Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Von der Frauenbewegung im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts kennen wir einige wenige Gesichter, die sich die Medien herausgepickt haben und immer wieder hervorholen. Doch ohne die vielen weniger prominenten Frauen, die es auch noch gegeben hat, wäre der große Erfolg der Frauenbewegung nicht möglich gewesen. In einer kleinen Serie möchten wir auf bzw-weiterdenken über einige von diesen Frauen erzählen. Wie sind sie zu ihrem frauenpolitischen Engagement gekommen, was machen sie heute?
Wir freuen uns übrigens über Artikel oder Vorschläge zu weiteren Frauen, deren Leben wir hier vorstellen können.
Über die Autobahn verlasse ich an einem verhangenen Regentag das großstädtische Getümmel im Köln/Bonner Raum. Es wird hügelig, ich biege ab auf die Landstraße und nähere mich der Eifel. Schließlich halte ich in einem kleinen Dorf vor dem Haus von Gudrun Nositschka, versteckt in einer Fülle aus grünen Bäumen und Blättern. Und die Fülle erlebe ich auch, nachdem Gudrun mich in ihre Wohnräume gebeten hat: Eine Fülle an Büchern, eine Fülle an Bildern, eine Fülle an Musikinstrumenten, eine Fülle an Erinnerungsstücken. Sie zeugen von vielerlei Interessen und einem reichen Leben. Noch lieber hätte sie mich an einem der Matronenheiligtümer in der Eifel begrüßt, doch das war wegen des Regenwetters an dem Tag nicht möglich. Die Eifel, in die sie – ursprünglich ein Ruhrgebietskind – als junge Mutter mit ihrer Familie gezogen ist, hat sie geprägt, aber sie hat auch die Eifel, bzw. vielmehr das, wofür die Eifel heute unter geschichtsbezogenen Frauen bekannt ist, geprägt und die frauenpolitischem Entwicklungen in ihrem Landkreis Euskirchen mitgestaltet und vorangebracht. Überregional bekannt ist sie durch ihre Arbeit für die Gerda-Weiler-Stiftung, mit der Jahr für Jahr ermöglicht wird, Frauenforschungsprojekte der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Gudrun Nositschka ist eine politisch ausgerichtete Frau. Kurz vor Ende des Jahres1941 geboren, dachte und handelte sie bereits feministisch, bevor dieser Begriff in der noch jungen Bundesrepublik eine Bedeutung erhielt. „Wenn ich mich zurückerinnere, war ich schon immer Feministin, weil ich als 14jähriges Mädchen nicht, wie meine Cousins, mit dem Fahrrad in die Jugendherberge fahren durfte. Oder ich durfte nicht in den Handballverein, weil mein Vater Angst vor Übergriffen hatte – über die damals aber gar nicht gesprochen wurde. Als ich in der Schule nach Komponistinnen fragte, sagte die Lehrerin ‚Frauen können nicht komponieren‘. Das konnte ich mir nicht vorstellen.“ Und sie fügt hinzu: „Später hatten wir zehn Jahre lang in Euskirchen einen Frauenchor, in dem wir nur Stücke von Komponistinnen gesungen oder Volkslieder umgedichtet haben.“
Nach dem Abitur in Recklinghausen im Jahr 1962 ging Gudrun Nositschka zum Studium nach Berlin, weit vor der 68er Zeit. Ihr Beweggrund für die damals noch geteilte Stadt war ein Aufruf der Evangelischen Kirche, in Berlin zu studieren, um die Verbindungen zu den Partnergemeinden pflegen zu können, denn nur wer aus Westdeutschland kam, durfte bis 24 Uhr in den Osten Berlins fahren. Den Berliner_innen war dies bis zum Passierscheinabkommen im Dezember 1963 versagt. Diese Kontakte zu ostdeutschen Kirchengemeinden hat sie später in ihrem Buch ‚Auf Wiedersehen in Leipzig‘ beschrieben. Obwohl als Kindergottesdiensthelferin, Mitglied im Kirchenchor und Interimsleiterin einer Mädchengruppe in Gladbeck christlich sozialisiert, und obwohl sie ihre Berufstätigkeit als Sozialarbeiterin bei der Diakonie begonnen hatte, ist Gudrun Nositschka 1970 aus der Kirche ausgetreten, „weil Lehre und Struktur so männerzentriert und nicht frauenfreundlich waren. Doch niemand hat mich gefragt, warum…“
