Forum für Philosophie und Politik
Von Juliane Brumberg
Eine liebevolle Kleinfamilie ist der Sehnsuchtsort für die meisten Menschen in der westlichen Kultur. Von ihr wird erwartet, dass sie die menschlichen Bedürfnisse nach emotionaler Unterstützung, verwandtschaftlicher Beziehung, körperlicher und seelischer Erholung und erfüllender Sexualität befriedigt und sie außerdem die Basis für eine erfolgreiche Berufstätigkeit bietet. Gleichzeitig führt es zu großen Nöten und großem Leid bei vielen Frauen, Männern und Kindern, wenn diese Familienkonstellation nicht funktioniert. Mütter sind verzweifelt, weil sie es nicht geschafft haben, für ein gutes Familienleben zu sorgen, Kinder machen ihren Eltern Vorwürfe für ihre unglückliche Kindheit und viele Männer lösen das Problem dadurch, dass sie sich noch verstärkter ihrem beruflichen Alltag widmen.
Insofern hat mich der Titel des Buches „Das Versagen der Kleinfamilie“ von Mariam Irene Tazi-Preve sofort angesprochen. Und ich finde beim Lesen das, was mir auch vorher schon klar war, bestätigt: Es liegt eben nicht an der Unzulänglichkeit der einzelnen Personen, wenn es mit dem idealen Familienleben nicht gelingen will, es liegt an den Strukturen, in die die Kleinfamilie eingebettet ist und die sie gleichzeitig stützen soll. Mariam Irene Tazi-Preve hat das, was Feminismus und Frauenforschung in den letzten 30 – 40 Jahren erarbeitet haben, mit einem Blick auf die Kleinfamilie zusammengetragen und dabei sachkundig und zugleich engagiert herausgestellt, woran das ganze System krankt. In Kapiteln wie „Mutterfalle, „Politik und Familie. Die kleinste Zelle des Staates und das Tabu der Gewalt“, „Vereinbarkeitslüge“, „Neue oder alte Väter“ zeigt sie auf, was die Familie alles leisten soll, obwohl das gar nicht gelingen kann und – Stichwort „Gewalt“ – sie eben auch nicht den Schutz bietet, den wir von ihr erwarten.
Ein Dilemma sieht Tazi-Preve darin, dass die meisten Paar- und Familientherapeut_innen von der Vorannahme ausgehen, dass die Paarbeziehung Voraussetzung für ein erfülltes Leben sei. Gleichzeitig wird angenommen, dass die Kleinfamilie ein sicherer Ort für das Aufwachsen von Kindern sei. Auch hätten Eltern (oder Mütter?) angeblich eine natürlich Begabung zur Versorgung ihrer Kinder. Wenn nicht, könnten Eltern durch pädagogische Programme dazu erzogen werden. Tatsache ist jedoch, dass, wenn etwas schief läuft, die Schuld meistens auf die Mütter zurückfällt. Zu Recht prangert Tazi-Preve an, dass „Motherblaming“ salonfähig geworden ist. Während die auf der Therapeutencouch liegenden Klient_innen sich über ihre Mütter beklagen, werde über die gesellschaftliche und ökonomische Ursachen für das angebliche „Versagen der Mütter“ kaum gesprochen.
Umgekehrt stehen der jüngeren männlichen Generation kaum nachahmenswerte Rollenbilder für ihr väterliches Selbstverständnis zur Verfügung. So erklärt sie, dass sich die Bewusstseinslage von Vätern zwar ändert, die väterliche Praxis aber traditionell bleibt.
Besonders eindrücklich und wichtig ist das Kapitel zum Thema Wirtschaft. Die Care-Diskussion hat es verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht, dass unser Wirtschaftssystem ohne die in der Familie geleistete Gratisarbeit nicht funktionieren würde. Gleichzeitig ist das Thema Geld, so Tazi-Preve, eine der größten Belastungen für eheliche Partnerschaften.
Als Alternativen bringt sie den Ökofeminismus und Subsistenzwirtschaft ins Spiel sowie die Geschenk-Ökonomie von Genevieve Vaughan. In der herrschenden Marktlogik würde das einseitige Geschenk der mütterlichen Fürsorge in den ersten Lebensmonaten eines Kindes nicht als Wert angesehen, das auch eine würdigende Antwort erfahren könnte. Betrachte man die Logik der freien Marktwirtschaft, so werde klar, dass sie erst aufgrund des Geschenks der Mutterabeit, das sie übernommen und unsichtbar gemacht hat, funktioniert. Insofern ist auch klar, dass das derzeitige Wirtschaftssystem auf die Kleinfamilie als Ressource angewiesen ist und überhaupt kein Interesse an anderen Formen des Zusammenlebens haben kann.
Die bietet das Buch mit Exkursen in die Matriarchatsforschung durchaus an. Doch der Mythos von der glücklichen Kleinfamilie ist so tief in unserer Kultur verankert, dass es noch lange dauern wird, bis die breite Masse der Bevölkerung sich vorstellen kann, andere Lebensmodelle anzuschauen, geschweige denn, sie auszuprobieren.
