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“Ja heißt Ja” ist auch nicht immer eine Lösung

Von Antje Schrupp

Die Diskussion um sexualisierte Gewalt hat in den vergangenen Jahren neue Fahrt aufgenommen. Nachdem zunächst das Paradigma “Nein heißt Nein” durchgesetzt wurde (also der Maßstab, dass Opfer sich nicht aktiv und körperlich wehren müssen, damit ihr “Nein” zu einem Sexualakt auch vor Gericht Gültigkeit hat), ist die Debatte inzwischen zur Regel “Ja heißt Ja” übergegangen. Damit soll gesagt werden, dass Sex und sexualisierte Handlungen nur dann akzeptabel sind, wenn beide Beteiligten ausdrücklich ihre Zustimmung signalisiert oder sogar auch ausgesprochen haben.

Inzwischen gibt es zahlreiche feministische Ratgeber oder Tutorials, die das Modell des “Ja heißt Ja” umsetzen beziehungsweise Tipps und Anleitungen dazu geben, wie man es realisieren kann.

Das Gute an dieser Veränderung ist, dass die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, dass Sex nicht nur dann stattfinden sollte, wenn niemand aktiv etwas dagegen hat. Sondern eben nur dann, wenn alle Beteiligten auch wirklich positiv Lust darauf haben.

Aber so sinnvoll das Motto “Ja heißt Ja” theoretisch ist, so hat es doch auch problematische Aspekte. Mit diesen beschäftigt sich die Geschlechter- und Sexualwissenschaftlerin Rona Torenz in diesem Buch, das aus ihrer Masterarbeit an der Uni Merseburg hervorgegangen ist.

Ein Einwand ließe sich etwa aus liberaler Perspektive erheben: Wenn man nun wieder Männer auffordert, beim Sex die Verantwortung dafür zu übernehmen, die Zustimmung der Frau aktiv einzufordern (und auch wenn das Motto theoretisch geschlechtsneutral daher kommt ist es ja praktisch meistens so herum gemeint) – bestärkt das nicht das alte Klischee, dass Frauen ohnmächtig und schutzbedürftig sind und sich nicht selbst zu Wort melden können? Aus einer radikalfeministischen Sicht wiederum kann das Konzept kritisiert werden, weil “Ja heißt Ja” die weichen Faktoren, Sozialisation, Nominierungen, Erwartungshaltung nicht mit einbezieht. Es gibt ja viele denkbaren Möglichkeiten, warum Frauen “Ja” sagen, obwohl sie eigentlich gar keine wirkliche Lust auf Sex haben.

Schließlich stellen sich auch solche Fragen wie: Kann es nicht Situationen geben, in denen man in eine sexuelle Handlung einwilligt, obwohl man selber gar keine große Lust hat? Ist das schlimm? Was sind legitime Gründe dafür, Sex zu haben? Kann es nicht auch sein, dass die Lust beim Machen kommt? …

Letztlich stellt sich auch bei diesem Thema heraus, dass es nicht möglich ist, Beziehungen bis ins letzte Detail rechtssicher zu formalisieren. “Ja heißt Ja” ist eine gute Richtschnur, worauf man achten sollte, aber es ist kein sinnvolles juristisches Konzept. Es ist weitgehend ungeeignet, um Konflikte in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung vor einem Gericht auszutragen. Da ist die Faustregel “Nein heißt Nein” eindeutig besser.

Aber die gesellschaftliche Debatte zur sexuellen Freiheit reicht sowieso schon lange über den Bereich der gerichtlichen Auseinandersetzungen hinaus und dreht sich um Alltagskultur. Es geht nicht mehr nur darum, was im Verhalten zwischen Männern und Frauen erlaubt und verboten ist im Sinne einer strafrechtlichen Bedeutung. Sondern es geht darum, was erlaubt und verboten ist im Sinne einer sozialen Übereinkunft, dessen, was sich gehört und was sich nicht gehört, was man legitimerweise machen darf und was man nicht machen darf.

Und in diesem Zusammenhang ist “Ja heißt Ja” auf jeden Fall weiterhin eine sinnvolle Richtlinie. Nicht nur beim Sex übrigens. Sondern immer, wenn zwei oder mehr Leute etwas zusammen tun oder nicht tun wollen, sollten sie, so gehört sich das, darauf achten, ob auch alle mit ihren Wünschen und Bedürfnissen berücksichtigt werden. Sich dafür zu interessieren, ob auch die anderen Spaß haben oder nur ich, ist eine grundlegende zivilisatorische Empathie.

Die Verantwortlichkeiten sind dabei jederzeit auf alle Seiten verteilt. Sowohl stehen diejenigen, die mit etwas unzufrieden sind, in der Verpflichtung, dies auch auszusprechen und den anderen deutlich zu machen. Gleichzeitig sind aber diejenigen, die etwas wollen, dazu verpflichtet, auch darauf zu achten, wie ist den jeweils anderen geht. Das ist einfach gutes Benehmen, aber es ist eben nichts, worüber man sich gerichtlich streiten kann.

Die Debatten zeigen, dass wir bei der Debatte über Sex-Kultur in eine neue Phase übergangen sind. Wir haben den Punkt erreicht, wo es darum geht, die Erkenntnisse der Frauenbewegung im Alltag zu implementieren, in den alltäglichen Begegnungen zwischen den Geschlechtern. Und in dieser Hinsicht gilt nicht nur, aber eben ganz besonders für den Sex, dass er ambivalent vielschichtig, nicht eindeutig und klar zu beurteilen ist, und dass wir für ein gutes Leben weniger starre Regeln brauchen, an denen man sich wie an einer Checkliste orientieren kann, sondern vielmehr das notwendige Fingerspitzengefühl, um in einer gegebenen Situation das Angemessene zu tun.

Dieses Buch ist eine gute Lektüre, die uns in dieser Hinsicht weiterbringt.

Rona Torenz: ja heißt ja? Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex. Schmetterling Verlag. 164 Seiten. 13,80 Euro.

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 26.04.2019

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ute Plass sagt:

    “Die Verantwortlichkeiten sind dabei jederzeit auf alle Seiten verteilt. Sowohl stehen diejenigen, die mit etwas unzufrieden sind, in der Verpflichtung, dies auch auszusprechen und den anderen deutlich zu machen. Gleichzeitig sind aber diejenigen, die etwas wollen, dazu verpflichtet, auch darauf zu achten, wie ist den jeweils anderen geht. Das ist einfach gutes Benehmen, aber es ist eben nichts, worüber man sich gerichtlich streiten kann.”

    Das scheint mir die Kernaussage von “Ja heißt Ja? :-)

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