In Berlin studierte die junge Gudrun zunächst Volkswirtschaft. „Ein Professor erwähnte als Beispiel Robinson Crusoe“, erinnert sie sich, „und als ich mich im vollen Hörsaal meldete und die Anmerkung wagte, ob es sich bei dem Verhältnis zwischen Robinson und seinem Gehilfen Freitag nicht um eine Form von Sklaverei gehandelt habe und ob das unabdingbar für unsere Volkswirtschaft wäre, antwortete der Professor ‚wenn Sie dieser Auffassung sind, kann es sein, dass dieses Studium nicht das Richtige für Sie ist‘“. Der Meinung war die Studentin auch und wechselte zum Fach Sozialarbeit. „Das habe ich nie bereut, da studierten wir auch Soziologie und Jura, aber mit mehr Praxisbezug.“ Nach dem Examen und staatlicher Anerkennung im Jahr 1967 ging sie als Victor-Gollancz-Stipendiatin ein Jahr nach England – „dort habe ich viel gelernt und in London einen Abenteuerspielplatz mitgestaltet“ – und nach einem Auswahlverfahren für das Cleveland-International-Program war sie acht Monate in den USA. „Amerika hat mich damals etwas verstört. Es war die Zeit, als Robert Kennedy erschossen und im selben Jahr Nixon gewählt wurde. Zu mir waren die Menschen sehr nett und ich wurde oft zu Gottesdiensten eingeladen. Daneben habe ich aber auch Rassismus, faschistische Züge und Sexismus wahrgenommen. Es war die Zeit des Vietnam-Kriegs, eine unruhige Zeit.“ Die Möglichkeit, als Victor-Gollancz-Stipendiatin mehrere Jahre Jura zu studieren, um gegebenenfalls Richterin an einem Sozialgericht zu werden, hatte sie zur Enttäuschung ihrer Professorin verworfen, da sie auch an Heirat und Kinder dachte.
Zur Familiengründung kam es während Stationen in Köln und Frankfurt, „wo ich als leidenschaftliche Sozialarbeiterin tätig war und in Frankfurt Familien in Notunterkünften zu betreuen hatte. Die Schicksale der Menschen und insbesondere der Kinder dort haben mich sehr angerührt. Als zur Zeit der Hausbesetzungen zwei Frauen mich fragten, ob ich ihnen abraten würde, leer stehende Häuser im Westend zu besetzen, antwortete ich mit einem Zitat aus dem Märchen ‚Die Bremer Stadtmusikanten’: ‚Etwas Besseres als den Tod werdet ihr überall finden‘. Ich betreute auch eine Gruppe von Kinder zwischen 13 und 15 Jahren aus sogenannten Übergangswohnungen, mit denen ich kochte, Ausflüge und Freizeiten organisierte.“
Nach der Geburt ihres ersten Sohnes 1973 und dem Arbeitsplatzwechsel des Ehemannes kam es 1974 zum Umzug ins Rheinland, zur Geburt des zweiten Sohnes 1976. Seit 1977 lebt sie mit ihrer Familie in einem Dorf der Voreifel. Als sie 1982 wieder in ihren Beruf einsteigen wollte, gab es das unfreiwillige Aus. Einem Angebot der Caritas konnte sie nicht nachkommen, da „ich noch nicht einmal evangelisch“ war. So blieb Gudrun Nositschka der klassische Weg, den der Zeitgeist damals für gut ausgebildete Familienfrauen vorsah. „Ich engagierte mich ehrenamtlich im Elternbeirat des Kindergartens und den Schulpflegschaften von Grundschule und Gymnasium sowie einige Jahre als FDP-Stadträtin. Diese Partei erschien mir zu der Zeit noch am fortschrittlichsten“. Sie war Schöffin und Jugendschöffin am Amtsgericht Euskirchen. Außerdem förderte die nicht berufstätige, aber dennoch arbeitende Familienfrau ausländische Kinder durch kostenlose Hausaufgabenbetreuung. „Manches war nur möglich, weil sowohl Mutter als auch Schwiegermutter ganz in der Nähe wohnten“.
