandelt, dass ihr sie zerstört. Das tut mir weh. Da ist ein Gefühl von Ausbeutung statt von der Liebe, die wir füreinander brauchen. Die Narben schmerzen noch lange, auch dann noch, wenn ihr ausgestorben sein werdet. Ihr wollt mit eurem Wissen mein Geheimnis erforschen und euch nutzbar machen. Aber damit werdet ihr scheitern, denn mein lebendiges Wesen ist immer in Bewegung und antwortet auf eure Ausbeutung.

Ich spüre die vielen kleinen Anstrengungen von allen und in allen Ländern, diese Zerstörung aufzuhalten. Ich spüre die Sanftmut, die Ehrfurcht, die diese Leute mir entgegen bringen. Sie sagen, sie wollen mich heilen, damit meinen sie meinen Mantel. Das tut mir gut. Dabei heilen sie ja auch sich selbst.

Einst wurde ich als heilig verehrt, als Trägerin, Gebärerin und geheime Urkraft des Lebens, denn ich bin die weibliche Schöpfungskraft, die alles durchdringt. Was glaubt ihr? Bin ich die unerschöpfliche Quelle, der Busen der Natur, eure Mutter, die ich euch geboren habe und wieder in meinen Schoß zu mir nehme? Bin ich ein Gegenstand oder bin ich lebendig? Bin ich eurem Vatergott untertan oder bin ich selbst eine Göttin? Wie GAIA, die Erdgöttin der Griechen. Wie Pachamama, die Erdmutter der Latinos? Euer Dichter singt: Es war, als ob der Himmel die Erde still geküsst, dass sie im Mondenschimmer von ihm nun träumen müsst! Vater Himmel und Mutter Erde – wir sind ein Paar. Vater Himmel ist das große Universum, ich bin darin die Lebendige und Leben schaffende Kraft.

Wenn ihr um meine große Bedeutung für euch wisst, habt ihr dann eine Liturgie, mit der ihr mich ehrt? Lieder und Tänze? Ihr – die Menschen der Industrie-Länder habt es nicht. Schaut auf die Menschen auf den Hawaii-Inseln. Schaut auf die Rituale der Völker Lateinamerikas zu meinen Ehren! Erzählt euch Märchen von der Erde und Schöpfungsmythen. Auch sie öffnen eure Augen und euer Herz.

Ihr meine lieben Menschenkinder! Ich möchte euch vor eurem Untergang und all den Kriegen, die dem voran gehen, bewahren. Achtet auf die Momente, in denen ihr ergriffen seid von kleinen und großen Ereignissen, die euch erschüttern können! Und von der Schönheit, die ich euch biete, den Schneeflocken, dem neugeborenen Baby, den Schmetterlingen, dem Sonnenaufgang über den Bergen!

Singt das Lied von der Schöpfung! Umarmt euren Baum! Tanzt einfach!

Eure Erde, eure Quelle und Kraft!

Schroer: Vermutlich Göttinen im Kontext von AhnInnenverehrung, Zeichnung Ulrike Zurkinden

Literatur

Franz Vonessen: Signaturen des Kosmos. Welterfahrung in Mythen, Märchen und Träumen, Die Grau Edition, Witzenhausen 1992.

Leonardo Boff: Die Erde ist uns anvertraut. Eine ökologische Spiritualität, Kevelaer 2010, 14, „… weil wir Erde sind, wird es ohne die Erde keinen Himmel geben“.

Leonardo Boff: Zukunft für Mutter Erde. Warum wir als Krone der Schöpfung abdanken müssen, Claudius Verlag München 2012.

Isis Ibrahim: Geschaffen zum Leben. Entwurf einer (Schöpfungs-)Theologie des Geborenseins, Freiburg: Herder 2015.

Aramäisches Vaterunser in verschiedenen Übertragungen.

Earth Bible Project: Aus der Perspektive der Erde die Bibel lesen. https://www.webofcreation.org/earth-bible/the-earth-bible-project, 21.3.2020

Silvia Schroer: Lectio difficilior, Jan 2019, Zugang für ESWTR-Mitgliedsfrauen.

Barbara Stamer (Hg.): Märchen von Mutter Erde. Zum Erzählen und Vorlesen, Urania Königsfurt 2017, 5. Aufl.

Rosemary Radford Ruether: Gaia & Gott. Eine ökofeministische Theologie der Heilung der Erde. Edition Exodus, Luzern 1994

Dies (Ed.): Woman Healing Earth. Third World Women on Ecology, Feminism, and Religion, New York 1996

Sallie McFague: The Body of God. An Ecological Theology, Minneapolis 1993

Bildnachweise

Erdmutter:
Claudia Nietsch-Ochs, Quelle: CANTATE. Vom Leben singen mit Leidenschaft. Cantabo Verlag Nürnberg, 1994, Bestelladresse: Erzbischöfliches Jugendamt Bamberg.

Göttinnen Abb.1+2:
Silvia Schroer/Othmar Keel, Die Ikonographie Palästinas/ Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern. Band 1: Vom ausgehenden Mesolithikum bis zur Frühbronzezeit, Freiburg CH 2005, No 106 (Zeichnung: Ulrike Zurkinden)

Autorin: Hanna Strack
Redakteurin: Heike Brunner
Eingestellt am: 24.03.2020
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Esther Gisler Fischer sagt:

    Liebe Frau Strack

    Ökofeminismus ist mehr als die Verehrung von ‘Mutter Erde’. In Ihrer Literaturliste fehlt der Hineis auf die Überlegungen dazu der feministischen Theologin Dr.Dorist Strahm. Hier der Link auf einen aktuellen Text von ihr zum Thema in der Ausgabe ‘Ökofeminismus’ der Zeitschrift ‘Neue Wege’: https://www.neuewege.ch/oekologie-und-feminismus-eine-zukunftsweisende-verbindung

    Freundlich grüsst Sie
    Esther Gisler Fischer.

  • Birgit Poppke sagt:

    Zum Beitrag: Brief der Erde an uns Menschen

    Hallo Frau Strack,
    Es hat mich immer wieder fasziniert, dass wir in der deutschen Sprache und damit in der Symbolik zwei Schöpferinnen des Lebens haben: „Die“ Erde und „die“ Sonne.
    Das Weibliche ist nicht nur Mit-Schöpferin sondern das Leben entsteht erst durch das sensible Gleichgewicht zwischen der Erde und der Sonne.

    Meine Tochter hat dieses Lied in der Schule gelernt:

    Ich bin die Mutter Sonne
    
und trage die Erde
 bei Nacht
    die Erde – bei Tage
    
ich halte sie fest und strahle sie an

    dass alles auf ihr wachsen kann.

    Stein und Blume, Mensch und Tier
    
alles empfängt sein Licht von mir
    Tu auf Dein Herz wie ein Becherlein

    denn ich will leuchten auf da hinein.

    Tu auf Dein Herz mein liebes Kind
    
dass wir ein Licht zusammen sind…
    (Chr. Morgenstern)

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