Bitteres Fazit ist deshalb, dass wir es heute mit einer ganzen Generation von total erschöpften Frauen zu tun haben, die beide Bereiche, die Berufstätigkeit und die Familienarbeit abdecken müssen. Den Skandal sieht Tazi-Preve darin, dass das Aufziehen von Kindern gänzlich individualisiert wurde, indem matrilineare Verhältnisse, in denen das „Muttern“ eine gemeinschaftliche Aufgabe war, umgedreht wurde. Die sich daraus ergebende Isolation wird als Normalität hingestellt.
Erst wenn wir erkannt haben, dass wir alle das Patriarchat in uns tragen, ist ein Bewusstseinswandel möglich. Das Buch von Mariam Irene Tazi-Preve, in dem sie diese Problematik so einleuchtend aufzeigt, trägt dazu bei, diesen Bewusstseinswandel einzuleiten.
Mariam Irene Tazi-Preve, Das Versagen der Kleinfamilie, Kapitalismus, Liebe und der Staat, Verlag Barbara Budrich, Opladen 2017, 228 S., 22,90 Euro.
Ja, das liebe Geld in der Ehe – zwei prototypische Beispiele, die ich während dieser Woche erlebt habe.
1. Beispiel, Frau 60plus.
Ihr Mann hat mit einer seiner Kolleginnen sexuelle Kontakte. Ihre Rentenerwartung ist erbärmlich niedrig, seine Pensionserwartung sehr rosig. Ihre Reaktion mir gegenüber: Ach, das mit dem Sex wird doch immer überbewertet…
2. Beispiel, Frau 70plus.
Sie hat auf der Bank Probleme mit dem Ausdruck ihrer Kontoauszüge und wendet sich an einen Bankangestellten. Der sagt, ihr Mann mache online-banking, da brauche sie doch keine Auszüge. Die Frau erzählt in großer Runde, wie sie reagiert habe. Sie sagt, sowas habe sie noch nie gesagt! Also erfuhr der Bankangestellte, dass sie ein eigenes Konto habe und ihr Mann nicht zu wissen brauche, wofür sie ihr Geld ausgäbe und was sie sich gönne.
Über das hinaus, was Juliane Brumberg so präzise und eindrücklich zusammengefasst hat, sind Ehe und Kleinfamilie oft, viel zu oft Orte jahrzehntelanger Zucht und Erpressung, auf die Frauen mit vorauseilendem Gehorsam, Bagatellisierung und diesem verschwörerischen Zwinkern reagieren, das ausdrückt, sie hole sich ihren Anteil schon…Oder Eine strafft sich, blafft den Banker an und verbreitet die story in großer Runde. Als sie dies zum dritten Mal tut, fällt ihr dazu Elisabeth Selbert ein, die mit anderen Frauen zusammen für die Gleichberechtigung im Grundgesetz gesorgt hat.
Danke, Juliane, dass du mit dieser Buchrezension auf diese hochwichtige Thematik verweist. Habe das mal sogleich an meine Töchter und Söhne weiter geschickt, da diese sich in dem
‘bitteren Fazit’, welches du ziehst, in verschiedenster Hinsicht
wieder finden dürften.
Heute haben ja tausende Menschen in Berlin wegen der “Kita-Krise”
demonstriert, was ich für wichtig und notwendig erachte, aber darüber hinaus hoffe, dass Protest und Widerstand gegen das vorherrschende, zerstörerische Wirtschaftssystem gesamtgesellschaftlich zunimmt , verbunden mit der Einsicht, dass es um das gute Leben für ALLE geht.
Auch ich bedanke mich für den Buchtipp und die gelungene
Rezension. Die Bestellung des Buches für mich und weitere
interessierte Freund_innen ist unterwegs. Uns sind die Zusammenhänge schon seit Studienzeiten (80er Jahre…) bekannt, dennoch lesen wir gern Neugedachtes zum Thema “das Versagen der Kleinfamilie”. Schade, dass Nichtakademiker_innen nur weiterhin
“by the way” mitdenken können.
*Alte* Frauenbewegung mit neuem Elan:
http://www.fr.de/politik/oesterreich-die-rebellion-der-alpen-omas-a-1510563,0#artpager-1510563-1
:-)
Oja, das Thema Geld ist auch bei uns gerade eine große Belastung! Vor allem seit ich entschieden habe, weniger in meinem Beruf, also bezahlt, zu arbeiten, um für meine vier Kinder und den Haushalt besser sorgen zu können. Da ich oft mit oder ohne Kinder einkaufe und auch Karten für Theater und Konzerte besorge, muss ich meinen Mann dauernd um Geld bitten. Das finde ich entwürdigend. Auch wenn ich mir mal was gönne, möchte ich mich nicht rechtfertigen müssen. Sicher liegt es daran, dass wir als Paar die neue Einkommenssituation noch nicht berücksichtigt haben, aber grundsätzlich finde ich ein Wirtschaftssystem falsch, das die meist von Frauen geleistete Care-Arbeit nicht würdigt!