Sie rieb sich heftig an ihren Erfahrungen als Mutter, die in der amtlichen Schulbürokratie sprachlich keine Erwähnung fand und verarbeitete dies und andere Themen, wie zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit bzw. Fremdsein, in literarischen Texten. Sprache, schreiben, lesen – alles was mit Büchern zu tun hat, hatte sie schon immer fasziniert. Und sie ließ es sich nicht nehmen, anlässlich des Abiturs ihres jüngsten Sohnes bei ihrer Rede als Elternvertreterin, in der sie auf die fehlenden Frauen in den Lehrplänen für Deutsch, Geschichte und Philosophie hingewiesen hatte, der Schulbibliothek das dicke Buch ‘Die Chronik der Frauen’ zu stiften.
Naheliegend aber auch, dass sie sich aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrungen seit 1992 im Verein ‚Frauen helfen Frauen‘ engagierte und diesen dann mitprägte. Sie und ihre Mitstreiterinnen sorgten dafür, dass von Gewalt betroffene Frauen und Kinder im Landkreis Euskirchen geholfen wurde. Unter dem Dach des Vereins etablierten sie ein Frauenhaus, eine Frauenberatungsstelle und eine konfessionell ungebundene Schwangerschafts- und Konfliktberatung – und realisierten damit die Anliegen der Frauenbewegung auch in der Provinz. „Wir hatten eine Geschäftsfrau dabei, die keine Angst vor Zahlen hatte. Das machte uns Mut, Gelder vom Kreis und anderen Institutionen zu organisieren. Alles ehrenamtlich. Ich wollte keine Stelle, aber ich wollte dafür sorgen, dass gut qualifizierte Frauen herkommen.“ So wurden 14 Arbeitsplätze mit bestmöglichen Arbeitsbedingungen geschaffen. Unter Anderem diesem Engagement ist es wohl auch zu verdanken, dass Gudrun Nositschka 2008 vom Arbeitskreis Frauen zur Frau des Jahres im Kreis Euskirchen und mit dem Margaretha Linnery Preis ausgezeichnet wurde.
Gudrun Nositschka ist aber nicht nur eine politisch tätige, sondern auch eine sehr musische Frau. Sie liebt die Musik, insbesondere die von Bach, Händel, Mozart und den Romantikern, erzählt, dass „ich außer Querflöte alle Flöten sowie Klavier spielen kann. Mit 37 Jahren kann dann noch die Trompete dazu.“ Außerdem beschäftigte sie sich immer mit Kultur und Geschichte ihrer jeweiligen Heimat. Zunächst waren das die Erinnerungen und Geschichten aus dem ostpreußischen Herkunftsland ihrer Vorfahren, die nicht etwa als Flüchtlinge, sondern Anfang des 20. Jahrhunderts selbstgewählt zum Arbeiten und in der Hoffnung auf ein freieres Leben ins Ruhrgebiet gekommen waren. Darüber veröffentlichte sie 1990 die Familiengeschichte ‚Die Hoffnung zog mit – Von Ostpreußen ins Ruhrgebiet‘. Auf Anfrage der Uni Dortmund folgte 1995 das Kinderbuch ‚Wege durch den Nebel‘ – Eine Geschichte aus Galizien und Masuren für junge Menschen‘, die das verwobene Schicksal von Polen und Deutschen im 20. Jahrhundert beschreibt.
