Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Von der Frauenbewegung im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts kennen wir einige wenige Gesichter, die sich die Medien herausgepickt haben und immer wieder hervorholen. Doch ohne die vielen weniger prominenten Frauen, die es auch noch gegeben hat, wäre der große Erfolg der Frauenbewegung nicht möglich gewesen. In einer kleinen Serie erzählen wir auf bzw-weiterdenken über einige dieser Frauen. Wie sind sie zu ihrem frauenpolitischen Engagement gekommen, was machen sie heute? Dieses Mal geht es weniger um die Frauen selbst als um die Institution, die sie 1984 gegründet haben: Die Frauenakademie München (FAM).
Die FAM ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut für Frauen- und Geschlechterfragen, getragen von einem unabhängigen, gemeinnützigen Verein. Die vier Arbeitsfelder der FAM sind Wissenschaft und Forschung, Bildung, berufliche Beratung sowie die Vernetzung von interessierten Frauen. Stolz führt die Geschäftsführerin Birgit Erbe – sie war noch Schülerin, als die Frauenakademie 1984 gegründet wurde – mich durch die FAM-Büros: Keine ‚lila Villa‘, wie sie sich die Gründerinnen analog zur Villa Masssimo in Rom einst erträumt hatten, auch kein mondäner Glaspalast, aber doch solide und gut ausgestattete Büroräume auf zwei Etagen in Münchens Baaderstraße. Zentrumsnah und am Rande des hippen Glockenbachviertels gelegen ist das keine schlechte Adresse. Das war nicht immer so.
Angelika Diezinger, eine der Gründerinnen, in ihrem späteren Leben 21 Jahre Soziologie-Professorin an der Hochschule Esslingen, erinnert sich: „Die Frauenakademie war zunächst für uns ein imaginärer Ort. Ich bin mal in einem Interview gefragt worden, ja und wo sind Sie nun? Aber wir waren eine Idee.“ Als Adresse hatten die Frauen das Soziologische Institut in München angegeben. „Wir wollten aus der Perspektive der permanent befristeten Arbeitsverträge rauskommen. Eine eigene Frauenakademie war für uns ein Zufluchtsort, wo man mal durchatmen konnte.“
Frauen in der Wissenschaft gab es damals so gut wie gar nicht. Insbesondere, wenn sie mit einem feministischen Bewusstsein auftraten und entsprechende Themen in der Wissenschaft etablieren wollten, hatten sie kaum eine Chance. Deshalb taten die jungen Wissenschaftlerinnen – überwiegend Soziologinnen und Sozialwissenschaftlerinnen – sich zusammen und gründeten 1984 einen Verein zur Förderung einer Frauenakademie in München. Ende 2019 trafen sich etliche von ihnen wieder, um anlässlich eines kleinen Events zum 35jährigen FAM-Jubiläum von den Anfängen zu erzählen.
Mir fiel dabei zweierlei auf: Trotz aller Professionalität, mit der die FAM samt ihrem umfangreichen Programm mittlerweile auftritt, ist eine lockere und leicht alternative Ausstrahlung erhalten geblieben. Die Geburtstagsfeier zum Beispiel fand im Bellevue di Monaco statt, einem Kulturzentrum für Geflüchtete und interessierte Münchnerinnen und Münchner, nicht weit entfernt von der FAM. Und zweitens: es wurde viel gelacht auf der Jubiläumsveranstaltung, zu der neben den Gründerinnen auch viele junge Wissenschaftlerinnen, einschließlich des ein oder anderen Babies auf der Schulter, gekommen waren. Das spricht für ein gutes Miteinander.
Darum ging es auch in der Gründungszeit. „Wir haben das unter Freundinnen gemacht“, erzählt Yolanda Koller-Tejeiro, 18 Jahre lang Professorin an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften und nach der Pensionierung zurückgekehrt nach München. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir zickig waren, auf keinen Fall“, ergänzt sie und wendet sich an ihre Kollegin Maria Rerrich: „Marcsi, als Du Dich an der Hochschule beworben hast, da haben wir ein Vorstellungsgespräch mit Dir gemacht und Fragen gestellt, obwohl wir eigentlich in der selben Situation waren und uns auch hätten bewerben können. Natürlich gab es Neid, aber es war kein negativer Neid, wir haben uns angespornt und unterstützt.“
Genau das macht die FAM immer noch, wenn auch ganz professionell als Serviceprojekt mit dem Namen ‚Move!‘ für Karriereplanung und Mentoring. Dafür bekam die FAM – just einen Tag vor der Jubiläumsfeier – sogar den Best Mentoring Award verliehen. Außerdem bietet die FAM ‚power_m‘, ein Programm für den Wiedereinstieg nach der Familienphase, an.
