Forum für Philosophie und Politik
Von Jutta Pivecka
Welche Chancen und welche Risiken ergeben sich für die Repräsentanz weiblichen Denkens durch die Künstliche Intelligenz? Dieser Frage ging – mit einer überraschenden Rück- und Zuwendung zu einer Mystikerin des 13. Jahrhunderts – im Februar 2019 Heike Schmitz in einem Vortrag in Bazon Brocks Berliner „Denkerei“ nach. Der Vortrag ist nun online auf Youtube anzuschauen und es lohnt sich, den Gedankengängen, die Heike Schmitz entwickelt hat, zu folgen. Im folgenden Text möchte ich auf diesen Vortrag neugierig machen, indem ich kurz seinen thematischen Horizont aufreiße.
Die Liebe und das Denken
Das weibliche Denken im Patriarchat vollzog und vollzieht sich unter den Bedingungen steter Überschreibung und Unkenntlichmachung. Während männliche Denker (wie Bazon Brock) einräumen, dass als Urgrund europäischen Denkens und der europäischen „Zivilisierung“ auf Weiblichkeit bezogene Kulte (Marienkult, Minne) vorauszusetzen sind, versuchen weibliche Denkerinnen seit je, gerade dieser Verfügung über das „Weibliche“ im Denken zu entgehen durch eine eigenmächtige und eigensinnige Verkörperlichung des Denkens, denn: „Liebe (und damit Denken) ist, was mich bewegt“.
Das „Weibliche“ taucht im Denken der tradierten (patriarchalen) Philosophie bloß symbolisch auf, als „die Mutter“, „die Geliebte“, „die Frau“, als Geburtsort männlichen Denkvermögens, als Begehrensmovens und als Anbetungsort. „Das Weibliche“ nimmt unter den männlichen Philosophen, so sie seiner überhaupt gewahr werden als des Anderen, den Platz einer säkularisierten Religion ein. Gerade indem sie sich einer symbolischen „Autorität der Frauen“ unterwerfen, schließen sie die konkreten weiblichen Denkerinnen aus dieser Tradition aus. Die konkrete, lebendige Frau kann wohl „es“, das Begehren (Liebe und Denken), darstellen. Aber um das zu können, darf sie sich nicht selbstständig bewegen. Wenn „die Frau“ selber denkt (also sich bewegt), gerät nämlich dieses ganze Zivilisations- und Denkprojekt ins Wanken.
Heike Schmitz´ Vortrag nimmt drei Vorgängerinnen in den Blick: Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“, der den (philosophischen) Mord an der Frau schreibend nachvollzieht, die Hysterikerin in der Salpetrie, der sich die Psychoanalyse auf die Spur setzt, und zuletzt Hadewych, die Begine des 13. Jahrhunderts, die sich der „Minne“ verschreibt. Dabei zeigt sich, dass dieser geschichtliche „Rückschritt“ vom 21. Jahrhundert ins Hochmittelalter sich aus der Perspektive weiblichen Denkens durchaus auch als Mobilisierung lesen lässt.
„Ich stehe in der Geistesgeschichte, in der ich meinen eigenen Mord schreibe.“
In Bachmanns Roman wird zweifellos das pessimistischste Bild entworfen: Eingesperrt bleibt die Ich-Erzählerin in ihrer Liebes- und Denkbewegung, denn was und dass gedacht werden kann, hängt davon ab, dass die Frau, die Geliebte, sich nicht bewegt: „Die Dame ist immobil.“ Der Textkörper, durch den das Denken sich ausdrückt, kann nur hervorgebracht werden, indem der weibliche Körper verschwindet, im Riss in der Wand.
„Frauen, die sehr intelligent waren, aber es nicht nutzen konnten.“
Die Hysterikerinnen, die Freud und anderen in der Salpetrie vorgeführt werden, drücken ihr Ungenügen am Denken und Leben durch körperliche Zuckungen aus. Im Gespräch vermögen sie zu faszinieren, aber sie können sich nicht kontrollieren und wollen sich nicht kontrollieren lassen. Der „Sturm im Kopf“ geht gleichsam durch den Körper hindurch und er ist nicht ohne seinen körperlichen Ausdruck. Doch dieses Denken kann sich in der Welt nicht kenntlich machen, indem und weil es pathologisiert wird.
„Sturmwut“
Heike Schmitz Faszination an der altflämischen Mystikerin Hadewych entzündet sich an einem Wort: „Sturmwut“. Hadewychs „Minne“, ihre Liebe zum Denken und ihre denkende Liebe, sind ihr Freude und bringen ihr zugleich großes Leid. Sich der „Minne“ zu verschreiben, fühlt sich an, als ob „Geburtswehen begönnen“. Die „Minne“ ist dabei zugleich Begehrensgrund und Begehrensobjekt, sie ist, was bewegt und worauf sich die Minnende zu bewegt. „Dore“ (= „durch“) ist, so Schmitz, eines der wichtigsten Worte in Hadewychs Texten. Und Schmitz kommt es dabei auf den Doppelsinn an: die Bewegung durch einen Raum von hier nach da, aber auch das „durchunddurch“, das die Bewegung für die sich Bewegende ist.
K.I.
Die künstliche Intelligenz sei, so meint Heike Schmitz, eine neue Überschreibungsweise der Urgründe des Denkens, die mit der „Minne“ verschüttet gegangen sind. Denn die künstliche Intelligenz dockt an die Körperlichkeit unseres Denkens an („Touchscreen“), um uns zugleich unsere Körperlichkeit vergessen zu machen, d.h. den Verlust unseres Körpergedächtnisses zu vervollständigen, der mit der Schriftkultur eingesetzt hat.
Der Rechner kann wohl lernen, alles immer genauer zu „durchdringen“, aber es wird ihm kaum je etwas „durchunddurch“ gehen, d.h. ihn als Körper denkend erfassen. Denn der Körper des Rechners ist beliebig und austauschbar, während der menschliche, der geborene Körper, endlich und einzig ist. Andererseits kann die Überlieferung (und “Überschreibung”) durch Schrift und – neuerdings – Datensätze und Algorithmen, deren Speicherkapazitäten die der endlichen Körper um ein Vielfaches übersteigt, auch nicht einfach verneint und zurückgewiesen werden. Es gibt kein Zurück. Die Frage ist vielmehr, wie das Körpergedächtnis als Urgrund und Movens des Denkens sich in den neuen Speichermedien bewahren lässt.
Zum Vortrag auf YouTube:
Danke, liebe Jutta, dass du uns diesen hochinteressanten Vortrag zugänglich gemacht hast!