Damit sind wir aber immer noch nicht bei den zwei großen Themen, die bis heute das Leben von Gudrun Nositschka ausfüllen: Die Gerda-Weiler-Stiftung und die vielen Matronensteine in der Eifel. Bei letzteren handelt es sich um mit Reliefs ausgestattete Weihesteine aus der Zeit, als das Rheinland von den Römern besetzt war. Die Matronen werden fast immer als Dreiheit präsentiert. Mit ihnen wird das Weiblich-Göttliche verehrt. „Matronae war eine Anrede für die Göttin und hat nichts mit unserem abwertenden Sprachgebrauch zu tun“, erklärt mir Gudrun Nositschka und beschreibt die Essenz der Matronenforschung: „Es handelt sich um altes keltisches Wissen, das erst zu römischer Zeit in Stein gehauen wurde. Dargestellt ist zumeist eine junge Frau mit offenen schulterlangen Haaren, umrahmt von einer mütterlichen Figur und einer weisen Alten. Damit wird ein zyklisches Weltbild ausgedrückt: Das Wissen, dass sich bei den Gestirnen und im Leben alles in Zyklen bewegt. Wir kennen ein Sprichwort: ‚Jedes Jahr wird es wieder einen Frühling geben, und es wird immer ein neuer Frühling sein’. Matronenheiligtümer sind oft nach den Sonnen- und Mondzyklen ausgerichtet. Offenbar gab es schon damals die Erkenntnis, wie wichtig beide für unsere Erde und die Menschen sind. Die Römer waren tolerant genug, die Verehrung der weiblichen Trinität mit der Stiftung von Steinen zu respektieren. Auffallend häufig sind auf den Seiten der Steine ein Füllhorn mit Pinienzapfen, zwei Birnen und zwei Granatäpfeln dargestellt. Der Pinienzapfen stand im Altertum für Ewiges Leben, die Birne für die Gebärmutter, der Saft des Granatapfels mit den vielen Kernen sowohl für das Menstruations- als auch das Geburtsblut. Das könnte bedeuten: Ewiges Leben wird weitergereicht von Gebärmutter zu Gebärmutter, von Geburt zu Geburt.“
Die Matronensteine entdeckte Gudrun Nositschka Anfang der 1990er Jahre für sich: „In der katholischen Kirche in Weyer wurde unter einem eingebrochenen Altar ein Matronenstein gefunden. Daraufhin lud die Evangelische Frauengemeinschaft Euskirchen zu einer Führung mit Sophie Lange und Ziriah Voigt ein. Ich war fasziniert, dass es da ein Weltbild gab, das so in die Natur eingebunden ist und ohne Schuld und Sühne auskommt. Darüber wollte ich mehr wissen und habe mich seitdem intensiv mit dem Thema beschäftigt. Zu jener Zeit war es Sophie Lange, die das Wissen um die Matronen aus den Archiven zusammentrug und veröffentlichte . Seit sie nicht mehr selber führen kann, biete ich Führungen an, ohne Reklame. Die sechsstündige Führung ist anstrengend. Da ich ein Gesamtbild vermitteln will, suche ich verschiedene Orte auf, einschließlich Kakushöhle und Kirche.“ Insgesamt wurden um die 800 Matronensteine gefunden, die meisten schlummern in Museumsmagazinen. Gudrun Nositschka träumt davon, „dass das Landesmuseum Bonn es schafft, eine große Ausstellung zu organisieren, in der die Matronensteine und die Orte, an denen sie gefunden wurden, präsentiert werden.“ Ein bebildertes Heft über diese Führungen steht noch aus, „doch durch die Arbeit für den Förderverein der Gerda-Weiler-Stiftung, musste ich das Schreiben reduzieren.“
Damit sind wir bei dem Thema, durch das der Name Gudrun Nositschka mir schon lange bekannt ist. Dreimal im Jahr bekomme ich Post von ihr, im Namen des Fördervereins der Gerda Weiler Stiftung. Diese entstand nach dem frühen Tod der Psychologin und Pädagogin Gerda Weiler (1921 – 1994), die in Deutschland die Anfänge der Matriarchatsforschung entscheidend mitgeprägt hat. Als frauenbewegte Frau in Freiburg hatte Gerda Weiler ab den 1980er Jahre zu alten Kulturen geforscht, dabei viele Spuren einer früheren Göttin-Verehrung – auch im Alten Testament – entdeckt und dazu bahnbrechende Bücher veröffentlicht. In der Folge beschäftigte sie sich mit der Archetypenlehre von C.G. Jung und Erich Neumann und entlarvte diese in dem Buch ‚Der enteignete Mythos‘ als patriarchale Projektionen auf das Weibliche.