Familienfreundlichkeit wurde auch schon damals gelebt. Die Frauen berichten von ‚FAM-Kindern‘, die immer dabei waren und von legendären Hochzeitsfesten, die in der FAM gefeiert wurden: „Wir haben gekocht, wir haben Lieder gesungen, wir haben Reden gehalten, wir haben die Gäste bewirtet!“. Ein Alleinstellungsmerkmal der FAM war, dass auch Männer Mitglied werden konnten. „Wir haben keine Männer weggebissen, wir wussten, dass wir nicht vorankommen wenn wir nicht die wohlwollenden Männer mit einbeziehen….“ Nichtsdestotrotz waren nicht alle Männer begeistert und Kommentare wie „Jetzt fangt Ihr mit diesem Wettbewerb an“ oder „Du hast Dich so verändert…“ verwunderten und verwirrten die Frauen.
Andererseits wurden seinerzeit Männer von den Professoren einfach mehr gefördert als Frauen. Deshalb diente dieser Traum der ‚lila Villa‘, der sich permanent durch die Erzählungen zieht, durchaus dem Eigennutz: „Wir wollten was voranbringen und nicht warten, bis uns was bewilligt wird.“ Yolanda Koller-Tejeiro fügt hinzu: „Wir haben uns in alles Mögliche eingemischt, wir hatten so ein Projekt, das hieß ‚Kleine Einmischung‘. Wir haben Leserbriefe geschrieben oder wir haben gegen sexistische Computerwerbung protestiert, die dann auch zurückgezogen wurde.“
Das erste Highlight der FAM-Frauen war eine große viertägige internationale Tagung, die 1986, sogar auf Englisch, in München stattfand: ‚Involvement and Identity‘ bzw. ‚Einmischung und Identität, Frauen und Frauenbewegung in Wissenschaft und Politik‘. Maria Rerrich, bis zu ihrem Ruhestand Professorin an der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften, ist nach wie vor begeistert, wenn sie davon berichtet: „Wir sind mit dieser Wahnsinns-Idee der lila Villa nach Brüssel gefahren und die Frauen von der Europäischen Kommission sagten, hier habt Ihr das Geld, nun macht mal Eure Tagung.“ Im Rückblick finden auch ihre Mitstreiterinnen es immer noch „beeindruckend, wie wir diese internationale Tagung innerhalb von zwei Jahren auf die Beine gestellt haben“ und erinnern daran, dass dies ehrenamtlich neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit geschah und es kein Internet und keine Handys gab. Die Telefonate wurden von der Telefonzelle aus geführt.
Bei einer anderen Tagung, bei der es in Würzburg um die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus gehen sollte, lief es nicht so glatt. Barbara Pieper, promovierte Sozialwissenschaftlerin und jetzt Feldenkrais-Trainerin mit eigener Praxis, erzählt von ihrem Frust: „Wir haben den Antrag gestellt und der wurde abgelehnt. Wir haben dann gehört, wie es dazu kam: ‘Die Frauen lassen wir nochmal antanzen, die machen es auch für weniger. Das hat mich super geärgert. Wir haben dann noch einmal eingereicht und 30 Prozent genehmigt bekommen. Also haben wir ganz viel ehrenamtlich gemacht. Wir haben dabei auch das Wissenschaftsverständnis verändert, weil wir uns als Person einbringen wollten mit unseren Talenten und unseren Berufen. Diese scheinbare Neutralität, diese Trennung der Bereiche passte für uns nicht. Unsere Forschungsbereiche waren ganz oft quer, zum Beispiel beim Arbeitsbegriff.“
Die Frauen sahen sich damals als „so etwas wie der Leuchtturm in der Diaspora. Lange Zeit war Bayern in Bezug auf Frauenforschung ein Niemandsland. Und jetzt gab es wenigstens die Frauenakademie.“ Das fand öffentliche Anerkennung. Die FAM wurde nicht nur von Anfang an von der Münchner Gleichstellungsbeauftragten Friedel Schreyögg unterstützt, sie bekam auch 1986 den allerersten Frauenförderpreis, den die Stadt München ausgelobt hatte. Senta Fricke, die heute als Psychotherapeutin in Esslingen arbeitet, schmunzelt, als sie davon erzählt: „Der damalige Oberbürgermeister Kronawitter überreichte uns den Preis mit den Worten, wir dürften uns ruhig mutig einmischen.“ Sie freut sich, „was aus diesen Samenkörnchen, die wir gelegt haben, geworden ist“.