Hier kam es nun zu Überschneidungen mit Gudrun Nositschkas Interesse an der jüdischen Geschichte. „Mein Mann hatte Gerda Weilers Buch ‚Das Matriarchat im Alten Israel’ zufällig in Bonn in einer Buchhandlung entdeckt und mir mitgebracht.“ Schmunzelnd ergänzt sie: „Ihm war nicht bewusst, was er damit anrichten würde. Über den Verlag nahm ich Kontakt zu Gerda Weiler auf und wir korrespondierten miteinander. Nachdem sie meine ostpreußische Familiengeschichte gelesen hatte, war ihre erste Frage, ob ich wüsste, dass ich da eine ‚Frauengeschichte von Unten‘ geschrieben hätte.“ Sie bot eine Buchbesprechung an mit den Worten: ‚Frauen müssen sich gegenseitig stützen’. Im Jahr 1991 lud Gudrun Nositschka Gerda Weiler zu einem Vortrag mit dem Thema ‚Von der Göttin zur Hexe‘ nach Euskirchen ein. „Als ich sie vom Zug abholte, spürte ich, diese Frau würde nicht mehr lange leben. Wir hatten sofort einen guten Draht zueinander und ich habe dann zwei Bücher von ihr begleitet. Damals gab es noch kein Internet und die Manuskripte gingen per Post hin und her, manchmal habe ich auch weiterrecherchiert. So erschien 1993 ‚Eros ist stärker als Gewalt‘ und 1994, im Jahr ihres Todes, ‚Der aufrechte Gang der Menschenfrau‘. Gerda Weiler hat gewusst, dass sie sterben würde.“ Nachdenklich fügt Gudrun Nositschka hinzu: „Schade, dass sie nicht mehr erlebt hat, dass es den Wettlauf der Spermien gar nicht gibt. Wie wäre sie wohl mit der Erkenntnis umgegangen?“ In den beiden letzten Büchern hatte Gerda Weiler sich von der biologischen Seite her mit der angeblichen Dominanz des Männlichen auseinandergesetzt und nachzuweisen versucht, dass die kulturellen Schöpfungen der Frühgeschichte nicht unbedingt allein Schöpfungen des Mannes sind. In den 1990er Jahren waren das noch nahezu revolutionäre Thesen.
Den beiden ähnlich gelagerten Frauen blieb nicht viel Zeit, für persönliche Begegnungen, doch sie haben intensiv korrespondiert. Unter dem Titel ‚Bleibe unerschrocken‘ veröffentlichte Gudrun Nositschka 1996 den Briefwechsel, den sie über drei Jahre mit Gerda Weiler geführt hatte.
Da Frauen im Gegensatz zu Männern viel weniger gefördert werden, verfolgten Anhängerinnen und Freundinnen Gerda Weilers deren langgehegten Wunsch, eine Frauen-Stiftung zu gründen. Damit wollten sie die Vision Gerda Weilers, dass „Frauen ihre ursprüngliche Stärke (wieder-) entdecken und sie politisch, sozial und wissenschaftlich wirksam werden lassen“ mit Leben erfüllen.