Tagungen sind nach wie vor ein fester Bestandteil der Aktivitäten. Ein bis zweimal im Jahr geht die FAM damit an die Öffentlichkeit. Themen waren zuletzt Genderpolitik in der Digitalisierung, Global Caring, Rechtspopulismus sowie Forschendes Lernen – Lernendes Forschen. Die Ideen der FAM-Gründerinnen wurden und werden auf vielfältige Weise umgesetzt. Lerke Gravenhorst, 1. Vorsitzende bei der Gründung der FAM, lange Jahre am Deutschen Jugendinstitut in München tätig und jetzt als Sozialwissenschaftlerin und Soziologin in Norddeutschland, stellte in ihrer Grußadresse zum Jubiläum nicht ohne Stolz fest „Unsere Nachfolgerinnen waren in der Lage, unsere feministischen Ideale in der Welt mit idealistischer Politik zu verknüpfen. Sie haben unsere ursprünglichen Ansätze aufgegriffen und verwandelt.“
Dabei waren die Frauen durchaus unterschiedlich in dem, was sie gewollt und gemacht haben, aber es gab nicht die eine Deutungshoheit. Unter dem Gelächter der Jubiläumsgäste erzählt Angelika Diezinger: „Ich kann mich an eine ätzende Situation erinnern, als die Frage aufkam, von wem wir überhaupt Geld nehmen würden. Es war dann so, dass wir am Ende gesagt haben, von niemand. Banken zum Beispiel, das kam ja gar nicht in Frage.“
Die Schatzmeisterin aus den Anfangsjahren der FAM, Senta Fricke, weiß, „so viele Schätze gab es da nicht zu verwalten“. Die Akquirierung der Finanzen war über Jahre ein großes Thema. Ständig waren die Frauen auf der Suche nach Zuschussgebern. „Dazu muss man sagen“, erläutert Maria Rerrich „wir waren ja noch gar nicht promoviert, wir waren auf der untersten Stufe, und sind ins Kultusministerium gegangen und haben gesagt, wir wollen diese lila Villa gründen. Wir hatten ja noch gar nicht das Standing, sowas vorzubringen. Vielleicht war unsere Naivität war unser größtes Kapital. Der Beamte war sehr wohlwollend und meinte, wir sollten erstmal unsere Professoren fragen.“ Ihre Kollegin Angelika Diezinger ergänzt: „Die Strategie war, immer zu zweit zu gehen, so auch zum Vorsitzenden des Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags mit dem Antrag auf Finanzierung aus dem Wissenschaftshaushalt. Der hat mich examiniert, das war einfach gruselig. Als ich merkte, dass er den Antrag gar nicht gelesen hatte, bin ich so wütend geworden, dass ich zu ihm gesagt habe, wir kommen wieder, wenn sie den Antrag gelesen haben. Er meinte nur, ‚Sie brauchen gar nicht wiederzukommen, das wird sowieso nichts‘. Der war so eine Art Karikaturbayer und da ich auch Bayerin bin und bayerisch kann, hab ich erwidert: ‚Des wissen’s scho, mir kemma wieder‘.“
Und tatsächlich, nach zahlreichen Gesprächen und fachlichen Kontakten mit Entscheidungsträger_innen im Bayerischen Landtag wurde im Haushaltsausschuss einstimmig beschlossen, dass die FAM ab 1996 als außeruniversitäre Forschungseinrichtung mit einer Festbetragsfinanzierung durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert wird. Ein besonderes Anliegen war den FAM-Frauen, dass die Förderung aus dem Wissenschaftsministerium kommt und nicht als soziales Projekt, sondern als wissenschaftliche Institution akzeptiert ist.
Neben der Grundförderung aus dem Wissenschaftsministerium besteht die FAM-Finanzierung vor allem aus Drittmitteln. Zentral ist dabei die Kofinanzierung durch die Stadt München für die arbeitsmarktpolitischen ESF-Projekte MOVE! und power_m. Und so war auch Dr. Anneliese Durst vom Referat Arbeit und Wirtschaft (RAW) mit einem Grußwort bei der Jubiläumsfeier präsent. Von der Gesamtsumme der Drittmittelförderung, die die FAM in den rund 30 Jahren erhalten hat, ist das RAW vermutlich der größte Förderer gewesen und hat der FAM immer wieder das Überleben gesichert. Das zeigt, welche Bedeutung die FAM für Arbeitsmarktpolitik der Stadt München hat. Nicht zu unterschätzen sind aber auch Spenden und die Eigenmittel, die die rund 90 Mitglieder aufbringen. Deren Treue und Zusammenhalt ist das, was die FAM so lebendig und einmalig macht.