Das bedeutete zunächst, Geld zu sammeln und einen Förderverein zu gründen. Gudrun Nositschka blickt zurück: „Im Jahr 1997 sollte der Förderverein in NordrheinWestfalen etabliert werden, da es hier günstige Bedingungen für Stiftungen gibt. Der Blick der Frauen fiel auf mich. Nach dem ersten Schock wollte ich mich der großen Aufgabe nicht entziehen. Ähnlich erging es weiteren Vorstandsfrauen. 1999 konnte dann die ‚Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung‘ gegründet werden. Seitdem hat der Förderverein bereits 240 Frauen bzw. Projekte unterstützt. Vom Stiftungskapital dürfen wir nur die Zinsen verwenden. Da es im Moment kaum Zinsen gibt, ist die Förderung nur über Spenden möglich. In unserem Spitzenjahr konnten wir ca. 11.000 Euro für Frauenforschung weitergeben. Mich freut es, dass auch andere Stiftungen Projekte fördern, wenn wir dabei sind.“
Gudrun Nositschka verschickt dreimal im Jahr rund 800 sehr liebevoll und der Jahreszeit entsprechend gestaltete Rundbriefe, in denen sie über Förderprojekte, interessante Veranstaltungen oder Neuerscheinungen informiert – und natürlich um Spenden bittet. Oft ist ihnen ein Zitat aus Gerda Weilers Texten vorangestellt. Außerdem organisiert sie zusammen mit den Vorstandsfrauen jedes Jahr eine Jahresversammlung, die entweder mit einem besonderen Vortrag oder jedes zweite Jahr mit einer Tagung zu Gerda Weilers Forschungsthemen verbunden ist. „Meine Hauptarbeit ist es aber, Anfragen telefonisch oder per Mail zu beantworten, die Förderanträge, die auch einen Finanzierungsplan enthalten müssen, zu bearbeiten und dabei die Antragstellerinnen zu beraten. Da ist sehr viel Austausch nötig“.
Was die Zukunft angeht, hat Gudrun Nositschka den Eindruck, „das generische Maskulinum feiert Urständ. Und die Sternchensetzung verschleiert, ob es um Frauen und Mütter geht oder sie überhaupt gemeint sind“. Außerdem warnt sie, „wir Frauen sollten aufpassen, uns nicht zu sehr dem Patriarchat anzugleichen, denn dann werden wir vereinnahmt.“
Bevor ich mich auf den Heimweg mache lässt die vielseitige Forscherin und Feministin es sich nicht nehmen, mir noch ein Projekt aus der Praxis zu zeigen, an dessen Entstehung sie mitgewirkt hat: Das Labyrinth in Euskirchen. Mit dem Auto fährt sie vor mir her zu einem grünen Platz direkt vor dem Amtsgericht mitten in der Kreisstadt. Wir parken und gehen um eine schützende Begrenzung aus Sträuchern herum. Dann erst präsentiert sich das Labyrinth als eine Art Trockenbiotop mit Natursteinabgrenzungen. Ich staune, denn zu der Labyrinthanlage gehört ein Kreis von 7 Frauenskulpturen der Künstlerin Gesa Friede. Sie sind aus Holz, etwa 2,50 m hoch und farbig bemalt. Jede Skulptur verkörpert archetypische Aspekte des Weiblichen. Ich bemerke, dass nicht nur nicht nur mich, sondern auch Gudrun die besondere Atmosphäre dieses meditativen Ortes mitten in der Stadt einfängt. Sie hat mir dazu erzählt: „Als im Jahr 2000 das große Frauen-Gedenk-Labyrinth auf dem Platz vor der Alten Oper in Frankfurt ausgestellt wurde, hatte ich einen Stein für Gerda Weiler gestiftet. Danach überlegten wir im AK Frauen, den wir nach Gerdas Vortrag 1991 auf meine Initiative hin mit 14 Frauengruppen gegründet hatten, das Labyrinth-Thema weiter zu verfolgen. Eine Frau schlug vor, in Euskirchen selber ein Labyrinth zu bauen. Die Idee löste zunächst Verblüffung aus, doch dann gründeten wir den Labyrinth-Verein, der viel Unterstützung erhielt: von der Leitung des Amtsgerichts, von den Gärtnereien, von der Sparkasse und von vielen Anderen sowie von der Künstlerin. Die Stadt stellte den Platz zur Verfügung. Von Anfang an war das Labyrinth ein guter Ort der Kommunikation.“ Viele Veranstaltungen fanden statt, 2010 sogar der internationale Labyrinth-Kongress, ein Höhepunkt. Mittlerweile, 2017, hat sich der Verein aufgelöst. Die älter werdenden Frauen konnten die Arbeit nicht mehr bewältigen. Aber es ist ihnen gelungen, ‚ihr Kind‘ in gute Hände zu geben. Die Stadt Euskirchen hat die Verantwortung und die Pflege dieses jederzeit frei zugänglichen Labyrinths übernommen.
Mehr Infos:
Gudrun Nositschka, Die Hoffnung zog mit. Von Ostpreußen ins Ruhrgebiet. Eine Familiengeschichte. Bouvier Bonn 1992.
Gudrun Nositschka, Auf Wiedersehen in Leipzig. Deutsch-deutsche Freundschaften 1961-1995. Bonn, Bouvier 1995.Gudrun Nositschka, Wege durch den Nebel. Eine Geschichte aus Galizien und Masuren für junge Menschen, Univ. Forschungsstelle Ostmitteleuropa Dortmund 1995.
Gudrun Nositschka, Bleibe unerschrocken. Briefwechsel mit der Matriarchatsforscherin Gerda Weiler. 1991-1994. Ed. Nebenan Bad Münstereifel 1996.
Im Rahmen dieser Serie wurden bisher die Donaupriesterin Gisela Forster, die Feministin Barbara Linnenbrügger, die Malerin Waltraud Beck, die Professorin Monika Barz, die Historikerin Irene Franken, die Tagungsleiterin Herta Leistner, Dagmar Schultz, die Alltagsforscherin Maria Rerrich, die Matriarchatsfrau Siegrun Laurent, die Gründerin Claudia Gather, die Heilpraktikerin Bali Schreiber, die Verbandsfrau Marlies Hesse und Ika Hügel-Marshall vorgestellt.
wunderbar, welche Vielfalt von Interessen und Aktivitäten, und von solch spannenden Lebenswegen zu erfahren. Danke
Wieder eine vitale Lebenswerk-Geschichte. Anerkennung und Dank an Grudrun Nositschka für ihr Engagement, auch was die Gerda-Weiler-Stiftung betrifft. Gerda Weilers Buch “Ich verwerfe im Lande die Kriege” hat seinerzeit mit seinem Erscheinen eine Antijudaismus / Antisemitismusdebatte ausgelöst. Die Initiative ‘Wormser Frauen für den Frieden’ lud damals Gerda Weiler als Referentin nach Worms ein, wo sie sich sehr offen mit den, an sie gerichteten, Vorwürfen auseinander setzte. Inhaltliche Details darüber habe ich vergessen,jedoch erinnere ich, wie sehr der Antisemitismus-Vorwurf Gerda Weiler verletzt hat.
Ich kenne Gudrun Nositschka über die Gerda-Weiler-Stiftung persönlich, wusste aber bisher nichts über ihr persönlichen Hintergründe und das ganze Spektrum ihres Lebens. Ich gehe vor ihr und ihrem so reichen, vielfältigen Wirken für uns Frauen (trotz Arthrose) in die Knie!
Falls noch Bedarf ist an der Nennung weiterer sehr engagierten Frauen – ich kenne welche – bitte melden!
Diese serie ist einfach nur klasse!
Taubergrüße, claudia l.