Über die Jahre hat sich die FAM immer mehr professionalisiert. Dafür sorgt seit 2001 Birgit Erbe als Geschäftsführerin, nach meiner Beobachtung ein Glücksfall für die FAM. Sie muss sich nun um das mühselige Geschäft der Finanzakquise kümmern und unter ihrer Ägide wurde die kritische Auseinandersetzung mit Gender Mainstreaming vorangetrieben. Außerdem war sie zuletzt Co-Projektleiterin im Rahmen des bayerischen Forschungsverbunds ‚Gender & Care‘, an dem die FAM mitwirkte. In dem Teilprojekt der FAM geht es konkret um ‚Care aus der Haushaltsperspektive. Das Beispiel Pflege alter Menschen in der Großstadt‘. Eine zweite Forscherin ist die Soziologin Sandra Eck, die zu Themen wie Care, Wohnen und partizipative Forschungsmethoden arbeitet. In der Vergangenheit hat die FAM sich einen Namen gemacht mit Forschungsprojekten zu Gender Mainstreaming in der Jugendhilfe, zu Gender Budgeting oder mit EQUISTU ‚Bessere Hochschulen durch gleichstellungspolitische Steuerung?‘. Insgesamt hat die FAM 12 weitere Mitarbeiterinnen, überwiegend in Teilzeit, die die Projekte der beruflichen Beratung und die Verwaltung der Akademie betreuen.
Erste Vorsitzende des FAM-Vereins ist im Ehrenamt schon seit 2003 Andrea Rothe, eine promovierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin, die beruflich als Leiterin der Stabsstelle Betriebliche Gleichbehandlung der München Klinik gGmbH eine Auge auf Diskriminierungen jeglicher Art wirft: „Als ich Ende der1990er Jahre nach München kam, suchte ich dringend eine feministische Organisation, der ich mich anschließen konnte. Mir war und ist die Wissenschaft besonders wichtig, also, dass wir eine Forschungseinrichtung sind. Diese institutionelle Förderung dürfen wir auf keinen Fall verlieren, es ist die Grundlage der FAM.“ Andrea Rothe hat anlässlich früherer Jubiläen über die Geschichte der Frauenakademie geschrieben. Dort kann man ausführlich nachlesen, wie die FAM sich von einem kleinen Verein zu einer innovativen Forschungs- und Beratungsstelle entwickelt hat. Außerdem haben die FAM-Frauen von Anfang an Rundbriefe herausgegeben, oft mehrmals im Jahr, in denen sie über die jeweiligen Aktivitäten informieren.
Den Gründungsfrauen hat ihr Engagement nicht geschadet, sie sind gewachsen daran und viele von ihnen haben im Laufe der Jahre eine Karriere im wissenschaftlichen oder therapeutischen Bereich gemacht und dort ihre feministische Expertise eingebracht. Jetzt sind die meisten im wohlverdienten Ruhestand. Sie wissen: „Solange es Differenzen bei der Bezahlung gibt, solange die Care-Aufgaben bei den Frauen liegen, muss man weiterarbeiten. Es gibt immer ein paar Schritte vor und dann wieder Schritte zurück. Doch wie es weitergeht, das hängt nicht mehr von uns ab“.
Mehr Infos:
Frauenakademie München
Im Rahmen dieser Serie wurden bisher die Donaupriesterin Gisela Forster, die Feministin Barbara Linnenbrügger, die Malerin Waltraud Beck, die Professorin Monika Barz, die Historikerin Irene Franken, die Tagungsleiterin Herta Leistner, Dagmar Schultz, die Alltagsforscherin Maria Rerrich, die Matriarchatsfrau Siegrun Laurent, die Gründerin Claudia Gather, die Heilpraktikerin Bali Schreiber, die Verbandsfrau Marlies Hesse, Ika Hügel-Marshall, die Stiftungsverwalterin Gudrun Nositschka, die Berliner Frauenpreisträgerin Karin Bergdoll, die Sozialpädagogin Erni Kutter, Philosophin Dorothee Markert und die Museumskuratorin Elisabeth von Dücker vorgestellt.
Ich lese diese Serie so gern!